BT-Drucksache 17/1790

Zur Kennzeichnung des Einsatzes von gentechnisch veränderten Organismen in der Lebensmittelproduktion

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1790
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Wilhelm Priesmeier, Ulrich Kelber,
Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch,
Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Mechthild Rawert, René Röspel,
Michael Roth (Heringen), Kerstin Tack, Andrea Wicklein, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zur Kennzeichnung des Einsatzes von gentechnisch veränderten Organismen
in der Lebensmittelproduktion

Das Leitbild moderner Verbraucherpolitik ist der gut informierte Verbraucher,
der aus einem vielfältigen und transparenten Angebot bewusst auswählen und
so den Markt mitgestalten kann. Die derzeitigen Regelungen zur Kennzeich-
nung tierischer Erzeugnisse stehen diesem Ziel entgegen. So lehnt die große
Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland den Anbau
von gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Nutzung in der Nahrungs-
mittelproduktion ab. Dennoch werden gentechnisch veränderte Pflanzen in gro-
ßem Stil in der Fütterung von Nutztieren eingesetzt – ohne dass dies auf den
entsprechenden tierischen Erzeugnissen wie Milch, Eiern und Fleisch für Ver-
braucher zu erkennen ist. Zwar unterliegen Futtermittel aus gentechnisch ver-
änderten Pflanzen der europäischen Kennzeichnungspflicht – aber nicht die
Erzeugnisse von damit gefütterten Tieren.

Die Kennzeichnungsregelungen der Europäischen Union (EU) sind lückenhaft:
Nach geltendem Recht müssen Lebensmittel und Futtermittel als „genetisch
verändert“ gekennzeichnet werden, die aus gentechnisch veränderten Organis-
men (GVO) bestehen oder GVO enthalten oder aus GVO hergestellt wurden
oder Zutaten enthalten, die aus GVO hergestellt wurden.

Keiner Kennzeichnungspflicht unterliegen Milch, Eier, Fleisch und daraus ge-
fertigte Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln
gefüttert wurden sowie Enzyme, Zusatzstoffe, Vitamine und Aromen, die mit
Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt wurden, aber
selbst keine GVO mehr enthalten.

Mit der 2008 auf Initiative der SPD gegen den Widerstand von CDU/CSU
geschaffenen neuen „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnungsregelung können in
Deutschland auf freiwilliger Basis Lebensmittel gekennzeichnet werden, bei
denen auch bei der Herstellung von Zusatzstoffen und Hilfsmittel auf Gen-

technik verzichtet wurde. Zudem dürfen bei tierischen Erzeugnissen auch in der
Fütterung keine gentechnisch veränderten Pflanzen eingesetzt worden sein.

Damit bringt die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung mehr Transparenz und
Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei den tierischen Erzeug-
nissen entwickelt sich derzeit insbesondere bei Milch ein wachsendes „Ohne
Gentechnik“-Marktsegment. Immer mehr Hersteller steigen in dieses Markt-

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segment ein, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher es verstärkt nach-
fragen.

Diese freiwillige Kennzeichnung kann jedoch eine verpflichtende EU-weit
geltende Kennzeichnung tierischer Erzeugnisse, bei denen gentechnisch ver-
änderte Pflanzen in der Fütterung eingesetzt wurden, nicht ersetzen.

Die Kennzeichnungsregelungen der EU müssen dahingehend verbessert wer-
den, dass Transparenz und Wahlfreiheit für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher Realität werden.

CDU, CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag eine „Positivkennzeichnung
(Prozesskennzeichnung)“ vereinbart, die eine „umfassende Verbrauchertrans-
parenz“ schaffen soll. Bisher ist unklar, was diese Kennzeichnungspflicht ge-
nau erfassen soll. Deshalb überbieten sich zurzeit die Anbieter bzw. Anwender
von gentechnisch veränderten Futtermitteln – die durch verbesserte Transpa-
renz ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht sehen – in Forderungen und Inter-
pretationen, wie weit die Kennzeichnungspflicht gefasst werden soll.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was genau soll der Begriff „Positivkennzeichnung“ bezeichnen?

Was soll von dieser Kennzeichnung alles erfasst werden (bitte um detail-
lierte Auflistung)?

2. Welche Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht sollen bestehen?

Aus welchen Gründen?

3. Soll auch der Einsatz von gentechnisch hergestellten Tierarzneimitteln oder
Impfstoffen die Kennzeichnungspflicht auslösen?

4. Wie soll die korrekte Anwendung der Kennzeichnung überprüft werden?

Welche zusätzlichen Kontrollen und Dokumentationssysteme werden not-
wendig?

5. Wie wird ausgeschlossen, dass Produkte, die nicht aus gentechnisch ver-
änderten Organismen (GVO) bestehen, keine GVO enthalten, nicht aus
GVO gewonnen wurden und auch nicht mit Hilfe von GVO hergestellt
wurden, fälschlich als „genetisch verändert“ ausgewiesen werden?

6. Wie wird die Bereitschaft der Anbieter eingeschätzt, die Anwendung gen-
technischer Herstellungsverfahren offenzulegen?

7. Welche gesetzlichen Grundlagen müssen ggf. geändert werden (auf EU-
Ebene, in Deutschland), um die Anbieter zur Offenlegung ihrer gentechni-
schen Herstellungsverfahren zu verpflichten?

8. Wie genau soll die Kennzeichnung aussehen?

Ist an eine differenzierte Darstellung gedacht?

Werden Verbraucher erkennen und unterscheiden können,

– ob bei einem Produkt gentechnisch veränderte Pflanzen in der Tierfütte-
rung eingesetzt wurden,

– ob das Produkt Zusatzstoffe, Vitamine, Aromen oder Enzymen enthält,
die mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt wurden oder

– ob das Produkt selbst gentechnisch verändert ist bzw. gentechnisch ver-
änderte Anteile enthält?

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9. Ist die Kennzeichnung von Produkten mit Zusatzstoffen, Vitaminen, Aro-
men und Enzymen, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikro-
organismen hergestellt wurden, nach derzeitiger Rechtslage verboten?

Wenn nicht, warum wird nach Einschätzung der Bundesregierung diese
Möglichkeit nicht genutzt?

10. Aus welchen Gründen wurden bei der seit April 2004 geltenden EU-Ver-
ordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (Verord-
nung (EG) Nr. 1829/2003) Zusatzstoffe, Vitamine, Aromen und Enzyme,
die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt
werden, von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen?

11. Wie haben sich damals die Anbieter/Anwender solcher Produkte zur Aus-
nahmeregelung positioniert?

12. Gibt es belastbare Berechnungen darüber, wie viel Prozent der Lebensmit-
tel gekennzeichnet werden müssten, wenn Zusatzstoffe, Vitamine, Aromen
und Enzyme, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen
hergestellt werden, kennzeichnungspflichtig würden?

Wenn ja, welche?

Welche Produktgruppen sind in welchem Maße betroffen?

13. Ist die Kennzeichnung von Produkten, die von mit gentechnisch veränder-
ten Pflanzen gefütterten Tieren stammen, nach derzeitiger Rechtslage ver-
boten?

Wenn nicht, warum wird nach Einschätzung der Bundesregierung diese
Möglichkeit nicht genutzt?

14. Aus welchen Gründen wurden bei der seit April 2004 geltenden EU-Kenn-
zeichnungsregelung Erzeugnisse wie Milch, Eier oder Fleisch von Tieren,
die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert werden, von der Kenn-
zeichnungspflicht ausgenommen?

15. Wie haben sich damals Futtermittelanbieter, Anwender solcher Futtermittel
sowie Lebensmittelhersteller und -handel zur Ausnahmeregelung für tieri-
sche Produkte positioniert?

16. Wie viel Prozent der auf dem Markt befindlichen Milch, Eier und Fleisch
müssten gekennzeichnet werden, wenn Produkte von Tieren, die mit gen-
technisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, kennzeichnungspflichtig
würden?

Wie hoch ist der tatsächliche Anteil an gentechnisch verändertem Soja
bzw. Mais in Futtermitteln mit Gentechnik-Kennzeichnung?

17. Welche Untersuchungen gibt es darüber, welche Informationen für eine
umfassende Verbrauchertransparenz über Gentechnik in der Lebensmittel-
erzeugung notwendig sind, und wie diese von Verbrauchern verstanden
werden?

Plant die Bundesregierung diese Fragen im Rahmen der Verbraucher-
forschung (verstärkt) untersuchen zu lassen?

18. Sind in Produkten, die die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung tragen, gen-
technische Veränderungen nachweisbar?

Ist zu erwarten, dass in solchen Produkten gentechnische Veränderungen
nachweisbar sind?

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19. Handelt es sich bei der Überschrift „Ohne Gentechnik: Wirklich?“ und der
auf der Internetseite www.transgen.de darunter zu findenden Aussage „bei
Fleisch, Milch und Eiern ist ein bisschen Gentechnik durchaus erlaubt“ um
eine objektive Darstellung und für Verbraucher klare und eindeutig richtige
Information über die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnungsregelung?

Oder vermittelt diese Aussage möglicherweise den Eindruck, dass in mit
„Ohne Gentechnik“ gekennzeichneter Milch, Eiern und Fleisch gentech-
nisch veränderte Organismen regelmäßig zu finden sind?

20. Handelt es sich bei der auf einer offiziellen Einladung der Deutschen In-
dustrievereinigung Biotechnologie bzw. der Genius GmbH zum Hinter-
grundgespräch „Wahrheit und Klarheit bei der GVO-Kennzeichnung“ zu
findenden Aussage: „Die freiwillige „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung
ist eine Irreführung des Verbrauchers, da die Verbrauchererwartung, ein
Lebensmittel ohne Gentechnik zu kaufen, nicht erfüllt wird“, um eine ob-
jektive Darstellung und klare und eindeutig richtige Information über die
„Ohne Gentechnik“-Kennzeichnungsregelung?

21. Erhalten die genannten Veranstalter öffentliche Mittel im Rahmen des Pro-
jekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Kom-
munikationsmanagement in der Biologischen Sicherheitsforschung“, und
werden daraus möglicherweise solche Hintergrundgespräche finanziert?

22. Wann und in welcher Form wird die Bundesregierung die bereits zugesagte
Aufklärungskampagne zur „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung starten?

23. Gibt es Erkenntnisse bzw. Untersuchungen darüber, wie viel Prozent der
Verbraucher nicht wissen, dass Milch, Eier und Fleisch, die weder das Bio-
siegel noch die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung tragen, von Tieren
stammen können, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert
wurden?

Wenn nicht, wird die Bundesregierung diese Frage untersuchen lassen?

24. Was bedeutet es für Markttransparenz und Wahlfreiheit der Verbraucher,
wenn die große Mehrheit der Verbraucher – die vor allem den Anbau gen-
technisch veränderter Pflanzen und deren Nutzung in der Nahrungsmittel-
produktion ablehnen – wegen der fehlenden Kennzeichnung nicht erken-
nen können, wenn Milch, Eier oder Fleisch von Tieren stammen, die mit
gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden?

25. Wie wird die Prozess- bzw. Positivkennzeichnung in anderen EU-Mit-
gliedsländern diskutiert?

26. Welche nationalen Kennzeichnungsregelungen zur Verbesserung der
Transparenz für Verbraucher gibt es in anderen EU-Mitgliedsländern (wie
z. B. „gentechnikfrei“ in Österreich)?

Was haben sie mit der deutschen „Ohne Gentechnik“-Regelung gemein-
sam, was unterscheidet sie, welche Marktbedeutung haben sie?

Berlin, den 19. Mai 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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