BT-Drucksache 17/14138

U3-Rechtsanspruch sichern - Qualität verbessern und auf Betreuungsgeld verzichten

Vom 25. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14138
17. Wahlperiode 25. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Kerstin Griese, Petra Hinz (Essen),
Christel Humme, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Franz Müntefering,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Sönke Rix, Marlene Rupprecht
(Tuchenbach), Stefan Schwartze, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

U3-Rechtsanspruch sichern – Qualität verbessern und auf Betreuungsgeld
verzichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

U3-Rechtsanspruch sichern, bedarfsdeckendes Angebot schaffen

Der Rechtsanspruch auf Förderung eines Kindes in einer Kindertageseinrich-
tung oder in Kindertagespflege tritt am 1. August 2013 in Kraft. Dann werden
Kinder mit Vollendung des ersten Lebensjahres nach § 24 Absatz 2 des Achten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) einen individuellen Rechtsanspruch
haben. Dieser trägt erheblich dazu bei, Kinder besser zu fördern und die Verein-
barkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Er ist ein wichtiger Baustein für
eine gelingende Integration, für Armutsprävention und Förderung der Chancen-
gleichheit. Es geht darum, kein Kind zurückzulassen. Die Umsetzung des
Rechtsanspruchs markiert daher einen wichtigen familien- und kinderpoliti-
schen Meilenstein.

Der Ausbau der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung insbeson-
dere für Kinder unter drei Jahren ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die
weiter vorangebracht werden muss. Ein wichtiges Ziel ist dabei die Schaffung
eines bedarfsdeckenden, qualitativ hochwertigen und inklusiven Angebots in
Kitas und in Kindertagespflege.

Bund, Länder und Kommunen haben in den vergangenen Jahren Erhebliches
geleistet, um den Ausbau der frühkindlichen Bildung zu forcieren und den
Rechtsanspruch zu erfüllen. Der Rechtsanspruch sowie die finanzielle Unter-
stützung durch den Bund und die Anstrengungen in den Ländern und Kommu-
nen sowie der Träger und Einrichtungen haben diesem Ausbau einen gewalti-
gen Schub verliehen. So ist es gelungen, Hunderttausende neuer Plätze zu
schaffen und zusätzliches Personal in Kindertageseinrichtungen und in Kinder-
tagespflege einzustellen.
Dennoch muss noch eine erhebliche Anzahl an Plätzen in Kitas und in Kinder-
tagespflege geschaffen werden, um bestehende Bedarfe zu decken. Viele Kom-
munen und auch Länder sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, weil der Bedarf
insbesondere in den Ballungsräumen höher als bisher angenommen ist und weil
es Hürden beim Ausbau zu überwinden gilt. Beispielsweise führt fehlendes
Fachpersonal in einigen Regionen dazu, dass Kitagruppen nicht eingerichtet

Drucksache 17/14138 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

werden können. In Ballungszentren, wo die Nachfrage nach Plätzen oftmals be-
sonders hoch ist, fehlen zum Teil geeignete Liegenschaften und Immobilien.
Der Ausbau gestaltet sich in Städten und Gemeinden mit angespannter kommu-
naler Haushaltslage oftmals besonders schwierig.

Qualität sichern und verbessern

Aber es geht nicht nur darum, die Zahl der Plätze zu erhöhen. Neben dem rein
quantitativen Ausbau von Kitas und Tagespflege stehen insbesondere Kommu-
nen und Träger vor der Herausforderung, Qualität zu sichern und weiter zu ver-
bessern. In allen Ländern wurden zwar Bildungsprogramme und Bildungspläne
entwickelt und eingeführt. Doch macht beispielsweise der Forschungsbericht
von Prof. Dr. Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz „Schlüssel zu guter
Bildung, Erziehung und Betreuung“ aus dem Jahr 2012 deutlich, dass es zu-
sätzlicher Anstrengungen bedarf, um die Rahmenbedingungen für Qualitäts-
sicherung und -entwicklung weiter zu verbessern.

Qualitätsmerkmale in Einrichtungen sind unter anderem der Erzieher-Kind-
Schlüssel, die Gruppengröße, die Ausbildung und Qualifikation des Personals
sowie die Bezahlung. Wichtig ist zudem, dass pädagogische Kräfte Zeit für die
pädagogische Arbeit haben, um das Wohlergehen von Kindern individuell för-
dern und eine Bindung zu ihnen aufbauen zu können. Zeit brauchen sie auch
zur Elternarbeit sowie zu Fort- und Weiterbildungen.

Zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität bedarf es entsprechender
finanzieller und struktureller Rahmenbedingungen. Da die Anforderungen an
den Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung hoch sind und großer
Handlungsbedarf besteht, hat die SPD-Bundestagsfraktion wiederholt die Bun-
desregierung aufgefordert, einen neuen „Krippengipfel“ einzuberufen, um in
einer gemeinsamen nationalen Kraftanstrengung gemeinsam mit Ländern und
Kommunen verbindliche Ziele und Maßnahmen zum quantitativen und qualita-
tiven Ausbau festzulegen sowie für die fristgerechte Umsetzung des Rechtsan-
spruchs zu sorgen. Bis heute hat die zuständige Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend keine entsprechende Initiative ergriffen. Wert-
volle Zeit zum Handeln ist verstrichen.

Auf Betreuungsgeld verzichten

Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben in dieser Legislaturperiode ein
Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Bundestagsdrucksache 17/9917)
auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz tritt – ebenso wie der Rechtsanspruch –
voraussichtlich zum 1. August 2013 in Kraft, falls der Deutsche Bundestag
nicht das Gesetz des Bundesrats zur Aufhebung des Betreuungsgeldes (Bun-
destagsdrucksache 17/13112) verabschiedet und somit die Einführung des Be-
treuungsgeldes noch stoppen sollte.

Wird zum 1. August 2013 das Betreuungsgeld tatsächlich eingeführt, wird ein
finanzieller Anreiz für Eltern geschaffen, auf ein staatlich gefördertes Angebot
für ihr Kind zu verzichten. Wie verschiedene Berichte und Untersuchungen zei-
gen, birgt das Betreuungsgeld die Gefahr, die Bildungsbeteiligung von Kindern
und die Erwerbstätigkeit von Eltern – insbesondere von Frauen – zu verringern
statt zu erhöhen (vgl. Studie von Anne Lise Ellingsæter „Betreuungsgeld.
Erfahrungen aus Finnland, Norwegen und Schweden“, April 2012; Studie von
Christina Gathmann/Björn Sass „Taxing Childcare. Effects on Family Labor
Supply and Children“, März 2012).

Das Betreuungsgeld gilt nicht nur als bildungs-, integrations- und gleichstel-
lungspolitisch verfehlt, sondern konterkariert auch die jahrelangen Qualitäts-
bemühungen beim Ausbau staatlich geförderter Angebote der frühkindlichen

Bildung, Erziehung und Betreuung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14138

Denn diese Leistung soll mit der Inanspruchnahme rein privat finanzierter Be-
treuungsangebote, auch wenn sie keiner Qualitätskontrolle unterliegen, verein-
bar sein. Es ist daher zu befürchten, dass die Einführung des Betreuungsgeldes
dem qualitativen und quantitativen Ausbau der Förderangebote nach § 22
SGB VIII für Kleinkinder zuwiderläuft.

Nicht zuletzt konterkariert das Betreuungsgeld auch mittel- und langfristige
Ziele beim Ausbau der Bildungsinfrastruktur wie beispielsweise die Schaffung
weiterer Ganztagsplätze in der Kindertagesbetreuung sowie die schrittweise
Abschaffung der Elternbeiträge für Kindertageseinrichtungen und für Kinder-
tagespflege.

Es bleibt festzuhalten, dass die Bundesregierung – gemeinsam mit den verant-
wortlichen Akteuren in Ländern und Kommunen – alle Kräfte zugunsten des
quantitativen und qualitativen Ausbaus der Angebote der frühkindlichen Bil-
dung, Erziehung und Betreuung bündeln sollte. Maßnahmen, die diesen Aus-
bau konterkarieren, sollte sie hingegen eine klare Absage erteilen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend gemeinsam mit den Akteuren in Ländern und Kommunen einen
Aktionsplan zu entwickeln und zügig umzusetzen, um den am 1. August
2013 in Kraft tretenden Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kindertages-
einrichtung oder in Kindertagespflege zu sichern sowie den qualitativen und
quantitativen Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung für Kinder
unter drei Jahren zu forcieren. Dazu gehören auch die Entwicklung und Um-
setzung einer Fachkräfteoffensive;

2. den Finanzierungsanteil am Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreu-
ung sowohl bei den Investitionskosten als auch ab 2014 bei den Betriebskos-
ten auf der Basis der tatsächlichen Entwicklung der Kosten und des Bedarfs
auszuweiten. Dies ist insbesondere aus Sicht der Städte und Gemeinden, die
sich in einer finanziellen Notlage befinden und mit dem Ausbau finanziell
überfordert sind, notwendig;

3. ein Bundesprogramm zur „Förderung von Maßnahmen zur Steigerung der
Qualität in der frühkindlichen Bildung und zum bedarfsgerechten Ausbau
von Kindertageseinrichtungen zu Familien-Zentren“ aufzulegen. Schwer-
punkt soll dabei die Förderung von Familien mit besonderem Unterstüt-
zungsbedarf sein. Die Familien- bzw. Eltern-Kind-Zentren sollen möglichst
niedrigschwellig (z. B. aufsuchende Elternarbeit) sein;

4. gemeinsam mit Ländern und Kommunen einen Stufenplan zur Ausweitung
von Ganztagsangeboten in Kindertageseinrichtungen und zur schrittweisen
Abschaffung der Elternbeiträge zu erörtern und zu verabreden.

III. Der Deutsche Bundestag setzt sich dafür ein,

1. dass der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Aufhebung des Betreuungsgel-
des (Bundestagsdrucksache 17/13112) verabschiedet und umgehend umge-
setzt wird;

2. dass die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel für den bedarfsgerech-
ten Ausbau von Angeboten der frühkindlichen Bildung und Betreuung für
Kinder unter drei Jahren zur Verfügung gestellt werden.

Berlin, den 25. Juni 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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