BT-Drucksache 17/14514

Barrierefreiheit, Information für Reisende und Kundenfreundlichkeit im Schienenpersonenverkehr

Vom 6. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14514
17. Wahlperiode 06. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer,
Martin Burkert, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Michael Groß,
Hans-Joachim Hacker, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Barrierefreiheit, Information für Reisende und Kundenfreundlichkeit
im Schienenpersonenverkehr

Die Bundesrepublik Deutschland hat im Dezember 2008 das Übereinkommen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert, das im März
2009 in Kraft getreten ist. Die UN-Konvention für die Rechte behinderter Men-
schen weist in ihrem Artikel 9 darauf hin, dass die Herstellung einer barriere-
freien Umwelt Bedingung für eine unabhängige Lebensführung und die volle
Teilhabe an allen Aspekten des Lebens ist. Dem muss die Politik der Bundes-
regierung jetzt Rechnung tragen.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschen-
rechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede
Diskriminierung aufgrund einer Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.
Die Deutsche Bahn AG (DB AG) orientiert sich nach eigenen Angaben an den
geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. dem Behindertengleich-
stellungsgesetz (BGG), dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG),
der Technischen Spezifikation für Interoperabilität für mobilitätseingeschränkte
Reisende (TSI PRM) und der EU-Fahrgastrechteverordnung. Der Konzern be-
kennt sich ebenfalls nach eigener Darstellung zu seiner gesellschaftlichen Ver-
antwortung gegenüber den rund neun Millionen Bundesbürgern mit Behinde-
rungen, die für die DB AG eine wichtige Kunden- und Zielgruppe darstellen.
Die DB AG hat nach dem ersten Programm ab 2005 mittlerweile ein zweites
Programm vorgestellt, das bis 2015 Fahrgästen mit Handicaps eine selbst-
bestimmte Mobilität zur Nutzung der Bahnhöfe und Züge der DB AG ermög-
lichen soll.

Weitestgehende Barrierefreiheit im Bahnverkehr kommt Menschen mit dauer-
haften Behinderungen zugute, erleichtert und ermöglicht Mobilität für ältere
Personen, Familien mit Kindern und zeitweise mobilitätseingeschränkten
Menschen. Weitestgehende Barrierefreiheit und gute Fahrgastinformation die-

nen der Kundenbindung und Kundengewinnung für den Bahnverkehr ins-
gesamt.

Drucksache 17/14514 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die negativen Folgen für die barrierefreie Mobi-
lität von mobilitätseingeschränkten Reisenden der Bahn bekannt, die
sich aus den drei unterschiedlichen Standards bei den Bahnsteighöhen bei
der S-Bahn (96 cm), im deutschlandweiten Schienenpersonennahverkehr
(55 cm) und im Schienenpersonenfernverkehr (76 cm) ergeben, und unter-
stützt die Bundesregierung das Ziel, einen universellen Standard für alle
Bahnsteige in Deutschland im S-Bahn-, im Schienenpersonennah- und im
Schienenpersonenfernverkehr zu schaffen?

2. Welche Schritte plant die Bundesregierung, um die in Frage 1 unterschied-
lichen Standards zu einem Universalstandard zusammenzuführen?

3. Welche Schwierigkeiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung eine
Harmonisierung bzw. Standardisierung der Höhe der Bahnsteige beim
Nah- und Fernverkehr bisher verhindert?

4. Welche alternativen technischen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
um einen möglichst vollständigen barrierefreien Ein-, Aus- und Umstieg
aus allen Wagen und an allen Bahnsteigen, insbesondere an so genannten
Mischbahnhöfen mit Fern- und Nahverkehrszügen zu erreichen?

5. Wie sollten nach Ansicht der Bundesregierung Züge des Nah- und Fern-
verkehrs technisch konstruiert werden, um einen barrierefreien Aus-, Um-
und Einstieg an den unterschiedlich hohen Bahnsteigen gewährleisten zu
können?

6. Wie plant die Bundesregierung auf die DB AG als bundeseigenes Unter-
nehmen einzuwirken, damit die gegenwärtig noch vorhandene unter-
schiedliche Konstruktion der Wagen mit inneren Stufen, äußeren Tritten
und unterschiedlichen Spaltgrößen zwischen Waggon und Bahnsteig zu-
gunsten einer Konstruktion ersetzt werden, die den vollständigen barriere-
freien Ein-, Um- und Ausstieg an allen deutschen Bahnhöfen ermöglicht?

7. Welche Vorgaben plant die Bundesregierung für nichtbundeseigene Eisen-
bahnunternehmen, damit sie Wagen für den Bahnverkehr nutzen, die einen
vollständigen barrierefreien Ein-, Um- und Ausstieg an allen deutschen
Bahnhöfen mit der passenden Einstiegs- und Fußbodenhöhe, stufenfrei und
spaltüberbrückend ermöglichen?

8. Wie viele der in Deutschland tätigen nicht bundeseigenen Eisenbahnunter-
nehmen sind nach § 2 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)
programmpflichtig, weil sie in Deutschland Personenverkehr betreiben,
und wie viele von den programmpflichtigen Unternehmen haben ein Pro-
gramm nach § 2 EBO aufgestellt?

9. Welche Initiativen hat das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in dieser Legisla-
turperiode ergriffen, um Maßnahmen im Sinne des § 2 EBO (Anweisungs-
möglichkeit, Ausnahmemöglichkeit) zu ergreifen?

10. Wie viele Ordnungswidrigkeiten sind nach Kenntnis der Bundesregierung
seit Inkrafttreten des § 2 EBO jährlich festgestellt worden?

11. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, in der EBO verbindliche
Fristen zur Vorlage von Programmen zur Schaffung von Barrierefreiheit
bei Bahnanlagen und bei Schienenfahrzeugen vorzuschreiben?

12. Teilt die Bundesregierung die Forderung, dass in der EBO ein Verschlechte-
rungsverbot hinsichtlich vorhandener Barrierefreiheit auf Bahnhöfen ver-
ankert werden sollte, um bei baulichen Veränderungen zumindest den
bestehenden Status zu erhalten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14514

13. Unterstützt die Bundesregierung den Ansatz, Waggons mit einem beweg-
lichen Trittbrett, das sich immer auf gleicher Höhe wie der Einstiegs-
bereich befindet und Spalten zwischen Wagen und Bahnsteigfläche über-
brücken kann, auszurüsten, und plant die Bundesregierung die dafür not-
wendigen technischen Vorschriften im Rahmen der Zulassung von neuen
Waggons zu erlassen?

14. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in anderen europäischen Län-
dern ebenfalls unterschiedliche Bahnsteighöhen, die bei einem grenzüber-
schreitenden Bahnverkehr für einen barrierefreien Aus-, Um- und Einstieg
berücksichtigt werden müssen, und wenn ja, auf welche Länder trifft das
zu?

15. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung bei grenzüberschreiten-
dem Bahnverkehr zu internationalen universell geltenden Standards für die
Ausstattung der Eisenbahnwaggons zu kommen?

16. Plant die Bundesregierung auf die DB AG einzuwirken, die aktuell nach
Aussagen von Betroffenen teilweise schlechten akustischen Informationen
an Bahnsteigen der DB AG zu verbessern, und wenn ja, auf welche Art
und Weise?

17. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bei der DB AG interne Richt-
linien, die die Anwendung verschiedener Standards für die akustischen
Informationen an den Bahnhöfen nach unterschiedlichen Kriterien wie
z. B. Größe, Bedeutung oder Ähnliches vorsehen, und wenn ja, welche
Kriterien gibt es?

18. Sofern es bei der DB AG interne Richtlinien über die Anwendung ver-
schiedener Standards für akustische Informationen an den einzelnen Bahn-
höfen gibt, was ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Grund für die
Anwendung verschiedener Standards?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand,
dass die neuinstallierten dynamischen Schriftanzeiger (DAS) mit der aus-
schließlichen Anzeige von Verspätungen von Zügen und der Uhrzeit im
Regelbetrieb keinerlei Zusatznutzen zu vorhandenen Uhren bieten, den
Informationsbedürfnissen der Fahrgäste nicht umfassend entsprechen und
deshalb die Installation der DAS von Fahrgastverbänden als „verschwen-
dete Ausgabe“ bezeichnet wird?

20. Wie und bis zu welchem Zeitraum plant die Bundesregierung darauf hin-
zuwirken, dass die Displays der DAS, statt wie bisher, nicht nur über Ver-
spätungen, sondern auch über alle regulären An- und Abfahrtzeiten von
Zügen informieren, um insbesondere den Fahrgästen von mittleren und
kleinen Bahnhöfen, an denen die DAS vor allem installiert werden, zuver-
lässige umfassende Informationen bereitzustellen?

21. Wie plant die DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung zukünftig dem
Informationsbedarf per Anzeiger und Ansagen der Bahnkunden an kleine-
ren Stationen nachzukommen, wo keine Zugzielanzeiger und kein Bahn-
personal vorhanden sind?

22. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand,
dass die DB AG derzeit in zweiter Instanz gegen ein Urteil des Kölner
Verwaltungsgerichts (Az. 18 K 4907/11) vorgeht (www.derwesten.de vom
29. Juli 2013), dass die DB AG verpflichtet, auch an Kleinstationen die
Fahrgäste „aktiv zu informieren“, und damit die DB AG auch Haltestellen
mit weniger als 100 Ein- und Aussteigern pro Tag nachrüsten müsste?

Drucksache 17/14514 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Wie viele Stationen und Haltepunkte mit weniger als 100 Ein- und Aus-
stiegen pro Tag sind nach Informationen der Fragesteller vom obigen Urteil
deutschlandweit betroffen?

24. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die voraussichtlich ent-
stehenden Kosten für die DB AG für die durch das o. g. Urteil notwendig
werdende Nachrüstung?

25. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass mobilitätseingeschränkte
und nicht mobilitätseingeschränkte Fahrgäste unabhängig von der Stations-
kategorie ausreichende und umfassende Informationen bekommen, und
dass aus dem Fahrplan-Datenbestand verfügbare Informationspotenzial mit
elektronischen Anzeigeanlagen vollständig den Fahrgästen zur Verfügung
stehen?

26. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung nach einer durchgehenden
möglichst umfassenden zeitgerechten Reisendeninformation und vollstän-
dig durchgeführten Ankunfts- und Anschlussdurchsagen auf allen Bahn-
höfen, um die Kundenbindung und die Gewinnung von Neukunden für die
DB AG und die anderen nichtbundeseigenen Eisenbahnverkehrsunterneh-
men zu verbessern?

Berlin, den 6. August 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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