BT-Drucksache 17/14448

Humanitäre Hilfe in Syrien

Vom 23. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14448
17. Wahlperiode 23. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Annette
Groth, Inge Höger, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Humanitäre Hilfe in Syrien

Die durch den syrischen Bürgerkrieg ausgelöste humanitäre Katastrophe nimmt
immer größere Ausmaße an. Geschätzte fünf Millionen Menschen, knapp ein
Viertel der Bevölkerung, befindet sich auf der Flucht, ein Drittel gilt als not-
leidend und bedarf der Hilfe mit medizinischen Gütern, Lebensmitteln oder
Kleidung. Das Gesundheitssystem, welches vor Ausbruch des gewalttätigen
Konflikts 2011 gut funktionierte, ist zusammengebrochen. Während Syrien bis
2011 zum größten Teil Selbstversorger mit landwirtschaftlichen Produkten und
Nahrungsmitteln war, ist die Bevölkerung Syriens dringend auf Nothilfe an-
gewiesen. Die humanitäre Hilfe sollte unabhängig von der ethnischen, sozialen
und religiösen Herkunft sowie der politischen Zugehörigkeit allen Menschen in
Syrien ohne Einschränkungen zur Verfügung stehen.

Heute liegt die Anzahl der im syrischen Grenzgebiet tätigen Organisationen
bei 15, darunter Save the Children, CARE, das Internationale Rote Kreuz (IRK)
und die Deutsche Welthungerhilfe e. V. Die Sicherheitslage ist aufgrund der
Kämpfe, Überfälle auf Transporte und dutzende Checkpoints sehr instabil. Laut
Nothilfe-Koordinatorin Birgit Zeitler von der Welthungerhilfe verlassen sich
die Hilfsorganisationen darum auf die Warnhinweise der syrischen Partnerinnen
und Partner (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, „Im rechtsfreien Raum“
vom 5. Mai 2013). Präsident Bashar al Assad hat in den letzten Monaten mehr-
mals zugesichert, die humanitäre Hilfe nicht behindern zu wollen und Erleichte-
rungen für die Arbeit des IRK und des Roten Halbmonds in Aussicht gestellt.

Der Großteil der Nothilfe wird vom Auswärtigen Amt – bisher 22 Mio. Euro –
finanziert, das die Hilfswerke laut einem Bericht in der „FAZ“ (siehe oben) seit
Spätsommer 2012 in mehreren Sitzungen des gemeinsamen Koordinierungs-
gremiums gebeten hat, in den Gebieten der Freien Syrischen Armee (FSA) tätig
zu werden. Die Hilfswerke und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
ohne Genehmigung der syrischen Regierung agieren, verstoßen mit jedem
Transport über die Grenze gegen die syrische Souveränität, was ihren Zugang
zu nicht von den Rebellen kontrollierten Gebieten erheblich erschwert. Auf-
grund der gerade in den von Rebellen kontrollierten Gebieten katastrophalen Si-
cherheitslage werden die Hilfsgüter zum großen Teil nicht von den Hilfsorgani-

sationen selbst verteilt, sondern oft direkt an der Grenze syrischen Gruppen
übergeben, welche die Verteilung organisieren.

Die Haltung der Bundesregierung, die humanitäre Nothilfe auch gegen den
Willen der syrischen Regierung durchzusetzen, setzt die Helferinnen und Helfer
der Hilfswerke der Willkür der kriegerischen Auseinandersetzung aus, wie
zuletzt mit den drei Mitarbeitern der Nichtregierungsorganisation (NGO)

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„Grünhelme“ geschehen. Diese sind am 15. Mai 2013 entführt worden, zwei
sind seit dem 4. Juli 2013 wieder frei, der Verbleib des Dritten ist noch unklar.

Die Bundesregierung betreibt in Syrien eine Politik der Destabilisierung und
des Regime Change. Der Sturz der syrischen Regierung ist auch das formulierte
Ziel der „Freundesgruppe des syrischen Volkes“. In diesem Sinne wurde im
Februar 2012 die Arbeitsgruppe „Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwick-
lung“ vom Auswärtigen Amt gegründet. Seit Januar 2013 ist ein Mitarbeiter der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im
türkischen Gaziantep stationiert, der mit den Partnerinnen und Partnern vor Ort
zusammen die Hilfe koordiniert.

Laut einem Bericht ist das GIZ-Büro neben dem Wiederaufbau von Kranken-
häusern, Schulen und der Wasserversorgung auch für die Vernetzung der
lokalen Ebene mit der Oppositionsführung zuständig, damit die als zersplittert
geltende Opposition mit der Strategie „win hearts and minds“ an Ansehen ge-
winnt (German Foreign Policy, „Im Rebellengebiet“ vom 23. Mai 2013). Somit
wird der Regime Change von der Bundesregierung mit dem Mittel der humani-
tären Hilfe aktiv verfolgt. Hochrangige Außenpolitiker westlicher Staaten
haben auch eine mögliche unmittelbare militärische Intervention von einer
Einigung der Opposition abhängig gemacht, die auch im Zuge der „humanitä-
ren Hilfe“ forciert wird.

Entscheidend ist bei diesen Hilfsmaßnahmen, dass sie dezidiert in die von Auf-
ständischen kontrollierten Gebiete fließen und somit auch parteilichen politi-
schen Zwecken dienen, während nur ein kleiner Anteil der Hilfsorganisationen,
wie nach Informationen der Fragesteller MISEREOR oder das IRK, mit dem
Assad-Regime zusammenarbeiten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Projekte werden von der Bundesregierung zu und in Syrien finan-
ziert oder gefördert (bitte nach Ort und Budget auflisten)?

2. Welche Aufgaben hat die Bundesregierung innerhalb der „Freundesgruppe
des syrischen Volkes“ übernommen?

3. Was sind genau die Aktivitäten der „Arbeitsgruppe wirtschaftlicher Wieder-
aufbau und Entwicklung in Syrien“, die von Deutschland geleitet wird
(bitte nach einzelnen Aktivitäten auflisten)?

4. Welche Projekte wurden von der „Arbeitsgruppe wirtschaftlicher Wieder-
aufbau und Entwicklung“ in welcher Höhe bisher finanziert (bitte auflisten)?

5. Welche Ministerien und welche Ressorts sind an der Umsetzung beteiligt?

6. Wie erfolgt die Arbeitsteilung innerhalb der beteiligten Ressorts und der
GIZ?

7. Sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung oder Durchfüh-
rungsorganisationen, wie z. B. der GIZ, in diesen Projekten tätig?

Wenn ja, aus welchen Abteilungen, und mit welchem Auftrag?

8. Welche durch die Bundesregierung finanzierten Hilfsgüter wurden in wel-
chem Umfang nach Kenntnis der Bundesregierung zum Transport und zur
Verteilung an welche bewaffneten und unbewaffneten Gruppen in Syrien
weitergegeben, und wie hoch ist der Anteil an Hilfsgütern, die nachweislich
von den humanitären Organisationen selbst oder lokalen Organisationen, die
in keinem Zusammenhang mit bewaffneten Gruppen stehen, verteilt?

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9. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, ob bei der Unterstützung der
syrischen Opposition finanzielle Mittel ausgegeben wurden, die für den
Ankauf von Waffen benutzt wurden oder benutzt werden könnten, ins-
besondere bevor am 31. Mai 2013 das EU-Waffenembargo auslief?

10. Trifft es zu, dass Deutschland die Nationale Koalition auch unterstützt,
indem sie gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten deren
Büros in Kairo und Istanbul finanziert und dort auch deutsche Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter beschäftigt?

11. Wie funktioniert der Treuhandfonds, den die Bundesregierung gemeinsam
mit den Vereinigten Arabischen Emiraten organisiert und finanziert?

12. Welche Gelder wurden bisher von welchen Staaten und Akteuren in den
Treuhandfonds einbezahlt (bitte auflisten)?

13. Welche Projekte wurden von dem Treuhandfonds bisher in welcher Höhe
bezahlt (bitte auflisten)?

14. Welche Maßnahmen wurden innerhalb der „Freundesgruppe des syrischen
Volkes“ unternommen, um das EU-Waffenembargo umzusetzen?

15. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung seit Auslaufen
des Waffenembargos, um andere europäische Regierungen davon abzu-
halten, Waffen nach Syrien zu liefern und damit die Gewalt „anzuheizen“?

16. Wie gewährleistet die Bundesregierung die Kontrolle der eingesetzten
Gelder, um auszuschließen, dass diese direkt oder indirekt für den Kauf von
Waffen verwendet werden?

17. Nach welchen Kriterien erfolgt die Mittelvergabe (bitte detailliert er-
läutern)?

18. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass die Arbeit der inter-
nationalen Hilfswerke vor Ort nach Auffassung der Fragesteller gegen die
völkerrechtliche Verpflichtung zur politischen Neutralität verstößt?

19. Wer sind die Partnerinnen und Partner vor Ort, mit denen die Hilfswerke
kooperieren, wenn dezidiert nicht mit dem Assad-Regime zusammen-
gearbeitet wird?

20. Nach welchen Kriterien werden die Partnerinnen und Partner vor Ort aus-
gesucht?

Welche Rolle spielt dabei ihre Nähe zu bewaffneten Gruppen?

21. Wie wird gewährleistet, dass es sich bei den Partnerinnen und Partnern
nicht um gewalttätige Rebellen handelt, die ihrerseits für Menschen-
rechtsverbrechen verantwortlich sind?

22. Wie kann die Bundesregierung sicher stellen, dass die Hilfsgelder nicht
denjenigen Gruppen zugute kommen, die Verletzungen und Verstöße gegen
das humanitäre Völkerrecht zu verantworten haben, die von allen Seiten
begangen werden?

23. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass sie mit dem von ihr finanziell
unterstützten GIZ-Büro für den Wiederaufbau nach Auffassung der Frage-
steller möglicherweise auch die Vernetzung der Opposition vor Ort unter-
stützt?

24. Wie läuft die Vernetzung der Opposition über das GIZ-Büro konkret ab?

Drucksache 17/14448 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
25. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass mit der nach Auffassung
der Fragesteller erfolgten Aufgabe der Neutralität der Hilfswerke durch die
oben beschriebene Art und Weise der Hilfslieferungen deren Arbeit poli-
tisch instrumentalisiert wird und somit die Helferinnen und Helfer vor Ort
zusätzlich gefährdet werden?

26. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Zusagen von Syriens Präsident Bashar al Assad, die humanitäre
Hilfe in Syrien nicht zu behindern?

27. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus dem Vorgehen von Hilfsorganisationen wie MISEREOR und
DRK, die nach Auffassung der Fragesteller aus Syrien heraus durchaus ef-
fektiv agieren und viele Menschen erreichen können?

28. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit mehr humanitäre
Hilfe aus Syrien heraus abgewickelt wird, wenn dadurch mehr notleidende
Menschen erreicht werden können?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung die humanitäre Wirkung der Mittel der
Hilfsorganisationen MISEREOR und DRK, welche nach Informationen der
Fragesteller auch mit dem Assad-Regime zusammenarbeiten im Vergleich
zu den Mitteln der humanitären Hilfe, die an die Rebellen fließen?

30. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Entführung der drei
deutschen Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Grünhelme“?

31. Spielten in den Verhandlungen des Auswärtigen Amts zur Freilassung der
drei deutschen Mitarbeiter die Äußerungen des Gründers und Vorsitzenden
der Organisation „Grünhelme“ gegenüber internationalen Medien eine
Rolle, in denen er etwa von der „Notwendigkeit der militärischen Befreiung
des Landes“ sprach (vgl. Deutschlandfunk vom 8. Februar 2013), und wie
vertragen sich solche Aussagen nach Auffassung der Bundesregierung mit
dem Neutralitätsgebot Humanitärer Hilfe?

32. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Freilassung von
zwei der drei entführten Mitarbeiter und dem noch entführten dritten Mit-
arbeiter?

33. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Rebellengruppen direkt oder
indirekt an der Entführung der drei Mitarbeiter der „Grünhelme“ beteiligt
sind?

Berlin, den 23. Juli 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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