BT-Drucksache 17/2321

Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen und ausbauen

Vom 29. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2321
17. Wahlperiode 29. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil
(Peine), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Josip Juratovic, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf, Katja Mast, Thomas Oppermann, Anton Schaaf, Silvia Schmidt
(Eisleben), Ottmar Schreiner, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Arbeitsmarktpolitik erfolgreich fortsetzen und ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Trotz anhaltender Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt sich der deutsche Arbeits-
markt vergleichsweise robust. Im Zuge der anhaltenden Frühjahrsbelebung so-
wie saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit auch im Mai 2010 gesunken. Doch
diese positiven Zeichen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Pro-
bleme auf dem Arbeitsmarkt noch nicht überwunden sind.

Konjunkturelles Kurzarbeitergeld

Die Kurzarbeit spielt auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor eine wichtige Rolle.
Im März 2010 waren knapp 700 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
konjunktureller Kurzarbeit. Da der durchschnittliche Arbeitszeitausfall bei
einem Drittel lag, wurden durch konjunkturelle Kurzarbeit im März 2010
ca. 226 000 Vollzeitarbeitsplätze gesichert. Ohne Kurzarbeit wäre die Arbeits-
losigkeit entsprechend höher gewesen.

Es ist weiterhin notwendig, alle Kräfte und Erfahrungen zu bündeln, um die von
der Wirtschaftskrise betroffenen Unternehmen und deren Belegschaften zu un-
terstützen. Jeder Arbeitsplatz, der erhalten werden kann, jedes Unternehmen,
dessen Bestand gesichert werden kann, zählt. Die Kurzarbeit ist hierzu ein ge-
eignetes Mittel. Die Fortsetzung der Kurzarbeit unter erleichterten Bedingungen
und unter Fortgeltung der aktuellen Regelung zur Übernahme der Sozialversi-
cherungsbeiträge ist daher von zentraler Bedeutung. Die Kurzarbeit ermöglicht
den Unternehmen eine flexible Personalanpassung durch den schnellen Abbau
von Kosten; der flexible Einsatz von Personal bei Auftragseingängen stärkt die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und verhindert die Entlassung von
Fachkräften. So können die Unternehmen am Ende der Krise schnell wieder
durchstarten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlieren nicht ihren
Arbeitsplatz.
Kurzarbeit spart damit ganz massiv: Es werden u. a. die Ausgaben für Arbeits-
losengeld und die volkswirtschaftlichen Kosten von Dequalifizierung während
Zeiten der Arbeitslosigkeit vermieden. Weiter verbessert sich die steuerliche
Einnahmesituation des Staates dadurch, dass die Unternehmen schnell wieder
durchstarten können.

Drucksache 17/2321 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Kurzarbeit sollte daher künftig mit Ausnahme der sog. Konzernbetriebsklausel
generell unter den aktuell gültigen erleichterten Bedingungen möglich sein. Es
hat sich deutlich gezeigt, dass die verbesserten Kurzarbeiterregelungen vor
Beschäftigungsabbau schützen. Unternehmen in konjunkturellen Krisensitua-
tionen sollten daher stets die Möglichkeit bekommen, an ihren Arbeitskräften
festhalten zu können.

Die Gefahr des Missbrauchs beim Bezug von Kurzarbeitergeld wird überschätzt.
Er wäre für die Unternehmen auch ein schlechtes Geschäft. Bei einem Anziehen
der Konjunktur bzw. bei einer besseren Auftragslage geht die Inanspruchnahme
von Kurzarbeitergeld zügig zurück. Vor allem auch deshalb, weil selbst bei
Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge bei den Unternehmen Remanenz-
kosten in nennenswertem Umfang verbleiben. Nach Angaben des Instituts für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) betra-
gen auch bei Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge die Remanenzkosten
24 Prozent. Diese Kostenbelastung ist nicht zu unterschätzen. Es kann daher da-
von ausgegangen werden, dass Unternehmen ein starkes eigenes Interesse daran
haben, Kurzarbeit möglichst schnell zu beenden. Dies ist ein weiteres Argument,
die aktuell gültigen Regelungen für das Kurzarbeitergeld unbefristet zu erhalten.
Allerdings ist im Rahmen der Leiharbeit eine einschränkende Regelung erfor-
derlich, um Mitnahmeeffekte durch Leiharbeitsunternehmen vorzubeugen.

Transfergesellschaften

Kann der Abbau von Arbeitsplätzen nicht vermieden werden, kommt es darauf
an, den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine neue berufliche
Perspektive zu ermöglichen.

Denn bei den anhaltenden Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt droht bei Ver-
lust des Arbeitsplatzes insbesondere den an- und ungelernten Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern lang anhaltende Arbeitslosigkeit. Nicht selten fehlt es an
Wissen über Möglichkeiten der Wiederbeschäftigung und der Qualifizierung.
Insbesondere Beschäftigte mit langer Betriebszugehörigkeit haben keine aktuel-
len Erfahrungen mit Bewerbungsverfahren oder schätzen ihre Vermitt-
lungschancen falsch ein. Diese Hindernisse auf dem Weg zu einem raschen Wie-
dereinstieg in den Arbeitsmarkt werden auch durch größere Abfindungszahlun-
gen nicht beseitigt.

Eine Lösung ist ein Wechsel der von Stellenabbau betroffenen Beschäftigten in
eine Transfergesellschaft.

Die Transfergesellschaft dient im Grundsatz dazu, unvermeidbaren Stellenab-
bau sozialverträglich zu gestalten und dabei die Chancen der Betroffenen durch
Qualifizierung zu verbessern. Statt gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, kann sich das Unternehmen mit dem
Betriebsrat darauf verständigen, den Übergang auf neue Arbeitsplätze im Rah-
men einer speziell einzurichtenden Organisationsstruktur zu unterstützen.

Das Instrument des Transferkurzarbeitergeldes wird zwar seit Jahren immer
wieder kritisch kommentiert, insbesondere was die Qualitätsstandards angeht.
Transfergesellschaften bieten jedoch gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zahlreiche Vorteile. Es wird ein neues, zeitlich befristetes Arbeitsver-
hältnis mit der Transfergesellschaft begründet. Während dieser Zeit gelten die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht als arbeitslos. Außerdem sind die betref-
fenden Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer weiterhin sozialversichert. Dies ist
ein entscheidender Vorteil, wenn es beispielsweise darum geht, Armut im Alter
zu vermeiden. Transfergesellschaften tragen auch dazu bei, dass Fähigkeiten
und Talente nicht einrosten, sondern aufrechterhalten und weiterentwickelt wer-
den. Und dadurch, dass die Trennung vom Arbeitgeber einvernehmlich erfolgt,

können finanziell, zeitlich und psychisch belastende Arbeitsrechtsprozesse ver-
mieden werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2321

Deshalb spricht viel dafür, die Bildung von Transfergesellschaften bei drohen-
den Massenentlassungen zu erleichtern.

Da sich in den letzten Jahren eine Reihe von Trägern im Beschäftigtentransfer
auf dem Markt etabliert haben, ist es für die Entscheider/Entscheiderinnen nicht
immer leicht, die Qualität der angebotenen Maßnahmen zu beurteilen. Die Qua-
lität der eingesetzten Instrumente und damit einhergehend der zu erwartende Er-
folg der Transferbemühungen sind jedoch wichtig für die Akzeptanz eines
Transfersozialplans. Daher müssen Transparenz und Qualität von Transfer-
gesellschaften gestärkt werden.

Derzeit sind weder die Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen nach
§ 216a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) noch der Bezug von
Transferkurzarbeitergeld nach § 216b SGB III in dem gebotenen Maß an Vor-
aussetzungen geknüpft, die den Inhalt und die Qualität der zu erbringenden
Dienstleistung der Transfergesellschaft beschreiben.

Bundeseinheitliche Standards gibt es nicht in ausreichendem Umfang. Der Bun-
desverband der Träger im Beschäftigtentransfer e. V. hat zwar Mindeststandards
für seine Mitglieder formuliert. Allerdings sind in dem Verband nur 18 Anbieter
organisiert. Aufgrund der Vielzahl von Anbietern (Schätzungen gehen von 150
bis 200 deutschlandweit aus) ist das keineswegs ausreichend.

Wichtig ist es daher, die qualitativen Anforderungen an die Transfergesellschaf-
ten zu erhöhen. Hierzu gehören Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsys-
tem, formale Anforderungen an die Qualifikation des eingesetzten Personals,
Nachweispflichten hinsichtlich der Vermittlungserfolge der Transfergesell-
schaften und ihrer Maßnahmen zur Vernetzung in der Region und in der Bran-
che. Weiter sind Mindeststandards bezüglich des Betreuungsschlüssels, der
didaktischen Kompetenzen der eingesetzten Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, der
Beratungsintensität und des Zugangs zu Beratungsangeboten zu definieren.

Dafür braucht es ein eigenes, für alle Anbieter verbindliches Verfahren zur Zer-
tifizierung von Transfergesellschaften. Hierzu müssen grundlegende Eckpunkte
festgelegt und eine entsprechende Verordnungsermächtigung im Gesetz ge-
schaffen werden.

Bisher gibt es beim Transferkurzarbeitergeld keine gesetzlichen Vorgaben zu
Mindeststandards beim Abschluss eines Transfersozialplans bzw. hierauf beru-
hender Vereinbarungen mit Transfergesellschaften. Deshalb kommt es immer
wieder vor, dass Transfersozialpläne in erster Linie als Möglichkeit der Ver-
längerung des Bezuges von Lohnersatzleistungen genutzt werden und nicht als
alternative Möglichkeit der Beratung, Qualifizierung und Vermittlung. Bei älte-
ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden sie auch als Überbrückungs-
zeit zum Schließen von Lücken bis zum Bezug einer Altersrente angesehen. In
Extremfällen sind Transfersozialpläne sogar so ausgestaltet, dass sich die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziell dann am günstigsten stellen,
wenn sie möglichst lange in der Transfergesellschaft verbleiben.

Transfer-Sozialpläne bzw. hierauf beruhende Vereinbarungen zwischen Unter-
nehmen und Transfergesellschaft müssen so gestaltet werden, dass sie eine
zügige Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung unter-
stützen. Gleichzeitig müssen finanzielle Nachteile für die Arbeitnehmerinnen/
Arbeitnehmer bei frühzeitiger Vermittlung vermieden werden.

Aus der Praxis ist bekannt, dass Transfergesellschaften mit Qualifizierungsmit-
teln seitens des entlassenden Unternehmens gelegentlich unzureichend aus-
gestattet werden. Transfergesellschaften sind aber nur dann sinnvoll, wenn zu-
sätzlich zu öffentlichen Fördermitteln Eigenbeiträge des entlassenden Unterneh-
mens erfolgen. Sind nicht hinreichend Qualifizierungsmittel vorhanden, besteht

die Gefahr, dass durch Zeitablauf Arbeitsmarktchancen von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern sich eher verschlechtern als verbessern.

Drucksache 17/2321 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Für Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen ohne Berufsabschluss kann es sinnvoll
sein, bereits während der Zeit in der Transfergesellschaft mit einer Berufsausbil-
dung zu beginnen. Für eine Qualifizierung mit einem Berufsabschluss genügen
i. d. R. die vorhandenen Mittel nicht, um die Transfermaßnahme als zweite
Chance nutzen zu können. Von daher soll es ermöglicht werden, das hierfür die
Mittel der Transfergesellschaft mit der Qualifizierungsförderung der Bundes-
agentur für Arbeit kombiniert werden können.

Weiterhin sollten die Agenturen für Arbeit spezielle Transfervermittler/Trans-
fervermittlerinnen benennen, die an der Schnittstelle zwischen Agentur für
Arbeit und Transfergesellschaft eine koordinierende und beratende Funktion
einnehmen.

Arbeitsmarktinstrumente

Im Übergang zum Aufschwung ist es unerlässlich, bestimmte Arbeitsmarkt-
instrumente fortzuführen und nicht auslaufen zu lassen. Ältere Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sind besonders von der Krise betroffen. Um ihnen den
Weg aus der Arbeitslosigkeit zu erleichtern, sollte der bis Ende des Jahres befris-
tete Eingliederungszuschuss für Ältere verlängert werden. Die Praxis zeigt, dass
dieses Instrument erfolgreich eingesetzt wird. Die Verbleibsquote liegt aktuell
bei 76,6 Prozent. Dessen ungeachtet muss dieses Instrument wie andere auch
einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Evaluation unterzogen werden.

Auch die Entgeltsicherung trägt in hohem Umfang dazu bei, die Erwerbsbetei-
ligung Älterer zu steigern. Die Verbleibsquote bei der Entgeltsicherung beträgt
derzeit 72,5 Prozent. Daher sollte auch dieses Arbeitsmarktinstrument zeitlich
verlängert und kontinuierlich evaluiert werden.

Der demografische Wandel und ein rasanter technischer Fortschritt prägen un-
sere Arbeitswelt: Insbesondere ältere Beschäftigte benötigen daher immer häu-
figer Unterstützung. Aber auch Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mittleren
Alters erfahren immer häufiger, wie schnell ihre Qualifikation veralten kann.
Ein wichtiger Baustein, dies zu verhindern, ist die Förderung der Weiterbildung.
Primäres Ziel ist es, Arbeitslosigkeit wegen mangelnder Qualifikation zu ver-
meiden und die Beschäftigungschancen und -fähigkeiten zu verbessern. Investi-
tionen in Weiterbildung zahlen sich aus: Die Beschäftigten erwerben neue
Kenntnisse und Fertigkeiten. Dadurch sind sie vor Arbeitsplatzverlust besser ge-
schützt. Und die Unternehmen können vor allem auf aktuelles Fachwissen zu-
rückgreifen, was ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Es ist daher sinnvoll, die
Weiterbildungsförderung nach den §§ 417 und 421t SGB III generell zu entfris-
ten. Das Instrument hat sich bewährt.

Nicht nur Ältere haben aufgrund der anhaltenden Probleme auf dem Arbeits-
markt Schwierigkeiten, auf diesem zu bestehen bzw. dort Fuß zu fassen. So ist
beispielsweise auch auf dem Ausbildungsstellenmarkt die Situation nach wie
vor angespannt:

Das Ausbildungsjahr 2009 weist eine gemischte Bilanz auf. Zwar ist wie erwar-
tet die Ausbildungsplatznachfrage auch aufgrund der demografischen Entwick-
lung gesunken, aber auch die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge
sank um 8,2 Prozent auf rund 566 000. Besonders der Industrie- und Handels-
sektor sowie das Handwerk weisen einen Einbruch auf.

Der Übergang von der Schule in die Ausbildung – die sogenannte erste
Schwelle – erweist sich als besonders problematisch. Bewährte Instrumente
wie der Qualifizierungszuschuss für jüngere Arbeitnehmer (§ 421o SGB III),
der Eingliederungszuschuss für jüngere Arbeitnehmer (§ 421p SGB III), der
Ausbildungsbonus (§ 421r SGB III) oder die Berufseinstiegsbegleitung (§ 421s

SGB III) müssen daher verlängert bzw. generell entfristet werden. Die Evalua-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2321

tion der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist Voraussetzung dafür, dass diese
fortlaufend optimiert werden können.

Weiter ist der Vermittlungsgutschein befristet um zwei Jahre zu verlängern, um
die Erfahrungen mit diesem Instrument auf eine breitere Grundlage stellen zu
können.

Förderung der Alten- und Krankenpflegeausbildung

Ab Januar 2006 wurden berufliche Weiterbildungsmaßnahmen in der Alten- und
Krankenpflege nur noch während der ersten beiden Ausbildungsjahre durch die
Bundesagentur für Arbeit gefördert, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die
Finanzierung für die gesamte Dauer der dreijährigen Ausbildung gesichert war.
Diese Regelung hatte zur Folge, dass Umschulungen in diesem Bereich dras-
tisch zurückgingen (z. B. 2004: 7 000; 2006: 2 300). Die Ausbildungskosten in
der Altenpflege werden von den Bundesländern nur bei den öffentlichen Schu-
len übernommen. In Niedersachsen zum Beispiel ist jeder zweite Ausbildungs-
platz in einer privaten Schule. Hier fällt Schulgeld von ca. 260 Euro im Monat
an. Mit dem Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutsch-
land wurde – zeitlich befristet bis zum 31. Dezember 2010 – die Förderung der
dreijährigen Alten- und Krankenpflegeausbildung für die gesamte Dauer durch
die Bundesagentur für Arbeit für die Jahre 2009 und 2010 ermöglicht.

Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di haben im vergangenen
Jahr rund 14 200 Menschen mit Erfolg eine von der Bundesagentur für Arbeit
geförderte Ausbildung zum/zur Altenpfleger/Altenpflegerin absolviert. Mehr
als die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen stammte aus dem Rechts-
kreis des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) (Grundsicherung für Ar-
beitsuchende) und konnten erfolgreich in eine entsprechende Beschäftigung in-
tegriert werden. Die Chancen, anschließend eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung zu finden, sind sehr hoch.

Die dauerhafte Sicherung des Fachkräftebedarfs im Bereich der Altenpflege ist
eine der drängendsten Fragen im sozialen Bereich. In den vergangenen Jahren
ist die Zahl der Pflegebedürftigen gestiegen und wird infolge des demografi-
schen Wandels weiter steigen. In seiner Studie „Zukunft der Pflege in Deutsch-
land“ kommt Prof. Dr. Reinhold Schnabel zum Ergebnis, dass sich der gesamt-
wirtschaftliche Aufwand für professionelle Pflegeleistungen schon in naher
Zukunft dramatisch erhöhen müsse, um die wachsende Nachfrage zu befriedi-
gen. Selbst wenn in Zukunft Angehörige für die Pflege im wachsenden Umfang
bereit stünden, müsste sich dem Gutachten zufolge die Zahl der professionellen
Pflegekräfte in den nächsten Jahrzehnten mehr als verdoppeln. Um diesen
Bedarf zu decken, muss hier mehr ausgebildet werden. Diesem Ziel dient die
Verlängerung der zeitlich befristeten Regelung zur Förderung der dreijährigen
Alten- und Krankenpflegeausbildung für die gesamte Förderdauer durch die
Bundesagentur für Arbeit.

Bund und Länder sind in der Pflicht, eine tragfähige Lösung zu finden, damit die
Ausbildung in diesen zukunftsträchtigen Berufen sichergestellt wird. Dies sollte
innerhalb des nächsten Jahres bewerkstelligt werden.

Die komplette Förderung der Alten- und Krankenpflegeausbildung durch die
Bundesagentur für Arbeit ist daher zunächst zeitlich befristet bis einschließlich
Ende 2011 fortzuführen.

Freiwillige Arbeitslosenversicherung

Das „Normalarbeitsverhältnis“ verliert rein zahlenmäßig immer mehr an Bedeu-

tung. Prekäre und risikoreiche Beschäftigungsformen nehmen zu. Zunehmend
mehr Menschen gründen auch aus der Arbeitslosigkeit heraus ihr eigenes Unter-

Drucksache 17/2321 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nehmen. Vor allem Solo-Selbständige unterliegen dabei einem hohen Armuts-
und Beschäftigungsrisiko. Für sie ist eine soziale Absicherung besonders wich-
tig.

Seit Februar 2006 gibt es für bestimmte Gruppen von Selbständigen die Mög-
lichkeit, sich freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung abzusi-
chern. Diese Regelung ist bis Ende des Jahres befristet.

Jährlich ist die Anzahl der gestellten und bewilligten Anträge für die Arbeitslo-
senversicherung für Selbständige angestiegen. Im Jahr 2009 wurden 88 816 ent-
sprechende Anträge bewilligt. Die Beitragseinnahmen aus der Arbeitslosenver-
sicherung für Selbständige lagen 2009 bei nahezu 33 Mio. Euro. Auf Grund der
freiwilligen Weiterversicherung für Selbständige haben 2009 knapp 5 000 Men-
schen Arbeitslosengeld bezogen. Die freiwillige Arbeitslosenversicherung hat
sich bewährt. Die derzeit bestehende Regelung sollte daher entfristet werden.

Bisher muss der Antrag für die freiwillige Arbeitslosenversicherung innerhalb
eines Monats nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit gestellt werden. Es ist
sinnvoll, diese Antragsfrist auf drei Monate zu erweitern. Gerade in der sehr
zeitintensiven Phase der Unternehmensgründung ist eine Frist von einem Monat
für die Entscheidungsfindung viel zu kurz. Auch für Pflegepersonen böte eine
Verlängerung der Entscheidungsfrist eine Entlastung.

Wichtig ist es, auch den bereits langjährig als selbständig Tätigen (erneut) die
Möglichkeit zu eröffnen, sich freiwillig in der Arbeitslosenversicherung zu ver-
sichern. Selbständigen sollte erneut ein begrenztes Zeitfenster für die Begrün-
dung der freiwilligen Versicherung eröffnet werden. Perspektivisch muss die
Arbeitslosenversicherung einem breiteren Personenkreis dauerhaft zugänglich
gemacht werden.

Ergänzend hierzu muss auch die bisher geltende Beitragshöhe überprüft und an-
gepasst werden, um ein angemessenes Verhältnis von Beitragseinnahmen und
Ausgaben für die betreffende Personengruppe zu erreichen. Eine Verstetigung
der freiwilligen Arbeitslosenversicherung muss auch auf die Differenzierung
von Leistungsansprüchen in Abhängigkeit von Qualifikationsstufen verzichten.
Die derzeit geltenden vier Qualifizierungsstufen bieten bei gleichem Beitrag
(zurzeit 17,89 Euro West und 15,19 Euro Ost) einer Person mit Hoch-/Fach-
hochschule eine monatliche Leistung von 1 266 Euro West bzw. 1 131,60 Euro
Ost und damit 549,30 Euro West bzw. 524,40 Euro Ost mehr als einer versicher-
ten Person ohne Ausbildung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

A. Konjunkturelles Kurzarbeitergeld

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um

– in § 177 Absatz 1 SGB III die Angabe „6 Monate“ durch die Angabe
„12 Monate“ zu ersetzen und die neue Regelung bis einschließlich
30. Juni 2013 zu befristen; anschließend soll wieder die heute gültige
Regelung gelten,

– in § 182 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a SGB III die Angabe „12 Mo-
naten“ durch die Angabe „24 Monaten“ und in § 182 Nummer 3 Buch-
stabe b SGB III die Angabe „24 Monaten“ durch die Angabe „36 Mo-
naten“ zu ersetzen und in letzterem Fall die so geänderte Verordnungs-
ermächtigung für eine verlängerte Bezugszeit für das Kurzarbeitergeld
auch zunächst bis zum 30. Juni 2011 auszuschöpfen;

2. mit Ausnahme der sog. Konzernregelung die nachfolgend aufgeführten

zeitlich befristeten Regelungen zu entfristen und die einschlägigen Kapitel

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/2321

des SGB III für eine unbefristete Fördermöglichkeit und das Arbeitneh-
merüberlassungsgesetz (AÜG) entsprechend anzupassen:

– in § 417 SGB III die Nummer 6 zu streichen, um so die Förderung der
beruflichen Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten
unbefristet zu ermöglichen,

– in § 421t SGB III jeweils die Angabe „31. Dezember 2010“ durchgän-
gig zu streichen sowie erforderliche Folgeänderungen vorzunehmen,

– in § 421t Absatz 1 Nummer 3 SGB III die Wörter „in mindestens einem
Betrieb des Arbeitgebers“ und die Wörter „in einem Betrieb auch für
alle anderen Betriebe des Arbeitgebers“ zu streichen,

– in § 421t Absatz 5 Nummer 1 SGB III die Angabe „in den Jahren 2007
und 2008“ zu streichen,

– in § 11 Absatz 4 AÜG die Angabe „bis längstens zum 31. Dezember
2010“ zu streichen sowie die Ergänzung vorzunehmen, dass dies gilt,
wenn unmittelbar zuvor drei Monate lang Kurzarbeitergeld bezogen
wurden;

3. bis 31. März 2013 eine Evaluierung der Regelungen zum konjunkturellen
Kurzarbeitergeld vorzunehmen, mit der Zielsetzung festzustellen, in wel-
chem Umfang hierdurch dauerhaft Arbeitsplätze erhalten bleiben;

B. Transfergesellschaften

4. einen Gesetzentwurf zum Beschäftigtentransfer vorzulegen, der die fol-
genden Eckpunkte umsetzt:

a) Es ist ein Verfahren zur Zertifizierung von Transfergesellschaften ge-
setzlich zu verankern, sodass insbesondere Anforderungen an deren
Qualitätsmanagement, deren Personal, deren Vermittlungserfolge so-
wie deren Netzwerkstrukturen gesetzt werden. Weiter sind Mindest-
standards bezüglich des Betreuungsschlüssels, der didaktischen Kom-
petenzen der eingesetzten Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, der Betreu-
ungsintensität und des Zugangs zu Beratungsangeboten zu definieren.

b) Die Zahlung Transferkurzarbeitergeld muss von der Vereinbarung ge-
wisser Mindeststandards im Transfersozialplan abhängig gemacht wer-
den:

– Die mögliche Verweildauer eines entlassenen Arbeitnehmers/einer
entlassenen Arbeitnehmerin in der Transfergesellschaft sollte min-
destens doppelt so lange sein wie die eigene Kündigungsfrist.

– Für Qualifizierungsmaßnahmen (z. B. umfassendes Profiling, Job-
Akquise, Bewerbungstraining, Begleitung des Bewerbungsverfah-
rens, Anpassungs- und sonstige Qualifizierungen) ist als Gesamtetat
für alle übertretenden Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen ein Beitrag
von mindestens 200 Euro zuzüglich Umsatzsteuer je übertretenden
Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin pro Monat der Laufzeit der Transfer-
gesellschaft seitens des entlassenden Betriebs zur Verfügung zu
stellen. Die Mittel müssen bei Beginn der Transfergesellschaft zur
Verfügung stehen. Sollte im Einzelfall das personalabbauende Un-
ternehmen zu einem derartigen finanziellen Beitrag nicht imstande
sein, so ist eine sonstige Fördermöglichkeit sicherzustellen.

– Die Transfergesellschaften müssen zwingend – in Ergänzung zu
§ 216b Absatz 3 Nummer 4 SGB III – unverzüglich nach Übergang
in die Transfergesellschaft mit jedem Arbeitnehmer ein umfassen-

des Profiling durchführen sowie einen individuellen Qualifizierung-
und Berufswegeplan erstellen.

Drucksache 17/2321 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– In den Transfersozialplan bzw. in die hierauf sich stützende Verein-
barung zwischen Arbeitgeber/Arbeitgeberin und Transfergesell-
schaften sind Regelungen aufzunehmen, die eine zügige Vermitt-
lung der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers in ein neues sozialver-
sicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begünstigen. Wenn
beispielsweise der künftige Verdienst niedriger ist als die Summe
aus vorherigem Transferkurzarbeitergeld und Aufstockungsbetrag,
kann der Aufstockungsbetrag weitergezahlt werden. Alternativ
kann der Arbeitnehmerin/dem Arbeitnehmer eine Entschädigungs-
leistung gezahlt werden, die aus den eingesparten Maßnahmekosten
bzw. Aufstockungsleistungen finanziert wird.

– Praktika nach § 216b Absatz 6 Satz 3 SGB III können nur mit aus-
drücklicher Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit bei Über-
prüfung der Qualifizierungsmaßnahmen bei einem Betriebserwer-
ber/einer Betriebserwerberin oder sonstigem Betriebsnachfolger
(„wilder Betriebsübergang“) durchgeführt werden.

– Die Transfergesellschaften nehmen die Beratungsleistung der
Transfervermittler der Agenturen für Arbeit mindestens monatlich
in Anspruch.

c) Die Agenturen für Arbeit benennen spezielle Transfervermittler, die an
der Schnittstelle zwischen Agentur für Arbeit und Transfergesellschaft
angesiedelt sind.

d) Es ist sicherzustellen, dass nach Zustimmung der Agentur für Arbeit
während der Laufzeit der Transfergesellschaft Berufsausbildungen
nachgeholt werden können, die schon während der Laufzeit der Trans-
fermaßnahme und im Anschluss durch die Bundesagentur für Arbeit
gefördert werden;

C. Arbeitsmarktinstrumente

5. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um verschiedene Arbeitsmarktinstru-
mente zu verlängern bzw. zu entfristen und ggf. die einschlägigen Kapitel
des SGB III für eine unbefristete Fördermöglichkeit entsprechend anzu-
passen:

– in § 421f Absatz 5 SGB III (Eingliederungszuschuss für Ältere) die
Angabe „2010“ durch die Angabe „2012“ zu ersetzen,

– in § 421g Absatz 4 SGB III (Vermittlungsgutschein) die Angabe
„31. Dezember 2010“ durch die Angabe „31. Dezember 2012“ zu er-
setzen,

– in § 421j Absatz 7 SGB III (Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer)
die Angabe „1. Januar 2011“ durch die Angabe „1. Januar 2013“ sowie
die Angabe „31. Dezember 2012“ durch die Angabe „31. Dezember
2014“ zu ersetzen,

– in § 421n SGB III (Außerbetriebliche Berufsausbildung ohne vorhe-
rige Teilnahme an einer auf einen Beruf vorbereitenden Maßnahme)
die Angabe „31. Dezember 2010“ durch die Angabe „31. Dezember
2012“ zu ersetzen,

– in § 421o Absatz 10 SGB III (Qualifizierungszuschuss für jüngere
Arbeitnehmer) die Angabe „31. Dezember 2010“ durch die Angabe
„31. Dezember 2012“ zu ersetzen,

– in § 421p Absatz 3 SGB III (Eingliederungszuschuss für jüngere Ar-

beitnehmer) werden die Wörter „sowie zur Befristung der Leistung“
gestrichen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/2321

– in § 421q SGB III (Erweiterte Berufsorientierung) die Angabe „31. De-
zember 2010“ durch die Angabe „31. Dezember 2013“ zu ersetzen,

– in § 421r Absatz 11 SGB III (Ausbildungsbonus) die Angabe „und spä-
testens am 31. Dezember 2010“ ersatzlos zu streichen,

– § 421s Absatz 7 SGB III (Berufseinstiegsbegleitung) ersatzlos zu strei-
chen;

D. Förderung der Alten- und Krankenpflegeausbildung

6. mit den Bundesländern zügig eine tragfähige Grundlage für die Finanzie-
rung der Förderung der Weiterbildung in der Alten- und Krankenpflege zu
schaffen, sodass die hier dringend benötigten Fachkräfte ausgebildet wer-
den und dies nicht dauerhaft im Wesentlichen aus den Beiträgen der Ar-
beitslosenversicherung finanziert wird;

7. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die aktuell gültigen Fördervorausset-
zungen für die berufliche Weiterbildung in der Alten- und Krankenpflege
das gesamte Jahr 2011 über unverändert fortführen zu können;

E. Freiwillige Arbeitslosenversicherung

8. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Entfristung der freiwilligen Ar-
beitslosenversicherung auf Antrag vorsieht, notwendige Folgeänderungen
umfasst und die Regelungen nach Maßgabe der unten aufgeführten Ziel-
setzungen anpasst:

– in § 28a Absatz 2 SGB III wird die Nummer 4 gestrichen,

– in § 28a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 SGB III werden die Wörter „inner-
halb der letzten 24 Monate vor Aufnahme“ durch die Wörter „inner-
halb der letzten 36 Monate vor Aufnahme“ und in den Sätzen 3 und 4
SGB III die Wörter „innerhalb von einem Monat“ durch die Wörter
„innerhalb von drei Monaten“ ersetzt,

– dem § 28a SGB III wird ein Absatz 3 angefügt, um für einen Über-
gangszeitraum bis 31. Dezember 2010 auch bereits länger selbständig
Tätigen den Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung zu er-
öffnen,

– in § 345b Satz 1 Nummer 2 SGB III wird die Angabe „von 25 Prozent“
gestrichen und der Satz „Abweichend von Satz 1 Nummer 2 gilt in Fäl-
len des § 28a Absatz 1 Nummer 2 bis zum Ablauf von zwei Kalender-
jahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als
beitragspflichtige Einnahme ein Arbeitsentgelt in Höhe von 50 Prozent
der monatlichen Bezugsgröße.“ eingefügt,

– in Fällen des § 28a Absatz 1 Nummer 2 und 3 SGB III bei der Berech-
nung des Arbeitslosengeldes nicht von Qualifikationsstufen entspre-
chend § 132 SGB III auszugehen, sondern das der Beitragsberechnung
zugrunde gelegte Einkommen als Bezugsbasis zu nehmen.

Berlin, den 29. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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