BT-Drucksache 17/1966

Potenziale von Kultur und Tourismus nutzen - Kulturtourismus gezielt fördern

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1966
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Heinz Paula, Sören Bartol, Uwe
Beckmeyer, Martin Burkert, Siegmund Ehrmann, Ulrike Gottschalck, Michael Groß,
Hans-Joachim Hacker, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Johannes Kahrs,
Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Andrea Nahles,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Brigitte Zypries,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Potenziale von Kultur und Tourismus nutzen – Kulturtourismus gezielt fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland hat eine einzigartige kulturelle Vielfalt. Sie wird u. a. geprägt von
33 UNESCO-Welterbestätten, einer Vielzahl an Museen, öffentlichen und
privaten Bühnen und Opernhäusern sowie vielen historischen Innenstädten, Ge-
denkstätten, Mahnmalen, Gärten, Parkanlagen und Baudenkmälern. Vervoll-
ständigt wird dieses breite Angebot durch die vielen soziokulturellen Zentren,
die lebendige Kultur der Migranten in Deutschland sowie Kultur- und Bürger-
häuser, Veranstaltungshäuser, Kongresszentren und Stadthallen. Die Kirchen
mit ihren zahlreichen Konzerten und Ausstellungen sind ebenfalls Teil dieser
kulturellen Vielfalt. Kulturelle Angebote – Musik-, Tanz- und Kunstveranstal-
tungen, Kultur- und Volksfeste, Sommerfestivals und historische Festspiele
sowie thematisch orientierte Kulturwege und historische Routen, Events und re-
gionaltypische Highlights – sind oft auch Anlass für Tourismus und damit
Grundlage für ein attraktives Reiseland Deutschland. Die kulturellen Angebote,
aber auch die Produktion der Kultur- und Kreativwirtschaft in den Städten und
Regionen in Deutschland tragen wesentlich dazu bei, Tourismus zu befördern
und die Standorte für den Tourismus attraktiv und anziehend zu machen. Für die
handwerklichen Branchen in der Kulturwirtschaft wie zum Beispiel das Kunst-
handwerk hat der Kulturtourismus ebenfalls eine große Bedeutung.

Kulturtourismus, also „jede Form von Reisen zu anderen Orten, die dem Be-
sucher alle kulturellen Aspekte des Ortes, seine Lebensstile, Esskultur, Topo-
graphie, Umwelt, Städte und Dörfer, historische Sehenswürdigkeiten und
kulturelle Einrichtungen nahe bringt“*, hat in den letzten Jahrzehnten erheblich
an Bedeutung gewonnen und ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor gewor-

den. Eine Grundlagenuntersuchung des Deutschen Tourismusverbandes e. V.
(DTV) aus dem Jahr 2006 geht davon aus, dass mit dem Städte- und Kultur-
tourismus ca. 82 Mrd. Euro Umsatz und rund 1,6 Millionen Arbeitsplätze ver-
bunden sind. Kulturtourismus als ein Teil der Tourismuswirtschaft birgt nach

* Definition für „Kulturtourismus“ der ICOMOS – International Council on Monuments and Sites.

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wie vor große Wachstumspotenziale. Kultur und Tourismus gehören einer Stu-
die der Deutschen Zentrale für Tourismus zum Incoming-Tourismus zu den
sechs wichtigsten Faktoren und Gründen, nach Deutschland zu kommen. Die
UNESCO-Welterbestätten und die Europäische Kulturhauptstadt RUHR 2010
sind im Jahr 2010 die häufigsten Reiseanlässe.

Diese Zahlen und vor allem die Entwicklungen zeigen, welche immensen Pers-
pektiven ein Zusammenwirken von Kultur und Tourismus bietet. Mit dem
Kulturtourismus sind eine enorme Wertschöpfung und viele Arbeitsplätze ver-
bunden. Angesichts der Strukturschwäche und der wirtschaftlichen Schwierig-
keiten nicht nur in den neuen Ländern und ländlichen Regionen ist der Kultur-
tourismus zum Hoffnungsträger für ökonomischen und damit auch sozialen
Aufschwung geworden. Schon allein das ist Grund genug, die Synergien
zwischen Kultur und Tourismus nicht dem Zufall zu überlassen, sondern in zeit-
gemäße strategische Konzepte umzuwandeln.

Wachstum und Erfolg von Kulturtourismus bauen auf einer gut funktionieren-
den kulturellen Infrastruktur, der öffentlichen Förderung und Finanzierung kul-
tureller Angebote und Einrichtungen auf. Die öffentliche Kulturförderung trägt
zur ökonomischen und sozialen Entwicklung einer Stadt oder einer Region
wesentlich bei. Sie steht jedoch durch die Finanznot der öffentlichen Hand in
vielen Gemeinden zunehmend unter Druck.

Komplementär zur öffentlichen Hand tragen zwei weitere Säulen die Kultur-
förderung in Deutschland: Wirtschaft und bürgerschaftliches Engagement. Be-
sonders das bürgerschaftliche Engagement in Form von Zeit-, Geld- und Sach-
spenden ist im Zusammenhang mit dem Kulturtourismus von erheblicher
Bedeutung. Laut dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend in Auftrag gegebenen Zweiten Freiwilligensurvey ist die Zahl der
freiwillig in den Bereichen Kultur und Musik Engagierten mit 3,5 Millionen
Menschen beindruckend hoch.

Viele Kultureinrichtungen können ohne Tourismus kaum existieren, dürfen aber
gleichzeitig in ihrer Funktion und ihrem Wirken nicht auf ihre touristische Be-
deutung verkürzt werden. So erfüllen sie neben der Präsentation von Kunst und
Kultur oft auch gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufgaben. Um für diese
unterschiedlichen Interessenlagen auf beiden Seiten Verständnis zu schaffen und
Lösungen für gemeinsames, vernetztes Handeln zu finden, ist ein intensiver Di-
alog auf Augenhöhe notwendig – Kultur und Tourismus müssen sich noch mehr
als bisher als Partner verstehen. Das bestehende Spannungsverhältnis zwischen
Bildungsauftrag und Markterfolg, zwischen Kultur und Kommerz, zwischen der
Pflege und dem Erhalt des kulturellen Erbes für die zukünftigen Generationen
und die zeitgemäße Öffnung und Zugänglichkeit für das touristische Publikum
sollten konstruktiv und gewinnbringend für beide Seiten genutzt werden. Barri-
erefreier Tourismus verbindet beispielsweise den Nutzen für die Gesamtgesell-
schaft mit der Erschließung des Kulturtourismus für die behinderten und älteren
Mitbürger. Dies wurde u. a. bei den Vorbereitungen zur Lutherdekade berück-
sichtigt. Ebenso wie die Schaffung von barrierefreien Zugängen muss auf euro-
päischer und nationaler Ebene dafür gesorgt werden, dass Diskriminierungen
von Menschen mit Behinderung im touristischen Bereich unterbunden werden.

Trotz der überaus positiven Entwicklung des Kulturtourismus in den letzten Jah-
ren begegnet der Kulturtourismus einer Reihe von Herausforderungen in meh-
reren Handlungsfeldern. Dafür müssen Antworten gesucht und gefunden wer-
den, um die dem engen Verhältnis von Kultur und Tourismus innewohnenden
Chancen noch stärker nutzen zu können:

1. Zusammenwirken von Kultur und Tourismus: Trotz vieler positiver Bei-
spiele und offensichtlicher Vorteile bestehen beim Zusammenwirken von

Kultur und Tourismus oftmals noch Berührungsängste und Vorurteile. Der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1966

Tourismus ist darauf angewiesen, kulturelle Angebote und Einrichtungen
vermarkten und damit an den Kunden und Nachfrager bringen zu können.
Als Vermarktungshemmnisse werden von den Touristikern vor allem die
Kurzfristigkeit von Programmplanungen, Probleme bei der Bereitstellung
von festen Kontingenten, die mangelnde Bereitschaft bzw. Möglichkeit für
Provisionszahlungen an Reiseveranstalter oder auch das Fehlen mehrspra-
chiger Besucherinformationen erkannt.

2. Einheitliches Tourismuskonzept: Die Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ hat in ihrem Schlussbericht weiteren kulturtouristischen Hand-
lungsbedarf festgestellt. Darin heißt es: „In Deutschland gibt es kein einheit-
liches Kulturtourismuskonzept. Einzelne Regionen betreiben zwar erfolgrei-
che Projekte. Ein koordinierter Auftritt des Kulturstandortes Deutschland
nach außen findet jedoch nicht statt. Deutschland hat es bislang nicht wahr-
nehmbar geschafft, einheitliche Kulturmarken oder kulturtouristische Platt-
formen zu etablieren, unter der sich die einzelnen Städte und Regionen vor-
stellen und vermarkten können. (…) Es mangelt aufseiten der politischen
Entscheidungsträger bislang an Planungen und Förderungen des Tourismus-
sektors und der Kulturlandschaft über Zuständigkeitsgrenzen hinweg. (…)
Kooperationen über Stadt- und Regionengrenzen hinweg sind notwendig“
(Enquete-Bericht, S. 357f, Bundestagsdrucksache 16/7000). Hier ist anzuset-
zen, um den Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor Kulturtourismus noch
weiter zu stärken.

3. Bürgerschaftliches Engagement in der Kultur: Ohne die bürgerschaftlichen
Initiativen sind viele kulturelle Angebote und Institutionen nicht denkbar.
Diese Verbindung zwischen privatem Engagement und Kulturtourismus bie-
tet immense Möglichkeiten und sollte stärker als bisher genutzt werden. Bür-
gerschaftliches Engagement ist jedoch kein Ersatz für öffentliche Förderung.

4. Kulturförderung – Bildung von Kulturclustern: Eine weitere Anregung der
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ im Zusammenhang mit dem
kulturtouristischen Marketing und der Kulturförderung besteht in der Förde-
rung von Kulturclustern (Bundestagsdrucksache 16/7000). Cluster sind
signifikante, regionale Ansammlungen von Unternehmen aus verwandten
Branchen, die entlang funktionaler Verflechtungen einer Wertschöpfungs-
kette miteinander verbunden sind. Durch die räumliche Dichte der Produk-
tionspartner sollen Synergieeffekte und Kreativitätsgewinne entstehen. Die
Förderung von Clustern bedeutet die Abkehr von einer „Förderung mit der
Gießkanne“ – nicht alle Akteure werden gleichermaßen, sondern gezielt
nach ihrer perspektivischen wirtschaftlichen Bedeutung gefördert. So kann
die Wertschöpfung gesteigert werden, Städte und Regionen können sich bes-
ser profilieren und ihre Attraktivität für den Kulturtourismus steigern. Zu un-
terscheiden sind Kreativwirtschaftscluster und Kulturcluster im engeren
Sinn, die nicht unter ökonomischem Verwertungszwang stehen.

5. Barrierefreies Reisen: Im Jahr 2035 wird jeder dritte Bundesbürger älter als
60 Jahre sein. Die älteren Menschen sind eine wichtige Zielgruppe für den
Kulturtourismus. Zudem wird die Umsetzung der UN-Konvention über die
Rechte der Menschen mit Behinderung zunehmend zu selbstbestimmter kul-
tureller und touristischer Teilhabe von behinderten Menschen führen. Hierin
liegt neben der gesellschaftspolitischen Bedeutung auch eine wirtschaftliche
Chance: In Deutschland leben rund 8 Millionen behinderte Menschen. Ent-
sprechende Konzepte, vor allem aber barrierefreies Reisen, werden zu einem
wichtigen Qualitätsmerkmal von Kulturtourismus und Voraussetzung für die
wirtschaftliche Entwicklung. Nicht nur im Hinblick auf den demografischen
Wandel sind die Entwicklung und Umsetzung von barrierefreien touristi-

schen Angeboten ein Muss.

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6. Arbeitsmarkt im Tourismusbereich: Im Tourismusgewerbe droht ein ekla-
tanter Fachkräftemangel. Zudem wird es insbesondere aufgrund der demo-
grafischen Entwicklung in den nächsten Jahren deutlich weniger Aus-
zubildende geben. Nach einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie-
und Handelskammer (DIHK) klagen 61 Prozent der Betriebe im Gast-
gewerbe über Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen, über
37 Prozent der Auszubildenden kündigen bereits während der Probezeit.
Deshalb hat die Aus- und Weiterbildung im Kulturtourismus eine große Be-
deutung. Der aktuelle tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung
(Bundestagsdrucksache 16/8000) nennt qualifiziertes Personal mit einer
fundierten Ausbildung und bedarfsgerechter Weiterbildung während des ge-
samten Erwerbslebens als Voraussetzung, um den wirtschaftlichen Erfolg
dieser Branche zu gewährleisten.

7. Arbeitsbedingungen im Kultur- und Tourismusbereich: Wer Kultur-
tourismus fördern will, muss für gute Arbeitsbedingungen der betroffenen
Berufsgruppen sorgen. Der Arbeitsmarkt von Künstlern und Kulturschaf-
fenden ist durch unstetige und prekäre Beschäftigungsverhältnisse gekenn-
zeichnet. Der Anteil der Selbständigen in diesem Sektor ist vergleichsweise
hoch und wächst, gleichwohl können viele davon nicht leben. Das durch-
schnittliche Einkommen der Versicherten der Künstlersozialkasse beträgt
rund 13 000 Euro im Jahr. Künstler und Kulturschaffende leisten einen sub-
stantiellen Beitrag zu kulturtouristischen Angeboten. Ihre soziale Absiche-
rung ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. In Verbindung damit stehen
verbesserte Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche des Kulturtouris-
mus sowie eine gerechtere Entlohnung.

8. Nutzung des Internets: Vor allem junge, aber auch ältere Menschen infor-
mieren sich heute anders. Das Internet ist als Kommunikationsmedium und
Vermarktungsinstrument nicht mehr wegzudenken. Das Internet und seine
Möglichkeiten müssen auch in der Vermarktung kulturtouristischer Ange-
bote stärker genutzt werden. Der Deutschen Zentrale für Tourismus e. V.
(DZT) zufolge nutzen heute schon 65 Prozent der Europäer das Internet für
Buchungen in Deutschland. In diesem Zusammenhang ist auch die flächen-
deckende Versorgung mit breitbandigen Internetzugängen als eine wichtige
Grundlage zur Erschließung touristischer Entwicklungspotenziale zu be-
rücksichtigen.

9. Investitions- und Förderprogramme: In den vergangenen Jahren konnten
mit den Programmen zur Städtebauförderung und des Denkmalschutzes
durch die Bundesregierung Meilensteine gesetzt werden. Wichtige ver-
kehrstechnische Verbesserungen konnten erzielt und zentrale Stätten,
Gedenkorte und Kirchen saniert werden. Daher ist es für unsere Städte und
Gemeinden mit ihrem Kulturgut von höchster Bedeutung, dass diese Bund-
Länder-Programme weitergeführt und ausgebaut werden.

10. Erhalt von Welterbestätten: Deutschland verfügt mit aktuell 33 UNESCO-
Welterbestätten in ganz Deutschland und aus nahezu allen historischen
Epochen unserer Geschichte über ein bedeutendes Netz von international
anerkannten, herausragenden Zielen, bei denen das kulturelle und das tou-
ristische Interesse eng verwoben sind. Entscheidungen wie im Juni 2009
dürfen sich nicht wiederholen. Damals wurde dem UNESCO-Welterbe
„Kulturlandschaft Dresdner Elbtal“ in Dresden erstmals in der Geschichte
Deutschlands der Welterbetitel aberkannt. Dies hat dem Ruf Deutschlands
als Kulturnation international geschadet, denn diese internationale Aus-
zeichnung und der damit verbundene Bekanntheitsgrad üben eine erheb-
liche touristische Anziehungskraft aus. Neben dem Erhalt und Schutz der
Einzigartigkeit dieser Weltkulturerbestätten, ihrer Pflege und Förderung be-

darf es auch der Information und Bildung über diese kulturhistorisch einma-
ligen Stätten und Landschaften.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1966

11. Lutherdekade und RUHR 2010 als Beispiel und Glücksfall: Insgesamt
sollte es eine stärkere Ausrichtung der investiven Infrastrukturförderungen
an touristisch orientierten Einrichtungen und Projekten geben. Das Motto
„Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ der diesjährigen Euro-
päischen Kulturhauptstadt RUHR 2010 verdeutlicht einen Prozess struktu-
reller Veränderungen, der mittlerweile für viele andere Städte und Regio-
nen in Deutschland prägend ist oder diese noch ereilen wird. Das Zusam-
menwirken von Kultur, Politik und Wirtschaft, um die Vision von RUHR
2010 von einer europäischen Metropole zu verwirklichen, zeigt, wie dieser
Wandel kulturell geprägt und gestaltet werden kann. Ein weiterer bedeuten-
der internationaler kulturtouristischer Höhepunkt in Deutschland ist das
Reformationsjubiläum 2017 mit der im Jahre 2008 in Wittenberg begonne-
nen Lutherdekade. In der 16. Wahlperiode wurde dazu im Deutschen Bun-
destag der Antrag „Reformationsjubiläum 2017 als welthistorisches Ereig-
nis würdigen“ (Bundestagsdrucksache 16/9830) eingebracht. Diese Ereig-
nisse – die Lutherdekade und das 500. Reformationsjubiläum sowie
RUHR 2010 – sind aus kulturtouristischer Sicht ein Glücksfall für Deutsch-
land und werden auch in den nächsten Jahren erheblich dazu beitragen,
Deutschland als kulturtouristische Destination zu festigen. Diese Chancen
dürfen nicht vertan und sollten gemeinsam mit der DZT als einem starken
Partner für das internationale Marketing genutzt werden.

12. Europäische Ebene: Kulturtourismus spielt auch auf europäischer Ebene
eine wachsende Rolle. Aus diesem Grund sollte der Aspekt des Kultur-
tourismus, das partnerschaftliche Zusammenwirken von Kultur und Touris-
mus, auch bei der Neuformulierung der europäischen Förderprogramme ab
dem Jahr 2013 sowie innerhalb der Strategien und Überlegungen des Rates
der Europäischen Union und der EU-Kommission zur Kultur- und Kreativ-
wirtschaft im Kontext der Nachfolgestrategie zur Lissabon-Strategie, der
EU-Strategie 2020 Berücksichtigung finden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

1. dass die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode auf der
Grundlage des fraktionsübergreifenden Antrages „Kulturwirtschaft als
Motor für Wachstum und Beschäftigung stärken“ (Bundestagsdrucksache
16/5110) und der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ (Bundestagsdrucksache 16/7000) die „Initiative Kultur- und
Kreativwirtschaft“ gestartet hat, mit der Kultur und Kreativität als bedeu-
tende Wirtschafts- und Standortfaktoren anerkannt, hervorgehoben und in
ihrer Entwicklung unterstützt werden sollen. Eine florierende Kultur- und
Kreativwirtschaft ermöglicht einen starken Kulturtourismus – und von einem
starken Kulturtourismus profitiert die Kultur- und Kreativwirtschaft. Wie
eng diese Partnerschaft aussehen kann, wird daran deutlich, dass das welt-
weite Themenjahr, mit dem die DZT das Reiseland Deutschland kommuni-
ziert, in diesem Jahr unter dem Titel „Creative Germany“ steht und Deutsch-
land als Standort für Innovation und Kreativität vermarktet;

2. dass die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode auf Initiative
des Deutschen Bundestages für den Erhalt und die Sanierung der deutschen
UNESCO-Welterbestätten bis 2013 insgesamt 150 Mio. Euro zur Verfügung
gestellt hat und im Rahmen des Leuchtturm-Programmes in den neuen Län-
dern Welterbestätten institutionell fördert. Hervorzuheben ist darüber hinaus
das Engagement der UNESCO für den Erhalt des kulturellen Erbes und der
kulturellen Vielfalt, insbesondere im Rahmen der „Internationalen Konven-
tion zum Schutz des Kultur- und Naturerbes“ (Welterbekonvention) von
1972 und der „Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultu-

reller Ausdrucksformen“, die am 20. Oktober 2005 verabschiedet wurde. Be-

Drucksache 17/1966 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

grüßt wird zudem das Vorhaben der Europäischen Union, ein Europäisches
Kulturerbe-Siegel einzuführen, das Stätten und Themen mit Bezug zur euro-
päischen Geschichte und zur europäischen Integration auszeichnen und da-
mit auch als kulturtouristische Wegmarken kennzeichnen soll;

3. dass die Bundesregierung in der 16. Legislaturperiode mit der Gesetzes-
initiative „Hilfen für Helfer“ das Gemeinnützigkeitsrecht vereinfacht, trans-
parenter und den steuerrechtlichen Rahmen bürgerschaftlich Engagierter
ausgestaltet hat. Das hilft auch denjenigen, die sich im Bereich des Kultur-
tourismus bürgerschaftlich engagieren.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der Bedeutung des Kulturtourismus sowie den Chancen und Potenzialen des
Zusammenwirkens von Kultur und Tourismus größere Aufmerksamkeit als
bisher zu widmen. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im
Besonderen auf,

a) Gespräche mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden auf-
zunehmen mit dem Ziel, sich auf ein gemeinsames Kulturtourismuskon-
zept zu verständigen. Im Rahmen dieses Konzeptes muss die Vermark-
tung von Kulturangeboten in den Städten und ländlichen Regionen in
gleichem Maße berücksichtigt werden. Dabei ist zu prüfen, in welcher
Form die von der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ emp-
fohlene Plattform für strategisches kulturtouristisches Marketing von
Bund und Ländern unter Einbeziehung der Dachverbände aus Kunst,
Kultur und Tourismus umgesetzt werden kann. Durch eine derartige
Plattform könnten die Akteure aus Kultur und Tourismus auf freiwilliger
Basis Ziele, Zielgruppen sowie Maßnahmen zur Zielerreichung bestim-
men und dabei die touristische Entwicklung ebenso berücksichtigen wie
die kulturellen Belange;

b) die von der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ empfohlene
Auslobung eines regelmäßigen Wettbewerbs „Kulturregion Deutschland“
zu prüfen, mit dem das besondere Engagement von Städten und Regio-
nen für ein vielfältiges kulturelles Angebot gewürdigt und ein weiteres
Engagement gefördert werden sollen;

c) den Dialog zwischen den im Rahmen der Initiative „Kultur- und Kreativ-
wirtschaft“ der Bundesregierung betrachteten Branchen und der Touris-
musbranche zu fördern sowie Kulturanbieter in Vermarktungsfragen zu
sensibilisieren;

d) gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen die Bildung von Kul-
turclustern zu fördern, in denen die Akteure aus der Kultur und der Krea-
tivwirtschaft ihre Ressourcen bündeln und Wissen austauschen können.
Ein großer Teil der kulturellen Angebote steht nicht oder nicht unmittel-
bar in einem Zusammenhang mit der Produktion der Kreativwirtschaft,
wobei manche Übergänge fließend sind. Bei der Förderung von Clustern,
die künstlerischen Charakter haben, sind stets der Eigenwert der Kultur
und die kulturelle Vielfalt in den Vordergrund zu stellen. Sie sollte nicht
unter rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen;

e) die Mittel für die nationale und internationale Vermarktung des Deutsch-
landtourismus und damit auch des Kulturtourismus durch die DZT den
Anforderungen entsprechend beizubehalten;

2. bei der Umsetzung der tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung
einer möglichen gemeinsamen Konzeption von Bund, Ländern und Kom-

munen für den Kulturtourismus sowie bei der Förderung und Vermarktung
von kulturtouristischen Angeboten dem Thema Barrierefreiheit besondere

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/1966

Aufmerksamkeit zu schenken. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes-
regierung im Besonderen auf,

a) die Barrierefreiheit zu einem Markenzeichen des Deutschlandtourismus
zu entwickeln und in diesem Zusammenhang die DZT darin zu unter-
stützen, barrierefreie Angebote noch intensiver in ihr Marketing zu inte-
grieren;

b) die barrierefreie Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur verstärkt zu
fördern;

c) darauf hinzuwirken, dass die Belange von Menschen mit Behinderungen
auch im Bereich denkmalgeschützter Gebäude und Anlagen und beim
Zugang zu Kulturveranstaltungen im Rahmen geltender Gesetze berück-
sichtigt werden;

d) im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Richtlinien für die Vergabe von
Fördermitteln so zu gestalten, dass sie für Antragsteller Anreize zur Rea-
lisierung barrierefreier Konzepte bieten, und gleichzeitig zu prüfen, in
welcher Form Barrierefreiheit zu einem Förderkriterium bei der Vergabe
von öffentlichen Aufträgen gemacht werden kann;

e) sich im Bund-Länder-Ausschuss für Tourismus dafür einzusetzen, dass
dem Thema Barrierefreiheit auch auf Ebene der Länder in ausreichender
Weise Rechnung getragen wird;

f) die Nationale Koordinationsstelle Tourismus für Alle e. V. (NatKo) als
kompetenter Ansprechpartner für den barrierefreien Tourismus auch nach
2010 weiter finanziell zu fördern;

g) bei allen Maßnahmen der Kulturförderung die betroffenen Menschen mit
Behinderung und ihre Verbände sowie Seniorenorganisationen, aber auch
das Bundeskompetenzzentrum für Barrierefreiheit und das Deutsche
Institut für Menschenrechte einzubeziehen, die Vorgaben der UN-Behin-
dertenrechtskonvention zu achten und Maßnahmen zum barrierefreien
Reisen in den Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-
Konvention aufzunehmen;

3. dafür Sorge zu tragen, dass die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches
Engagement im Kulturbereich weiter verbessert werden. Dazu gehört im
Besonderen,

a) die Voraussetzungen und Möglichkeiten sowohl für private Spenden als
auch für das bürgerschaftliche Engagement im Kulturbereich weiter zu
verbessern. Um Vereine und andere gemeinnützige Organisationen nicht
in ihrem Engagement zu behindern, sollten bürokratische Anforderungen
auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft und unnötige Barrieren beseitigt
werden. Bei den bürokratischen Anforderungen sollte der Größe der Zu-
wendungsempfänger und der Zuwendungen Rechnung getragen werden.
Bürgerschaftliches Engagement darf dabei nicht als Ersatz für staatliche
Förderung angesehen werden. Die Vernetzung der staatlichen und priva-
ten Strukturen ist eine kulturpolitische Aufgabe;

b) das Freiwillige Soziale Jahr auch im Bereich der Kultur weiterhin zu för-
dern bzw. auszubauen. Dabei sind sowohl die Platzzahlen zu erhöhen als
auch die Pauschalen für die pädagogische Begleitung anzuheben;

4. dem Thema Aus- und Weiterbildung sowie den Arbeitsbedingungen im Be-
reich Kunst, Kultur und Tourismus größere Aufmerksamkeit zu widmen.
Dazu zählt im Besonderen,

a) sich dafür einzusetzen, dass Tourismusanbietern über Aus- und Weiter-
bildungsangebote noch mehr Informationsmöglichkeiten zur Vermark-

tung kulturtouristischer Angebote bereitgestellt werden;

Drucksache 17/1966 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) als Voraussetzung zur Stärkung des Kulturtourismus die soziale Absi-
cherung und die Arbeitsbedingungen der Künstler und Kreativen zu ver-
bessern durch Tarifverträge, durch Verbesserungen bei der Arbeitslosen-
und Krankenversicherung;

c) Schritte einzuleiten, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzu-
wirken und zusammen mit Aus- und Weiterbildungsinstituten maßge-
schneiderte Aus- und Weiterbildungsformate zu entwickeln. Dazu
braucht es in der Aus- und Weiterbildung eine bessere Verankerung der
Themenbereiche Kultur und Denkmalschutz;

d) zusammen mit den Verbänden Strategien zu erarbeiten, um den Nach-
wuchs an Fachkräften sicherzustellen;

5. im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten des Bundes, kulturelle Projekte
und Initiativen als Teil der kulturellen Infrastruktur und damit einer we-
sentlichen Voraussetzung für die Stärkung des Kulturtourismus beispiels-
weise über die Kulturstiftung des Bundes in den Kommunen und damit vor
Ort zu fördern;

6. herausragende kulturtouristische Ereignisse mit internationaler Bedeutung,
wie beispielsweise die Lutherdekade und das 500. Reformationsjubiläum
im Jahr 2017, bezüglich ihrer Vermarktung zu unterstützen;

7. die finanzielle Unterstützung der bestehenden Programme zur Städte-
bauförderung und zum Denkmalschutz beizubehalten und an Barrierefrei-
heit auszurichten;

8. die Medien im Allgemeinen sowie die Deutsche Welle im Besonderen für
die Bedeutung des Kulturtourismus für Deutschland stärker zu sensibilisie-
ren und für barrierefreie Angebote zu werben;

9. weitere Schritte einzuleiten, um eine flächendeckende Versorgung mit
breitbandigen Internetzugängen gemeinsam mit den Ländern, Kommunen
und Betreibern sicherzustellen;

10. sich gemeinsam mit den Ländern weiterhin für den Erhalt und die Pflege
von UNESCO-Welterbestätten in Deutschland einzusetzen und dabei im
Besonderen

a) die UNESCO in ihren Bestrebungen zum Erhalt des kulturellen Erbes
und damit der kulturellen Vielfalt zu unterstützen und nicht an der
falschen Stelle zu sparen. Auch nach 2010 muss die Bundesregierung
finanzielle Mittel für den Erhalt und die Restaurierung der Welterbe-
stätten bereitstellen;

b) die deutschen UNESCO-Welterbestätten noch stärker als herausragende
Orte mit globaler Bedeutung und als Leuchttürme für den Kulturtouris-
mus in Deutschland zu nutzen und dazu die Deutsche UNESCO-Kom-
mission und die UNESCO-Welterbestätten Deutschland e. V. bei der
Weiterentwicklung der Kooperation der Stätten zu unterstützen;

c) sich gemeinsam mit den Ländern dafür einzusetzen, die Bedeutung von
UNESCO-Welterbestätten und das von der UNESCO vertretene Anlie-
gen, „durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern in
Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der
Sicherheit beizutragen“, als Bestandteil des Unterrichts in den weiterbil-
denden Schulen zu verankern;

11. sich gegenüber der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, dass der
Aspekt des Kulturtourismus bei der Neuformulierung der europäischen
Förderprogramme ab dem Jahr 2013 sowie innerhalb der Strategien und

Überlegungen des Rates der Europäischen Union und der EU-Kommission

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/1966

zur Kultur- und Kreativwirtschaft Berücksichtigung findet und dass Dis-
kriminierungen von älteren und behinderten Menschen im touristischen
Bereich in der aktuellen Neufassung der Antidiskriminierungsrichtlinie
aufgenommen werden und rechtlich unterbunden werden.

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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