BT-Drucksache 17/183

Zur Weiterentwicklung und Evaluierung der Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland

Vom 9. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/183
17. Wahlperiode 09. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Petra Sitte
und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Weiterentwicklung und Evaluierung der Umsetzung des Bologna-Prozesses
in Deutschland

Die Umsetzung des seit 1999 stattfindenden Bologna-Prozesses ist nicht zuletzt
durch den Bildungsstreik, an dem sich bundesweit im Rahmen von Protestak-
tionen, Schul- und Hochschulbesetzungen sowie Demonstrationen hundert-
tausende junge Menschen engagieren, massiv in der Kritik. Die Studierenden
beklagen unter anderem überfüllte Hörsäle, mangelnde Vergleichbarkeit von
Studieninhalten, erschwerte nationale und internationale Mobilität, hohen Prü-
fungs- und Leistungsdruck, die mangelhafte inhaltliche Konzeption der Studien-
gänge sowie schlecht aufeinander abgestimmte Lehrpläne sowie mangelnde
Möglichkeiten für eine eigenständige Gestaltung des Studiums und seiner inhalt-
lichen Schwerpunkte.

Die Bundesregierung, die Bundesländer und die Hochschulleitungen weisen sich
gegenseitig für diese gravierenden Mängel der umfangreichsten Hochschul-
reform seit der Bildungsexpansion in den 1970er Jahren die Schuld zu. Unabhän-
gig von der Frage nach den Ursachen des Reformchaos an den Hochschulen
herrscht jedoch Einigkeit darin, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Am
16. Oktober 2009 verabschiedete die Kultusministerkonferenz eine Erklärung
zur Weiterentwicklung der Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland.
Unter anderem fordern die Länder darin die Hochschulen auf, in den anstehenden
Reakkreditierungsverfahren Studieninhalte und bisherige Schwerpunktsetzun-
gen zu überprüfen und im Rahmen von Neueinführungen die Dauer von Studien-
gängen stärker zu variieren.

Mitte Dezember 2009 treffen sich erneut die Kultusminister in Bonn. Dort sollen
weitere Schritte diskutiert werden. Ein breites Bündnis aus Schülerinnen und
Schülern, Studierenden, Auszubildenden, Eltern und Lehrenden ruft zu einer
zentralen Demonstration und Blockade auf, um weitere Bildungsdefizite zu the-
matisieren, dabei steht unter anderem die Kritik an der Umsetzung der Bologna-
Reformen im Vordergrund.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Welche Probleme bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutsch-
land identifiziert die Bundesregierung?

b) Wie, mit welchen Maßnahmen und in welchem Zeitrahmen plant sie, diese
Probleme effektiv zu beheben?

2. Wie erklärt sich die Bundesregierung die massive Kritik an der Umsetzung
des Bologna-Prozesses in Deutschland und in anderen europäischen Ländern,

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inwieweit hält sie diese für angemessen, und wie hätten diese Kritikpunkte bei
der Einführung der neuen Studienstruktur vermieden werden können?

3. Erkennt die Bundesregierung in anderen Teilnehmerländern des Bologna-
Prozesses Vorbilder für in Deutschland notwendige Nachsteuerungen der
Studienreformen?

Wenn ja, in welchen?

4. Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, Studierende im Rahmen der Organe
der verfassten Studierendenschaft bzw. Dachorganisationen der Studieren-
denschaften an der Reform der Bologna-Reform zu beteiligen?

Falls ja, welche diesbezüglichen Empfehlungen wird die Bundesregierung
zur Sicherstellung der Beteiligung der Studierendenschaft an die Länder bzw.
Hochschulen geben?

5. a) Wie will die Bundesregierung die Beteiligung von Studierenden an den
Prozessen der Weiterentwicklung, Evaluation und Akkreditierung bzw.
Reakkreditierung der Bachelor- und Masterstudiengänge sicherstellen?

b) Hat die Bundesregierung vor, Studierendenverbände sowie das bundes-
weite Bildungsstreikbündnis zum Bildungsgipfel am 16. Dezember 2009
einzuladen?

Falls ja, wie viele Vertreterinnen und Vertreter von welchen Studierenden-
verbänden bzw. Bündnissen sollen eingeladen werden?

6. a) Plant die Bundesregierung mit Blick auf den am 12. April 2010 stattfinden-
den Gipfel zum Bologna-Prozess, Studierendenverbände, die Hochschul-
rektorenkonferenz sowie das bundesweite Bildungsstreikbündnis in die
inhaltliche und organisatorische Vorbereitung dieses Treffens einzube-
ziehen?

b) Welche studentischen und gewerkschaftlichen Akteure werden zu der von
der Kultusministerkonferenz initiierten Fachtagung zur Evaluation der
eingeleiteten Reformschritte sowie zum Bologna-Gipfel im April 2010
eingeladen?

7. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die in der von der Kultus-
ministerkonferenz verabschiedeten Erklärung formulierte „Stärkung der Stu-
dentenwerke“ zu unterstützen bzw. voranzutreiben?

8. a) Wie schätzt die Bundesregierung die seit dem Inkrafttreten des Staatsver-
trages über die Vergabe von Studienplätzen erheblich erweiterten Mög-
lichkeiten zur Selbstauswahl von Studierenden durch die Hochschulen im
Ergebnis ein?

b) In welchen Ländern sind die Zulassungsverfahren bei örtlichem Numerus
clausus mit zusätzlichen Gebühren für die Studierenden belegt?

c) Wie viele Studienplätze blieben wegen schlecht organisierter oder aus-
grenzender Zulassungsverfahren der Hochschulen in den vergangenen bei-
den Semestern unbesetzt?

d) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Veränderungen bei der
sozialen Zusammensetzung der Studierenden durch das erweiterte Selbst-
auswahlrecht der Hochschulen?

9. a) Plant die Bundesregierung ein Gesetz oder mehrere Gesetze, um die Hoch-
schulzulassung bzw. die Hochschulabschlüsse bundeseinheitlich zu regeln
und verbindliche Kriterien zur Regelung der Hochschulzulassung und der
Hochschulabschlüsse festzulegen?
Falls ja, welche Eckpunkte wird dieses Gesetz bzw. werden diese Gesetze
enthalten?

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b) Plant die Bundesregierung in diesem Rahmen, Instrumente zu verankern,
die eine gezielte Förderung bisher an den Hochschulen unterrepräsentier-
ter Gruppen gewährleisten?

Wenn nein, warum nicht?

c) Setzt sich die Bundesregierung in diesem Rahmen für den Master als Re-
gelabschluss ein, wie dies etwa die neun führenden Technischen Univer-
sitäten (TU9) fordern, bzw. wie will sie sicherstellen, dass alle Bachelor-
absolventinnen und -absolventen einen Masterstudiengang belegen, so
sie dies wünschen?

d) Plant die Bundesregierung in diesem Rahmen eine Abschaffung von
Quoten und weiteren Zugangshürden zum Masterstudium, wie die Bun-
desministerin für Bildung und Forschung dies am 7. Juli 2009 nach Ge-
sprächen mit Studierenden gefordert hat?

Falls nein, warum nicht?

e) Plant die Bundesregierung in diesem Rahmen, bundeseinheitliche Stan-
dards für die Prüfung von Studienleistungen zu verankern, die der Zahl
von Prüfungen Grenzen setzen und die Studierbarkeit der Studiengänge
künftig besser sicherstellen?

Falls nein, warum nicht?

10. a) Wie wird sich nach Kenntnis und Einschätzung der Bundesregierung in
den kommenden Jahren die Zahl derjenigen entwickeln, die eine Hoch-
schulzugangsberechtigung erwerben (bitte für die nächsten 10 Jahre auf-
schlüsseln)?

b) Wie wird sich nach Kenntnis und Einschätzung der Bundesregierung in
den kommenden Jahren die Zahl derjenigen entwickeln, die einen ersten
Studienabschluss und damit die Zugangsberechtigung zu einem Master-
studiengang erwerben (bitte für die nächsten 10 Jahre aufschlüsseln)?

c) Wie wird sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Zahl der Be-
werberinnen und Bewerber an den deutschen Hochschulen entwickeln
(bitte für die nächsten 10 Jahre und nach Bachelor- und Masterstudien-
gängen aufschlüsseln)?

d) Plant die Bundesregierung eine Aufstockung des Hochschulpaktes II
oder einen Hochschulpakt III, um einen bedarfsgerechten Kapazitätsaus-
bau von Studienplätzen zu ermöglichen?

Falls ja, an welchen Eckpunkten orientiert sich die Bundesregierung bei
den entsprechenden Verhandlungen mit den Ländern?

Falls nein, warum nicht?

11. a) Geht die Bundesregierung davon aus, dass die am 8. Dezember dieses
Jahres durch den Akkreditierungsrat verabschiedeten neuen Kriterien für
die Akkreditierung von Studiengängen die Praxis der Hochschulen und
Akkreditierungsagenturen in der Gestaltung und Akkreditierung von
Bachelor- und Masterstudiengängen erheblich verändern werden?

Falls ja, inwiefern?

Falls nein, warum nicht?

b) Hält die Bundesregierung die neuen Kriterien für die Akkreditierung von
Studiengängen für geeignet, um die in Kritik stehenden Probleme in der
Gestaltung der Bachelor- und Masterstudiengänge zu beheben (bitte be-
gründen)?

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12. Inwiefern könnte die Akzeptanz der neuen Abschlüsse Bachelor und Master
seitens der Arbeitgeber durch ein einheitliches und bundesweites Hoch-
schulzulassungs- und -abschlüssegesetz gesteigert werden?

13. Wird die Bundesregierung Initiativen ergreifen, um Absolventinnen und Ab-
solventen von Bachelorstudiengängen im öffentlichen Dienst den Zugang zu
Laufbahnen des höheren Dienstes zu ermöglichen und damit einen Beitrag
zur Akzeptanz des Bachelorabschlusses zu leisten?

Falls nein, warum nicht?

14. a) Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die unausgewogene auf
das Geschlecht bezogene Verteilung von Bachelor- und Masterstudieren-
den?

b) Wird die Bundesregierung Initiativen ergreifen mit dem Ziel, dass auch
Masterabschlüsse künftig gleichermaßen von Frauen und Männern abge-
legt werden?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

15. Welchen finanziellen Umfang würden die folgenden Maßnahmen aus Sicht
der Bundesregierung erfordern: BAföG-Fördermöglichkeit auch in nicht-
konsekutiven Masterstudiengängen, Evaluation und Weiterentwicklung al-
ler Studiengänge, wie dies unter anderem die Kultusministerkonferenz und
der Akkreditierungsrat vorschlagen haben?

16. a) Was beinhaltet das „Bologna Qualitäts- und Mobilitätspaket“ der Bun-
desregierung, welches im Koalitionsvertrag vereinbart wurde?

b) Inwieweit bezieht die Bundesregierung die vom Präsidium der FDP am
7. Dezember 2009 beschlossene Initiative für 5 000 neue Juniorprofessu-
ren bzw. neue Stellen im Mittelbau in ihre Debatten und Planungen ein?

c) Inwieweit könnte aus Sicht der Bundesregierung ein solches Programm
die Attraktivität deutscher Hochschulen für den wissenschaftlichen
Nachwuchs steigern?

d) Plant die Bundesregierung zur Verbesserung der Betreuungsrelation Ver-
einbarungen mit den Ländern bezüglich neuer Stellenkategorien – etwa
Lecturer oder Juniorprofessuren mit dem Schwerpunkt Lehre?

17. Plant die Bundesregierung – gegebenenfalls gemeinsam mit den Bundeslän-
dern – zusätzliche finanzielle Maßnahmen, um speziell die Weiterentwick-
lung und Evaluation der Bachelor- und Masterstudiengänge zu unterstützen
bzw. zu gewährleisten (bitte begründen)?

Falls ja, in welcher Höhe?

18. Plant die Bundesregierung eine bundesweite Evaluation der bisherigen Um-
setzung der Bologna-Reformen (bitte begründen)?

Berlin, den 9. Dezmber 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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