BT-Drucksache 17/14096

zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Michael Groß, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Drucksache 17/9197 - Bologna-Prozess - Umsteuern für ein besseres Studium und offene Hochschulen

Vom 25. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14096
17. Wahlperiode 25. 06. 2013

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
(18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers,
Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/9197 –

Bologna-Prozess – Umsteuern für ein besseres Studium und offene Hochschulen

A. Problem

Der Bologna-Prozess wird von der Europäischen Union als Teil der Lissabon-
Strategie verstanden, die die Europäische Union (EU) zur weltweit führenden
Wirtschaftsregion machen soll. Damit werden die Hochschulen den Interessen
eines Wirtschaftsstandortes untergeordnet und das Studium an die kurzfristigen
Interessen des Arbeitsmarktes ausgerichtet. Die von den europäischen Ministe-
rinnen und Ministern für Bildung und Hochschule in Bologna festgelegten
Ziele, die Hochschulen gegenüber den anderen Ländern und auch gegenüber
neuen Zielgruppen wirksam zu öffnen, ist jedoch fehlgeschlagen. Die Gründe
sind in Deutschland die ausgrenzende Wirkung des gegliederten Schulsystems,
der allgemeine Mangel an Studienplätzen, soziale Hürden beim Hochschulzu-
gang sowie die mangelnde Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbil-
dung. Eine weitere Hürde ist mit der Einführung des zweistufigen Studiensys-
tems im Rahmen des Bologna-Prozesses im Hochschulsystem eingeführt wor-
den. Die soziale Verteilung der Studierenden in Bachelor- und Master-Studien-
gängen zeigt zum Beispiel eine Bildungsbenachteiligung von Frauen. Auch gibt
es in den Bachelor-Studiengängen erhebliche Qualitätsprobleme. Die Bachelor-
Studiengänge erhalten in Aufbau, Inhalt, Durchführung und Betreuung durch-
weg schlechtere Noten durch die Studierenden als die traditionellen Diplom-
studiengänge.

B. Lösung

Gesellschaftlich notwendig ist ein neuer Reformprozess für die Hochschulen,
der Bildungschancen nicht einschränkt, sondern sich an einer umfassenden Öff-
nung der Hochschulen orientiert. Über die Aufgaben der akademischen Weiter-
bildung hinaus müssen die Hochschulen sich auf neue Zielgruppen einstellen.
Die Bedürfnisse der Studierenden müssen durch eine Studienreform berücksich-
tigt werden, die eine eigenständige Studiengestaltung und forschendes Lernen
ermöglicht sowie eine kritische Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen
Disziplin und mit den gesellschaftlichen Verhältnissen fördert. Die Bundes-

Drucksache 17/14096 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

regierung soll insbesondere aufgefordert werden, den Hochschulpakt mit den
Ländern neu zu verhandeln und eine Reform des Bundesausbildungsförderungs-
gesetzes vorzulegen.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE.

C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14096

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/9197 abzulehnen.

Berlin, den 20. Februar 2013

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Ulla Burchardt
Vorsitzende

Tankred Schipanski
Berichterstatter

Swen Schulz (Spandau)
Berichterstatter

Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Berichterstatter

Nicole Gohlke
Berichterstatterin

Kai Gehring
Berichterstatter

Drucksache 17/14096 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Tankred Schipanski, Swen Schulz (Spandau),
Dr. Martin Neumann (Lausitz), Nicole Gohlke und Kai Gehring

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
17/9197 in seiner 175. Sitzung am 26. April 2012 beraten
und dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung zur federführenden Beratung sowie dem
Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die Fraktion DIE LINKE. stellt fest, dass sich die deutschen
Hochschulen auch 13 Jahre nach dem Gipfel der europä-
ischen Ministerinnen und Minister für Bildung und Hoch-
schule in Bologna weder gegenüber anderen Ländern noch
gegenüber neuen Zielgruppen wirksam geöffnet hätten. In
Deutschland werde die gesellschaftlich dringend notwen-
dige Hochschulexpansion durch die ausgrenzende Wirkung
des gegliederten Schulsystems, den allgemeinen Mangel an
Studienplätzen und soziale Hürden beim Hochschulzugang
sowie durch die mangelnden Durchlässigkeit zwischen Be-
rufs- und Hochschulbildung behindert. Der Bologna-Prozess
werde als Teil der Lissabon-Strategie verstanden, welche die
Europäische Union (EU) zur weltweit führenden Wirt-
schaftsregion machen wolle. Die Hochschulen würden kurz-
fristigen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet und die
Studiengänge an den Interessen des Arbeitsmarktes ausge-
richtet. Dabei werde verkannt, dass der Wandel von Techno-
logien und Produktionsbedingungen, mit der wachsenden
Bedeutung anspruchsvoller Dienstleistungen und der zuneh-
menden Komplexität gesellschaftlicher Entwicklungspro-
zesse bei immer mehr Menschen eine akademische Bildung
voraussetzen.

Mit der Einführung des zweistufigen Studiensystems sei im
Rahmen des Bologna-Prozesses eine weitere Hürde im
Hochschulsystem etabliert worden. Dies führe insbesondere
bei der Gruppe der Frauen zu erheblichen Ungerechtigkei-
ten, die sich statistisch bei dem Vergleich zwischen Bache-
lor-Abschlüssen und Master-Abschlüssen zeige.

Auch gebe es im Bachelor-Studium erhebliche Qualitätspro-
bleme. Nach Ansicht der Studenten sei der Bachelor im Auf-
bau, Inhalt, Durchführung und Betreuung durchweg schlech-
ter als die traditionellen Diplomstudiengänge. Auch bleibe
das Versprechen einer stärkeren internationalen Ausrichtung
des Studiums uneingelöst. Bei Bachelor-Studierenden an
Universitäten betrage der Anteil der studienbezogenen Aus-
landsaufenthalte 16 Prozent, während der Durchschnitt aller
Studierenden bei 25 Prozent liege.

Es müsse daher eine umfassende Öffnung der Hochschulen
eingeleitet werden, die Bildungschancen nicht einschränke.
Die Hochschulen müssten sich dabei auf neue Zielgruppen
einstellen und Aufgaben der akademischen Weiterbildung
übernehmen. Die Studierenden müsse eine kritische Ausein-

andersetzung mit der wissenschaftlichen Disziplin sowie den
gesellschaftlichen Verhältnissen und eine eigenständige Stu-
diengestaltung mit forschenden Lernen ermöglicht werden.

Die Bundesregierung soll neben weiteren Forderungen ins-
besondere dazu aufgefordert werden,

– den Hochschulpakt mit den Ländern neu zu verhandeln;

– schnellstmöglich das 2006 eingeführte Kooperationsver-
bot zwischen Bund und Ländern nach Artikel 104b des
Grundgesetzes sowie die neugeschaffene Kompetenz der
Länder nach Artikel 72 Absatz 3 Nummer 6 des Grund-
gesetzes zu revidieren;

– den von Deutschland bereits 1973 ratifizierten Pakt der
Vereinten Nation über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Rechte umzusetzen und die Erhebung von Studien-
gebühren bundeweit auszuschließen,

– dem Deutschen Bundestag umgehend einen Entwurf zur
Änderung des Bundesausbildungsföderungsgesetzes vor-
zulegen;

– sich gegenüber der Kultusministerkonferenz für eine Än-
derung der Strukturvorgaben für Bachelor-Masterstu-
diengänge einzusetzen;

– dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes
über die Hochschulzulassung vorzulegen;

– dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf über die
Hochschulabschlüsse vorzulegen;

– sich gegenüber anderen Signatarstaaten der Bologna-
Erklärung für eine Stärkung der sozialen Dimension im
Studium einzusetzen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der mitberatende Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung
am 9. Mai 2012 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die
Stimmen der Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag
auf Drucksache 17/9197 abzulehnen.

Der mitberatende Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie, der Ausschuss für Arbeit und Soziales, der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und
der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union haben jeweils in ihren Sitzungen am 20. Februar 2013
mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag auf Druck-
sache 17/9197 abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung hat die Vorlage – in Verbindung mit der
Unterrichtung durch die Bundesregierung „Vierter Bericht
über die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland“
auf Drucksache 17/8640 sowie einer federführenden EU-Vor-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/14096

lage – in seiner 95. Sitzung am 20.02.2013 abschließend be-
raten. Der Ausschuss empfiehlt Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 17/9197 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktion DIE LINKE.

Die Fraktion von CDU/CSU betont, dass die Umsetzung des
Bologna-Prozesses in Deutschland sehr erfolgreich verlaufe.
Dies sei zuletzt auf der Bologna-Konferenz in Bukarest im
April 2012 deutlich geworden. So habe man die Zahl der
Studienabbrecher deutlich reduzieren können. Dies sei durch
die Entschlackung und zeitliche Entzerrung vielen Studien-
gänge gelungen. Zudem wolle man betonen, dass auch beim
Bachelor das Humboldt’sche Bildungsideal verankert sei
und es nicht nur auf die Beschäftigungsfähigkeit ankomme.

Bei „Bologna“ gehe es um die Stärkung der internationalen
Mobilität der Studierenden. Im Jahr 2009 sei es gelungen,
die Zahl der deutschen Studierenden im Ausland, nicht zu-
letzt dank der Mobilitätsförderung der Bundesregierung und
des DAAD sowie des Auslandsbafögs, auf insgesamt
115 500 zu steigern. Dies sei eine erfreuliche Zahl. Man
arbeite auch daran, die Anerkennung der Abschlüsse zu
vereinfachen. Auf Druck von Deutschland sei in Bukarest
vereinbart worden, dass die Länder, die eine hohe Studien-
qualität haben, nach und nach eine automatische Anerken-
nung einführen. Der Handlungsbedarf, den man bei Bologna
erkenne, liege oft nicht in der Verantwortung des Bundes.
Hier müssten die Länder und die Hochschulen in eigener Au-
tonomie handeln. Dies betreffe beispielsweise die Struktu-
rierung von Studiengängen, Fristenregelungen, die Ein-
schreibung in Seminare und Klausurtermine. Diese Punkte
könne der Bund nicht gesetzlich regeln. Daher müssten die
Hochschulverwaltungen sensibilisiert werden.

Ein Thema, das man aktiv gestalten könne, sei die Qualität
der Lehre. In diesem Zusammenhang erinnere man an den
Qualitätspakt Lehre, den man mit rund 2 Mrd. Euro ausge-
stattet habe und bei dem man in engem Dialog mit Hoch-
schulen stehe.

Beim Antrag der Fraktion DIE LINKE. müsse man einiges
richtigstellen. Offenbar werde hier eine Neuverhandlung
des Hochschulpaktes gefordert. Der Hochschulpakt 2020
schaffe ein bedarfsgerechtes Angebot an Bachelor und
Masterstudiengängen. Bei ständig steigender Studiennach-
frage hätten Bund und Länder die Ausbauziele des Hoch-
schulpaktes zeitnah erhöht und würden das auch zukünftig
tun. Im gesamten Komplex der sozialen Infrastruktur gebe es
keine Fördermöglichkeit des Bundes. Dies ergebe sich aus
dem Artikel 91b Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes
(GG). Auch die Schaffung von unbefristeten Stellen liege in
der Zuständigkeit der Länder. Der Bund engagiere sich da le-
diglich über die Pakte und das in einem erheblichen Ausmaß.
Ein weiterer Punkt betreffe die Kooperationsmöglichkeiten
von Bund und Ländern. Dies befürworte man. Die CDU/
CSU habe dazu Anträge erarbeitet und lade alle ein, sich da-
ran zu beteiligen. Man bitte hingegen beim Thema BAföG
darum, von maßlosen Vorstellungen Abstand zu nehmen.

Die Forderung nach Änderungen bei den Strukturvorgaben
bezüglich des Bachelor- und Masterabschlusses überzeuge
ebenso wenig. Dies sei Sache der Länder. Man sehe zudem
keine Notwendigkeit, den Master als Regelabschluss neu zu
definieren. Der Bachelor sei ein Regelabschluss und er sei
höchst willkommen. Dies bestätigten sowohl die Vertreter

der Wirtschaft, als auch die Arbeitslosenzahlen. Die Frage
nach ausreichend Masterstudienplätzen stelle sich nicht, da
jeder, der die entsprechende Leistung bringe, einen Master-
studienplatz erhalten könne. Die Frage müsse daher fachspe-
zifisch beantwortet werden. Auch müsse der weiterbildende
Master gesondert betrachtet werden.

Die SPD-Fraktion ist der Ansicht, dass die CDU-Fraktion
die Situation zu positiv darstellt. Wo es Probleme gebe, sei
nach dieser Ansicht der Bund nicht in der Verantwortung.
Man frage sich, ob der Bologna-Bericht der Bundesregie-
rung gelesen worden sei. So führe die Bundesregierung darin
aus, dass sie das Angebot und die Nachfrage nach Masterstu-
dienplätzen mittels empirischer Erhebungen beobachte. Die
dabei gewonnen Erkenntnisse wolle man in die dritte Phase
des Hochschulpaktes mit einfließen lassen. Es stelle sich die
Frage, ob es bereits Ergebnisse gebe und ob diese die Ge-
spräche mit den Ländern beeinflussen würden.

Das Niveau der Auslandsmobilität sei im Wesentlichen
gleich geblieben. Der Bericht weise aber auf finanzielle
und organisatorische Schwierigkeiten hin. Beim Auslands-
BAföG habe es erhebliche Verbesserungen gegeben. Gleich-
wohl stelle der Bericht fest, dass es weiteren Handlungs-
bedarf gebe, insbesondere beim Kreis der Berechtigten.

Die Bundesregierung betrachte auch die soziale Dimension
und stelle fest, dass es strukturelle und finanzielle Probleme
gebe, die eine gleichberechtigte Teilhabe im Hinblick auf
Zugang, Verlauf und erfolgreichen Abschluss eines Stu-
diums erschweren würden. Es werde ferner darauf ver-
wiesen, dass es notwendig sei, die soziale Infrastruktur an
den Hochschulen durch Stärkung der Studentenwerke aus-
zubauen. Auf der nationalen Bologna-Konferenz 2012 sei
zugesichert worden, dass man die Entwicklung beim BAföG
bilanzieren wolle. Das sei bisher nicht erfolgt.

Insgesamt stelle man fest, dass die Regierungskoalition
schon seit Jahren zu passiv sei. Ohne die SPD als Koalitions-
partner würden offenbar die richtigen Impulse fehlen. Wich-
tigen Maßnahmen wären das BAföG, ein Hochschulsozial-
pakt, eine Aufstockung des Hochschulpaktes und eine Ver-
einbarung der dritten Phase. Zudem plädiere man für den
Abschlussbonus, um erfolgreiche Lehre zu fördern. Es
bedürfe auch einer Personaloffensive an den Hochschulen.
Die nationale Bologna-Konferenz müsse institutionalisiert
werden. Die SPD-Fraktion spreche sich ferner dafür aus, den
höheren Dienst für Bachelorabsolventen zu öffnen. Auch
wenn das ein kontroverses Thema sei, so lohne es sich doch,
diese Debatte zu führen. Der Antrag der Fraktion DIE
LINKE. beinhalte viel Gutes, sei aber zu ambitioniert.

Die Fraktion der FDP betrachtet die Entwicklung aus der
Sicht der Kommunen. Zum Beispiel habe die Stadt Jena
5 000 Studierende an der Universität und 200 an der Inge-
nieurschule gehabt. Inzwischen sei diese Zahl auf 25 000 an-
gewachsen. Hätte jemand dies im Jahre 1990 vorausgesagt,
hätte man ihm nicht geglaubt. Im Bologna-Prozess habe von
Beginn an die Klagen der Wirtschaft eine Rolle gespielt,
wonach die Studierenden zu alt seien, zu wenige Fremdspra-
chen beherrschten und komplexe Situationen nicht erfassen
könnten. Nach kurzer Zeit habe sich herausgestellt, dass
viele Universitäten den Bologna-Prozess nur halbherzig um-
setzten. Dafür könne man aber der Bundesregierung nicht
die Schuld geben. Dies sei eine Frage der Personaltableaus
der Landesregierungen. Jena sei z. B. eine Erfolgsgeschich-

Drucksache 17/14096 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

te. Insbesondere ab 2009 erkenne man eine deutliche Steige-
rung. Dies verdanke man den Anstrengungen der Bundes-
regierung in Form von Hochschulpakt 2020, Qualitätspakt
Lehre, BAföG und Auslands-BAföG. Heute habe man ge-
hört, welchen Zuwachs die einzelnen Bereiche erfahren
hätten. Das mache sich auch in den Ländern und Städten be-
merkbar. Deutschland gelte als der Jobmotor Europas. Dafür
seien auch die Absolventen der letzten 20 Jahre verantwort-
lich. Dieser Prozess habe viel Kraft gekostet. Man könne
allen Beteiligten nur danken.

Gleichwohl sei der Prozess noch nicht abgeschlossen. Man
wolle die Durchlässigkeit im Bildungssystem weiter erhöhen
und neue Akzente bei der Berufsbildung setzen. Ebenso
strebe man die Umsetzung der Qualifizierungsinitiative, ins-
besondere des Hochschulpaktes an. Ferner wolle man das
Konzept der offenen Hochschule fördern, die Qualität des
Beratungs- und des Betreuungsangebotes sichern, sowie den
Frauenanteil und die Familienfreundlichkeit deutlich verbes-
sern. Die Studierenden würden dort hingehen, wo die besten
Bedingungen herrschten. Es gelte jetzt anzupacken. Der
Bund könne dies nicht alleine leisten, man lade daher alle
ein, an den Gesprächen teilzunehmen. Nur so hätte man eine
echte Chance im Angesicht von Problemen wie europäische
Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel.

Die Fraktion DIE LINKE. wirft der Bundesregierung vor,
sie ignoriere die Probleme der Studierenden und Lehrenden
im Zusammenhang mit der Bologna-Diskussion. Man ver-
suche offenbar die Sache auszusitzen, statt selber Impulse zu
geben. Man stehe weiterhin vor drängenden Problemen. Be-
leg dafür seien Äußerungen der HRK und der Wirtschaft.
Kritisiert werde die verkürzte Studiendauer, die zu starke
Ausdifferenzierung und die dadurch entstehende Einseitig-
keit. All das sei nicht im Interesse der Studierenden und
Lehrenden.

Für die Fraktion DIE LINKE. bestehe daher nach wie vor die
Notwendigkeit nach einer grundlegenden Reform des Bolo-
gna-Prozesses. Kernstück sei dabei die Änderung der Struk-
turvorgaben für Bachelor und Masterstudiengänge. Dies
müsse gemeinsam mit der KMK erfolgen. Ziel sei die
Durchlässigkeit im Studium wieder zu erhöhen. Daher
müsse der Master als Regelabschluss eines Studiums defi-
niert werden. Einziges Zugangskriterium müsse ein Bache-
lorabschluss sein. Man müsse zudem weitere Studienziele
definieren: wissenschaftliches Arbeiten, Persönlichkeitsent-
wicklungen, Verständnis gesellschaftlicher Zusammen-
hänge. Es gehe darum, das Studium selbstbestimmt zu ge-
stalten.

Der Bologna-Bericht mache zudem deutlich, dass man mit
den anderen Bologna-Staaten die soziale Dimension bei
Bologna stärken müsse. Verbindliches Ziel sei die Öffnung
der Hochschule und die Verbesserung der sozialen Lage der
Studierenden. Die europäische Hochschulpolitik müsse sich
von der Wirtschaftspolitik der EU emanzipieren und eigene
Ziele formulieren. All das seien Fragen, auf die es im Jahr 14
der Bologna-Reform endlich Antworten zu finden gelte. Vor
diesem Hintergrund wäre eine neue Bologna-Konferenz drin-
gend nötig. Es sei bedauerlich, dass SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN keine Anträge zu Bologna vorgelegt hätten.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weist darauf
hin, dass Nüchternheit und Sachlichkeit der Diskussion gut
tun würde. Man müsse analysieren, welche Erfolge und

Misserfolge es im Bologna-Reformprozess gebe. Dazu
müsse man mit allen Verantwortlichen in Bund, Ländern und
Hochschulen zusammenarbeiten. Die Vision eines euro-
päischen Hochschulraumes stehe dabei nach wie vor im Mit-
telpunkt. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE. impliziere
hingegen, dass der Bologna-Prozess rückgängig gemacht
werden solle. Es werde offenbar vorgeschlagen, sich von der
Zweistufigkeit abzuwenden und den Master für alle zum Ziel
zu erklären. Dies sei realitätsfern und verkenne, dass sich der
Bachelor in einigen Bereichen als Abschluss längst bewährt
habe. Zwar gelte das nicht für alle Wirtschaftszweige, man
sehe aber, dass sich die Unternehmen zunehmend auf
Bachelor- und Masterabschlüsse einstellen würden. Es sei
vielmehr wichtig, sich bei Fragen nach der Anzahl der Mas-
terstudienplätze und dem Übergang vom Bachelor zum Mas-
ter auf realistische Übergangsquoten zu verständigen.

Der Bologna-Bericht der Bundesregierung enthalte auch
alarmierende Fakten: So sei die Mobilität gesunken und die
Studierbarkeit nicht erhöht worden. Hier müsse für mehr
Flexibilität und Mobilitätsfenster in den Studiengängen ge-
sorgt werden. Auch die Arbeitsbelastung müsse gesenkt
werden. Studierende würden über Prüfungsstress klagen.

Der dritte Punkt betreffe die Anerkennungspraxis. Es sei be-
schämend, dass nur 52 Prozent der im Ausland erworbenen
Studienleistungen an deutschen Hochschulen anerkannt
würden. Man befürworte hingegen eine Anerkennungs-
garantie. Alles andere sei leistungs- und mobilitätsfeindlich
und werde der Bologna-Reform nicht gerecht.

Der Bologna-Bericht blende einige Probleme ganz aus. So
werde der Übergang von Bachelor zu Master und die mög-
lichen Akzeptanzprobleme des Bachelorabschlusses nicht er-
wähnt. Auch bei den Fragen zur sozialen Dimension fehlten
die Handlungsempfehlungen. Diese seien aber wichtig, um
beim nächsten Bericht die Erfolge nachvollziehen zu können.

Die Bundesregierung stimmt der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN grundsätzlich zu, dass man einen differen-
zierten Blick auf den Bologna-Prozess werfen müsse. Insge-
samt lasse sich feststellen, dass die Umstellung auf Bachelor
und Master an den Hochschulen angekommen sei. Im Win-
tersemester 2012/2013 habe man rund 86 Prozent der 16 000
Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Die
Fachhochschulen hätten sogar eine Umstellungsquote von
98 Prozent. 1,6 Millionen Studierende seien in Deutschland
in Bachelor- oder Masterstudiengänge eingeschrieben. Da-
mit seien die beiden Abschlüsse mittlerweile Normalität an
den deutschen Hochschulen.

Dass der Bologna-Prozess eine Krise ausgelöst hätte, wie der
Antrag der Fraktion DIE LINKE. suggeriere, entspreche
nicht der Realität. Die Studierneigung sei mit den Bologna-
Reformen deutlich gestiegen. In den vergangenen Jahren
habe man das Ziel verfolgt, dass 37 Prozent der Abiturienten
ein Studium aufnehmen sollten. Tatsächlich würden mittler-
weile 50 Prozent eines Jahrgangs studieren. Die größte Bil-
dungsexpansion habe in der Zeit der Verantwortung dieser
Bundesregierung stattgefunden.

Bundesministerin Dr. Annette Schavan habe bereits mitge-
teilt, dass es keine weitere Bologna-Konferenz geben werde.
Das bedeute nicht, dass man diesen Themen keine Beach-
tung mehr schenke. Nur werde man die zukünftig in einem
anderen Rahmen behandeln. Was Studiengänge und Struk-
turvorgaben angehe, so sei die Hochschulrektorenkonferenz

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/14096

zuständig. Das könne der Bundesgesetzgeber nicht regeln.
Das BMBF werde intensiv an der Frage arbeiten, wie es ge-
lingen könne, die Lehrqualität an den Hochschulen in Zeiten
des Bologna-Umsetzungsprozesses weiterzuentwickeln. Im
Juli werde man eine Konferenz zum Qualitätspakt Lehre
durchführen und die bisherigen Erkenntnisse diskutieren.

Es gebe mitunter Zweifel, ob die Bachelorabschlüsse be-
rufstauglich seien. Dem könne man entgegnen, dass nur zwei
Prozent der Universitätsabsolventen und nur drei Prozent der
Fachhochschulabsolventen arbeitslos seien. Das sei eine
deutliche Verbesserung im Vergleich zu früheren Jahren.
Auch wenn es noch Verbesserungspotential gebe, sei die
Gesamtsituation sehr zufriedenstellend.

Zu dem Thema der Gesamtzahl der Masterstudienplätze
gebe es bedauerlicherweise keine aussagekräftige Übersicht.
Die Kultusministerkonferenz habe für das Wintersemester
2010/2011 die Anzahl der Masterstudiengänge mit Zulas-
sungsbeschränkung sowie die Anzahl der möglichen Plätze
erhoben. Die Erhebung habe ergeben, dass von 32 135 ört-
lich zulassungsbeschränkten Masterstudienplätzen nach dem
Ende aller Nachrückverfahren 6 258 Studienplätze unbesetzt
blieben. Im Wintersemester 2011/2012 blieben 5 327 von
36 442 Studienplätzen unbesetzt. Neun von zehn Master-

studierenden würden demnach ihren Wunschplatz an ihrer
Wunschhochschule erhalten. Folglich gebe es keine Eng-
pässe.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habe kritisiert,
dass die Auslandsmobilität zurückgegangen sei. Das könne
man nicht bestätigen. Die Bedeutung der Auslandsmobilität
nehme stetig zu und man gehe davon aus, dass heute jedem
dritten Hochschulabschluss ein studienbezogener Ausland-
saufenthalt vorausgegangen sei.

Die Themen Studentenwerke und sozialer Wohnungsbau
seien sehr wichtig. Man müsse aber darauf hinweisen, dass
die Rechtslage mit dem Artikel 91b, Absatz 2 GG eindeutig
sei und der Bund ausschließlich Vorhaben von Wissenschaft
und Forschung fördern könne. Die soziale Infrastruktur, die
Hochschulgastronomie und die Sozialberatung seien davon
hingegen nicht umfasst. Die originäre Zuständigkeit für die
Wohnraumversorgung der Studierenden liege bei den Län-
dern. In diesem Zusammenhang lohne sich ein Blick auf die
Förderung des studentischen Wohnungsbaus in den Ländern
Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. Diese seien
vorbildlich, wenn auch mit unterschiedlichen Konzepten.

Bezüglich des Hochschulpaktes sei man mit den Ländern im
Gespräch.

Berlin, den 20. Februar 2013

Tankred Schipanski
Berichterstatter

Swen Schulz (Spandau)
Berichterstatter

Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Berichterstatter

Nicole Gohlke
Berichterstatterin

Kai Gehring
Berichterstatter

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