BT-Drucksache 17/1876

Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika

Vom 26. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1876
17. Wahlperiode 26. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Frank Tempel, Halina
Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika

Fußball ist eine sehr populäre, wenn nicht sogar die populärste Sportart der Welt.
Seit vielen Jahren formen sich rund um den Fußball, neben Kultur- und Fan-
projekten, leider auch immer wieder Gruppen, die durch Gewalt und Rassismus
auffallen und ein negatives Licht auf die Fans werfen. Gerade in jüngster Ver-
gangenheit kommt es weltweit immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen
in und vor den Stadien, oftmals verbunden mit massiven Sachbeschädigungen
und Körperverletzungen. Der Kampf gegen Gewalt und Rassismus im Fußball
ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit und besondere Herausforderung an die
Politik.

Seit 1994 wird die Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS) geführt. Hier werden zen-
tral Personen erfasst, die bei oder im Umfeld von Fußballspielen durch Gewalt
auffällig wurden oder von denen die Polizei davon ausgeht, dass sie auffällig
werden könnten. Aktuell sind in der Datei nach Angaben der „Zentrale Informa-
tionsstelle Sporteinsätze (ZIS)“ 12 000 Menschen gespeichert (Stand Dezember
2009). Dabei hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg
schon in einem Urteil vom 16. Dezember 2008 (Az 11 LC 229/08) entschieden,
dass der Betrieb dieser Verbunddatei des Bundeskriminalamtes rechtswidrig ist.
Diese Rechtsauffassung wurde auch von dem Bundesbeauftragten für Daten-
schutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, aufgegriffen. Schaar sagte
dem Bundesministerium des Innern (BMI) vorher, dass „letztlich die Gesamtheit
der in Verbunddateien stattfindenden Datenverarbeitung durch Gerichte für
rechtswidrig erklärt“ werden wird (Bundesbeauftragter für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit – BfDI, 22. Tätigkeitsbericht, S. 59). Für die Verbund-
datei „Gewalttäter Sport“ scheint diese Einschätzung Wirklichkeit zu werden.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in drei Verfahren aus dem April 2010 die
Datei ebenfalls für rechtswidrig erklärt. Die Urteile (3 K 1988/09, 3 K 2309/09,
3 K 2956/09) vom 23. April 2010 sind allerdings noch nicht rechtskräftig. Unter
anderem wegen solcher Urteile stehe die „Hooligan-Datei […] vor dem Aus.“
(SPIEGEL-ONLINE vom 23. April 2010)

Zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2010
verschärft das Gastgeberland seine Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung
und zur allgemeinen Sicherheit, was bei der hohen Kriminalitätsrate sinnvoll er-

scheint. Davon betroffen sind auch gewaltbereite Fußballfans aus dem Ausland
(„Hooligans“) oder „potenzielle Problempersonen“. Diese Personen würden von
den Ländern, deren Mannschaften an der WM (Weltmeisterschaft) teilnehmen,
bereits an der Ausreise gehindert, erklärte Vishnu Naidoo, der Sprecher der für
die Sicherheit während der WM zuständigen südafrikanischen Polizei (WOZ –
Die Wochenzeitung vom 13. Mai 2010). Und auch in der Bundesrepublik
Deutschland selbst werden die Sicherheitsvorkehrungen intensiviert. So sollen

Drucksache 17/1876 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

vor allem die zahlreich geplanten Public-Viewing-Veranstaltungen gesichert
werden. Länderpolizeien verstärken außerdem ihre Bemühungen im präventi-
ven Bereich. So berichtet beispielsweise die niedersächsische Polizei, dass sie
990 „Gewalttäter Sport“ in ihrem Zuständigkeitsbereich erfasst habe. Zudem
habe sie schon jetzt im Vorfeld des Vorbereitungsspiels der Elf des Deutschen
Fußball Bundes (DFB) gegen Ungarn am 29. Mai 2010 in Budapest 185 „Gefähr-
deransprachen“ durchgeführt (Behörden Spiegel, newsletter Netzwerk Sicherheit
Nr. 269 vom 18. Mai 2010). In diesem Zusammenhang gewinnen die DGS und
die mit ihr zusammenhängenden Probleme besondere Relevanz und Aktualität.
So fehlt der Datei nicht nur die Rechtsgrundlage, sondern in ihr werden immer
wieder Personen geführt, deren Ermittlungsverfahren schon eingestellt wurden,
z. B. weil sie sich lediglich in der Nähe eines Tatorts aufhielten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum ist die Datei „Gewalttäter Sport“ immer noch nicht auf eine verfas-
sungsgemäße Grundlage gestellt worden?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den oben erwähn-
ten Urteilen?

3. Plant die Bundesregierung, der anstehenden Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts zuvor zu kommen und die DGS zu löschen, und wenn nein,
warum nicht?

4. Wie viele Urteile haben die Löschung aus welcher der beim Bundeskriminal-
amt (BKA) geführten Verbunddateien angeordnet?

5. Werden die in der DGS erfassten Personen in der Datei nach polizeistrategi-
schen Kategorien (A, B, C) unterteilt?

Wenn ja,

a) wie sieht diese Klassifizierung aus, und nach welchen Kriterien wird sie
vorgenommen?

b) in welchen Kategorien sind aktuell wie viele Personen aus welchen Bun-
desländern in der DGS erfasst (bitte aufschlüsseln)?

6. Gegen wie viele Personen, die in der DGS erfasst sind, wurde ein bundeswei-
tes Stadionverbot verhängt (bitte nach Bundesländern und Ligen aufschlüs-
seln)?

7. Wird deutschen Staatsbürgern an deutschen oder europäischen Flughäfen die
Ausreise vor und während der Fußball-WM nach Südafrika verweigert?

Wenn ja,

a) auf welcher rechtlichen Grundlage geschieht dies,

b) wer ist für diese Maßnahmen verantwortlich, und wer führt sie durch,

c) wie vielen der aktuell in der Datei erfassten Personen droht ein Ausreise-
verbot nach Südafrika,

d) welche Kosten werden dadurch verursacht?

Wenn nein, wie erklärt und bewertet die Bundesregierung die Äußerungen
des Sprechers der südafrikanischen Polizei?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1876

8. Leiten die zuständigen deutschen Polizeibehörden die Daten aus der „Ge-
walttäter Sport“-Datei oder aus anderen Dateien über potentielle Gewalttäter
auch an Dritte, an die südafrikanischen Ordnungskräfte, an den Weltfußball-
verband (FIFA) oder an den DFB weiter?

Wenn ja,

a) auf welcher rechtlichen Grundlage geschieht dies?

b) werden dabei alle Personendaten oder ggf. nur solche aus bestimmten
Kategorien an die Behörden und Verbände übermittelt (bitte nach An-
zahl, Kategorie und Empfänger aufschlüsseln)?

9. Rechnet die Bundesregierung mit einer Einreise gewaltbereiter WM-Fuß-
ballfans über die Nachbarländer Südafrikas, um den Flughafenkontrollen in
Deutschland oder anderen europäischen Staaten durch Angabe eines ande-
ren Reiseziels zu entgehen, und wenn ja, wie wird sie darauf reagieren?

10. Wurden oder werden in Deutschland vor der WM „Gefährderansprachen“
durchgeführt, und wenn ja, von wem, wo und wie viele (bitte nach Bundes-
ländern, Sicherheitsbehörden und Datum aufschlüsseln)?

11. Werden deutsche Polizeikräfte als „Fanbeobachter“ und/oder Unterstützer
der südafrikanischen Polizei während der WM eingesetzt?

Wenn ja,

a) um wie viele Polizisten, aus welchen Einheiten, mit welcher Ausbildung,
in welchem Zeitraum, und in welchen Einsatzzentren vor Ort in Süd-
afrika handelt es sich (bitte entsprechend aufschlüsseln)?

b) welche Kosten verursacht dieser Einsatz (bitte entsprechend aufschlüs-
seln)?

12. In welcher Form und in welchem Umfang sind die Auslandshundertschaften
der Bundespolizei in die Sicherheitsvorkehrungen einbezogen, und welche
Kosten verursacht dieser Einsatz?

13. In welcher Form und in welchem Umfang ist die Bundespolizei in Sicher-
heitsaufgaben eingebunden, die WM-Ereignisse in der Bundesrepublik
Deutschland betreffen (Public-Viewings und andere)?

14. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass Ordnungskräfte aus an-
deren Ländern in Südafrika eingesetzt werden?

Wenn ja, aus welchen Ländern, von welchen Sicherheitsbehörden, und in
welchem Umfang wird dies geschehen, und welche Koordinationsgremien
mit welchen Aufgaben und Befugnissen wurden dafür eingerichtet?

15. Wird den in der DGS erfassten deutschen Fußballfans auch nach der WM
die Einreise nach Südafrika weiter verwehrt, beispielsweise wenn sie dort in
den nächsten Jahren ihren Urlaub verbringen wollen?

Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage würde dies geschehen?

16. Wie und wann wurden und werden die potentiellen Gewalttäter über ihre
Aufnahme in die Datei informiert?

17. Wie können sich Personen bei rechtswidriger Aufnahme in die Datei daraus
wieder löschen lassen?

Existiert ein Rechtsanspruch auf die Löschung der Dateien, und welche
Speicherfristen sind in der Errichtungsanordnung vorgesehen?

Drucksache 17/1876 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Wurden oder werden Personendaten auch an Länder, die andere Fußballgroß-
ereignisse ausrichten, weitergereicht, wie an Spanien zum Championsleague-
endspiel oder an Polen und die Ukraine als Ausrichter der nächsten Fußball-
europameisterschaft 2012?

Wenn ja, in welchem Umfang fand oder findet dies statt, und auf welcher
Rechtsgrundlage geschieht dies?

19. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob – wie bei der Leicht-
athletik-WM 2006 in Berlin – auch in Südafrika die Journalistinnen und
Journalisten bei ihrer Akkreditierung zahlreichen Sicherheitschecks und
Befragungen ausgesetzt sein werden?

Wenn ja, wie sehen diese im Detail aus?

Berlin, den 26. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.