BT-Drucksache 17/1682

EU-Mission zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform in Guinea-Bissau

Vom 5. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1682
17. Wahlperiode 05. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike
Hänsel, Harald Koch, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Mission zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform in Guinea-Bissau

Seit der Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1974 vollzogen sich in Guinea-
Bissau politische Machtwechsel überwiegend durch Militärputsche, die jedoch
meist recht unblutig verliefen. Das Militär spielt zudem ein wichtige politische
Rolle, da in ihm die verschiedenen Bevölkerungsgruppen repräsentiert sind und
einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss geltend machen können. Zudem ist
es einer der größten Arbeitgeber des Landes.

Die politischen Machtverhältnisse ergeben sich in Guinea-Bissau mit seinen
etwa 1,5 Millionen Einwohnerinnen/Einwohnern und einem Bruttoinlandspro-
dukt von weniger als einer halben Mrd. US-Dollar somit wesentlich aus den
Machtverhältnissen innerhalb des Militärs. Daneben spielt die größte Partei des
Landes, die Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC),
die aus dem Kampf um die Unabhängigkeit hervorgegangen ist, eine heraus-
ragende Rolle, wobei gegenseitige Abhängigkeiten zwischen politischer und
militärischer Führung bestehen. Exemplarisch hierfür war das Verhältnis zwi-
schen dem langjährigen Präsidenten João Bernardo Vieira und dem ehemaligen
Chef des Generalstabes, General Batista Tagme. Beide wurden zwar als Rivalen
um politische Macht wahrgenommen, sicherten sich zugleich aber – bis zu ihrer
Ermordung durch meuternde Armee-Einheiten im März 2009 – gegenseitig ihre
Macht in den jeweiligen Institutionen.

Seit 2007 mehrten sich Berichte, wonach Guinea-Bissau zunehmend zum
Transitland für Drogen aus Lateinamerika entwickle und sich hieraus enorme
Anreize für Korruption und Einnahmequellen für die Sicherheitskräfte ergäben.
Noch im selben Jahr nahm die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft dies zum
Anlass, im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) eine EU-Mis-
sion zur Reform des Sicherheitssektors in Guinea-Bissau zu erörtern.

Im Februar 2008 wurde eine entsprechende EU-Mission (EU SSR Guinea-
Bissau) auf der Grundlage von Vorschlägen einer Erkundungsmission und des
EU-Militärstabes beschlossen, Anfang Mai 2008 der spanische General Juan
Esteban Verástegui zum Leiter der Mission ernannt. Ende Mai 2008 bezogen die
teilweise bereits vor Ort anwesenden Einsatzkräfte ihr Hauptquartier in der
Hauptstadt Bissau. Ihr Auftrag besteht darin, die Regierung in Guinea-Bissau

bei der Ausarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie, bei der Verkleinerung und
Restrukturierung der Armee und dem Aufbau von Gendarmeriekräften, bei der
Reform der Polizei und der Justiz zu unterstützen. Hierzu wurden den Angehö-
rigen der Mission weitreichende Privilegien und Immunitäten eingeräumt. EU
SSR Guinea-Bissau ist die erste europäische Mission zur Reform des Sicher-
heitssektors, die sowohl militärische als auch zivile Aufgabenbereiche umfasst.
Neben Deutschland nehmen Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Schwe-

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den an ihr teil. Im November 2009 umfasste sie 19 internationale und 18 lokale
Einsatzkräfte bzw. Angestellte.

Über die konkreten Tätigkeiten der EU SSR ist sehr wenig bekannt. Nach der
Veröffentlichung eines Berichts über die Privilegien und Ziele der EU SSR im
Juni 2008 in der Internetzeitschrift telepolis (www.heise.de) wurde der heraus-
gebende Verlag vom Büro des damaligen Außenbeauftragten Javier Solana kon-
taktiert und gebeten, den Artikel aus dem Netz zu nehmen.

Während die EU-Mission in der Hauptstadt Bissau mit ihren knapp 500 000 Ein-
wohnern stationiert war und Berater auf Ebene des Generalstabs zum Heer, zur
Luftwaffe und zur Marine wie auch zur Polizei, zur Justiz und zur Staatsanwalt-
schaft enge Kontakte pflegen sollten, nahmen die Spannungen innerhalb der
Streitkräfte sowie zwischen dem Generalstab und der politischen Führung zu.
Diese mündeten u. a. in der Ermordung des Chefs des Generalstabs, Batista
Tagme, am 1. März 2009 und der unmittelbar hierauf folgenden Ermordung des
Präsidenten João Bernardo Vieira durch Soldaten noch in derselben Nacht. Im
Rahmen der Ermittlungen zu den Vorfällen am 1. und 2. März 2009 wurde keine
Positionierung der Angehörigen der EU SSR öffentlich.

Am 1. April 2010 brachten Soldaten den nach dem Putsch von 2009 gewählten
Ministerpräsidenten Carlos Domingos Gomes jr. vorübergehend in ihre Gewalt,
entführten den ehemaligen Oberkommandierenden der Marine aus dem Büro
der Vereinten Nationen und erklärten den Generalstabschef José Zamora Induta
für abgesetzt. Die daraufhin ausbrechenden Unruhen wurden von Armee-Ein-
heiten unterdrückt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erfahrungen für zivil-militärische Zusammenarbeit konnten aus
dem EU-SSR-Einsatz in Guinea-Bissau gewonnen werden?

2. Wie bewerten Bundesregierung und PSK die Entwicklungen seit dem er-
neuten Coup vom 1. April 2010, und welche Konsequenzen werden vor
diesem Hintergrund für die EU SSR diskutiert?

3. Was spricht nach Ansicht der Bundesregierung dafür, zivile und militäri-
sche Komponenten einer Unterstützung der Reform des Sicherheitssektors
in Drittstaaten in einer gemeinsamen Mission zusammenzufassen?

4. Welche Positionen wurden hierzu im PSK, im EU-Militärstab und im zivi-
len Planungs- und Durchführungsstab (CPCC), die an der Vorbereitung be-
teiligt waren, vorgebracht?

5. Welche Kosten sind der Bundesrepublik Deutschland und dem Gemein-
schaftshaushalt bislang durch die EU-SSR-Mission entstanden?

6. In welchem Umfang wird und wurde Guinea-Bissau durch das Europäi-
sche Instrument für Stabilität unterstützt?

7. Bei welcher Gelegenheit wird und wurde die Bundesregierung über den
EU-SSR-Einsatz informiert (bitte mit Datumsangaben)?

8. Welche Ergebnisse hat die EU-SSR-Mission nach Auffassung der Bundes-
regierung bislang (bis zum 1. April 2010) hervorgebracht?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Perspektiven der EU-SSR-Mission
vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ein?

10. Wie weit ist der Aufbau einer Nationalgarde in Guinea-Bissau fortgeschrit-
ten, und welchen Anteil hatte und hat die EU SSR hieran?

11. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Soldaten derzeit den

Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine angehören und auf wie viele

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Soldaten die Teilstreitkräfte im Rahmen der Reform der Armee reduziert
oder aufgestockt werden sollen?

12. Soll die Nationalgarde zukünftig Teil der Armee sein, und soll sie aus bis-
herigen oder früheren Armeeangehörigen bestehen?

13. Werden nach Auffassung oder Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen
der EU-SSR-Mission ehemalige Soldaten in den Polizeidienst aufgenom-
men werden?

14. Welche Pläne zur zukünftigen wirtschaftlichen und politischen Teilhabe der
demobilisierten Soldaten wurden im Rahmen der EU-SSR-Mission ausge-
arbeitet?

15. Worin bestehen die Tätigkeiten der 19 internationalen Einsatzkräfte der EU
SSR in Guinea-Bissau im Einzelnen?

16. Welche Veranstaltungen, Treffen und Konferenzen hat die EU-SSR-Mis-
sion bislang durchgeführt, und wie bewertet die Bundesregierung deren Er-
gebnisse im Einzelnen?

17. Mit welchen Persönlichkeiten pflegen die Berater der EU SSR für den
Generalstab, das Heer, die Marine und die Luftwaffe, die Polizei, die Justiz-
polizei, das Interpol-Büro und die Staatsanwaltschaft nach Kenntnis der
Bundesregierung jeweils die engsten Kontakte (bitte getrennt auflisten)?

18. Waren Angehörige der EU SSR an den Ermittlungen zu den Vorfällen am
1. und 2. März 2009 in Bissau beteiligt?

Wenn nein, warum nicht?

19. Führten Angehörige der EU SSR eigenständige Ermittlungen zu den Vor-
fällen am 1. und 2. März 2009 in Bissau durch?

Wenn nein, warum nicht?

20. Wie bewertet das PSK und wie bewertet die Bundesregierung die Ermitt-
lungen zu den Vorfällen am 1. und 2. März 2009 in Bissau?

21. Haben PSK und Bundesregierung über die Entwicklungen seit April 2010
beraten, und welche Einschätzungen/Bewertungen der örtlichen Lage lie-
gen der Bundesregierung vor?

22. Wurden in Beratungen des PSK Schlüsse für eine Fortsetzung bzw. Beendi-
gung des Einsatzes gezogen, oder haben EU und/oder Mitgliedstaaten (z. B.
Portugal) seit den Unruhen im April 2010 Gespräche mit dem Präsidenten
Malam Bacai Sanha und/oder anderen Regierungsvertreterinnen/Regie-
rungsvertretern oder dem neuen Generalstabschef aufgenommen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Ergebnisse/Konsequenzen haben die EU sowie die Bun-
desregierung daraus gezogen?

23. Wurde die Bundesregierung von anderen Stellen darauf hingewiesen, dass
ein Bekanntwerden von Details über die EU SSR und deren Ziele den
Erfolg der Mission gefährden oder zu Unruhe in den Streitkräften führen
könnte?

24. Sind der Bundesregierung entsprechende Warnungen und Einschüchterun-
gen gegenüber Pressevertreterinnen/Pressevertretern und Nichtregierungs-
organisationen (NGO) bekannt?

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25. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung des Observatoire
de l’Afrique zu, wonach jede wirkliche Reform des Militärs einen Verlust
an Macht und Einfluss für dieses bedeute und die Gefahr berge, dass sich
„das Misstrauen innerhalb des Militärs verschärft und das Risiko erneuter
Gewalt und regionaler Instabilität erhöht“ (www.obsafrique.eu)?

26. Genießen die 18 lokalen Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter dieselben Privilegien
(Immunität, Befreiung von Steuern und Gebühren, Schutz vor Durch-
suchungen auch beim Grenzübertritt usw.) wie die internationalen Einsatz-
kräfte?

27. Welche Personen aus welchen Staaten und Institutionen sind gegenwärtig
mit welchen Aufgaben an der EU-SSR-Mission beteiligt?

Wie viele davon sind Frauen?

28. Worin bestand die Aufgabe des zivilen Beraters, der von der Bundesregie-
rung von Juni bis November 2009 nach Guinea-Bissau entsandt wurde?

29. War dieser zivile Berater ausschließlich mit dem Budget der EU-SSR-Mis-
sion befasst?

Wenn nein, womit sonst?

30. Aus welcher Institution stammte dieser zivile Berater, und auf welcher
Rechtsgrundlage wurde er entsandt?

31. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den „weitere[n] Deut-
schen“ (Bundestagsdrucksache 17/766, zu Frage 24), der von der Mission
direkt angestellt wurde?

Welche Tätigkeit übt dieser aus, und welche Qualifikationen kann er hier-
für vorweisen?

32. Ist der Bundesregierung bekannt, ob dieser Mitarbeiter über Institutionen
wie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze vermittelt wurde, die
EU-SSR direkt an ihn herantrat oder es eine öffentliche Ausschreibung für
seine Stelle gab?

33. Unterhält die Bundesregierung regelmäßig Kontakt zu diesem Mitarbeiter,
und welcher Art ist dieser Kontakt?

34. Welche Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration
(DDR-Programme) finden nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwär-
tig in Guinea-Bissau statt?

Welcher Art ist die Zusammenarbeit der EU-SSR-Mission mit Institutio-
nen, die an den DDR-Programmen beteiligt sind?

35. Welche finanzielle Unterstützung haben die EU und die Bundesrepublik
Deutschland seit 1999 für DDR-Programme in Guinea-Bissau geleistet
(bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

36. Unterhält die EU-SSR-Mission Kontakte zum United Nations Peace-Build-
ing Support Office In Guinea-Bissau (UNOGBIS), und welcher Art sind
diese Kontakte?

37. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung im Zusammenhang mit der
Sicherheitssektorreform in Guinea-Bissau der Zusammenarbeit der EU mit
dem Regionalkommando des US-Verteidigungsministeriums „United
States Africa Command“ (Africom) bei?

38. Unterhält die EU-SSR-Mission Kontakte zur International Organization for
Migration (IOM), welcher Art sind diese Kontakte, und welchem Ziel sol-
len diese dienen?

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39. Welche Informationen und Schätzungen bezüglich der Migration aus und
über Guinea-Bissau in die EU liegen der Bundesregierung vor?

40. Inwieweit erhofft sich die Bundesregierung von einer Reform des Sicher-
heitssektors in Guinea-Bissau auch eine bessere Kontrolle der irregulären
Migration aus und über Guinea-Bissau?

41. Inwieweit sind der Bundesregierung Diskussionen im PSK über einen Ab-
bruch der EU-SSR-Mission bekannt, und welche Entwicklungen führten
dazu, einen Abbruch in Erwägungen zu ziehen?

Welche Entscheidung wurde hinsichtlich eines möglichen Abbruchs ge-
troffen, und mit welcher Begründung wurde die Entscheidung getroffen?

Berlin, den 4. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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