BT-Drucksache 17/1408

Gesetzlichen Mindestlohn einführen - Armutslöhne verhindern

Vom 20. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1408
17. Wahlperiode 20. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Iris Gleicke, Hubertus Heil
(Peine), Christel Humme, Josip Juratovic, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf,
Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Katja Mast, Thomas Oppermann, Karin
Roth (Esslingen), Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Gesetzlichen Mindestlohn einführen – Armutslöhne verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit leben können. Um
gute und faire Arbeit für alle zu ermöglichen, brauchen wir einen gesetzlichen
Mindestlohn. Arbeit zu Dumpinglöhnen muss der Vergangenheit angehören.
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat künftig einen Rechtsanspruch
auf eine Mindestvergütung. Der Mindestlohn als Lohnuntergrenze, der in Ost-
und Westdeutschland gleich ist, ist eine zentrale Voraussetzung für gute Arbeit.
Nur gute Arbeit ermöglicht die soziale und kulturelle Teilhabe am gesellschaft-
lichen Leben.

Löhne sinken immer weiter

Der Umfang des Niedriglohnsektors (Niedriglohndefinition der OECD: Lohn in
Höhe von bis zu zwei Dritteln des gesamtwirtschaftlichen Medians) weitet sich
spürbar aus. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) hat kürzlich eine
Bestandsaufnahme von 2008 ausgewertet und festgestellt, dass in diesem Jahr
6,55 Millionen Beschäftigte von Niedriglöhnen betroffen waren. Dies ist eine
Zunahme allein zwischen 2004 und 2008 um 650 000 Beschäftigte. Es ist zudem
eine deutliche Ausdifferenzierung der Löhne nach unten zu verzeichnen; die
Durchschnittslöhne im Niedriglohnsektor sind in den letzten Jahren sogar noch
gesunken. Der Verdienst von über zwei Millionen vollzeittätigen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern liegt unterhalb eines Stundenlohns von 6 Euro (IAQ).

Dumpinglöhne schaden der Wirtschaft

Fairer Wettbewerb sollte über Produktivität und Qualität der Leistung und nicht
über Lohndumping ausgetragen werden. Lohndumping belastet seriös arbei-

tende Unternehmen und verdrängt diese vom Markt. Es darf nicht sein, dass die
Gemeinschaft der Steuerzahler Lohndumping der Unternehmen durch ergän-
zendes Arbeitslosengeld II bezahlen muss (IAQ: nach Angaben der Bundes-
agentur für Arbeit 9,3 Mrd. Euro pro Jahr).

Über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) sind bereits in einigen Bran-
chen Mindestlöhne gesetzlich ermöglicht worden, die sich günstig auswirken.

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Auch die Erfahrungen der europäischen Nachbarländer mit Mindestlöhnen sind
positiv. Die Einführung des Mindestlohnes hat der Beschäftigungssituation in
den bisherigen Branchen (Bauhauptgewerbe, Gebäudereinigung, Briefdienst-
leistung, Bergbauspezialarbeiten in Steinkohlebergwerken, Wäschereidienst-
leistungen und Abfallwirtschaft) nachweislich nicht geschadet. Die Arbeitgeber
der Branchen, für die Mindestlöhne bereits vereinbart wurden, begrüßen diese,
weil sie Schmutzkonkurrenz unterbinden und Beschäftigung sichern.

Dumpinglöhne schaden dem Sozialversicherungssystem

Niedriglöhne schwächen aufgrund der Lohn- und Beitragsbezogenheit der
Sozialversicherungen die soziale Absicherung der Beschäftigten. Mit einem
Mindestlohn von z. B. 8,50 Euro würde erreicht, dass ein vollzeitbeschäftigter
Arbeitnehmer eine Alterssicherung erreichen kann, die oberhalb der bedürftig-
keitsorientierten Leistungen der Grundsicherung im Alter liegt: Selbst im
unwahrscheinlichen Fall, dass eine lebenslange Beschäftigung in der Höhe des
Mindestlohnes ausgeübt wird, ergäbe sich so eine Nettorente in Höhe von
625 Euro (in heutigen Werten), so dass gemeinsam mit der geförderten Alters-
vorsorge (Riester-Rente) das Niveau der Grundsicherung im Alter, das derzeit
im Bundesdurchschnitt bei 660 Euro liegt, überschritten wäre.

Gleichzeitig tragen Niedriglöhne zur Erosion der Beitragsbasis der Sozialver-
sicherungen bei. Durch einen generellen gesetzlichen Mindestlohn, der derzeit
8,50 Euro betragen könnte, würde diese Entwicklung gestoppt und tendenziell
umgekehrt werden. So ergäben sich Mehreinnahmen in der gesetzlichen Renten-
versicherung von gut 3 Mrd. Euro jährlich und bei der Bundesagentur für Arbeit
von ca. 0,5 Mrd. Euro jährlich (auf Berechnungsgrundlage des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales in der letzten Legislaturperiode). Dabei sind mög-
liche positive Beschäftigungseffekte aufgrund steigender Binnennachfrage und
sonstige ökonomische Rückwirkungen nicht berücksichtigt. Für die Rentenver-
sicherung hätte ein Mindestlohn zwar eine neutrale Wirkung, da die Mehrein-
nahmen auch zu entsprechenden Mehrausgaben führen würden. Die Arbeits-
losenversicherung würde jedoch von einem Mindestlohn in gewissem Maße
profitieren, da hier nur bei den lohnbezogenen Versicherungsleistungen, nicht
aber z. B. bei allen Beschäftigungsförderungsmaßnahmen höhere Ausgaben
erfolgen. Für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung hätte ein Min-
destlohn aufgrund des dort herrschenden Sachleistungsprinzips, bei dem unab-
hängig von der Höhe der geleisteten Beitragszahlungen Leistungen gewährt
werden, ausschließlich Mehreinnahmen zur Folge: Bei der gesetzlichen Kran-
kenversicherung wäre mit einem Plus von gut 2 Mrd. Euro jährlich zu rechnen,
was eine Absenkung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte ermöglichen
würde; bei der gesetzlichen Pflegeversicherung errechnen sich jährliche Mehr-
einnahmen von über 0,2 Mrd. Euro.

Dumpinglöhne benachteiligen Frauen

Niedriglohn betrifft überwiegend weibliche Beschäftigte: Der Anteil der abhän-
gig beschäftigten Frauen mit Niedriglohn ist etwa doppelt so groß wie derjenige
der Männer (Statistisches Bundesamt 2009, Niedrigeinkommen und Erwerbs-
tätigkeit). Das in Deutschland bestehende Lohngefälle zwischen Frauen und
Männern von 25 Prozent ist u. a. auf das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohns
zurückzuführen. Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre daher ein wichtiger Beitrag
zur Herstellung der Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern.

Bei Löhnen liegt Deutschland im Europavergleich hinten
Die Zahl der Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen, die nicht
tarifgebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angemessene Arbeits-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1408

bedingungen garantieren, ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegan-
gen und liegt mittlerweile bei etwa 2 Prozent aller Tarifverträge. Auch die Tarif-
bindung geht seit Jahren stetig zurück. Tarifverträge gelten nur noch für 61 Pro-
zent aller Arbeitsverhältnisse (2008). Nur in Luxemburg und Großbritannien
werden noch weniger Beschäftigte von Tarifverträgen erfasst. In den übrigen
EU-Staaten ist das Niveau der Tarifbindung deutlich höher. Die Spanne reicht
von 70 Prozent in Portugal bis 99 Prozent in Österreich. Die Gewerkschaften in
Deutschland sehen sich zunehmend einer Unterbietungskonkurrenz durch den
Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) ausgesetzt. Es entwickelte sich eine
wettbewerbsorientierte Tarifpolitik, so dass die Löhne in den letzten zwei Jahr-
zehnten hinter der Produktivitätsentwicklung zurückgeblieben sind.

Deutschland zählt heute zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Anteil
an Niedriglohnbeschäftigung. Zudem ist eine zunehmende Lohnspreizung hin-
zugekommen, die sich zwischen einzelnen Beschäftigungsgruppen innerhalb
der und zwischen den Branchen ausweitet.

Gleichzeitig drohende Billigkonkurrenz aus neuen Beitrittsstaaten

Die EU-Erweiterung sowie Erleichterungen der Dienstleistungsfreiheit durch
die Dienstleistungsrichtlinie und Arbeitnehmerfreizügigkeit führen zu verstärk-
ten Aktivitäten ausländischer Dienstleister und Dienstleisterinnen und zu einem
verstärkten Zustrom von Arbeitskräften aus den neu beigetretenen Mitgliedstaa-
ten auf den deutschen Arbeitsmarkt. Die damit verbundene Steigerung des Wett-
bewerbs- und Lohndrucks erfordert zusätzliche Anstrengungen zur sozialen
Flankierung des europäischen Binnenmarktes. Das Arbeitnehmer-Entsendege-
setz verpflichtet ausländische Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, die Arbeits-
kräfte nach Deutschland entsenden, bestimmte, hier zwingend geltende Arbeits-
bedingungen einzuhalten. Zum Beispiel müssen jetzt schon die deutschen
Arbeitsschutzvorschriften wie das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz
oder bei einer Tätigkeit mit Chemikalien die Gefahrstoffverordnung eingehalten
werden. Zur Bekämpfung von Lohndumping ist es wichtig, dass die auslän-
dischen Arbeitgeber verpflichtet werden können, ihren nach Deutschland ent-
sandten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einen deutschen Mindestlohn
zu zahlen.

Die bisherige Aufnahme einzelner Branchen in das AEntG – so wie bislang
praktiziert – reicht nicht mehr aus. Denn es ist festzustellen, dass insbesondere
durch die immer geringer werdende Tarifbindung auch im Inland die Einhaltung
von Mindeststandards immer häufiger nicht mehr gewährleistet ist. Deutschland
sollte deshalb dem Vorbild der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten folgen und von
der in der Entsenderichtlinie (96/71/EG) enthaltenen Option Gebrauch machen:
Die nationale Entsendegesetzgebung muss im Bereich der tarifvertraglich ge-
regelten Arbeitsbedingungen über einzelne Branchen hinaus auf alle Branchen
anwendbar sein.

Flankierend ist ein gesetzlicher Mindestlohn erforderlich, da in vielen Branchen
die Strukturen für den Abschluss eines Mindestlohntarifvertrags nicht vorhan-
den sind.

Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn und tarifvertragliche Branchenlösun-
gen, die durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung abgesichert sind,
schließen einander nicht aus. Beide Lösungen ergänzen sich vielmehr, da sich
unter Umständen ein gesetzlicher Mindestlohn in bestimmten Branchen als zu
niedrig darstellt, um effektiv Lohndumping zu verhindern.

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Festlegung der Mindestlohnhöhe durch eine Kommission

Der Mindestlohn soll einer jährlichen Überprüfung durch eine unabhängige
Mindestlohnkommission unterliegen. Der vorliegende Antrag schafft einen ver-
fassungsmäßig gebotenen Ausgleich zwischen der Tarifautonomie (Artikel 9
Absatz 3 des Grundgesetzes – GG) und dem Sozialstaatsgebot (Artikel 20
Absatz 1, Artikel 28 Absatz 1 GG). Damit der Rechtsanspruch jedes oder jeder
Beschäftigten aus dem Mindestlohngesetz durchgesetzt und eine erfolgreiche
Umsetzung des Gesetzes gewährleistet werden kann, bedarf es begleitend zum
Mindestlohn weiterer gesetzlicher Maßnahmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die nachfolgenden Punkte
regelt:

● Es muss ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, der eine unterste
Grenze des Arbeitsentgelts festsetzt, unterhalb derer keine Löhne und Gehäl-
ter vereinbart werden dürfen. Dieser Mindestlohn soll vollzeitbeschäftigten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein existenzsicherndes Einkommen
gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
ermöglichen.

● Der Mindestlohn wird von einer unabhängigen Kommission vorgeschlagen.
Er wird durch Rechtsverordnung festgesetzt.

● Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) setzt die Mindest-
lohnkommission ein. Die Besetzung der Kommission wird gesetzlich vor-
gegeben. Die Kommission soll sich zu je einem Drittel aus Arbeitnehmern/
Arbeitnehmerinnen, Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen und unabhängigen Wis-
senschaftsvertretern und -vertreterinnen zusammensetzen.

● Die Mitglieder der Kommission sollen keinen Weisungen unterliegen. Die
Kommission wird von einem oder einer nicht stimmberechtigten Vorsitzen-
den geleitet, der oder die vom BMAS bestellt wird. Die Empfehlungen der
Kommission sind schriftlich zu begründen.

● Der Mindestlohn soll als Bruttoarbeitsentgelt für eine Zeitstunde festgesetzt
werden.

● Arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarungen sowie Entgeltfest-
setzungen aufgrund anderer Gesetze sind unwirksam, wenn sie ein Arbeits-
entgelt unterhalb des Mindestlohns vorsehen. An die Stelle der unwirksamen
arbeitsvertraglichen oder tariflichen Vereinbarung bzw. Entgeltfestsetzung
tritt der Mindestlohn. § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt unberührt.

● Den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen, die den Mindestlohn nicht zahlen,
wird die Berufung auf die für Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen beste-
henden Ausschlussfristen untersagt. Ein Verzicht auf entstandene Mindest-
lohnansprüche ist unzulässig. Mindestlohnansprüche können nicht verfallen.

● Die festgesetzten Mindestlöhne sind zwingend; ihre Einhaltung wird kontrol-
liert. Die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns erfolgt durch
die Behörden der Zollverwaltung, die auch für die Kontrolle der Einhaltung
der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingun-
gen zuständig sind.

● Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz soll auf sämtliche Branchen ausgedehnt
werden. Damit wird gewährleistet, dass höhere tarifliche Branchenmindest-
löhne für die jeweilige Branche für allgemein verbindlich erklärt werden
können.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1408

● Branchenspezifische Lösungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz dür-
fen den festgesetzten Mindestlohn nicht unterschreiten.

Berlin, den 20. April 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Das Ausmaß der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland hat seit Mitte der
1990er Jahre deutlich zugenommen und liegt mittlerweile deutlich über dem
europäischer Nachbarländer. Nach einer Studie des IAQ ist der Anteil der Nied-
riglohnbeschäftigten selbst im Wirtschaftsaufschwung seit 2004 weiter ange-
wachsen. Die durchschnittlichen Stundenlöhne im Niedriglohnsektor sind im
Vergleich von 1995 und 2007 inflationsbereinigt nicht gestiegen bzw. in West-
deutschland sogar gesunken. Der Anteil von Beschäftigten mit Niedriglöhnen
von weniger als 50 Prozent oder sogar einem Drittel des Medians ist laut IAQ
deutlich gestiegen.

Von Niedriglöhnen sind zwar insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen betroffen, aber auch unter den
Vollzeitbeschäftigten arbeitet inzwischen jeder Siebte für einen Niedriglohn.

Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn ist notwendig, um das Lohnspektrum
insgesamt nach unten zu begrenzen. Er ist insbesondere wichtig für Bereiche, in
denen die Tarifvertragsparteien nicht präsent oder zu schwach sind, um ange-
messene Löhne zu vereinbaren.

Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns warnen vor dessen negativen Beschäf-
tigungswirkungen. Die neuere empirische Forschung – vor allem des UC Insti-
tute for Labor and Employment in Berkeley – sowie zahlreiche Studien im Auf-
trag der britischen Low Pay Commission kommen jedoch zum Ergebnis, dass
die Einführung oder Erhöhung von Mindestlöhnen neutrale oder sogar leicht po-
sitive Beschäftigungseffekte hat.

Ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland muss existenzsichernd sein und
durch eine unabhängige Mindestlohnkommission festgesetzt werden. Über die
Höhe eines gesetzlichen Mindestlohnes sollte nicht das Parlament entscheiden.
Im Einvernehmen mit den Tarifparteien ist eine unabhängige Kommission ein-
zusetzen. Diese soll regelmäßig über die Einkommensentwicklung im unteren
Bereich berichten und eine Empfehlung aussprechen. Die endgültige Festset-
zung des Mindestlohnes soll dann durch das BMAS erfolgen.

Durch die Berufung von Vertreterinnen und Vertretern aus Kreisen der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
sowie der Wissenschaft in die Kommission wird eine ausgewogene Berücksich-
tigung der für die Entscheidung erforderlichen Aspekte gewährleistet.

Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem Verfassungsrecht. Die
Festsetzung des Mindestlohnes dient dazu, die existenzsichernde Funktion des
Arbeitsentgelts und die elementare Würde und ökonomische Funktion von
Arbeit zu sichern. Sie soll in den Bereichen, in denen die Gefahr besteht, dass
elementare Gerechtigkeitsmaßstäbe verletzt werden, Lohngerechtigkeit ab-
sichern. Dieses Ziel hat aufgrund des Sozialstaatsprinzips und aufgrund der
Berufsfreiheit Verfassungsrang.

Drucksache 17/1408 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn, der für alle Menschen im Land trans-
parent die Lohnuntergrenze festlegt, sichert zudem, dass jeder einzelne Arbeit-
nehmer und jede einzelne Arbeitnehmerin seinen/ihren Rechtsanspruch ohne
weiteres beziffern und rechtlich geltend machen kann.

Beispiele aus europäischen Nachbarländern zeigen, dass sich gesetzliche und
tarifliche Mindestlöhne gut vereinbaren lassen. Die Verankerung von branchen-
bezogenen Mindestlöhnen über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat dabei den
Vorteil, dass die Tarifvertragsparteien spezifische Gegebenheiten der eigenen
Branche bei der Festlegung von Lohnuntergrenzen verankern können.

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist in seinem die Erstreckung tarifvertrag-
licher Arbeitsbedingungen betreffenden Teil bislang auf einzelne Branchen
beschränkt. Diese Beschränkung soll aufgehoben und damit für alle Branchen
die Möglichkeit eröffnet werden, durch den Abschluss von entsprechenden
Tarifverträgen das Gesetz auch für die eigene Branche nutzbar zu machen.

Deutschland folgt damit dem Vorbild der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, die
von der in der Entsenderichtlinie (96/71/EG) enthaltenen Option Gebrauch ge-
macht haben, ihre nationale Entsendegesetzgebung im Bereich der tarifvertrag-
lich geregelten Arbeitsbedingungen über den Baubereich hinaus auch auf andere
Branchen anzuwenden.

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