BT-Drucksache 17/1449

Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Bedarf an Betreuung oder Pflege kranker und älterer Familienmitglieder

Vom 21. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1449
17. Wahlperiode 21. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Crone, Franz Müntefering, Iris Gleicke, Petra Hinz
(Essen), Christel Humme, Ute Kumpf, Caren Marks, Aydan Özog˘uz, Thomas
Oppermann, Sönke Rix, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Stefan Schwartze,
Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Bedarf an Betreuung oder Pflege kranker
und älterer Familienmitglieder

In vielen Familien werden kranke und pflegebedürftige Familienangehörige be-
treut und gepflegt. Die Familienmitglieder stehen vor der großen Herausforde-
rung, Betreuung und Pflege mit dem Familien- und Berufsleben zu vereinbaren.

Aufgrund des demografischen Wandels werden die Familien kleiner, ihre Mit-
glieder werden mobiler und leben oft an unterschiedlichen Orten. Die Zahl der
betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen wird weiter ansteigen, insbeson-
dere in Relation zu den jungen Familienmitgliedern.

Die angemessene Betreuung und Pflege zuhause gelingt um so besser, je belast-
barer die Rahmenbedingungen sind. Ohne hauptamtliche qualifizierte Pflege-
dienste, die ihre Hilfe und Unterstützung direkt am Wohnort anbieten, können
die Familien ihrer Aufgabe oft kaum gerecht werden. Neben den Familien und
den professionellen Pflegediensten trägt auch bürgerschaftliches Engagement
erheblich dazu bei, die Betreuung von kranken und älteren Menschen zu unter-
stützen.

Wenn ein Familienmitglied plötzlich zum Betreuungs- oder Pflegefall wird, stel-
len sich den Angehörigen schwerwiegende Fragen. Die unmittelbaren Verwand-
ten benötigen unabhängig von ihrem Wohnort Zeit und Unterstützung, die neue
Situation im Sinne des betroffenen Menschen zu klären.

Die Betreuungs- und Pflegeaufgaben gehen bisher oft und in hohem Maße ein-
seitig zu Lasten der Frauen. Häufig sind es Frauen, die ihre Erwerbsarbeit redu-
zieren oder gar zugunsten der Pflege aufgeben. Die veränderten familiären
Strukturen und die damit verbundenen Herausforderungen für die häusliche
Pflege werden überwiegend von Frauen bewältigt. Die Konsequenzen treffen sie
in besonderer Weise im Hinblick auf die Einkommenssituation und die Alters-
sicherung.

Mit der Pflegereform, die in 2008 in Kraft getreten ist, sind Verbesserungen für

die Pflege und für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege umgesetzt worden. Es
wurde ein Pflegezeitgesetz eingeführt, das den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern einen Anspruch auf unbezahlte und sozialversicherte Freistellung von
der Arbeit bis zu sechs Monaten gewährleistet. Im akuten Fall haben Beschäf-
tigte das Recht, sich bis zu 10 Arbeitstage unbezahlt freistellen zu lassen, um für
einen nahen Angehörigen eine gute Pflege zu organisieren. Der komplette So-
zialversicherungsschutz bleibt während dieser Zeit bestehen.

Drucksache 17/1449 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Pflegeinfrastruktur wurde mit der Einführung von Pflegestützpunkten ver-
bessert, die wichtige Anlaufstellen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen
sind. Nicht alle Länder haben aber die Einrichtung von solchen Pflegestützpunk-
ten forciert.

Der alten- und behindertengerechte Umbau von Wohnungen wird mit öffent-
lichen Mitteln und Mitteln der Sozialversicherung gefördert. Die steuerlichen
Entlastungen von Privathaushalten als Auftraggeber wurden verbessert und so-
mit die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zur Betreuung und Pflege im
häuslichen Bereich erleichtert.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Bedarf an Betreuung und Pflege
kranker und älterer Familienmitglieder ist eine wichtige und dringliche politi-
sche Aufgabe.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welches Gesamtkonzept verfolgt die Bundesregierung, um das Thema
„Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Falle von Betreuung und Pflege
kranker und älterer Familienmitglieder“ umfassend aufzugreifen?

2. Von welchen Grundüberlegungen bezüglich der Rolle von Familie, der
professionellen Pflegedienste und der ehrenamtlichen Hilfsdienste im
häuslichen und ambulanten Bereich lässt sie sich dabei leiten?

3. Von welchen Grundannahmen geht die Bundesregierung hinsichtlich der
Bedürfnisse der zu pflegenden Personen aus?

4. Welche konkreten Vorschläge macht die Bundesregierung, um unmittelba-
ren Verwandten im Falle eines plötzlichen Betreuungs- und Pflegebedarfs
in der Familie eine kurzfristige angemessene berufliche Freistellung und
vor Ort eine bedarfsgerechte professionelle Beratung zu ermöglichen?

5. Inwieweit plant die Bundesregierung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern die Pflege ihrer Familienmitglieder über mehrere Jahre zu ermög-
lichen, und wie will sie dabei die notwendige Flexibilität der Arbeitgeber
sicherstellen?

6. Inwieweit plant die Bundesregierung die Beibehaltung, Weiterentwicklung
oder Abschaffung des in der 16. Legislaturperiode eingeführten Pflegezeit-
gesetzes in der 17. Legislaturperiode?

7. Inwieweit hat die Bundesregierung bei dem von der Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, Anfang März
2010 vorgestellten Pflegezeit-Vorschlag sozial- und arbeitsrechtliche Fra-
gen bereits geklärt (beispielsweise bezüglich Arbeitslosigkeit, Krankheit
oder Arbeitsplatzwechsel des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin während
der Pflegezeit, Insolvenz des Arbeitgebers u. v. m.)?

Falls sozial- und arbeitsrechtliche Fragen noch nicht geklärt sind, bis zu
welchem Zeitpunkt ist spätestens mit einer Klärung zu rechnen?

8. Welche empirischen Untersuchungen liegen dem Anfang März 2010 ge-
machten Vorschlag von Bundesministerin Dr. Kristina Schröder zugrunde?

9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die durchschnittli-
che Dauer der Pflege von Familienangehörigen vor, und inwieweit sind sie
Grundlage des Anfang März 2010 gemachten Vorschlags von Bundes-
ministerin Dr. Kristina Schröder?

10. Inwieweit plant die Bundesregierung eine dem Krankengeld bei Erkran-
kung des Kindes vergleichbare Regelung für Angehörige im Falle eines

akuten Pflegefalles in der Familie?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1449

11. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung bzw. plant sie, um Män-
ner stärker als bisher für die Übernahme von Pflege- und Betreuungsverant-
wortung im familiären Bereich zu gewinnen?

12. Welche gleichstellungspolitischen Lösungsansätze verfolgt die Bundes-
regierung, um Frauen vor den negativen Folgen der „Pflegefalle“ (z. B.
Mehrfachbelastung durch die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
oder Aufgabe der Erwerbstätigkeit zugunsten familiärer Pflege) wie Ein-
kommenseinbußen, geringere Rentenanwartschaften etc. zu schützen?

13. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass in
Familien zunehmend die Erziehung von Kindern und die Betreuung und
Pflege älterer Familienmitglieder in enger zusammenliegenden Zeitabstän-
den erfolgt, und welchen Handlungsbedarf leitet sie daraus ab?

14. Was unternimmt die Bundesregierung, um im Interesse der Betroffenen mit
Hilfe der ambulanten Palliativ- und Hospizdienste die Betreuungskompe-
tenz der Familienmitglieder generell, aber insbesondere in der letzten Le-
bensphase der Kranken, zu stärken?

15. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung in Bezug auf die zu-
nehmende Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund, die betreuungs-
und pflegebedürftig sind?

16. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zum Erhalt, zum Ausbau
und zur Weiterentwicklung der Pflegestützpunkte?

17. Welches Konzept verfolgt die Bundesregierung in Bezug auf ehrenamtliche
Netzwerke bei der Unterstützung betreuender und pflegender Familien?

18. Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenwirken mit den
Städten und Gemeinden flächendeckend ein System aufzubauen und för-
dern zu helfen, das die Betreuung und Pflege von kranken und alten Men-
schen zuhause erleichtert, das Qualität ermöglicht und so dazu beiträgt, dass
die Aufgaben zum Nutzen kranker und alter Menschen von Familienmit-
gliedern im Kontext unserer sozialstaatlichen Bedingungen sinnvoll geleis-
tet werden können?

Berlin, den 21. April 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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