BT-Drucksache 17/1763

Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1763
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-
Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dorothea Steiner,
Cornelia Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Dr. Anton
Hofreiter, Ingrid Nestle, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Tabea Rößner,
Markus Tressel, Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ozeane und Meere bedecken den größten Teil der Erdoberfläche. Ihr ökologisch
guter Zustand ist eine wesentliche Grundlage für das Leben auf der Erde. Die
biologische Vielfalt der Meere schwindet jedoch in alarmierendem Tempo, der
Rückgang der Küstenfeuchtgebiete bedroht auch wichtige Dienstleistungen von
Meeres- und Küstenökosystemen. Insbesondere die Küstenökosysteme helfen
aber, die Anfälligkeit von Küstengemeinschaften gegenüber Wetterextremen zu
verringern, die Küstenerosion zu mildern und gesunde Lebensräume für Fisch-
bestände zu sichern. Sie haben zudem eine hohe CO2-Speicherkapazität.

Der maritime Lebensraum mit seinen vielfältigen Ökosystemen kann nur durch
eine nachhaltige Bewirtschaftung im Rahmen internationaler Zusammenarbeit
wirksam geschützt und erhalten werden, damit auch nachfolgende Generationen
die unterschiedlichen Ressourcen der Meere nutzen können.

In den letzten Jahren hat sich hierfür ein stärkeres Bewusstsein entwickelt. Auf
nationaler, europäischer und globaler Ebene wurden mehrere Initiativen gestar-
tet, um den Zustand der Meere zu verbessern. Dennoch haben sich die Probleme
verschärft: Noch immer werden in die Meere zu viele Schad- und Nährstoffe
eingeleitet und die Müllproblematik ist weiter ungelöst.

Die Nordsee gehört mit etwa 600 000 Kubikmetern Müll im Meer und auf dem
Meeresboden zu den am meisten verschmutzten Meeren. Etwa 20 000 Tonnen
Abfall werden jährlich in die Nordsee eingetragen, wovon 15 Prozent im
Wasser, 70 Prozent auf dem Meeresboden und 15 Prozent an den Stränden ver-
bleiben. Erdölbasierter Kunststoffmüll stellt mit etwa 70 Prozent den größten
Teil des eingetragenen Abfalls. Er ist besonders problematisch, da er in kleinste
Partikel zerlegt wird, nur schwer zu entfernen ist und eine Abbauzeit von bis zu

450 Jahren hat. Deshalb gilt es, an der Quelle anzusetzen, also den Einsatz von
Kunststoffverpackungen möglichst zu vermeiden. Dort wo weiterhin Kunststoff
zum Einsatz kommt, muss auf die Verwendung von biologisch abbaubaren
Materialien auf der Basis nachwachsender Rohstoffe gesetzt werden.

Die Ostsee weist seit Jahrzehnten einen schlechten ökologischen Zustand aus –
und zwar mit steigender Tendenz. Ursache sind unter anderem die weiterhin zu
hohen Einträge von Nähr- und Schadstoffen. Dafür verantwortlich sind auch

Drucksache 17/1763 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Schiffsemissionen, für deren Verminderung bisher keine befriedigende Lösung
gefunden wurde. Auch von Kampfmitteln aus früheren Kriegen gehen weiterhin
Gefahren für Menschen und Umwelt aus.

Deutschland als wichtiger europäischer Staat und Küstenanrainer muss seine
Möglichkeiten nutzen und innerhalb der Europäischen Union und auf globaler
Ebene Einfluss nehmen. Die Defizite beim Schutz der Meere vor Vermüllung
und anderen schädlichen Einträgen müssen angesichts fehlender bzw. zu gerin-
ger Erfolge beseitigt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die im Anhang I der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie formulierten qua-
litativen Deskriptoren zur Festlegung eines guten Umweltzustandes als Aus-
gangsbasis für die genaue Formulierung und Präzisierung von Zielen für den
Meeresschutz zu nutzen und dabei darauf zu achten, dass sie eindeutig, wirk-
sam und messbar sind;

– das bisher in den OSPAR-Regionen III und II (OSPAR: Übereinkommen
zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks) als Modell praktizierte
„Fishing for Litter“-Projekt, bei dem die Fischer die Möglichkeit erhalten,
angelandeten Müll kostenlos entsorgen zu können, als nationale Regelung
einzuführen und zu prüfen, ob es in Kombination mit einem zu schaffenden
Vergütungssystem für gesammelten und in den Häfen abgegebenen Müll aus
dem Meer eine positive Verstärkung erfahren kann;

– die stärkere Nutzung von Recycling-, Dosier- und Nachfüllsystemen sowie
die Mülltrennung auf Schiffen zu fördern;

– sich für ein Ende des Meeresbergbaus in nach europäischen Richtlinien ge-
schützten Gebieten innerhalb des deutschen Hoheitsgebietes einzusetzen und
neue Konzessionen nicht mehr zu vergeben;

– dafür Sorge zu tragen, dass alle mit Kampfmitteln belasteten Flächen in amt-
liche Seekarten eingetragen werden;

– eine Meldepflicht für alle Kampfmittelfunde sowie Unfälle mit Munitions-
altlasten in Nord- und Ostsee und an den Stränden einzuführen;

– eine Genehmigungspflicht für alle Aktivitäten in Versenkungsgebieten von
Kampfmitteln, bei denen der Meeresgrund betroffen ist, zu schaffen;

– die Aufgaben des Küstenschutzes in einer einheitlichen Küstenwache, die auf
dem Maritimen Sicherheitszentrum und dem Havariekommando in Cuxhaven
aufbauen, zusammenzuführen;

– eine Stickstoffüberschussabgabe einzuführen und durch weitergehende Re-
gelungen die Düngeverordnung inklusive eines wirksamen Sanktionierungs-
systems zu novellieren, um den Stickstoffeintrag in die Meere über landwirt-
schaftliche Düngung massiv zu reduzieren;

– die flächendeckende Nutzung von biozidfreien Anti-Fouling-Anstrichen
durchzusetzen;

– die Erarbeitung neuer Strategien zur Schaffung von Produkten aus nachwach-
senden Rohstoffen und deren stofflicher Nutzung in Deutschland zu veranlas-
sen und entsprechende innovationsfördernde Rahmenbedingungen, die Inves-
titionen zur Herstellung von biobasierten Produkten erleichtern, zu schaffen;

● sich in der Europäischen Union einzusetzen für

– ein verbindliches System bei der Müllentsorgung von Schiffsabfällen in

den europäischen Häfen; hierbei ist besonders auf eine einheitliche Rege-
lung zu achten, um den Schiffsführern die Anwendung zu erleichtern;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1763

– Regelungen, die sowohl das vorsätzliche als auch das fahrlässige Einleiten
von Öl, ölhaltigen oder anderen die Meeresumwelt beeinträchtigenden
Stoffen unter Strafe stellen und Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten eu-
ropaweit zu vereinheitlichen und anzuheben;

– die Ausstattung von Fischernetzen mit Peilsendern, um verlorene Netze
orten und zuordnen zu können;

– eine europaweite Erhebung einer Gebühr für verlorene Fischernetze;

– eine Überarbeitung und Verschärfung der Nitratrichtlinie und die Einfüh-
rung einer europaweiten Stickstoffüberschussabgabe für landwirtschaft-
liche Betriebe;

– die Einbeziehung Russlands in das Anlaufverbot in Häfen der EU für Tan-
ker mit nur einer Außenhülle noch vor 2015;

– eine Abkehr von der Nutzung von Methanhydraten, da dieser Abbau
neben anderen Umweltproblemen zu weiteren schädlichen Einleitungen
führen wird;

– eine rasche Einigung auf eine gemeinsame Position der 27 EU-Mitglied-
staaten, um im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation
(IMO) Vorschläge zur Einbeziehung des Schiffsverkehrs in das Klima-
schutzregime zu unterbreiten;

– die Einführung strenger Grenzwerte für Emissionen von Schwefel- und
Stickoxiden, Feinstaub und Ruß sowie Treibhausgasen in EU-Gewässern;
analog dem Kfz-Verkehr sind ergänzend zu den IMO-Regelungen ver-
bindliche EU-Abgasnormen zu definieren;

– ein EU-weites Verbot für die Verwendung von Abfallstoffen aus Raffine-
rien als Treibstoff; gemeinsam mit der Mineralölwirtschaft sind Möglich-
keiten einer umweltschonenden Verwendung von Raffinerierückständen
an Land (z. B. als REA-Gips) zu eruieren;

– die Einführung von nach Emissionen gestaffelten Befahrungsabgaben für
alle europäischen Gewässer und Hafengebühren in allen europäischen
Häfen;

– eine Anwendung des Verursacherprinzips für Schiffsemissionen, z. B.
durch eine differenzierte Tonnagesteuer zur Internalisierung der Um-
weltfolgekosten;

– Anreize für Schiffsbetreiber, die sogenannten Clean-Shipping-Modelle
auf der Basis erneuerbarer Energiequellen zu entwickeln und zu betrei-
ben, etwa die Nutzung von Windkraft mit einem Bonus in der Umwelt-
verträglichkeitsprüfung sowie Anreizsysteme für Schiffsbetreiber, die
mit Motorennachrüstung Emissionen reduzieren;

– die Entwicklung von EU-Zertifizierungsstandards für ein ökologisches
und effizientes sogenanntes Clean Ship;


sich bei der IMO und in der internationalen Klimaschutzpolitik einzusetzen
für
– die Einbindung des Schiffsverkehrs in die Reduktionsverpflichtungen

eines Kyoto-Nachfolgeprotokolls;
– internationale Ziele und praktikable Verfahren zur Reduktion von Treib-

hausgasemissionen im internationalen Schiffsverkehr (möglichst unter
dem Dach der IMO);
– die Prüfung verschiedener marktbasierter Instrumente zur Reduzierung
der CO2-Emission wie etwa dem Emissionshandel;

Drucksache 17/1763 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– ein Ende der Rückstandsölnutzung mit dem Ziel, weltweit zukünftig
schwefelarme Kraftstoffe mit maximal 0,1 Prozent Schwefelanteil im
Schiffsverkehr zu nutzen;

– weltweit verbindliche Abgasnormen für Schiffe nach der bestverfügbaren
Technik und deren regelmäßige Verschärfung mit dem Ziel einer langfris-
tigen Angleichung an die Werte für den Landverkehr;

– die Möglichkeit, regionale Grenzwerte für Abgase in Küstenregionen, auf
Seeschifffahrtsstraßen und in Häfen festzulegen;

– die Festlegung weltweiter Grenzwerte und Normen für die Energieversor-
gung von Schiffen während der Hafenliegezeit, um die Schadstoffaus-
stöße in Häfen zu reduzieren;

– weltweite Vorschriften für eine an der Ökoeffizienz orientierte Richt-
geschwindigkeit für Schiffe;

– einen international anwendbaren Umweltindex, der die Umweltverträg-
lichkeit von Schiffen bewertet;

– alternative Antriebe mit erneuerbaren Energiequellen, einschließlich der
Förderung von Sonnenenergie und Windkraft;

● sich für eine verstärkte Forschungsförderung sowohl im Rahmen der EU
als auch auf nationaler Ebene einzusetzen; Ziele sind dabei

– ein European Clean Ship, d. h. ein Niedrigemissionsschiff mit energiespa-
renden Technologien und alternativen Antriebssystemen (z. B. optimierte
Wind- oder Solarantriebe);

– die Förderung und Entwicklung von Technologien zur Verringerung des
Schadstoffausstoßes, wie Katalysatoren, Partikelfilter, Wind- oder Solar-
antriebssysteme und energieeffiziente Schiffsmotoren;

– praktikable Technologien und Standards für die Stromversorgung von
Schiffen während der Liegezeit in Häfen und die Entwicklung von Best-
Practice-Modellen.

Berlin, den 18. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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