BT-Drucksache 17/1503

Neubesetzung des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn

Vom 23. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1503
17. Wahlperiode 23. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Thomas Lutze,
Dorothee Menzner, Cornelia Möhring, Ingrid Remmers, Sahra Wagenknecht und
der Fraktion DIE LINKE.

Neubesetzung des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn

Am 24. März 2010 hat die Bundesregierung den Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn AG teilweise neu besetzt. Neuer Vorsitzender des Aufsichtsrates ist
Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht, der Werner Müller in dieser Funktion ablöst.
Von den zehn vom Eigentümer zu besetzenden Aufsichtsratsmitgliedern sind
sechs Vertreter aus der Wirtschaft. Drei weitere Aufsichtsratsmitglieder kommen
direkt von der Bundesregierung, einer ist auch Mitglied des Deutschen Bundes-
tages.

Fünf Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE. hatten für die Fragestunde des
Deutschen Bundestages an diesem Tag insgesamt zehn Fragen eingereicht, die
der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, Enak Ferlemann, beantwortete (Plenarprotokoll 17/33).

Zur Tatsache, dass alle zehn Aufsichtsratsmitglieder, die vom Eigentümer be-
nannt wurden, erneut Männer sind (ebenso wie nun die zehn Vertreter der Arbeit-
nehmerseite), gab es einige Fragen und Nachfragen. Der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann führte aus, dass es bislang erst „eine weibliche
Mandatsträgerin auf Seiten der Anteilseigner im Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn AG“ gab (S. 3030 A). Ferner sagte er, „es wird gezielt nach Personen ge-
sucht, die aus fachlichen Gründen (…) in Frage kommen“ (S. 3030 D). Es sei
„nicht aktiv nach einer weiblichen Person Ausschau gehalten worden“ (S. 3031 C).

Zu den Fragen, warum der Bund sechs Vertreter ausschließlich aus dem Bereich
der Wirtschaft und nicht etwa aus Umwelt- und/oder Fahrgastverbänden für den
Aufsichtsrat ausgewählt habe, führte der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann aus: „Dass es sich um Vertreter von Wirtschaftsunternehmen handelt,
spielt für uns eine große Rolle, weil gerade Industrieunternehmen (…) diejenigen
sind, die im Rahmen von Güterverkehr und Logistik die Bahn nutzen, also Groß-
kunden sind und wissen, welche Probleme das Eisenbahnsystem insgesamt, sei
es Betrieb oder Infrastruktur hat. (…) Wir haben uns deshalb nicht für Vertreter von
Fahrgastverbänden und anderen Verbänden entschieden, weil wir diesen Schwer-
punkt ganz bewusst setzen wollten“ (S. 3033 B und 3033 C). Darauf, dass die
Deutsche Bahn AG vor allem ein klimaschonendes Massenverkehrsmittel für

alle Bürgerinnen und Bürger sein soll, wurde von Herrn Ferlemann nicht einge-
gangen.

Der neue Vorsitzende des Aufsichtsrates, Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht, be-
kleidet mehrere Funktionen. Auf der Internetseite der DB AG wird angegeben, er
ist „Partner One Equity Partners Europe GmbH, München“. Laut Prof. Dr. Dr.
Utz-Hellmuth Felcht handelt es sich dabei um einen „Halbtages-Job“ (Handels-
blatt vom 11. März 2010). Von OEP (One Equity Partners) werden Unternehmen

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aus dem Bereich der Containerschifffahrt (Clipper) und Unternehmen der Reise-
branche kontrolliert – so die Travel Acquisition Group, Travelport und die Carl-
son Wagon Lits Travel, die maßgeblichen Einfluss im weltweiten Management
von Geschäftsreisen haben. Carlson Wagon Lits Travel erzielte 2008 einen Um-
satz von 25 Mrd. US-Dollar und gilt als das weltweit führende Unternehmen im
Bereich des Managements von Geschäftsreisen. Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth
Felcht ist auch Mitglied im Board of Directors (non executive director) des
irischen Baustoffkonzerns CRH plc Dublin. CRH gehört zu den fünf weltweit
größten Baustoffkonzernen (90 000 Beschäftigte; 17 Mrd. Euro Jahresumsatz
2009). Er ist vor allem im weltweiten Betongeschäft führend und ist auch im
Tiefbau aktiv. Zugleich ist Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht Aufsichtsratsvor-
sitzender der Süd-Chemie AG, die seit 2007 von der Private-Equity-Gesellschaft
OEP kontrolliert wird. Diese wiederum befindet sich im Eigentum der zweit-
größten US-Bank, JP Morgan. Diese war bei früheren Großdeals der Deutschen
Bahn AG aktiv – so 2002 als Beraterin der DB AG bei der Übernahme der
Stinnes AG (mit Schenker).

Angesprochen auf Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht führte der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann aus, dass er jemand sei, der „einem Unternehmen
vorgestanden hat. Aus dieser Beziehung heraus gewinnt natürlich jemand, der
solche Managementfunktionen wahrgenommen hat, die notwendige Erfahrung
im Umgang auch mit Eisenbahninfrastruktur und mit dem Unternehmen Eisen-
bahn“ (S. 3031 D). „Gerade deshalb, weil wir Personen gesucht haben, die über
einen großen, breiten Erfahrungsschatz auf der Nutzerseite, in der Wirtschaft,
insbesondere im Bereich Güterverkehr und Logistik, verfügen, haben wir diese
Personalentscheidung so gefällt“ (S. 3034 D).

Weiterhin Mitglied des DB-AG-Aufsichtsrates ist Dr.-Ing. Dr. h. c. Jürgen Groß-
mann, Vorsitzender des Vorstandes RWE AG, Essen. Dr.-Ing. Dr. h. c. Jürgen
Großmann ist gleichzeitig Alleineigentümer der Georgsmarienhütte. Diese kon-
trolliert ein Firmengeflecht mit 52 Unternehmen. Darunter befinden sich mit der
Bochumer Verein Verkehrstechnik GmbH, mit der Radsatzfirma Ilsenburg
GmbH (RAFIL) und mit dem Unternehmen Bahntechnik Brand-Erbisdorf
GmbH maßgebliche Bahnlieferanten von Radsatzwellen und Rädern, mit der
Windhoff Bahn- und Anlagentechnik GmbH in Rheine ein Unternehmen zur
Wartung von Bahnfahrzeugen und zur Abnahme neuer Fahrzeuge respektive
Überprüfung der Betriebssicherheit von Schienenfahrzeugen (Abnahme nach
§ 32 EBO). Des Weiteren zählt zur Georgsmarienhütte mit der GMH Prüftechnik
GmbH ein Unternehmen, das Ultraschallprüfanlagen verkauft und Ultraschall-
prüfungen von Radsätzen durchführt.

Danach gefragt, ob die Bundesregierung bezüglich Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth
Felcht und Dr.-Ing. Dr. h. c. Jürgen Großmann Interessenkonflikte ausschließen
könne, führte der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann aus, dass „je-
des Mitglied in einem Aufsichtsrat zu Beginn seiner Tätigkeit eine Erklärung
nach dem Public Corporate Governance Kodex zu unterschreiben hat“ (S. 3032 A).
„Die Möglichkeit von Interessenkonflikten ist in jedem Einzelfall vom Auf-
sichtsratsmitglied selbst zu prüfen und anzuzeigen. Sollte bei einer Aufsichts-
ratsentscheidung eine Interessenkollision auftreten, so hat der Mandatsträger die
Pflicht, darauf hinzuweisen, und darf bei der Entscheidung nicht mitwirken“
(S. 3033 A und 3035 A). Auf die Nachfrage, wie oft dies bei Dr.-Ing. Dr. h. c.
Jürgen Großmann in der Vergangenheit der Fall war, er sich also seiner Stimme
enthalten habe, konnte der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann keine
Auskunft geben (S. 3035 B). „Die Bundesregierung geht von der Unabhängigkeit
von Herrn Großmann aus“ (S. 3035 A).

Eine Darstellung der Kapitalvertreter des neuen Aufsichtsrates und die Verbin-

dungen derselben zu anderen Unternehmen ist in der folgenden Grafik (junge
Welt vom 31. März 2010) dargestellt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1503

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hat die Bundesregierung keine einzige Frau in den Aufsichtsrat der
Deutschen Bahn AG entsandt, obwohl das Bundesgremienbesetzungsgesetz
sie verpflichtet, für jede vorschlagsberechtigte Stelle jeweils eine Frau und
einen Mann vorzuschlagen oder zu benennen?

2. Warum wurde „nicht aktiv nach einer weiblichen Person Ausschau gehalten“,
und in welcher Form hat die Bundesregierung ansonsten versucht, das Bun-
desgremienbesetzungsgesetz umzusetzen?

Drucksache 17/1503 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Wie kommt die Bundesregierung zu dem Urteil, dass keine einzige Frau „aus
fachlichen Gründen“ in Frage käme, obwohl „nicht aktiv nach einer weib-
lichen Person Ausschau gehalten“ wurde?

4. Welchen Nutzen sieht die Bundesregierung jeweils darin, dass der Auf-
sichtsratsvorsitzende, den sie berufen hat, zugleich in leitender bzw. verant-
wortlicher Position bei mehreren potenziellen oder tatsächlichen Geschäfts-
partnern der DB AG ist – so als

a) non executive director bei One Equity Partners Europe GmbH,

b) im Board of Directors beim Baustoffkonzern CRH plc Dublin,

c) Aufsichtsratsvorsitzender bei der Süd-Chemie AG?

5. Ist die schematische Darstellung der Verbindung von DB-AG-Aufsichtsrats-
mitgliedern mit anderen Unternehmen zutreffend?

Wenn nein, was ist warum nicht zutreffend?

Welche weiteren geschäftlichen Verbindungen der von der Eigentümerseite
benannten Aufsichtsratsmitglieder sind der Bundesregierung bekannt?

6. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie oft sich Dr.-Ing. Dr. h. c. Jürgen
Großmann bislang im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG bei möglichen
Interessenkonflikten der Stimme enthalten hat bzw. nicht an der Entschei-
dung mitgewirkt hat?

Wenn ja, wie oft, und bei welchen Entscheidungen war das der Fall?

Wenn nein, warum hat die Bundesregierung davon keine Kenntnis, obwohl
drei Vertreter der Bundesregierung Mitglied des Aufsichtsrates sind?

7. Wie oft wurden im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG in der bisherigen
Amtszeit von Dr.-Ing. Dr. h. c. Jürgen Großmann Entscheidungen über Rad-
sätze getroffen oder Beschlüsse gefasst, die in einem engeren Zusammen-
hang mit Radsätzen standen?

8. Warum hält es die Bundesregierung für ausreichend, von „der Unabhängig-
keit von Herrn Großmann“ auszugehen?

9. Warum beruft die Bundesregierung nicht solche Vertreter in den Aufsichts-
rat, bei denen Interessenkonflikte unwahrscheinlich sind, weil keine ge-
schäftlichen Interessen gegenüber der DB AG bestehen?

10. Warum vermeidet es die Bundesregierung, bei der ebenfalls zu 100 Prozent
in Bundeseigentum befindlichen KfW Bankengruppe Verwaltungsrat-
mandate an Personen zu vergeben, bei denen es vergleichbare Interessen-
konflikte zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses und pri-
vatwirtschaftlicher Interessen geben könnte?

11. Warum hat die Bundesregierung lediglich Vertreter von Unternehmen und
keine anderen „Steakholder“ (Fahrgastverbände, SPNV-Anbieter, Um-
weltverbände, Behinderten- oder Sozialverbände) in den Aufsichtsrat der
DB AG berufen?

12. Warum hat die Bundesregierung nicht zumindest eine/einen unabhängige/
unabhängigen Eisenbahnexpertin/Eisenbahnexperten in den Aufsichtsrat
berufen?

13. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Bahnkunden bzw. deren Ver-
tretungen nicht „wissen, welche Probleme das Eisenbahnsystem insgesamt
hat“?

14. Warum hat die Bundesregierung bei der Besetzung des Aufsichtsrates „ganz

bewusst“ den Schwerpunkt auf Vertreter von Wirtschaftsunternehmen
gesetzt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1503

15. Warum ist die Bundesregierung offenkundig der Auffassung, dass der Perso-
nenverkehr der Deutschen Bahn AG im Vergleich zum Güterverkehr zu ver-
nachlässigen ist?

16. Bezieht sich die Aussage des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung, Dr. Peter Ramsauer, „(i)ch erwarte von der Bahn nun absolute
Kundenorientierung“ (DER TAGESSPIEGEL vom 1. März 2010) aus-
schließlich oder in erster Linie auf den Güterverkehr?

Wenn nein, warum spiegelt sich diese Erwartung an die Kundenorientierung
auch im Personenverkehr dann nicht in der von der Bundesregierung autark
zu entscheidenden Besetzung der Eigentümervertreter des Aufsichtsrates
der Deutschen Bahn AG wieder?

17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Personennahverkehr, der
von der Deutschen Bahn AG im Auftrag der Bundesländer angeboten wird,
keiner Kontrolle im Aufsichtsrat bedarf, eben weil er von den Ländern be-
stellt wird (S. 3034 A)?

Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Bund und der Aufsichtsrat
der Deutschen Bahn AG nichts mit den Vorgängen bei der S-Bahn Berlin
GmbH zu tun haben, weil es sich dabei um von einem Bundesland bestellten
Verkehr handelt (Begründung)?

18. In welchem Vertragsverhältnis mit der Deutschen Bahn AG mit welchen Be-
zügen und welchen Aufgaben befindet sich das ehemalige Vorstandsmit-
glied der Deutschen Bahn AG, Otto Wiesheu, und würde er noch in der
Zukunft Bonuszahlungen erhalten, wenn es zu einer Teilprivatisierung der
DB AG bzw. einer Subholding der DB AG bzw. eines großen Einzelunter-
nehmens der DB AG kommen würde?

19. Ist die Medienberichterstattung zutreffend, wonach Otto Wiesheu inzwi-
schen mitverantwortlich für den Ausbau der Deutschen Bahn AG als inter-
national aktiver Konzern ist, wobei er vor allem in „Osteuropa und im Nahen
Osten aktiv“ werden (Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni 2009) solle?

20. War Otto Wiesheu bei den jüngeren internationalen Bahnaktivitäten invol-
viert – so bei den Bahninvestitionen in Polen, bei den geplanten Engage-
ments in Kuweit, in Dubai und in Großbritannien (Arriva), und wenn ja,
inwiefern?

21. In welchem Vertragsverhältnis mit der Deutschen Bahn AG mit welchen Be-
zügen und welchen Aufgaben wird ab wann das ehemalige Mitglied des
Aufsichtsrates, Georg Brunnhuber (CSU), bei der Deutschen Bahn AG be-
schäftigt, und würde er Bonuszahlungen erhalten, wenn es zu einer Teilpri-
vatisierung der DB AG bzw. einer Subholding der DB AG bzw. eines großen
Einzelunternehmens der DB AG kommen würde?

22. Wurden mit Dr. Rüdiger Grube und den anderen neuen Bahnvorständen wie
für den vorherigen Bahnvorstand bei einer erfolgreichen Teilprivatisierung
Bonizahlungen vereinbart?

Wenn ja, gilt die gleiche Bonusregelung, wie sie für den Bahnvorstand unter
Vorsitz von Hartmut Mehdorn galt?

Wie hoch wäre die Boni von Dr. Rüdiger Grube bei welchem Verkaufswert?

Wer hat die Boni für den neuen Bahnvorstand festgelegt?

Drucksache 17/1503 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

23. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der Allianz pro Schiene,
„Bonuszahlungen für Vorstandsmitglieder künftig nicht nur an die Er-
reichung betriebswirtschaftlicher Ziele zu koppeln, sondern auch an das
Verkehrswachstum auf der Schiene in Deutschland“
(www.allianz-pro-schiene.de)?

Berlin, den 26. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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