BT-Drucksache 17/14308

Reisebewegungen und Radikalisierungen syrischer Kämpfer

Vom 28. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14308
17. Wahlperiode 28. 06. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich, Annette Groth,
Inge Höger, Harald Koch, Niema Movassat, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Reisebewegungen und Radikalisierungen syrischer Kämpfer

Der Bürgerkrieg in Syrien entfaltet offenbar eine zunehmende Attraktivität für
Anhänger djihadistischer Strömungen auch in der Europäischen Union (EU).
Angaben des Bundesministers des Innern zufolge sind bisher rund 60 Menschen
aus Deutschland nach Syrien gereist, um sich den Kämpfen auf Seiten der
Rebellen anzuschließen. Dort würden sie im Umgang mit Waffen ausgebildet
und ideologisch weiter radikalisiert. Der Bundesminister des Innern bezeichnet
diese Männer bei ihrer Rückkehr als „tickende Zeitbomben“ und erklärt es für
notwendig, mehr Informationen über ihre Reisebewegungen zu erhalten (WELT
am SONNTAG, 16. Juni 2013).

Die Problematik war auch Gegenstand der Beratungen der Justiz- und Innen-
minister der Europäischen Union Anfang Juni 2013. Der Anti-Terror-Koordina-
tor der EU hat einen Katalog mit Vorschlägen vorgestellt, um solche Reisen
zwecks Teilnahme an den Kämpfen zu verhindern.

Zu den besprochenen Maßnahmen gehören Verwaltungsakte wie etwa der Ein-
zug von Reisepässen oder Ausreiseuntersagungen, aber auch ein verstärkter In-
formationsaustausch der Polizeien und der Geheimdienste. Auch die Forderung
nach der Einführung einer automatischen Fluggastdatenübermittlung (Passenger
Name Record – PNR) an die Sicherheitsbehörden bei Flugreisen aus der oder in
die EU wird erneut diskutiert. Außerdem sollen Europol, Eurojust und Frontex
einbezogen werden.

Die Fragesteller haben bereits in der Vergangenheit mehrfach kritisiert, dass auf
der Basis behaupteter, aber nicht näher erläuterter, unbewiesener Sicherheits-
bedrohungen Grundrechte eingeschränkt werden.

Aus Sicht der Fragesteller tragen die EU-Regierenden selbst dazu bei, die Moti-
vation von Islamisten zu erhöhen, sich djihadistischen Milizen anzuschließen.
Denn die EU ergreift im bewaffneten Konflikt zwischen dem Baath-Regime und
den unterschiedlichen Rebellengruppen einseitig Partei gegen den Präsidenten
von Syrien Bashar al-Assad, was auf die islamistische Szene ermutigend wirkt.
Sofern ein Problem mit radikalisierten, militanten Rückkehrern tatsächlich exis-
tiert, wäre dies jedenfalls teilweise ein hausgemachtes.
Vor diesem Hintergrund berichtete die Tagesschau auch über ein Treffen des
Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, mit dem
syrischen Geheimdienst (www.tagesschau.de). Laut Bericht des ARD-Studios
in Amman sei Gerhard Schindler in der ersten Maiwoche in der syrischen
Hauptstadt Damaskus zu Gast gewesen, in Begleitung des Leiters der Abteilung
TE, zuständig für die Abwehr internationalen Terrorismus. Aus Damaskus habe
der ARD-Korrespondent in Amman erfahren, dass das Ziel des Besuchs die

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Wiederaufnahme der Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten beider
Länder gewesen sei, um „die Erkenntnisse der syrischen Kollegen zu nutzen“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang aus
Deutschland sowie aus anderen EU-Staaten zwecks Teilnahme am Bürger-
krieg auf Seiten der Rebellen nach Syrien gereist (im Folgenden bitte die
Kenntnisse zu Deutschland einerseits und der Gesamtheit der EU-Staaten
andererseits getrennt darstellen)?

2. Wie lange ist nach Kenntnis der Bundesregierung im Schnitt die durch-
schnittliche Aufenthaltsdauer?

3. Wie viele dieser Personen halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung
gegenwärtig in Syrien auf?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Staatsbürgerschaft,
die Motivation, die soziale Stellung und die politische Orientierung dieser
Personen?

Wie viele dieser Personen gehören nach Kenntnis der Bundesregierung
welchen djihadistischen Gruppierungen an (bitte soweit möglich vollstän-
dig aufführen?)

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die konkreten Tätigkei-
ten dieser Personen in Syrien, insbesondere über ihre Verwendung als be-
waffnete Kämpfer oder (unbewaffnete) Helfer?

Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob sich die Kämpfer an Verstö-
ßen gegen das humanitäre Völkerrecht beteiligt haben?

6. Wie viele dieser Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang
bei Kämpfen in Syrien getötet worden oder in Gefangenschaft geraten, und
sind hierunter auch deutsche Staatsbürger?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, welchen Gruppie-
rungen sich diese Personen bevorzugt anschließen (bitte möglichst kurz das
politisch-ideologische Programm dieser Gruppierungen benennen)?

8. Wie viele der freiwilligen Kämpfer haben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung vor Beginn ihrer Teilnahme am Kampf eine militärische Ausbildung
erhalten?

Wo und in welchen Ländern fand nach Kenntnis der Bundesregierung diese
Ausbildung statt?

Wer leitete sie?

Wie lange dauert diese, und welche Fähigkeiten werden dabei vermittelt?

9. Begründet der Besuch von Ausbildungseinrichtungen der in Syrien aktiven
bewaffneten Gruppierungen zum Erwerb militärischer Kenntnisse („Terror-
camp“) nach Auffassung der Bundesregierung den Anfangsverdacht einer
Straftat gemäß § 89a des Strafgesetzbuches – StGB (bitte begründen), und wie
viele Ermittlungsverfahren gegen Rückkehrer aus Syrien hat es nach Kennt-
nis der Bundesregierung diesbezüglich bereits gegeben?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung dahingehend, welche anderen
EU-Staaten den Besuch solcher Ausbildungseinrichtungen als Straftaten
werten und auch tatsächlich in Verfolgung bringen?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Bemühungen zur Re-
krutierung freiwilliger Kämpfer in Deutschland, und wie gehen die Sicher-

heitsbehörden dagegen vor?

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Hat es im Zusammenhang mit solchen Rekrutierungen nach Kenntnis der
Bundesregierung bereits Verfahren nach §§ 129b oder 89b StGB gegeben,
und wenn ja, wie viele?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Geldsammlungen in
Deutschland zugunsten in Syrien aktiver bewaffneter Gruppierungen?

a) Wer veranstaltete nach Kenntnis der Bundesregierung diese Geldsamm-
lungen?

b) Wann und wo wurden welche Summen gesammelt?

c) Auf welche Weise wurden diese Gelder an die jeweiligen bewaffneten
Gruppierungen transferiert?

d) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Aufrufe in Moscheen
in Deutschland zur finanziellen oder personellen Unterstützung der in
Syrien kämpfenden Gruppen?

e) Inwiefern und in welchen Fällen fällt das Sammeln von Spenden bzw.
die Transferierung von Geldern an in Syrien kämpfende bewaffneten
Gruppierungen unter die Strafrechtstatbestände der §§ 129b und 89a
StGB?

In wie vielen und welchen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in der Bundesrepublik Deutschland Ermittlungsverfahren aufgrund
welcher Strafrechtstatbestände gegen wie viele Verdächtige aufgrund von
Spendensammelns oder Geldtransferierens an in Syrien kämpfende Grup-
pierungen eingeleitet, und mit welchem Ergebnis?

13. Inwiefern kommen nach Einschätzung der Bundesregierung neben den
§§ 89a und 129b StGB noch andere Rechtsvorschriften in Betracht, um ge-
gen Kämpfer, Anwerber, Unterstützer bzw. Rückkehrer zu ermitteln, und
inwiefern werden diese Möglichkeiten derzeit tatsächlich umgesetzt?

14. Inwieweit gab es von Seiten der syrischen Regierung Ersuchen an die Bun-
desregierung, die Anwerbung, Ausreise oder Ausrüstung von Kämpfern zu
verhindern, die sich den in Syrien kämpfenden bewaffneten Gruppierungen
anschließen wollen, und wie reagierte die Bundesregierung auf solche Bit-
ten?

15. Welche konkreten Kenntnisse hat die Bundesregierung zu Inhalt und Um-
fang der ideologischen Radikalisierung der Kämpfer, und welche konkreten
Anhaltspunkte hat sie für ihre Einschätzung, dass diese bei ihrer Rückkehr
ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen?

Welcher Indikatoren bedient sie sich dabei?

16. Welche Möglichkeiten gibt es im bestehenden deutschen Recht, solche
Ausreisen zu unterbinden (bitte Rechtsgrundlage und zuständige Behörde
angeben und nach deutschen Staatsbürgern, Unionsbürgern und Bürgern
von Drittstaaten unterscheiden)?

17. Welche dieser Möglichkeiten werden nach Kenntnis der Bundesregierung
in Deutschland gegenwärtig in welchem Umfang umgesetzt, und welche
weiteren Maßnahmen sollen in Zukunft ergriffen werden (bitte jeweils die
Rechtsgrundlage angeben)?

Inwieweit steht die Bundesregierung mit Ländern und Kommunen im Ge-
spräch, um die Möglichkeiten auszuschöpfen, und welche Schlussfolgerun-
gen zieht sie aus deren bisherigen Verhalten?

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18. Welche Möglichkeiten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den
anderen EU-Staaten, Ausreisen zu unterbinden, und inwiefern werden diese
nach Kenntnis der Bundesregierung umgesetzt (nach Möglichkeit für die
jeweiligen EU-Länder einzeln angeben)?

19. Wie schätzt die Bundesregierung bislang den Erfolg der in Frage 17 ge-
nannten Maßnahmen ein, welche Defizite sieht sie hierbei?

20. Welche weiteren konkreten Vorschläge (bitte nach Möglichkeit angeben,
wer diese formuliert hat) werden derzeit auf nationaler Ebene, auf Ebene
der EU und auf internationaler Ebene debattiert, um auf das Problem zu re-
agieren, und welche Position hat die Bundesregierung jeweils zu diesen
Vorschlägen?

21. Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, Rückkehrer zu identifizie-
ren, und wie schätzt sie den Erfolg dieser Möglichkeiten ein?

22. Wie will die Bundesregierung und wie wollen die EU-Staaten mehr Infor-
mationen über ausreisende bzw. zurückkehrende Kämpfer erlangen?

23. Welche Bedeutung hat das Thema bisher für die deutschen Sicherheitsbe-
hörden?

a) Welche deutschen Sicherheitsbehörden beschäftigen sich mit dem Thema?

b) Inwiefern wird es im Rahmen des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzen-
trums (GTAZ) besprochen, und welche Schlussfolgerungen ergaben sich
dabei bislang?

24. Inwiefern ist in diesem Zusammenhang ein verstärkter Informationsaus-
tausch der europäischen Geheimdienste vorgesehen, und welche Maßnah-
men sind dazu vorgesehen?

25. Welche Rolle soll nach Kenntnis und Einschätzung der Bundesregierung
die verstärkte Überwachung insbesondere sozialer Medien einnehmen, um
Islamisten an der Ausreise nach Syrien zu hindern, und inwiefern erfolgt
eine solche verstärkte Kontrolle bereits?

26. Inwiefern erwägen die Bundesregierung und nach Kenntnis der Bundesre-
gierung die anderen EU-Staaten, diesbezüglich Kontakt mit Internetfirmen
(Google, Amazon, Apple usw.) aufzunehmen, und mit welchem konkreten
Anliegen?

27. Welche Bemühungen ergreifen die Bundesregierung und nach Kenntnis der
Bundesregierung die anderen EU-Staaten, um Reisen nach Syrien zur Teil-
nahme an den Kämpfen politisch oder moralisch zu delegitimieren, und wie
schätzt die Bundesregierung bislang den Erfolg dieser Maßnahmen ein?

28. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über allfällige Reisebewegungen
zwecks Teilnahme an den Kämpfen auf Seiten regierungstreuer Truppen oder
solche, die die Regierung unterstützen?

29. Gilt das Bemühen, Personen an der Ausreise zwecks Teilnahme an den
Kämpfen zu hindern, nach Kenntnis der Bundesregierung auch gegenüber
solchen, die sich nichtislamistischen Gruppierungen oder regierungstreuen
Verbänden anschließen wollen (bitte begründen)?

30. Welche Kooperation ist mit Drittstaaten vorgesehen, um Ausreisen zu er-
schweren oder Rückkehrer zu identifizieren?

31. Hat die Bundesregierung im Vorfeld der taktischen Eurojust-Sitzung im
Juni 2013 einen Fragebogen von Eurojust erhalten, und wenn ja,

a) welche Fragen enthielt dieser, und
b) wie hat die Bundesregierung ihn beantwortet?

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32. Was können nach Einschätzung der Bundesregierung die besonderen Bei-
träge von Eurojust, Europol und Frontex zur Bearbeitung der genannten
Problematik sein, inwiefern erfolgen solche Beiträge bereits, und inwiefern
sollen sie in Zukunft erbracht werden?

33. Was hat die Bundesregierung unternommen, um den Wahrheitsgehalt von
Zeitungsberichten (etwa Schwäbisches Tagblatt, 11. Mai 2013) zu überprü-
fen, inwiefern ein Reservist der Bundeswehr aus Pfullingen tatsächlich als
Kommandeur der Freien Syrischen Armee tätig ist?

a) Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Bundesanwaltschaft
tätig geworden, um die Meldungen zu überprüfen, und insbesondere einem
Verdacht auf Straftaten nachzugehen?

b) Falls die Bundesregierung keine Bemühungen unternimmt, den Wahrheits-
gehalt zu ermitteln, warum nicht, wo es doch darum gehen könnte, dass ein
deutscher Staatsbürger teilweise von Deutschland aus an Handlungen be-
teiligt ist bzw. diese anstiftet, die zumindest einen Anfangsverdacht auf
Straftaten begründen können?

Sollten diese Berichte zutreffen, wird die Bundesanwaltschaft dem Ver-
dacht auf Straftaten nachgehen, und wenn nein, warum nicht?

34. Trifft es zu, dass der BND-Präsident Gerhard Schindler im Mai 2013 zu
Gesprächen mit syrischen Geheimdienstmitarbeitern und Politikern in Da-
maskus war (WDR 5, 27. Mai 2013), und wenn ja,

a) wer waren seine Gesprächspartner (bitte Namen und Funktion angeben),

b) was war Zweck der Reise,

c) was war der Inhalt der Gespräche,

d) welche Vereinbarungen wurden getroffen, und

e) wurden Folgetreffen vereinbart (bitte ggf. erläutern)?

Wenn nein,

a) wann wurde die Zusammenarbeit mit den syrischen Geheimdiensten been-
det,

b) wann und wo haben Vertreter des BND das letzte Mal Gespräche mit Ver-
tretern des syrischen Regimes geführt, und

c) was war Inhalt dieser Gespräche?

35. Unterhält die Bundesregierung derzeit anderweitige Kontakte zu Vertretern
der syrischen Regierung, und wenn ja

a) auf welcher Ebene werden diese Kontakte unterhalten,

b) wie regelmäßig finden Gespräche statt, und wer ist daran beteiligt, und

c) werden in diesen Gesprächen auch Informationen zu möglichen Dschi-
hadisten mit Wohnsitz in Deutschland ausgetauscht?

Berlin, den 28. Juni 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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