BT-Drucksache 17/2116

Verbraucherinformationsgesetz zügig reformieren

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2116
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris
Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Steffen-
Claudio Lemme, Katja Mast, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula,
Dr. Wilhelm Priesmeier, Stefan Schwartze, Sonja Steffen, Kerstin Tack, Waltraud
Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Verbraucherinformationsgesetz zügig reformieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Verbraucherinnen und Verbrauchern kommt im Marktgeschehen eine zen-
trale Rolle zu. In einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft sind kontinuier-
liche Innovation, steigende Produktivität, ein funktionierender Wettbewerb
und ein nachhaltiger Konsum ohne eine starke und selbstbestimmte Nachfra-
geseite nicht denkbar.

Strukturelle Informationsasymmetrien zwischen Verbrauchern und Anbietern
führen dazu, dass die Steuerungsfunktion der Nachfrageseite ihre Wirkung
nicht effektiv entfalten kann und Marktprozesse ineffizient sind. Insbeson-
dere bei sog. Erfahrungs- und Vertrauensgütern verfügen Verbraucherinnen
und Verbraucher nicht über die notwendigen Informationen, um bestehende
Unsicherheiten über die Qualität eines Angebotes auflösen zu können. Mehr
Transparenz und eine bessere Verbraucherinformation sind notwendig, damit
Verbraucherinnen und Verbraucher qualitativ hochwertige Angebote erken-
nen können und so zum Motor der Wirtschaft werden.

Gleichzeitig möchten immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher ethi-
sche und ökologische Kriterien zur Grundlage ihrer Konsumentscheidungen
machen. Moderne Verbraucherpolitik setzt sich ein für Vielfalt und Wahlfrei-
heit, für eigene Verantwortung und gegen Bevormundung. Wir wollen Ver-
braucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden,
was gut für sie selbst und die Umwelt ist. Transparenz und eine gute Verbrau-
cherinformation sind auch hierfür eine Grundvoraussetzung und daher ein
Leitmotiv „aktiver Verbraucherpolitik“.

Neben Produktkennzeichnungen, Gütesiegeln und Hinweisen am Verkaufs-
ort bilden die drei Säulen des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) – die

proaktive Information der Öffentlichkeit durch die Behörden, das Recht auf
Zugang zu behördlichen Informationen und der Anspruch auf Auskunft ge-
genüber Unternehmen – die Möglichkeit für eine neue Informationskultur in
Deutschland. Hierfür muss das Verbraucherinformationsgesetz jedoch zügig
überarbeitet und auf alle Produkte und Dienstleistungen ausgeweitet werden.

2. Über drei Legislaturperioden hinweg wurde an einem Verbraucherinforma-
tionsgesetz gearbeitet. Bereits bei Verabschiedung des Gesetzes zur Neure-

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gelung des Rechts der Verbraucherinformation hat der Deutsche Bundestag
deutlich gemacht, dass das Gesetz eine erste Verbesserung für die Informa-
tionskultur in Deutschland bedeutet, dass aber eine Evaluation des Gesetzes
insbesondere im Hinblick auf die im Gesetzgebungsverfahren gefassten
Kompromisse in Bezug auf Anwendungsbereich, Ausschluss- und Beschrän-
kungsgründe, Gebühren und Bearbeitungsfristen dringend erforderlich ist.

Nachdem die Evaluation des Gesetzes nun vorliegt und auch die Verbrau-
cherzentralen, die Deutsche Umwelthilfe e. V. und foodwatch e. v. einen
eigenen Erfahrungsbericht über das Verbraucherinformationsgesetz vorge-
legt haben, ist zwar festzustellen, dass die ersten Behörden anfangen, von
sich aus Informationen ins Netz zu stellen und auf Anfrage von Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern Informationen veröffentlicht werden. Trotzdem ist
das Ziel des Gesetzes, mehr Transparenz und einen leichteren Zugang zu
Verbraucherinformationen zu ermöglichen, verfehlt worden. Es zeigt sich,
dass

– Anfragen von Verbraucherinnen und Verbrauchern oft nicht, nicht in dem
gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum oder nicht ausreichend beantwortet
wurden,

– die in § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs geschaffene
„Soll- Vorschrift“, wonach die Behörden von sich aus aktiv über Rechts-
verstöße, Gesundheitsgefahren und Gammelfleischfunde informieren sol-
len, bisher kaum angewandt worden ist und dass die Behörden nur wenige
Verstöße und Namen von sich aus bekannt gemacht haben,

– die auf der Grundlage der Landesgebührenordnungen teilweise abschre-
ckend hohe Kosten erhoben werden,

– die Erhebung der Kosten abhängig vom Bearbeitungsaufwand dazu führt,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher bei Antragstellung keine
Sicherheit über die letztlich entstehenden Kosten erhalten,

– Anfragen über Rechtsverstöße oft mit der Begründung abgewiesen wer-
den, dass das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei bzw. ein
Rechtsverstoß erst mit Erlass eines Bescheides vorliege, obwohl der Ge-
setzeswortlaut ausdrücklich einen Zugang zu Informationen über Rechts-
verstöße auch während laufender Verwaltungsverfahren ermöglicht.

3. Die moderne Verbraucherforschung zeigt, dass die Kapazitäten der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten
kognitiv und zeitlich begrenzt sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ver-
wunderlich, dass die Anzahl der Anfragen gegenüber Behörden in den ver-
gangenen zwei Jahren überschaubar war. Gerade deshalb kommt Journalis-
ten, Verbraucherorganisationen und anderen Multiplikatoren (sog. Informa-
tionsintermediären) eine besondere Funktion zu. Sie können die Arbeit der
Behörden kritisch begleiten, verbraucherrelevante Fragestellungen in der
Öffentlichkeit thematisieren, Sachverhalte für den Durchschnittsverbraucher
verständlich aufbereiten und so eine für den öffentlichen Diskurs und den
einzelnen Verbraucher wichtige Kontroll- und Filterfunktion ausfüllen. Die
Kritik an Nichtregierungsorganisationen, die diese Funktion entsprechend
wahrgenommen haben, ist deshalb nicht nachvollziehbar.

4. Informationen, die die Behörden von sich aus veröffentlichen, sind schnell,
kostenfrei und unkompliziert für die Verbraucherinnen und Verbraucher ab-
rufbar. Die offensive Nutzung des Verbraucherinformationsgesetzes im Rah-
men der Smiley-Kennzeichnung durch den Berliner Bezirk Pankow oder die
Veröffentlichung des Pestizidreports in Nordrhein-Westfalen werden deshalb
als positive Beispiele begrüßt. Gerade weil der Informationszugang für

Verbraucherinnen und Verbraucher auf diesem Weg besonders effizient und

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effektiv gewähreistet werden kann, reichen diese vereinzelten positiven Bei-
spiele noch lange nicht aus. Die proaktive Information der Verbraucherinnen
und Verbraucher muss dringend reformiert werden. Weil Verbraucherinnen
und Verbraucher Informationen zum Zeitpunkt ihrer Kaufentscheidung nutz-
bar bzw. abrufbar haben möchten, ist die Informationsbereitstellung der
Behörden an die Informationsaktivitäten der Verbraucher anzupassen. Be-
hördliche Informationen können z. B. mittels des Einsatzes zeitgemäßer
Technologien (u. a. Mobiltelefone) in Kombination mit dem auf Verkaufs-
verpackungen aufgedruckten Barcode zugänglich gemacht werden.

§ 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs, wonach die Behörden
die Öffentlichkeit von sich aus über wichtige Sachverhalte informieren sol-
len, und § 5 Absatz 1 Satz 2 des Verbraucherinformationsgesetzes haben
nicht nur das Ziel, mehr Transparenz zu schaffen und über verbraucherrele-
vante Sachverhalte zu informieren. Ein „aktives“ Bereitstellen von Informa-
tionen in Bürgerportalen kann auch dazu beizutragen, die unbestreitbaren
zeitlichen Belastungen der Behörden durch individuelle Anfragen von Bür-
gern entgegen zu wirken und die Behörden und Bürger von den Kosten der
Bearbeitung von Einzelanfragen zu entlasten. Die Behörden haben diese
Möglichkeiten aber nur in ganz wenigen Fällen genutzt.

Das in der amtlichen Begründung und der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deut-
schen Bundestages zum Ausdruck kommende Ziel, durch die Verschärfung
des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) bei verbrau-
cherrelvanten Sachverhalten „die Namen von Unternehmern und deren Pro-
dukten nennen zu können“ und „im Regelfall die Öffentlichkeit zu informie-
ren“ wurde nicht erreicht. Dazu beigetragen hat auch die systematische
Stellung des § 40 im Abschnitt 7 („Überwachung“) des LFGB, was in der
Rechtsanwendung oft so interpretiert wurde, dass eine Information der Öf-
fentlichkeit gemäß § 40 LFGB primär als eine polizeirechtliche Maßnahme
der Lebensmittelüberwachungsbehörden zur Gefahrenabwehr zu sehen ist.
Dabei wird übersehen, dass sich das Staats- und Behördenverständnis in den
letzten Jahren gewandelt hat. Immer mehr setzt sich aber die Erkenntnis
durch, dass Transparenz wichtig für die Volkswirtschaft als Ganzes ist, die
demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärkt, damit
der Staatsverdrossenheit entgegengewirkt und auch Manipulationen und
Korruption erschwert werden. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, die
Bestimmung in § 40 aus dem LFGB herauszulösen und im VIG zu ver-
ankern, wie es bereits im ersten VIG-Entwurf der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehen war.

5. Viele für die Konsumentscheidung relevanten Informationen sind bei Behör-
den nicht vorhanden. In seiner Entschließung zum VIG hat der Deutsche
Bundestag im Jahre 2006 (Bundestagsdrucksache 16/2035) deshalb von den
Unternehmen ein Angebot eingefordert, „in welcher Weise sie ihrer Ver-
pflichtung als Anbieter nachkommen und den Verbrauchern Zugang zu den
bei ihnen vorliegenden Informationen gewähren werden“. Ziel dieses Infor-
mationsangebotes sollte mehr Transparenz z. B. hinsichtlich Kennzeichnung,
Rückverfolgbarkeit und Eigenkontrolle sein. Auch dieses Ziel wurde bisher
nicht erreicht.

6. Die Debatten über die Sicherheit von Spielzeug, den Missbrauch von Daten
oder Verbraucherschutzprobleme im Bereich der Telekommunikation bestä-
tigen, dass eine Beschränkung der Informationsrechte auf Lebensmittel und
Bedarfsgegenstände der Situation von Verbraucherinnen und Verbrauchern
nicht gerecht wird. Das VIG ist deshalb auf alle Produkte, Erzeugnisse und

Dienstleistungen auszuweiten.

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7. Die Petition 3-16-10-7125-050281, mit der Änderungen des VIG gefordert
wurden, hat Eingang in diesen Antrag gefunden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Änderungen
enthält:

● Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist über den Geltungsbereich des
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes und des Weingesetzes hinaus auf
alle Produkte und Dienstleistungen auszuweiten.

● Behörden werden verpflichtet, Untersuchungsergebnisse von sich aus zu
veröffentlichen. Damit werden Behördeninformationen im Internet für
den Verbraucher kostenfrei und ohne langwieriges Antragsverfahren ver-
fügbar.

Hierzu ist

– § 40 LFGB in das VIG zu integrieren,

– § 40 LFGB von einer „Soll“- in eine „Ist“-Bestimmung umzuwandeln
und § 5 Absatz 1 Satz 2 VIG zu überarbeiten,

– klarzustellen, dass „Verstöße“ i. S. d. § 1 Absatz 1 Nummer 1 nicht
erst vorliegen, wenn sie rechtskräftig festgestellt wurde, sondern be-
reits, wenn es sich um „Beanstandungen“ im Sinne des Lebensmittel-
rechts handelt,

– die Abwägungsklausel in § 40 Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 LFGB zu
streichen,

– die Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 1 insgesamt zu überar-
beiten und

– eine zentrale Internetseite einzurichten, auf der die einzelnen Behörden
ihre Informationen unter Nennung von „Ross und Reiter“ veröffent-
lichen.

● Das „Smiley-System“ wird eingeführt und ausdrücklich geregelt, d. h.,
dass die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrolle für den Verbrau-
cher sichtbar am Eingang eines Lebensmittelbetriebes mittels eines „Smi-
leys“ dokumentiert wird.

● Die Ausschluss- und Beschränkungsgründe sind grundlegend zu refor-
mieren, wobei u. a.

– bei der Definition der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Aus-
nahmetatbestand „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen“ zu
streichen ist und

– Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht absolut geschützt werden,
sondern das Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen und das Infor-
mationsinteresse der Öffentlichkeit gegeneinander abzuwägen sind.

● Das Verfahren ist einfacher und unbürokratischer zu gestalten. Ein Antrag
kann auch mittels formloser E-Mail eingereicht werden. Die Bestimmung
über die Anhörung betroffener Unternehmen ist zu streichen. Eine An-
hörung betroffener Unternehmen ist in das verfassungsrechtlich geprägte
Ermessen der Behörde zu stellen.

● Akteneinsicht muss kostengünstig und in angemessener Frist möglich
sein. Anstatt „kostendeckender Gebühren“ sind niedrige pauschale Sätze
anzusetzen, um Transparenz auch für den Antragsteller zu ermöglichen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2116

● Ein gesetzlicher Informationsanspruch der Verbraucherinnen und Ver-
braucher gegenüber Unternehmen, der insbesondere Transparenz hin-
sichtlich Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und Eigenkontrolle schafft
und Zugang zu Informationen eröffnet, die eine Prüfung besonders aus-
gelobter Eigenschaften oder besonderer Werbeaussagen ermöglichen.

● Die Informationsrechte nach dem VIG werden mit denen der Informa-
tionsfreiheitsgesetze und der Umweltinformationsgesetze des Bundes und
der Länder mittelfristig in einem konsistenten Rahmen zusammengeführt.

2. Best-Practice-Beispiele und Modellprojekte von Ländern und Kommunen zu
fördern, die eine Verbesserung der proaktiven Information der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher zum Ziel haben.

Berlin, den 15. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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