BT-Drucksache 17/2345

Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug

Vom 30. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2345
17. Wahlperiode 30. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris
Gleicke, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Caren Marks, Thomas Oppermann, Holger Ortel,
Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Kerstin
Tack, Andrea Wicklein, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinder vor Gift in Spielzeug

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der im April 2010 vorgestellte Jahresreport der EU-Kommission zeigt für 2009
einen Anstieg bei der Anzahl mangelhafter Produkte um 7 Prozent. An erster
Stelle steht dabei erneut gefährliches, für Kinder ungeeignetes Spielzeug. Mit
den enthaltenen Chemikalien gelangen giftige Schwermetalle wie Blei, Cad-
mium und Quecksilber, krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende
Weichmacher, Allergie auslösende Duftstoffe und Nickel in Kinderhände und
Kindermünder.

Die EU-Spielzeugrichtlinie bietet nicht den notwendigen Schutz. Auch das Bun-
desinstitut für Risikobewertung (BfR) kommt zu dem Schluss, dass die Rege-
lungen zur chemischen Sicherheit von Spielzeug, wie sie mit der neuen EU-
Spielzeugrichtlinie im Dezember 2008 verabschiedet wurden, unzureichend
sind und teils sogar zu Verschlechterungen des Verbraucherschutzes führen.

So enthält die überarbeitete Regelung zwar ein Verwendungsverbot für krebs-
erregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende (k/e/f) Stoffe. Allerdings nur
dann, wenn die Konzentrationsgrenzwerte entsprechend den Regelungen im
Chemikalienrecht REACH überschritten werden. Damit wird der Gehalt des je-
weiligen Stoffes im Produkt als entscheidend angesehen. Für die Sicherheit der
Kinder ist aber wichtig, wie viel vom jeweiligen Giftstoff aus dem Spielzeug frei-
gesetzt werden kann, denn am Spielzeug wird gelutscht, gekaut und manchmal
wird dieses auch verschluckt. Um einen effektiven Schutz vor k/e/f-Stoffen zu
erreichen, sollten deshalb für alle Arten von Spielzeugmaterialien die gleichen
Regelungen gelten wie für Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt sind.

Nach den neuen Regelungen der EU-Spielzeugrichtlinie sind deutlich größere
Mengen an Blei, Quecksilber, Arsen, Antimon und Barium im Spielzeug zuge-

lassen als bisher.

Hormonell wirksame Chemikalien wie Phthalate, Bisphenol A, bromierte
Flammschutzmittel und Organozinnverbindungen sind – soweit sie nicht gleich-
zeitig als krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende Stoffe gelten,
nicht erfasst.

Drucksache 17/2345 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch vor Duftstoffen und Nickel, die Allergien auslösen können, werden Kinder
nicht ausreichend geschützt.

Der Einsatz von Nanopartikeln ist nicht erfasst, obwohl es über die Risiken die-
ser Kleinstpartikel bisher kaum Erkenntnisse gibt.

Die im Rahmen der Chemikalienverordnung REACH als besonders „besorgnis-
erregende Stoffe“ bezeichneten persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen
(PBT) und sehr persistenten und sehr bioakkumulierbaren (vPvB) Stoffe werden
in der Spielzeugrichtlinie nicht erwähnt. Sie sind nur erfasst, wenn sie zugleich
als krebserzeugend gelten.

Insbesondere kritisiert das BfR beispielhaft die Grenzwerte für in Kunststoffen
als Weichmacher genutzte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK)
als viel zu hoch. Sie stehen in Verdacht, Krebs zu erzeugen, unfruchtbar zu
machen und das Erbgut zu schädigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das höchstmögliche Gesundheitsschutzniveau für Kinder sicherzustellen
durch unbedingten Vorrang und konsequente Anwendung des Vorsorge-
prinzips, wenn sich das Risiko durch eine wissenschaftliche Bewertung
nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen lässt;

2. im Interesse einer schnellen und konsequenten Handlungsfähigkeit die in
Deutschland bisher auf mehrere Bundesministerien verteilte Zuständigkeit
für Spielzeugsicherheit in einem Bundesministerium, dem Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zusammenzu-
führen;

3. sich für die Gleichstellung von Spielzeug mit sogenannten Lebensmittel-
kontaktmaterialen einzusetzen;

4. sich für eine Gleichstellung von Spielzeug mit Kosmetika einzusetzen,
sofern das Spielzeug für längeren Hautkontakt vorgesehen ist, wie z. B.
Fingermalfarben und Knetmasse;

5. sich einzusetzen für ein Verbot von Allergie auslösendem Nickel;

6. sich dafür einzusetzen, dass Duftstoffe im Spielzeugbereich EU-weit kom-
plett und ohne Ausnahmen verboten werden;

7. sich wegen der unbekannten Risiken einzusetzen für ein EU-weites Verbot
der Anwendung von Nanomaterialien im Spielzeugbereich;

8. sich für ein EU-weit geltendes komplettes Verbot von krebserregenden, erb-
gut- und fortpflanzungsschädigenden Stoffen in Spielzeug ohne Ausnah-
men einzusetzen und sich bei den EU-Mitgliedstaaten um Verbündete für
diese Vorhaben zu bemühen;

9. sofern solche Stoffe nicht bereits über die genannten Kategorien erfasst
sind, sich für ein EU-weit geltendes komplettes Verbot von persistenten,
bioakkumulierbaren und toxischen (PBT) und sehr persistenten und sehr
bioakkumulierbaren (vPvB) Stoffen einzusetzen;

10. sich einzusetzen für ein EU-weites Verbot von hormonell wirksamen Sub-
stanzen (wie Phthalate, bromierte Flammschutzmittel, Organozinn, Bisphe-
nol A) im Spielzeugbereich und notfalls nach dem Vorbild des in Dänemark
ab Juli 2010 geltenden Bisphenol-A-Verbots auch für Deutschland ent-
sprechende nationale Regelungen zu finden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2345

11. aus den Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung schnellst-
möglich Konsequenzen zu ziehen und insbesondere für
– den Einsatz von Formaldehyd,
– den Einsatz der Schwermetalle Blei, Cadmium und Quecksilber und
– den Einsatz von sogenannten PAK (polyzyklische aromatische Kohlen-

wasserstoffe)
im Spielzeug gegebenenfalls auch nationale Verbote zu erlassen;

12. unverzüglich die Risikobewertung des BfR zu PAKs an die EU-Kommis-
sion zu übermitteln und sich auf EU-Ebene mit Nachdruck dafür einzuset-
zen, dass die EU-Kommission auf der Grundlage des Artikels 13 der EU-
Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit eine Eilentscheidung zum
Verbot von PAKs in Spielzeug trifft;

13. sich dafür einzusetzen, dass die Untersuchung der Kombinationswirkungen
von Chemikalien zu einem Forschungsschwerpunkt wird und die Ergeb-
nisse schnellstmöglich in die gesetzlichen Vorgaben einfließen;

14. in Koordination mit den Ländern, anderen Mitgliedstaaten und der EU-
Ebene für eine verbesserte Marktüberwachung mit ausreichenden Kontrol-
len im Spielzeugbereich zu sorgen;

15. eine benutzerfreundliche öffentlich zugängliche Datenbank einzurichten, in
der die Kontrollergebnisse der Marktüberwachung der Länder und des Zolls
unter Nennung von Hersteller- und Produktnamen zusammengeführt und
veröffentlicht und die Inhaltsstoffe der Spielzeugprodukte deklariert wer-
den;

16. dem Deutschen Bundestag regelmäßig über den Fortgang der Bemühungen
um mehr Sicherheit beim Spielzeug zu berichten;

17. sich dafür einzusetzen, dass die Hersteller in der Spielzeugrichtlinie gene-
rell verpflichtet werden, eine präventive Sicherheitsprüfung und Zertifizie-
rung durch unabhängige Dritte durchführen zu lassen;

18. sich bis zur Einführung einer verpflichtenden, unabhängigen Drittprüfung
dafür einzusetzen, dass freiwillige nationale Prüfzeichen wie das GS-Zei-
chen erhalten bleiben;

19. sich für Regelungen einzusetzen, die analog zum Spielzeugbereich auch für
Kinderkleidung die genannten Vorgaben festschreiben.

Berlin, den 30. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Kinder sind besonders sensibel, denn ihre Organe und ihr Immun- und Nerven-
system befinden sich noch in der Entwicklung. Schadstoffe können so in allen
wesentlichen Entwicklungsprozessen ihres Körpers schwerwiegende Langzeit-
schäden verursachen. Außerdem nehmen Kinder durch ihre vergleichsweise
größere Hautoberfläche, ihren höheren Stoffwechsel und die intensivere
Atmung in Relation zu ihrem Körpergewicht mehr Stoffe – und damit auch
Schadstoffe – aus der Umwelt auf.

Drucksache 17/2345 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Kinder knuddeln, kauen, lecken an ihrem Spielzeug und halten z. B. im Schlaf
stundenlang Körperkontakt zu Plüschteddy oder Stoffpuppe. So kommen sie mit
eventuell enthaltenen Giften sehr direkt in Kontakt. 15 000 Stunden hat ein
sechsjähriges Kind im Schnitt sein Spielzeug in die Hand und in den Mund ge-
nommen. Deshalb sollten für Spielzeug besonders hohe Anforderungen gelten.
Der Schutz der Kinder vor Verletzungen, Vergiftungen und langfristig schädli-
chen gesundheitlichen Auswirkungen muss oberste Priorität haben.

Zunehmend sind Kinder von Allergien, Umwelterkrankungen über Hormon-
störungen bis hin zu Krebserkrankungen betroffen. Die Daten des Robert Koch-
Instituts belegen, dass in Deutschland die Zahl von Krebserkrankungen bei
Kindern enorm gestiegen ist. Inzwischen sind bösartige Neubildungen von
Tumoren bei Kindern die zweithäufigste Todesursache. Es ist deshalb dringend
geboten, giftige Chemikalien und krebserzeugende, erbgutverändernde oder
fortpflanzungsschädigende Stoffe aus Spielzeugen fernzuhalten, denn für solche
Stoffe gibt es keine zuverlässig ungefährlichen Grenzwerte.

Spielen soll Freude bereiten und nicht krank machen! Aus Vorsorgegründen
muss deshalb kompromisslos auf alle Stoffe verzichtet werden, bei denen nega-
tive Effekte auf die Kindergesundheit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden
können.

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