BT-Drucksache 17/14551

Umgang der Bundesregierung mit den Ergebnissen der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen

Vom 13. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14551
17. Wahlperiode 13. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Christel Humme, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann,
Sönke Rix, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Stefan Schwartze, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Umgang der Bundesregierung mit den Ergebnissen der Gesamtevaluation der
ehe- und familienbezogenen Leistungen

Seit 2009 hat die Bundesregierung die ehe- und familienpolitischen Leistungen
einer Gesamtevaluation unterzogen. Verschiedene renommierte Forschungsins-
titute und Expertinnen und Experten haben diese Evaluation durchgeführt. Zu
nennen sind beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e. V.
(DIW), das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW), das
ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität Mün-
chen e. V. und einige andere.

Am 20. Juni 2013 haben die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend Dr. Kristina Schröder und der Bundesminister der Finanzen
Dr. Wolfgang Schäuble die Ergebnisse der Gesamtevaluation der Öffentlichkeit
vorgestellt. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ) hat dazu einen „Politischen Bericht zur Gesamtevaluation der ehe-
und familienbezogenen Leistungen“ (abrufbar auf www.bmfsfj.de) veröffent-
licht und die Ergebnisse zusammengefasst.

Die Reaktionen von an der Gesamtevaluation beteiligten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern auf die Auslegung ihrer Forschungsergebnisse durch die
Bundesregierung waren sehr kritisch. So äußerte sich Marcel Fratzscher, der
Chef des DIW, wie folgt: „Die wissenschaftliche Expertise wurde ignoriert und
vom Ministerium politisiert.“ und „Bei der bisherigen Präsentation handelt es
sich um politische Propaganda – so sollte die Bundesregierung nicht mit wissen-
schaftlicher Expertise umgehen“ (Artikel „Die Fälscher“, DER SPIEGEL vom
1. Juli 2013).

Clemens Fuest, Präsident des ZEW kommentierte: „Bislang fehlt eine angemes-
sene Auseinandersetzung mit den Ergebnissen“ (zitiert im DER SPIEGEL vom
1. Juli 2013).

Prof. Dr. Reinhard Schnabel von der Universität Duisburg-Essen bemerkte: „Es

gibt offensichtlich Schlussfolgerungen, die die Politik nicht sehen will“ (Süd-
deutsche Zeitung vom 24. Juni 2013).

Und schließlich findet Bert Rürup, der ehemalige Vorsitzender des Sachverstän-
digenrats, „[…] irritierend, dass die Bundesregierung bereits die Deutungs-
hoheit über die zahlreichen, keineswegs eindeutigen Ergebnisse beansprucht“
(zitiert im DER SPIEGEL vom 1. Juli 2013).

Drucksache 17/14551 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„DER SPIEGEL“ beurteilt in seiner Ausgabe vom 1. Juli 2013 das Verfahren,
das die Bundesregierung im Umgang mit den Ergebnissen der Gesamtevaluation
gewählt hat, wie folgt: „Das Verfahren aber, das die schwarz-gelbe Koalition ge-
wählt hat, ist besonders dreist: Die Regierung verkehrt die wissenschaftlichen
Ergebnisse teils ins glatte Gegenteil“.

Diese Kommentierungen durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so-
wie Medien erwecken den Eindruck, dass die Bundesregierung Ergebnisse der
Gesamtevaluation in ihrem Sinne schön gefärbt hat und kritische Ergebnisse
ignoriert. Sie wecken erhebliche Zweifel an der Seriosität des Umgangs der
Bundesregierung mit der Gesamtevaluation.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass die Bundesregierung die beteiligten Forschungsinstitute auf-
gefordert hat, die Darstellung der Studienergebnisse zu den ehe- und fami-
lienbezogenen Leistungen zu ändern (SPIEGEL ONLINE vom 30. Juni
2013), und wenn ja, was gab dafür die Veranlassung (bitte begründen)?

2. Mussten die mit der Gesamtevaluation beauftragten Institute ihre Pressemit-
teilungen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Gesamtergebnisse
im Juni 2013 dem BMFSFJ vorlegen (DER SPIEGEL vom 1. Juli 2013)?

a) Falls ja, hat das BMFSFJ Veränderungen an diesen Pressemitteilungen
vorgenommen, und welche Veränderungen waren dies?

b) Falls ja, aus welchen Gründen hat das BMFSFJ diese Veränderungen vor-
genommen?

3. Trifft es zu, dass keine bzw. keiner der an der Gesamtevaluation beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu der Präsentation der Ergeb-
nisse durch die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder und den Bundes-
minister Dr. Wolfgang Schäuble am 20. Juni 2013 eingeladen worden ist, und
wenn ja, warum hat die Bundesregierung die Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler nicht eingeladen?

Kriterium der Wahlfreiheit

4. An welchen Kriterien sollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
die Wirksamkeit der ehe- und familienbezogenen Leistungen laut Auftrag
messen?

5. Trifft es zu, dass die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder das Kriterium
der Wahlfreiheit erst nachträglich in den Auftrag eingefügt hat (DER SPIEGEL
vom 1. Juli 2013), und falls ja, aus welchem Grund ist dies erfolgt?

6. Wie nimmt die Bundesregierung zur Berichterstattung der „die tageszeitung,
taz“ Stellung, wonach Prof. Dr. Holger Bonin vom ZEW ausgeführt hat, er
habe den Eindruck, „dass die Wahlfreiheit einfach nur beschworen wird, um
eine inkonsistente Politik zu rechtfertigen“ (Artikel „Wahlfreiheit haben wir
nicht untersucht“, die tageszeitung, taz vom 2. Juli 2013)?

Pressekonferenz vom 20. Juni 2013 und Präsentation der Ergebnisse

7. Welche Gründe haben den Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble be-
wogen, nicht das Logo des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) für die
gemeinsame Erklärung mit der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zur Verfügung zu stellen (DER SPIEGEL vom 1. Juli 2013)?

8. Ist es zutreffend, dass das BMFSFJ eine kritische Aussage zum Betreuungs-

geld aus dem Gutachten des ifo Instituts gestrichen hat (DER SPIEGEL vom
1. Juli 2013)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14551

9. Falls ja, welche Gründe haben das BMFSFJ dazu veranlasst, ein wissen-
schaftliches Gutachten inhaltlich zu verändern?

10. Wie nimmt die Bundesregierung zu der Berichterstattung des Nachrichten-
magazins „DER SPIEGEL“ in seiner Ausgabe vom 1. Juli 2013 Stellung,
wonach die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder kritische Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler unter Druck gesetzt habe?

Ehegattensplitting

11. Ist es richtig, dass das ZEW in seinem Forschungsbericht das Ehegatten-
splitting als eine Leistung bewertet, die dem Ziel der Vereinbarkeit von Be-
ruf und Familie entgegensteht, und falls ja, worauf stützt die Bundesminis-
terin Dr. Kristina Schröder ihre Aussage, das Ehegattensplitting sei eine
Leistung, die die Wahlfreiheit befördere („Politischer Bericht zur Gesamt-
evaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen“ des BMFSFJ vom
20. Juni 2013)?

12. Wie nimmt die Bundesregierung zu der Berichterstattung der „die tageszei-
tung, taz“ vom 2. Juli 2013 Stellung, in der auf die Aussage von Prof.
Dr. Holger Bonin vom ZEW Bezug genommen wird, wonach „unklar“ ist,
wie die Ergebnisse der Gesamtevaluation den Schluss von Bundesministe-
rin Dr. Kristina Schröder zuließen, das Ehegattensplitting sei ein Beitrag zur
Wahlfreiheit (Artikel „Wahlfreiheit haben wir nicht untersucht“, die tages-
zeitung, taz vom 2. Juli 2013)?

13. Ist es zutreffend, dass das DIW in seinem Gutachten: „Evaluationsmodell:
Förderung und Wohlergehen von Kindern“ zu dem Ergebnis kommt, das
Ehegattensplitting habe negative Auswirkungen auf die Förderung von
Kindern, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung aus dieser Aussage?

Ausbau der Kinderbetreuung

14. Trifft es zu, dass die Mehrheit der an der Gesamtevaluation beteiligten Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem den weiteren Ausbau der
Kinderbetreuung als eine sehr positive Maßnahme ansieht, die mit den der
Untersuchung zugrunde liegenden familienpolitischen Ziele in besondere
Maße vereinbar ist, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung daraus?

15. Ist es richtig, dass das DIW in seinem Gutachten: „Evaluationsmodell: För-
derung und Wohlergehen von Kindern“ zu dem Ergebnis kommt, dass die
Subventionierung der Kinderbetreuung – neben dem Entlastungsbetrag für
Alleinerziehende – die einzige Maßnahme ist, mit denen alle drei familien-
politischen Ziele „Förderung und Wohlergehen von Kindern“, „Vereinbar-
keit von Familie und Beruf“ und „Wirtschaftliche Stabilität der Familien“
erreicht werden, also ohne Zielkonflikte ist, und welche Schlussfolgerun-
gen zieht die Bundesregierung daraus?

16. Sind dem BMFSFJ wissenschaftliche nationale oder internationale Studien
bekannt, die einen positiven Zusammenhang zwischen staatlichen Leistun-
gen und der Kinderzahl herstellen, und wenn ja, welche sind dies?

17. Trifft es zu, dass die Studie des ZEW einen positiven Zusammenhang zwi-
schen Elterngeld und Kinderzahl bescheinigt, und welche Schlussfolgerun-
gen zieht die Bundesregierung daraus?

Drucksache 17/14551 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

18. Wie nimmt die Bundesregierung zu der Berichterstattung im „DER
SPIEGEL“ vom 1. Juli 2013 Stellung, nach der die Bundesministerin
Dr. Kristina Schröder geäußert hat, sie „kenne keine seriöse Studie“, die ei-
nen positiven Zusammenhang herstelle zwischen staatlicher Unterstützung
und Kinderzahl?

19. Trifft es zu, dass die Studie des ZEW ausführt, dass die subventionierte Kin-
derbetreuung die Zahl der Geburten messbar, und zwar um rund 5 Prozent
erhöhe (DER SPIEGEL vom 1. Juli 2013), und welche Schlussfolgerungen
zieht die Bundesregierung daraus?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung
in ihrem „Politischen Bericht“ zur Gesamtevaluation, dass die Module zum
Wohlergehen von Kindern einen positiven Zusammenhang zwischen Nut-
zung externer Kinderbetreuung und Entwicklung der Kinder belegen?

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung
in ihrem „Politischen Bericht“ zur Gesamtevaluation, dass von externer
Kinderbetreuung besonders Kinder von Alleinerziehenden, aus Familien
mit Migrationshintergrund oder aus ökonomisch belasteten Familien profi-
tieren, und wie bewertet sie in diesem Zusammenhang die Einführung des
Betreuungsgeldes?

Erhöhung Kinderfreibetrag und Kindergeld

22. Trifft es zu, dass keines der Gutachten die Erhöhung des steuerlichen Frei-
betrags für Kinder empfiehlt, so wie die CDU, CSU es in ihrem Regierungs-
programm in Aussicht stellen, und welche Schlussfolgerungen sind im Ein-
zelnen damit für die Bundesregierung verbunden?

23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung vor dem Hinter-
grund, dass es zutrifft, dass

a) die Erhöhung des steuerlichen Freibetrags für Kinder vor allem Familien
mit hohem Einkommen zugutekommt,

b) Familien mit Bezug von Leistungen des Zweiten Buches Sozialgesetz-
buch bzw. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch von der Erhöhung des
steuerlichen Freibetrags überhaupt nicht profitieren,

c) Familien mit niedrigen Einkommen ebenfalls überhaupt nicht von der
Erhöhung des steuerlichen Freibetrags für Kinder profitieren?

24. Trifft es zu, dass das ifo Institut den Effekt einer Kindergelderhöhung im
Hinblick auf die wirtschaftliche Lage der Familien als „nicht messbar“ be-
zeichnet (DER SPIEGEL vom 1. Juli 2013), und falls ja, wie ist vor diesem
Hintergrund zu erklären, dass die Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
das Kindergeld im Hinblick auf die ökonomische Lage von Familien als
„besonders wirksam“ bezeichnet („Politischer Bericht zur Gesamtevalua-
tion der ehe- und familienbezogenen Leistungen“ des BMFSFJ)?

25. Handelt es sich hierbei (siehe Frage 24) um eine Aussage, die durch die
Gutachten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestützt wird, und
falls ja, durch welche?

Zu den Ergebnissen

26. Seit wann liegen jeweils die (Teil-)Ergebnisse der Gesamtevaluation dem
BMFSFJ vor (bitte differenziert nach Expertisen auflisten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/14551

27. Wo sieht die Bundesregierung den dringendsten Handlungsbedarf, abgelei-
tet aus den Ergebnissen der Gesamtevaluation der familienpolitischen Leis-
tungen, und welche konkreten Maßnahmen will sie aus den vorgelegten Er-
gebnissen ableiten?

28. Welche Studienergebnisse sind bereits, wie vom Parlamentarischen Staats-
sekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Dr. Hermann Kues in der Fragestunde vom 26. Juni 2013 in Beantwortung
der Mündlichen Frage 11 der Abgeordneten Petra Crone mitgeteilt, aus der
Evaluation in die konkrete Politik eingeflossen (bitte nach jeweiliger Stu-
dienquelle und politischer Maßnahme und Zeitpunkt auflisten)?

29. Trifft es zu, dass sich das Gutachten „Geburten und Kinderwünsche in
Deutschland: Bestandsaufnahme, Einflussfaktoren und Datenquellen“ auch
mit den Wirkungen eines Betreuungsgeldes auseinandersetzt, und wie ist in
diesem Zusammenhang die schriftliche Antwort der Bundesregierung auf
die Mündliche Frage 9 der Abgeordneten Caren Marks aus der Fragestunde
am 26. Juni 2013 (Plenarprotokoll 17/249, Anlage 5) zu verstehen, nach der
das Betreuungsgeld nicht Gegenstand der Gesamtevaluation war?

30. Zieht die Bundesregierung aus den im Gutachten „Geburten und Kinder-
wünsche in Deutschland: Bestandsaufnahme, Einflussfaktoren und Daten-
quellen“ beschriebenen Wirkungen des Betreuungsgeldes Schlussfolge-
rungen, und wenn ja, welche?

Berlin, den 13. August 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.