BT-Drucksache 17/1949

zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -17/1433- Kernfusionsforschung kritisch überprüfen - ITER-Vertrag kündigen

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1949
17. Wahlperiode 08. 06. 2010

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
(18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/1433 –

Kernfusionsforschung kritisch überprüfen – ITER-Vertrag kündigen

A. Problem

Deutschland steht als hochentwickeltes Industrieland in der Verantwortung, sich
auf nationaler und internationaler Ebene für einen sicheren und zivilen Einsatz
von Zukunftstechnologien einzusetzen.

Die Kernfusion wird in den nächsten 50 Jahren keinen Beitrag leisten, die drän-
genden globalen Energie- und Klimaprobleme zu lösen und insbesondere die
drohende fortschreitende Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu be-
grenzen.

Der Bau des Kernfusionsreaktors ITER stellt zudem aufgrund explodierender
Kosten ein unkalkulierbares Risiko für die öffentlichen Haushalte Deutschlands
und der EU dar.

B. Lösung

Die Bundesregierung soll aufgefordert werden darauf hinzuwirken, das ITER-
Abkommen einvernehmlich aufzuheben oder außerordentlich zu kündigen, den
Deutschen Bundestag zeitnah und umfassend über die Entscheidungen und Er-
gebnisse der Sitzungen des ITER-Council zu unterrichten und unverzüglich da-
mit zu beginnen, die Fusionsforschungsmittel aus dem Bundeshaushalt auf die
Erforschung erneuerbarer Energien und der Energieeinsparung zu übertragen.
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD

C. Alternativen

Annahme des Antrags auf Drucksache 17/1433.

Drucksache 17/1949 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

D. Kosten

Nach den Ausführungen im Antrag auf Drucksache 17/1433 betragen die jähr-
lichen Gesamtausgaben der Bundesrepublik Deutschland für die Kernfusion
ca. 135 Mio. Euro jährlich mit steigender Tendenz. Bis zum Jahre 2009 seien be-
reits über 3,3 Mrd. Euro für die Fusionsforschung ausgegeben worden. Beim
Bau des ITERS werde mit erheblichen Kostensteigerungen gerechnet. Nach
dem ITER-Abkommen trage Europa einen Kostenanteil von 45,5 Prozent, alle
anderen Partner 9,1 Prozent. Der EU-Beitrag werde nach Informationen des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung von 2,8 Mrd. im Jahr der Ver-
tragsunterzeichnung 2006 auf geschätzte 5,6 Mrd. Euro steigen. Nach Mittei-
lung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „ITER:
aktueller Stand und Zukunftsperspektiven“ auf Ratsdok. 9424/10 vom 7. Mai
2010 (Ausschussdrucksache 17(18)49) steige der Anteil Europas an den Ge-
samtbaukosten des ITER auf 7,2 Mrd. Euro.

Nach Schätzungen von Zukunftsenergieforschern würden die Gesamtausgaben
des ITER bis zur voraussichtlichen ersten Stromlieferung im Jahre 2055 auf 100
Mrd. Euro steigen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1949

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/1433 abzulehnen.

Berlin, den 19. Mai 2010

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Ulla Burchardt
Vorsitzende

Dr. Stefan Kaufmann
Berichterstatter

René Röspel
Berichterstatter

Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Berichterstatter

Dr. Petra Sitte
Berichterstatterin

Sylvia Kotting-Uhl
Berichterstatterin

Allgemeiner Teil
der Energieeffizienz auszuspielen.
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung hat die Vorlage in seiner 12. Sitzung am
19. Mai 2010 beraten und empfiehlt:

Das Fusionskraftwerk biete die langfristige Option, Energie
sicher, klima- und umweltfreundlich bereitzustellen. Das
Klimaproblem werde bis zum Jahr 2050 noch nicht gelöst
sein. Es gebe große Brennstoffreserven und keine Endlager-
Drucksache 17/1949 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann, René Röspel, Dr. Martin Neumann
(Lausitz), Dr. Petra Sitte und Sylvia Kotting-Uhl

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
17/1433 in seiner 40. Sitzung am 6. Mai 2010 beraten und an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung zur federführenden Beratung und an den Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur
Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärt, dass
Deutschland als hochentwickeltes Industrieland in der Ver-
antwortung stehe, sich auf nationaler und internationaler
Ebene für einen sicheren und zivilen Einsatz von Zukunfts-
technologien einzusetzen.

Die Energieforschung müsse sich angesichts des Klimawan-
dels stärker auf die nachhaltige Lösung aktueller Energie-
und Klimaprobleme konzentrieren.

Die Kernfusion werde in den nächsten 50 Jahren keinen Bei-
trag leisten, die drängenden globalen Energie- und Klima-
probleme zu lösen und insbesondere die drohende fortschrei-
tende Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu
begrenzen.

Der Bau des Kernfusionsreaktors ITER stelle zudem auf-
grund explodierender Kosten ein unkalkulierbares Risiko für
die öffentlichen Haushalte Deutschlands und der EU dar.

Vor diesem Hintergrund soll die Bundesregierung aufgefor-
dert werden darauf hinzuwirken, das ITER-Abkommen ein-
vernehmlich aufzuheben oder außerordentlich zu kündigen,
den Deutschen Bundestag zeitnah und umfassend über die
Entscheidungen und Ergebnisse der Sitzungen des ITER-
Council zu unterrichten und unverzüglich damit zu begin-
nen, die Fusionsforschungsmittel aus dem Bundeshaushalt
auf die Erforschung erneuerbarer Energien und der Energie-
einsparung zu übertragen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der mitberatende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit hat mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der SPD empfohlen, den Antrag auf
Drucksache 17/1433 abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD.

Von Seiten der antragstellenden Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN wird Bezug auf die Annahme der Mitteilung
„ITER: aktueller Stand und Zukunftsperspektiven“ durch die
EU-Kommission vom 4. Mai 2010 genommen. Ziel der Mit-
teilung sei, die verwaltungstechnischen und finanziellen Be-
dingungen für die Realisierung des ITER darzulegen und die
Fusionsforschung zu begründen. Mit der erfolgreichen Rea-
lisierung des ITER werde ermittelt, ob die Kernfusion einen
Beitrag zur langfristigen Sicherheit der europäischen Ener-
gieversorgung leisten könne. Nach Ansicht der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehe es damit nur um die
Frage der Machbarkeit und um ein forschungspolitisches
Prestigeobjekt der EU.

Angesichts schwieriger Haushaltslagen auf allen Ebenen
seien jedoch die explodierenden Kosten von größter Bedeu-
tung. Der vereinbarte Kostenanteil der EU sei von 2,8 Mrd.
Euro im Jahre 2006 auf inzwischen 7,3 Mrd. Euro gestiegen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die beiden bisher verfolg-
ten Finanzierungsoptionen – Finanzierung über ein Darlehen
der europäischen Investitionsbank oder über eine Umvertei-
lung von Haushaltsmitteln – nach Ansicht der EU-Kommis-
sion nicht weiter verfolgt werden könnten. Sie schlage daher
zwei neue Optionen vor: Bereitstellung zusätzlicher Mittel
durch die Mitgliedstaaten bis 2020 und eine Nettoanhebung
des Finanzrahmens bis 2013.

Die Antragsteller betonen, dass sich offensichtlich die finan-
ziellen Rahmenbedingungen seit der Antragstellung massiv
verschlechtert hätten und skizzieren ihre zentralen Forderun-
gen: Zeitnahe und umfassende Unterrichtung des Deutschen
Bundestages über die Ergebnisse der Sitzung des ITER-
Councils, schrittweise Übertragung der Haushaltsmittel für
die Fusionsforschung auf erneuerbare Energien und Energie-
sparmaßnahmen und kurzfristige Aufhebung oder außeror-
dentliche Kündigung des ITER-Abkommens.

Im Ergebnis sei ITER in umwelt-, energie- und finanzpoli-
tischer Hinsicht ein sinnloses Projekt.

Von Seiten der Fraktion der CDU/CSU wird ebenfalls die
dramatische Kostenentwicklung bei ITER beklagt. Es sei im
Zusammenhang mit der ebenfalls dramatischen Diskussion-
sentwicklung im Zuge der Vorbereitung des Wettbewerbs-
fähigkeitsrates damit zu rechnen, dass der angestrebte Be-
schluss auf der Ratssitzung nicht gefasst werde. Die
Unionsfraktion halte jedoch nach wie vor ITER für ein sinn-
volles Projekt, und es sei kontraproduktiv, die Fusions-
forschung gegen die Förderung erneuerbarer Energien oder
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/1433 mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die

probleme. Darüberhinaus biete ITER besondere Chancen für
die nationale Technologie- und Industrieentwicklung. Daher

Bundesregierung auch mit der Problematik eines Vertrags-
ausstiegs zu tun gehabt, der die Kosten nicht reduziere, je-
doch die Finanzierungsquellen schließe.

Man sehe einerseits die Notwendigkeit, Energie schnellst-
möglich umweltfreundlich und nachhaltig bereitzustellen,
andererseits die Kostenexplosion und wegbrechendes zu-
sätzliches Finanzierungspotential. Die Fraktion der SPD sei
daher der Auffassung, die in der EU-Vorlage angedeutete
Priorisierung zu verfolgen.

Im Unterschied zur Fraktion der CDU/CSU sehe man die
Tendenz, dass die Kernfusion und erneuerbare Energien ge-
geneinander ausgespielt würden. Es wird auf eine Haushalts-
sperre zum Marktanreizprogramm für Effizienz und Wärme-
dämmung hingewiesen, zu der der Bundesrat zwischenzeit-
lich eine Resolution verabschiedet und einen Antrag gestellt
habe.

Die Fraktion der SPD sehe den Konflikt, dass auf der einen
Seite 1,4 Mrd. Euro für die Kernfusion zur Verfügung
gestellt werden müssten, auf der anderen Seite würde die
Finanzierung nachhaltiger Verfahren zu Energiebereitstel-
lung beschnitten. Die Fraktion der SPD werde sich gegen-
über dem vorliegenden Antrag enthalten, da sie die Forde-
rung einer Kündigung des Vertrags nicht unterstütze. Die
Bundesregierung werde jedoch aufgefordert, die Kostenfra-
ge und eine Deckelung der Kosten beim Wettbewerbsrat zu
thematisieren.

Von Seiten der Fraktion der FDP werden die politische
Dimension und die Frage des Managements und der Umset-
zung des Projektes angesprochen. Was die politische Option
angehe, herrsche in der FDP-Fraktion Klarheit darüber, dass
es sich lohne, in eine Zukunftsenergie ohne klimaschädliche
Emissionen zu investieren.

Jedoch sei man jetzt gefordert, sich mit den enormen Kosten-
steigerungen zu befassen, die sich jedoch bereits im Jahre
2008 abgezeichnet hätten. Die Verteuerung des Projektes sei
ein ernst zu nehmendes Problem, und man schließe sich der
Forderung einer Kostendeckelung an. Die bisher geleistete
Forschungsarbeit dürfe aber nicht vergeblich gewesen sein.
Der ITER werde bahnbrechende Forschungs- und Entwick-
lungsarbeit ermöglichen. Daher sei das Projekt weiter zu för-
dern, und der Vorschlag der Kommission, die Aktivitäten um
zwei Jahre zu verschieben, werde abgelehnt.

Von Seiten der Fraktion DIE LINKE. wird daran erinnert,
dass ITER bereits 1985 mit Beteiligung Frankreichs, der
Sowjetunion und den USA beschlossen worden, die USA
aber schon 1998 aus Kostengründen wieder ausgestiegen sei.

Die Fusionsforschung wird von der Fraktion DIE LINKE.
als spannende wissenschaftliche Option gewertet. Sie und
erneuerbare Energien dürften aber nicht vor dem Hinter-
grund begrenzter finanzieller Mittel und des kleinen Zeit-
fensters für Maßnahmen gegen den Klimawandel gegenein-
ander ausgespielt werden.

„Mammut-Projekte“ wie ITER seien angesichts der aktuel-
len Diskussion über die Verlängerung der Laufzeiten von
Atomkraftwerken und der Kürzung der Solarförderung nicht
angemessen. Ein Systemwechsel hin zur Effizienzforschung
und einer stärkeren Förderung erneuerbarer Energien sei not-
wendig. ITER widerspreche auch der Idee dezentraler Ver-
sorgungsstrukturen und werde aufgrund monopolistischer
Strukturen zu einer unübersichtlichen und erpresserischen
Preisgestaltung führen.

Es wird darauf hingewiesen, dass auf EU-Ebene die gleichen
Debatten über ungelöste Finanz- und Managementfragen ge-
führt würden. Offene Fragen und neue Forschungsergebnis-
se könnten oder müssten dazu führen, dass das Gesamtkon-
zept des Projektes erneut auf den Prüfstand gestellt werde.
Daher stimme man mit der Auffassung der Antragsteller
überein, alle zur Verfügung stehenden Mittel für einen
Systemumstieg zu verwenden. Es sei ein Skandal, dass der
Vertrag keine Optionsklausel für einen Ausstieg beinhalte.

Von Seiten der Bundesregierung wird betont, dass die Bun-
desregierung nicht beabsichtige, den ITER-Vertrag zu kün-
digen. Die jetzt öffentlich gewordenen Kostensteigerungen
seien jedoch so erschreckend, dass die Bundesregierung
beabsichtige, die Kostenschätzungen auf Einsparpotenziale
hin zu überprüfen und im Hinblick auf zukünftige Kosten-
steigerungen eine Kostendeckelung vorzusehen. Sie werte
die Kernfusionsforschung als außerordentlich wichtiges Pro-
jekt im Dienste einer zukünftigen CO2-neutralen Energiege-
winnung.

Sie wolle daher in der nächsten Woche im Wettbewerbsrat
auf Verbesserungen des ITER-Managements, eine klarere
Definition des Zeitplans und eine Konkretisierung des Kos-
tenrahmens hinwirken. Alle Partner seien in der Pflicht, die
notwendigen Kosten gemeinsam zu tragen. Es gebe keine
Bereitschaft von Seiten der Bundesregierung, darüberhinaus
Kosten in Deutschland zu tragen.

Begründungen

Zur Begründung des Antrags wird auf die Seiten 2 und 3 der
Drucksache 17/1433 verwiesen.

Berlin, den 19. Mai 2010

Dr. Stefan Kaufmann René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1949

wolle die Fraktion der CDU/CSU derzeit weiter an dem Pro-
jekt festhalten.

Von Seiten der Fraktion der SPD wird erklärt, dass sie die
Kernfusion immer eher als Forschungs- und nicht als Ener-
gieoption gesehen habe. Man habe zu Zeiten der rot- grünen

In dieser Zeit sei in der Öffentlichkeit noch nicht ernsthaft
über einen drohenden Klimawandel und dringend einzu-
leitende Gegenmaßnahmen diskutiert worden.

Heute stelle niemand mehr diese Problematik und das enge
Zeitfenster für Reaktionen ernsthaft in Frage.
Berichterstatter Berichterstatter Berichterstatter

Dr. Petra Sitte
Berichterstatterin

Sylvia Kotting-Uhl
Berichterstatterin

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