BT-Drucksache 17/1884

Deutsche Waffenlieferungen an die Türkei

Vom 27. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1884
17. Wahlperiode 27. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Paul Schäfer (Köln)
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Waffenlieferungen an die Türkei

Die Türkei und die Bundesrepublik Deutschland verbinden jahrzehntelange
intensive wirtschaftliche, militärische und politische Beziehungen, auch im
Bereich der militärischen und rüstungsindustriellen Zusammenarbeit. Die Türkei
ist einer der Hauptabnehmer deutscher Waffentechnologie.

Die Bundesrepublik Deutschland genehmigte ungeachtet des Vorgehens des tür-
kischen Militärs in den kurdischen Gebieten allein in den drei Jahren 2006, 2007
und 2008 Ausfuhren in Höhe von 500 Mio. Euro (vgl. Rüstungsexportberichte
der Bundesregierung). Im türkisch-kurdischen Konflikt sind bisher rund 40 000
Menschen ums Leben gekommen, Millionen Kurden und Kurdinnen wurden aus
ihren Dörfern vertrieben, die Dörfer zerstört oder vermint. Trotz der von Minis-
terpräsident Recep Tayyip Erdogan angekündigten „kurdischen Öffnung“ ist die
Lage der kurdischen Bevölkerungsminderheit prekär, die Menschenrechtslage
katastrophal, täglich gibt es Berichte über militärische und polizeiliche Gewalt
gegen Kurden und Kurdinnen. Zudem führte die Türkei in der Vergangenheit
zahlreiche militärische Operationen auf dem Territorium Iraks und Irans durch.

Über die Empfänger und den Verwendungszweck der deutschen Rüstungs-
exporte wird die Öffentlichkeit nicht informiert. Hier besteht Aufklärungs-
bedarf, wie direkt die Bundesregierung das Vorgehen der türkischen Streitkräfte
gegen die kurdische Bevölkerung sowie die grenzüberschreitenden Militär-
operationen durch Waffengeschäfte unterstützt und ob dies mit den Kriterien der
EU (Europäische Union) für Waffenausfuhren (Gemeinsamer Standpunkt 2008/
944/GASP des Rates betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Aus-
fuhr von Militärtechnologie und Militärgütern vom 8. Dezember 2008) über-
haupt vereinbar ist.

Es gilt, eine weitere Eskalation des Konflikts zu verhindern und ihn mit zivilen
Mitteln beizulegen. Dazu können und müssen staatliche, nichtstaatliche und in-
ternationale Institutionen und Organisationen einen Beitrag leisten. Ein Verbot
des Exports von Kriegswaffen in die Türkei wäre ein solcher staatlicher Beitrag.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Den Verkauf welcher Waffen, Munition und sonstiger Rüstungsgüter an die
türkische Polizei und paramilitärische Einheiten bzw. Organisationen hat
die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 genehmigt (bitte aufschlüsseln
nach Empfänger, Jahr, Gegenstand, Stückzahl und Genehmigungswert)?

Drucksache 17/1884 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Waffen, Munition und sonstige Rüstungsgüter haben deutsche Be-
hörden an die türkische Polizei und paramilitärische Einheiten bzw. Organi-
sationen seit dem Jahr 2000 abgegeben (bitte aufschlüsseln nach Empfän-
ger, Jahr, Gegenstand, Stückzahl und gegebenenfalls Preis)?

3. Den Export welcher Waffen, Munition und sonstiger Rüstungsgüter an die
türkische Armee hat die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 genehmigt
(bitte aufschlüsseln nach Jahr, Gegenstand, Stückzahl und Genehmigungs-
wert)?

4. Welche Waffen, Munition und sonstige Rüstungsgüter haben deutsche Be-
hörden an die türkische Armee seit dem Jahr 2000 abgegeben (bitte auf-
schlüsseln nach Jahr, Gegenstand, Stückzahl und gegebenenfalls Preis)?

5. Für welche Rüstungsexportvorhaben in die Türkei und jeweils in welcher
Höhe wurden seit 2000 staatliche Exportbürgschaften, sogenannte Hermes-
Kredite, zugesagt bzw. vergeben?

Auf welche Gesamtsumme belaufen sich die Exportbürgschaften aktuell
(Stand Mai 2010) (bitte nach Jahr, Exportvorhaben und Stückzahl aufge-
schlüsselt)?

6. Wie viele Anträge für die Genehmigung von welchen Rüstungsgütern in die
Türkei wurden seit 2000 von der Bundesregierung abgelehnt, und gemäß
welcher EU-Kriterien für Waffenausfuhren erfolgte die Ablehnung (bitte je-
weils nach Jahren aufgeschlüsselt)?

7. In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung im Rahmen der EU-Kriterien
für Waffenausfuhren sogenannte Konsultationen über konkrete Rüstungs-
exporte in die Türkei geführt, und wie viele dieser Konsultationen wurden
von der Bundesregierung initiiert, wie viele von anderen EU-Staaten?

8. Wie und mit welchen Instrumenten gewährleistet die Bundesregierung die
Kontrolle des Endverbleibs der an die Türkei gelieferten Rüstungsgüter?

9. Hat sich die Bundesregierung von der türkischen Regierung vertraglich zu-
sichern lassen, dass die gelieferten Waffen, Munition und Rüstungsgüter
nicht bei internen Konflikten und bei grenzüberschreitenden Militäraktio-
nen verwendet werden, und durch welche Mechanismen soll die Einhaltung
dieser Vereinbarung überprüft werden?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass aus Deutschland gelie-
ferte bzw. in Lizenz in der Türkei hergestellte Rüstungsgüter bei Militär-
operationen gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden, und auf
welche Informationen stützt sich diese Einschätzung?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung das Risiko, dass aus Deutschland gelie-
ferte bzw. in Lizenz in der Türkei hergestellte Rüstungsgüter bei Militär-
operationen in den Grenzgebieten im Irak und/oder Iran eingesetzt werden,
und auf welche Informationen stützt sich diese Einschätzung?

12. Wie häufig hat sich die Bundesregierung seit 2000 bei der türkischen Amts-
seite bezüglich der Fragen 10 und 11 um Informationen bemüht, und jeweils
mit welchem Ergebnis?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Unterstützung türkischer
Militäroperationen auf fremden Staatsgebiet durch Rüstungslieferungen
nicht mit den Kriterien der EU für Waffenausfuhren vereinbar ist (bitte mit
Begründung)?

14. Welche in Deutschland entwickelten Sturmgewehre werden in der Türkei in
Lizenz hergestellt?
15. Welche in Deutschland entwickelten Maschinenpistolen werden in der
Türkei in Lizenz hergestellt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1884

16. Welche in Deutschland entwickelten Munitionstypen werden in der Türkei
in Lizenz hergestellt?

17. Welche weiteren in Deutschland entwickelten Waffen werden in der Türkei
in Lizenz hergestellt?

18. Welchen Endverbleibsbestimmungen unterliegen die in der Türkei mit deut-
scher Lizenz hergestellten Waffen und Munitionstypen?

19. Wie und mit welchen Instrumenten überprüft die Bundesregierung die Ein-
haltung der Endverbleibsbestimmungen?

20. Welche in der Türkei mit deutscher Lizenz hergestellten Waffen und Muni-
tionstypen sind von der Türkei an Drittstaaten verkauft worden (bitte auflis-
ten nach Waffensystem bzw. Munitionstyp, Preis, Stückzahl und Empfän-
gerland)?

21. Hat die Bundesregierung jeweils diesen Verkäufen an Drittstaaten ihre Zu-
stimmung erteilt?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die türkische Armee im April 2009
im Südosten der Türkei Antipersonenminen eingesetzt haben soll, und wie
ist sie mit welchen Schlussfolgerungen in dieser Angelegenheit aktiv ge-
worden?

23. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die türkische Armee Antipersonenmi-
nen aus deutscher Produktion im vergangenen Jahrzehnt (2000 bis 2009)
eingesetzt hat oder gegenwärtig einsetzt?

24. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Türkei noch über ca. 1 Million
deutsche DM-11-Antipersonenminen verfügt, und welche Aktivitäten und
Unterstützungsleistungen unternimmt Deutschland, damit die Türkei ihren
Verpflichtungen aus der Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonen-
minen auch tatsächlich nachkommt?

25. Über welche Antipersonenminen aus deutscher Produktion oder hergestellt
mit deutscher Lizenz verfügt die Türkei gegenwärtig (bitte auflisten nach
Typ und jeweiliger Stückzahl)?

26. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die türkische Armee weißen Phosphor
in Kurdistan einsetzt?

27. Sind aus der Bundesrepublik Deutschland jemals Produktionsanlagen sowie
Abfüllanlagen für weißen Phosphor in die Türkei exportiert worden?

28. Welche Ausbildungsvorhaben mit welchen Inhalten und Zielsetzungen
führten deutsche Behörden für die türkische Polizei oder die türkischen
Streitkräfte im vergangenen Jahrzehnt durch?

Welche Kosten sind der Bundesregierung hierbei entstanden?

29. In welchem Rahmen und in welchem Umfang tauscht die Bundeswehr In-
formationen über Erfahrungen und Strategien in der Aufstandsbekämpfung
mit den türkischen Streitkräften aus?

Berlin, den 27. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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