BT-Drucksache 17/1747

Das Risiko von Altersarmut durch veränderte rentenrechtliche Bewertungen von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit und der Niedriglohn-Beschäftigung bekämpfen

Vom 18. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1747
17. Wahlperiode 18. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Anton Schaaf, Anette Kramme, Elke Ferner, Iris Gleicke,
Gabriele Hiller-Ohm, Christel Humme, Josip Juratovic, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Katja Mast, Thomas
Oppermann, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Andrea Wicklein,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Das Risiko von Altersarmut durch veränderte rentenrechtliche Bewertungen von
Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit und der Niedriglohn-Beschäftigung bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es ist ein Erfolg bundesrepublikanischer Alterssicherungspolitik, dass das Ri-
siko von Armut im Alter in Deutschland nicht überdurchschnittlich stark ausge-
prägt ist: So zeigt der „3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“
(Bundestagsdrucksache 16/9915 vom 30. Juni 2008), dass die Gefahr der rela-
tiven Einkommensarmut – ein gewichtetes Nettohaushaltseinkommen von we-
niger als 60 Prozent des Medianeinkommens – im Jahr 2005 in der Altersgruppe
65 Jahre und älter unter Verwendung der Daten der europäischen Statistik im
Durchschnitt aller Personen liegt, nämlich bei 13 Prozent. Zieht man stattdessen
die Daten des Sozio-oekonomischen Panels heran, so lag die Armutsrisikoquote
in dieser Altersgruppe mit 12 Prozent sogar 6 Prozentpunkte unterhalb der
durchschnittlichen Armutsrisikoquote in der Bundesrepublik Deutschland. De-
finiert man Armut enger im Sinne des Bezuges von bedürftigkeitsorientierten
Leistungen, so ist die Mindestsicherungsquote sogar deutlich unterdurchschnitt-
lich: Am Jahresende 2007 bezogen rund 392 000 Personen, die älter als 65 Jahre
waren, Leistungen der „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“
nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), so
dass der Anteil der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger an der
Gesamtbevölkerung über 65 Jahren 2,4 Prozent betrug. Bei den erwerbsfähigen
Hilfeempfängerinnen und -empfängern im Alter von 15 bis 64 Jahre betrug die
Mindestsicherungsquote hingegen 9,4 Prozent und bei den Kindern unter
15 Jahren, die Sozialgeld nach dem SGB II beziehen, betrug dieser Anteil sogar
16,4 Prozent („Soziale Mindestsicherung in Deutschland“, herausgegeben vom
Statistischen Bundesamt und von den statistischen Landesämtern, November
2009).
Alterssicherungspolitik, die auf lange Sicht ausgelegt ist, darf diese Fakten aber
nicht umstandslos als auch für die Zukunft gegeben ansehen. Die aktuell ver-
gleichsweise günstige Einkommenssituation im Alter beruht darauf, dass Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Vergangenheit einerseits nur geringe
Lücken in ihrer Versicherungsbiographie aufwiesen und andererseits nur selten
von Niedrigeinkommen betroffen waren.

Drucksache 17/1747 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Diese beiden Faktoren, die in einem auf Beitragsäquivalenz basierenden Renten-
versicherungssystem von wichtiger Bedeutung für die spätere Höhe der Renten-
anwartschaften sind, haben in den letzten Jahrzehnten aber an Bedeutung
gewonnen, so dass für zukünftige Rentnerinnen und Rentner die Gefahr besteht,
dass bei ihnen das Risiko der Altersarmut steigt. So identifiziert die von der
Deutschen Rentenversicherung Bund und dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales im Jahr 2007 veröffentlichte Studie „Altersvorsorge in Deutsch-
land 2005“ (AVID 2005), in der die Anwartschaften deutscher Personen der
Geburtsjahrgänge 1942 bis 1961 in die Zukunft projiziert worden sind, ein be-
sonderes Risiko im Fall der Arbeitslosigkeit: Versicherte mit niedrigem Alters-
einkommen weisen im Schnitt zwei- bis dreimal so häufig Zeiten der Arbeitslo-
sigkeit auf wie Personen mit höherem Alterseinkommen. Diese Befunde werden
von einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V.
(Viktor Steiner, Johannes Geyer, „Erwerbsbiographien und Alterseinkommen
im demographischen Wandel – eine Mikrosimulationsstudie für Deutschland“,
Politikberatung kompakt, Nr. 55, Berlin, März 2010) bestätigt: Die zunehmende
Dauer von Zeiten der Arbeitslosigkeit und deren Auswirkungen auf die Lohn-
position bei den jüngeren Alterskohorten wird insbesondere in Ostdeutschland
zu – in heutigen Werten gerechnet – sinkenden Rentenzahlbeträgen führen, da
die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und der Anteil von Niedriglohnbeschäfti-
gung hier besonders dramatisch sind.

Auf diese Entwicklung gilt es zu reagieren. Dabei gilt es klar die Ursachen und
Verantwortungen zu identifizieren: Das Risiko der Altersarmut liegt in erster
Linie in der Erwerbsphase begründet. Die gesetzliche Rentenversicherung, die
die Einkommensposition der Versicherten widerspiegelt, kann nicht alle De-
fizite in der Erwerbsphase ausgleichen. Von primärer Bedeutung ist daher eine
Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die dem Leitbild der „guten Arbeit“
verpflichtet ist, und sich daher konsequent einsetzt für
● die Erhöhung des Beschäftigungsvolumens und die Bekämpfung der Arbeits-

losigkeit;
● die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und daher deren

Erosion durch u. a. geringfügige Beschäftigung und abhängige Selbststän-
digkeit bekämpft;

● die gleichgewichtige Entwicklung der Löhne und Gehälter und der Produkti-
vitätsentwicklung;

● einen gesetzlichen Mindestlohn, der eine unterste Grenze markiert, unter die
Löhne und Gehälter nicht fallen dürfen;

● gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, um Entgeltgleichheit
zwischen Männern und Frauen zu erreichen.

Altersarmut besitzt dabei eine eindeutige geschlechtsspezifische Ausprägung:
Gegenwärtig sind zwei Drittel derjenigen, die Leistungen der Grundsicherung
im Alter beziehen, Frauen. Dies erklärt sich nicht nur durch deren höhere
Lebenserwartung, sondern eben auch durch deren unzureichende Rentenanwart-
schaften. Die geringeren Rentenanwartschaften sind dabei die Folge von kürze-
ren Erwerbsbiographien, Teilzeitbeschäftigung und Lohndiskriminierung. Zu-
dem unterbrechen Frauen häufiger ihr Erwerbsleben, um Kinder zu erziehen
oder Angehörige zu pflegen.

Die gesetzliche Rentenversicherung kann nur eine Korrektur der Einkommens-
verteilung, wie sie sich durch die im Erwerbsleben erworbenen Rentenanwart-
schaften ergibt, leisten. Dabei gibt es sowohl sozial- als auch haushaltspolitische
Gründe, die finanziellen Mittel zur Schließung von Lücken in der Versiche-
rungsbiographie nur dann einzusetzen, wenn das Risiko der Altersarmut droht,
und keine vorleistungs- und bedarfsunabhängige Risikoabsicherung vorzuneh-

men. Die möglichen Instrumente, wie die bessere rentenrechtliche Bewertung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1747

von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit und der Niedriglohnbeschäftigung, müs-
sen dann allerdings auch eingesetzt werden, da ansonsten eine Pflichtversiche-
rung, bei der ein immer größerer Teil der Versicherten keine Anwartschaften er-
zielt, die oberhalb des Niveaus der Grundsicherung im Alter liegen, ihre
Legitimation verliert.

Zusätzlich zur Frage der Altersarmut als Folge unzureichender Anwartschaften
während des Erwerbslebens muss auch das Risiko der Invalidität stärker berück-
sichtigt werden. Dies erfordert sowohl die Anpassung der Arbeitswelt an die
demographischen Veränderungen durch bessere Arbeitsbedingungen, flexible
Regelungen zum Übergang aus dem Erwerbsleben in die Rente durch die geför-
derte Altersteilzeit und Verbesserungen bei der Teilrente, garantierte Beschäf-
tigungsmöglichkeiten für Ältere mit gesundheitlichen Einschränkungen als auch
bessere Erwerbsminderungsrenten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die folgenden Punkte ge-
regelt werden:

A. Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit werden als beitragsgeminderte Zeiten
gemäß § 263 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung gewertet.

Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe vom 1. Januar 2000 bis zum
31. Dezember 2004 sowie der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
SGB II seit dem 1. Januar 2005 sollen als beitragsgeminderte Zeiten nach
§ 263 SGB VI gewertet werden. Indem sie zusätzlich zur Behandlung als
Beitragszeit auch als bewertete Anrechnungszeit berücksichtigt werden, wer-
den diese Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung für beitrags-
geminderte Zeiten nun jeweils bei den Versicherten mit dem Wert an Entgelt-
punkten berücksichtigt, der dem durchschnittlichen Wert ihrer Beitragszeiten
entspricht. Dabei soll eine Begrenzung auf 50 Prozent des Durchschnitts-
einkommens erfolgen, so dass sie mit maximal 0,5 Entgeltpunkten pro Jahr
berücksichtigt werden können.

Diese bessere Bewertung der Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit soll auf
Versicherte konzentriert werden, bei denen typisierend von einem Risiko der
Altersarmut ausgegangen werden kann: Sie soll für Versicherte gelten, die
zum Zeitpunkt des Rentenzugangs weniger als 30 Entgeltpunkte erworben
haben. Nur in diesen Fällen sollen die Zeiten des Bezuges der Arbeitslosen-
hilfe bzw. der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Rahmen der Gesamt-
leistungsbewertung als beitragsgeminderte Zeiten berücksichtigt werden.

Die Berücksichtigung als beitragsgeminderte Zeit soll auch für Langzeit-
arbeitslose gelten, die z. B. aufgrund eines anzurechnenden Partnereinkom-
mens selber nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II bzw. der Arbeitslosen-
hilfe sind bzw. gewesen sind und daher auch keinen Anspruch auf
Geldleistungen besitzen bzw. besaßen, da in diesen Fällen auch keine Bei-
träge an die Rentenversicherung entrichtet worden sind.

B. Die Rente nach Mindestentgeltpunkten wird für Beitragszeiten bis zum
1. Januar 2011 fortgeführt.

Die Regelung des § 262 SGB VI (Mindestentgeltpunkte bei geringem
Arbeitsentgelt), die gegenwärtig auf Beitragszeiten vor dem 1. Januar 1992
befristet ist, wird für Beitragszeiten bis zum 1. Januar 2011 verlängert. Durch
die Rente nach Mindestentgeltpunkten erhalten Versicherte mit einem gerin-
gen Arbeitsentgelt Mindestentgeltpunkte für die jeweiligen Beitragszeiten,
indem die Entgeltpunkte aus Beitragszeiten mit niedrigem Arbeitsentgelt mit
dem Faktor 1,5 multipliziert werden, wobei eine Kappung bei einer An-

wartschaft erfolgt, die einer Entgeltposition von 75 Prozent des Durch-
schnittsverdienstes entspricht.

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III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung darüber hinaus dazu
auf,

die Berichtspflicht nach § 154 Absatz 4 SGB VI („Überprüfungsklausel“ zur
Anhebung der Regelaltersgrenze) ernst zu nehmen und dabei auch die besondere
Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit gesundheitlichen
Einschränkungen zu berücksichtigen.

Berlin, den 18. Mai 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Zu Nummer II

Zu Abschnitt A

Langzeitarbeitslosigkeit stellt ein großes Risiko dar, wegen nicht ausreichender
Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung und daraus folgenden
niedrigen Anwartschaften von Altersarmut bedroht zu sein. Um die Inanspruch-
nahme von Leistungen der Grundsicherung im Alter zu begrenzen, besteht hier
ein dringender Handlungsbedarf. Dies gilt
● für Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe vom 1. Januar 2000 bis zum

31. Dezember 2004, da in diesem Zeitraum Beiträge nur noch auf der Grund-
lage des tatsächlichen Zahlbetrages der Arbeitslosenhilfe entrichtet worden
sind, und

● für die seit dem 1. Januar 2005 existierende Grundsicherung für Arbeit-
suchende, da hier einheitliche Rentenversicherungsbeiträge auf einer Bemes-
sungsgrundlage von 400 Euro (in den Jahren 2005 und 2006) bzw. von
205 Euro (seit 2007) entrichtet werden.

Dieses Risiko existiert insbesondere in Regionen, die durch Strukturschwäche
und daher besonders hohe Langzeitarbeitslosigkeit gekennzeichnet sind. Na-
mentlich in den neuen Ländern leiden viele Menschen aufgrund der wirtschaft-
lichen Umbrüche seit 1990 an mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten und
unter anhaltender Arbeitslosigkeit.

Die Bewertung von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit als beitragsgeminderte
Zeit, die erst im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung ihren tatsächlichen
Wert erhält, berücksichtigt die jeweilige Lebensleistung der Versicherten: Je
höher und häufiger Beiträge entrichtet worden sind, umso höher fällt der Wert
der Anrechnungszeit aus. Langjährig Versicherte werden also gegenüber Per-
sonen, die nur relativ kurze Beitragszeiten aufweisen, bessergestellt.

Diese Regelung ist damit Vorschlägen, die Bemessungsgrundlage der Renten-
versicherungsbeiträge beim Bezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende wie-
der auf 400 Euro im Monat anzuheben, deutlich überlegen:
● Zum einen würde der erstgenannte Vorschlag (bei einem jährlichen Durch-

schnittsentgelt nach Anlage 1 des SGB VI im Jahr 2010 von 32 003 Euro) nur
zu einer Anwartschaft von 0,15 Entgeltpunkten führen, also zu einer monat-
lichen Rentenanwartschaft von – in heutigen Werten – 4,08 Euro. Bei der be-
werteten Anrechnungszeit von max. 0,5 Entgeltpunkten gemäß einem modi-
fizierten § 263 SGB VI kann der monatliche Ertrag hingegen 13,60 Euro
(West) bzw. 12,07 Euro (Ost) betragen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1747

● Zum anderen hätte die Umsetzung des erstgenannten Vorschlages nur Aus-
wirkungen für zukünftige Beitragszeiten, während die hier vorgeschlagene
Regelung eben auch rückwirkend greift.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich diese Regelung nicht nur im Bereich der
Alterssicherung positiv auswirkt, sondern auch bei der Absicherung im Falle der
Erwerbsminderung: Kommt es unmittelbar nach bzw. aus dem Bezug von Leis-
tungen nach dem SGB II zu einer Erwerbsminderung, so wird gegenwärtig die
Zurechnungszeit auch auf Grundlage der sehr geringen Beitragszeiten in der
Grundsicherung für Arbeitsuchende berechnet – bei dem Modell der bewerteten
Anrechnungszeit würde nicht nur der Invaliditätsschutz erhalten bleiben, son-
dern es käme sogar zu einer besseren Absicherung durch die Rentenversiche-
rung, da nur die vorherigen Beitragszeiten die Bemessungsgrundlage für die Zu-
rechnungszeiten bildeten, während die Zeiten des Bezuges von Leistungen nach
dem SGB II nicht mehr in die Bewertung eingingen.

Da nicht jeder Bezug von Leistungen der Arbeitslosenhilfe in den genannten
Jahren und der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu Altersarmut führt, ist es
sinnvoll, hier sowohl eine Begrenzung in den Anspruchsvoraussetzungen als
auch bei den maximalen Vorteilen vorzunehmen:
● Indem nur bei Versicherten, die zum Zeitpunkt des Rentenzugangs weniger

als 30 Entgeltpunkte erworben haben, diese Zeiten als bewertete Anrech-
nungszeiten berücksichtigt werden, wird das Risiko minimiert, hier eine
Fehlsubventionierung zugunsten derjenigen vorzunehmen, die auch ohne
diese Regelung mit ihren Rentenanwartschaften die Bedarfsschwelle der
Grundsicherung im Alter übersteigen. So betrug zum Jahresende 2008 der
durchschnittliche Grundsicherungsbedarf nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes 657 Euro, so dass eine allein lebende Person ohne weitere Ein-
künfte mit einer Rentenanwartschaft von 30 Entgeltpunkten eine Bruttorente
von 816 Euro (West) bzw. 723,90 Euro (Ost) bezieht und damit auch nach
Abzug der Sozialversicherungsbeiträge oberhalb des Durchschnittsbedarfes
verbleibt.

● Eine Begrenzung auf maximal 0,5 Entgeltpunkte für die zu bewertende Zeit
ist sinnvoll, um zu verhindern, dass es zu Verwerfungen im Vergleich zu den
Rentenanwartschaften während der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld
kommt: Hier werden Rentenanwartschaften auf Grundlage von 80 Prozent
des vorherigen Bruttoentgelts erworben, so dass Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die ein Einkommen mit einer Entgeltposition von 60 Prozent
des Durchschnittsverdienstes erzielt haben, eine Rentenanwartschaft von 0,5
Entgeltpunkten während des Bezuges von Arbeitslosengeld erwerben; Ver-
sicherte mit einem geringeren Einkommen erzielen entsprechend niedrigere
Anwartschaften. Dass vorher relativ gut verdienende Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im Falle des Bezuges der bedürftigkeitsorientierten Leistung
der Grundsicherung eine höhere Rentenanwartschaft erzielen als vormals
gering entlohnte Versicherte im Fall der Versicherungsleistung Arbeitslosen-
geld, wäre sozialpolitisch nicht zu begründen; die Begrenzung auf 0,5 Ent-
geltpunkte (also der Rentenanwartschaft auf Grundlage des halben Durch-
schnittsverdienstes) im Falle des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II
ist also sinnvoll.

Die Berücksichtigung der Zeiten der Arbeitslosigkeit auch bei den Versicherten,
die aktuell – insbesondere aufgrund eines Partnereinkommens – nicht bedürftig
sind, ist ein notwendiger Beitrag zur Sicherung eigenständiger Anwartschaften,
von der insbesondere Frauen profitieren. Dies gilt insbesondere, da nicht unter-
stellt werden kann, dass der aktuelle Zustand der Nichtbedürftigkeit im Kontext
der Bedarfsgemeinschaft sich bis ins Alter fortsetzt. Ohne die Berücksichtigung

als bewertete Anrechnungszeit wären die Zeiten der Arbeitslosigkeit so für die
Absicherung im Alter verloren, da keine Beiträge entrichtet worden sind.

Drucksache 17/1747 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Abschnitt B

Mit der Rentenreform 1972 ist das Instrument der Rente nach Mindestentgelt-
punkten geschaffen worden, durch das bei langjährig Versicherten die aus unter-
durchschnittlichen Beitragszeiten resultierenden Anwartschaften höher gewer-
tet werden. Ziel dieser Regelung war eine nachträgliche Korrektur der
individuellen Entgeltrelation. Hierdurch sollte ein sozialpolitischer Ausgleich
für regional- und branchenbedingte Lohngefälle geschaffen werden, um damit
vor allem die Folgen der Lohndiskriminierung von Frauen für deren spätere
Rentenhöhe abzuschwächen. Dieses ursprünglich auf Zeiten vor dem 1. Januar
1973 begrenzte Instrument ist mit dem Rentenreformgesetz 1992 für Beitrags-
zeiten bis zum 1. Januar 1992 verlängert und geringfügig modifiziert worden:
Bei Versicherten mit 35 Jahren an rentenrechtlichen Zeiten, bei denen sich aus
den Kalendermonaten mit vollwertigen Pflichtbeiträgen ein Durchschnittswert
von weniger als 0,0625 Entgeltpunkten errechnet (entspricht 0,75 Entgeltpunk-
ten im Jahr), wird die Summe der Entgeltpunkte erhöht, indem der Durch-
schnittswert mit 1,5 multipliziert wird, wobei eine Begrenzung bei 0,0625 Ent-
geltpunkten pro Kalendermonat erfolgt.

Angesichts der Zunahme atypischer Beschäftigung und einer seit Jahren fort-
schreitenden Lohnspreizung – gerade infolge der deutschen Einheit – ist es sinn-
voll, das Instrument der Rente nach Mindestentgeltpunkten für langjährig Versi-
cherte noch einmal zu verlängern, indem Versicherungszeiten bis zum 1. Januar
2011 als anhebungsfähige Zeit für die Rente nach Mindestentgeltpunkten anzu-
erkennen sind. Dabei wird durch die Zugangsvoraussetzung von 35 Jahren an
rentenrechtlichen Zeiten, wobei neben den Pflichtbeitragszeiten auch Ausfall-
zeiten, Zeiten mit freiwilligen Beiträgen und Berücksichtigungszeiten für Kin-
dererziehung und Pflege berücksichtigt werden, sichergestellt, dass von der Re-
gelung nur Personen profitieren, die langjährig niedrig entlohnt worden sind.

Die sozialpolitische Begründung besteht dabei in erster Linie in der Korrektur
von Lohndiskriminierung und Lohndumping. Daher ist eine Befristung der
anzuerkennenden Zeiten bis zum 1. Januar 2011 sinnvoll, da eine unbefristet
geltende Regelung der Aufwertung von Zeiten geringer Anwartschaften ein
falsches Signal für die Durchsetzung existenzsichernder Arbeitsentgelte wäre:
Wenn flächendeckende Mindestlöhne vorhanden sind, erübrigt sich eine gene-
relle Anhebung geringer Entgeltpositionen. Das System der Alterssicherung
würde überfordert, dauerhaft eine unzureichende Einkommensverteilung in der
Erwerbsphase so zu korrigieren, dass höhere Alterseinkommen erreicht werden,
als sie sich auf Grundlage der Lohn- und Beitragsbezogenheit eigentlich ergäben.

Zu Nummer III

Mit dem Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische
Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen
Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) ist in § 154 SGB VI
der neue Absatz 4 aufgenommen worden, wonach die Bundesregierung erst-
mals im Jahr 2010 im Rahmen des Rentenversicherungsberichtes eine Be-
richtspflicht über die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer hat. Auf dieser Grundlage soll sie eine Einschätzung abgeben,
ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwick-
lung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation
älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint.
Diese „Überprüfungsklausel“ muss dabei gerade auch die Einkommens- und
Beschäftigungssituation von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigun-
gen berücksichtigen, da Invalidität ein großes Risiko beim Entstehen von
Altersarmut darstellt. Hier muss beachtet werden, dass in Deutschland der An-
teil der gesundheitlich Beeinträchtigten, die überhaupt einen Anspruch auf eine

Erwerbsminderungsrente besitzen, im internationalen Vergleich unterdurch-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/1747

schnittlich ist; viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die formal noch
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, faktisch aufgrund ihrer gesundheit-
lichen Beeinträchtigungen aber keine Chance auf eine Beschäftigung besitzen,
sind dann auf die Versicherungsleistungen des SGB III oder der fürsorgeorien-
tierten Leistungen des SGB II angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu
bestreiten.

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