BT-Drucksache 17/13915

Straßen- und Schienenlärm wirksam reduzieren

Vom 12. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13915
17. Wahlperiode 12. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter,
Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Cornelia Behm, Harald Ebner, Hans-Josef Fell,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg),
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner,
Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Straßen- und Schienenlärm wirksam reduzieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Menschen, die an lauten Straßen oder Schienenstrecken wohnen, werden
um Schlaf und Gesundheit gebracht und haben bisher keine Perspektive, wie
sich das ändern könnte. In Deutschland entstehen jährlich Lärmkosten in Höhe
von 9,7 Mrd. Euro1, die direkt oder indirekt auf zu hohe Schallwerte zurückge-
hen. Neben Luftverschmutzung ist Verkehrslärm der zweitgrößte Verursacher
von Gesundheitsrisiken. Über elf Millionen Menschen sind davon betroffen.2

Kernproblem beim Schutz vor Verkehrslärm ist der fehlende Anspruch auf
Lärmminderung an bestehenden lauten Straßen und Schienenwegen. Die Mittel
zur Lärmsanierung werden bisher nur als freiwillige Leistung im Rahmen der
verfügbaren Bundeshaushaltsmittel und nur für Straßen in der Baulast des Bun-
des und Schienenwege der Deutschen Bahn AG (DB AG) gewährt. Wer an einer
bestehenden lauten Straße oder Schienenstrecke wohnt, hat damit selten eine
Aussicht auf Verbesserung seiner Situation. Betroffene brauchen eine Perspek-
tive.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. dem Bundestag einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung zu unterbrei-
ten, mit dem zukünftig Gesundheitsschutz an bestehenden zu lauten Straßen
und Schienenstrecken gewährleistet wird;

– darin einen Anspruch auf Ausweisung eines Lärmsanierungsgebietes bei
Überschreitung eines Gesamtlärmpegels von 65 dB(A) (tags) bzw.
55 dB(A) (nachts) für Gebiete mit Wohnnutzung zu schaffen;

– dafür zu sorgen, dass eine für Lärm zuständige Behörde bei Überschrei-
tung des Gesamtlärmpegels verpflichtet wird, Lärmminderungsmaßnah-
men für ein Lärmsanierungsgebiet im Rahmen eines Verhandlungsver-

fahrens mit Bürgerbeteiligung zu entwickeln und umzusetzen;

1 Schreyer, C.; Maibach, M.; Sutter, D.; Doll, C.; Bickel, P. (2007): Externe Kosten des Verkehrs in
Deutschland. Aufdatierung 2005, Zürich, S. 59.

2 Heinrichs, E. et al. (2011): Lärmbilanz 2010. Untersuchung der Entscheidungskriterien für festzule-
gende Lärmminderungsmaßnahmen in Lärmaktionsplänen nach der Umgebungslärmrichtlinie 2002/
49/EG. Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau.

Drucksache 17/13915 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– die Finanzierung der Lärmsanierung bei mehreren Lärmquellen durch
eine Kostenaufteilung entsprechend den energetischen Verursachungsbei-
trägen festzulegen und daran den Finanzierungsanteil des jeweiligen
Baulastträgers zu orientieren;

– Grundlagen für ein einheitliches Bemessungsverfahren zu schaffen, nach
welchem Lärmsanierungsgebiete erfasst werden müssen, und dabei ne-
ben Mittelungspegeln auch Maximalpegel festzulegen, die zu keiner Zeit
überschritten werden dürfen;

– eine Kennzahl für Lärmsanierungsgebiete zu entwickeln, die sich aus der
Höhe der Lärmüberschreitung und der Anzahl der Betroffenen ergibt,
nach der die am stärksten belasteten Gebiete nach Dringlichkeit saniert
werden;

– einen Vorschlag zu unterbreiten, inwiefern ein Verkehrslärmschutzgesetz
als Artikelgesetz die Regelungen der 16. und 34. Verordnung zur Durch-
führung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV) sowie die
§§ 41 bis 43 und 47a bis 47f des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(BImSchG) zusammenführen kann;

2. eine umfassende Prüfung zu den möglichen Kosten einer Lärmsanierung an
Straßen und Schienenstrecken vorzunehmen;

3. ein Finanzierungsmodell zwischen Bund und Ländern und im Einverneh-
men mit den Ländern eine verfassungsrechtlich abgesicherte Lösung zur Be-
seitigung des Investitionsstaus zum Lärmschutz an Straßen in kommunaler
Baulast zu erarbeiten;

4. die Mittel für die Lärmsanierung an Bundesschienenwegen auf 200 Mio.
Euro zu verdoppeln;

5. die Mittel für die Lärmsanierung an Bundesfernstraßen auf 200 Mio. Euro
zu vervierfachen.

Berlin, den 12. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Mit der angestrebten Regelung soll ein nachvollziehbares Verfahren zur Lärm-
minderung an Straßen und Schienenstrecken geschaffen werden. Millionen
Menschen sind betroffen und die Länder drängen auf eine Lösung des Pro-
blems. Sollte diese weiterhin ausbleiben, muss damit gerechnet werden, dass
Betroffene gegen die Belastung klagen und ggf. (teilweise) Sperrungen wichti-
ger Verkehrswege durchsetzen.

Zu Nummer 1

Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt, in einem Stufenplan den Beurtei-
lungspegel für das Auslösen der Lärmaktionsplanung nach der EG-Umge-
bungslärmrichtlinie in einer ersten Stufe auf 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in
der Nacht festzulegen3. Daran sollte sich eine gesetzliche Regelung zum Ver-
kehrslärmschutz orientieren.
3 Umweltbundesamt (2006): Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm –
Auslösekriterien für die Lärmaktionsplanung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13915

Bisher besteht keinerlei Anspruch auf Schutz vor Straßen- oder Schienenlärm
an bestehenden Strecken. Die Mittel werden als freiwillige Leistung im Rah-
men der verfügbaren Bundeshaushaltsmittel gewährt. Den meisten Betroffenen
wird damit nicht geholfen. Für einen fairen Interessenausgleich sollen deswe-
gen bei Pegelüberschreitung Lärmsanierungsgebiete ausgewiesen werden, in
denen eine dafür zuständige Behörde verbindliche Minderungsmaßnahmen
vorschlagen und nach einer Bürgerbeteiligung umsetzen soll. Je höher die Be-
lastung und je größer die Anzahl der Betroffenen, desto dringlicher soll saniert
werden. Da davon auszugehen ist, dass der Sanierungsbedarf höher ist als die
zur Verfügung stehenden Mittel, müssen die Lärmsanierungsgebiete mit einer
Kennzahl nachvollziehbar priorisiert werden. Je mehr Mittel zur Verfügung ge-
stellt werden, desto schneller können die Lärmsanierungsgebiete abgearbeitet
werden. Nach Ausweisung eines Lärmsanierungsgebietes muss die zuständige
Behörde Vorschläge zur Lärmminderung unterbreiten und ein Bürgerbeteili-
gungsverfahren eröffnen. Organisatorische Maßnahmen, die in die Betriebsab-
wicklung eingreifen, sollen vorrangig durch die Behörden geprüft werden
(z. B. Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verkehrslenkung, Beschränkungen für
den Lkw-Verkehr). Führen diese Maßnahmen nicht zu ausreichendem Schutz,
sollen kollektiv wirksame Maßnahmen in der Nähe der Lärmquelle gewählt
werden (z. B. lärmoptimierter Asphalt, Schallschutzwände). Kollektiv wirk-
same Maßnahmen, die einen größeren Kreis der Betroffenen schützen, sollen
einen Vorrang vor Maßnahmen mit Wirkungen nur für einzelne Betroffene er-
halten. Wenn auch diese Maßnahmen nicht für die erforderliche Senkung des
Lärmpegels ausreichen, soll passiver Lärmschutz in der Nähe der Betroffenen
(z. B. Schallschutzfenster) gewährt werden. Wird diese Reihenfolge konse-
quent eingehalten, können der Verwaltungsaufwand und die Kosten für die
Lärmsanierung deutlich gesenkt werden.

Um die Mittel möglichst effizient einzusetzen, sind Lösungen für gemeinsam
auftretende Lärmquellen an Straßen und Schienenstrecken notwendig. Die
Finanzierung der Lärmsanierung soll bei mehreren Lärmquellen durch eine
Kostenaufteilung entsprechend den energetischen Verursachungsbeiträgen er-
folgen. Die Lärmanteile von Straßen und Schienenstrecken in Verantwortung
von Bund, Land oder Kommune legen dabei den Finanzierungsbeitrag des
jeweiligen Baulastträgers fest. Eine Methode hierzu wurde im Gutachten
„Bewältigung von (Gesamt-)Lärmbelastungen – Straße und Schiene: Ein Rege-
lungskonzept“, vorgelegt für das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur
Baden-Württemberg, vorgestellt. Hieran soll sich eine Regelung orientieren.

Lärm wird heute unterschiedlich bewertet. Die in Lärmkartierungen verwende-
ten Rechenverfahren sind vorläufige Berechnungsverfahren auf Grundlage der
EG-Umgebungslärmrichtlinie. Aufgrund der wenig konkreten Anforderungen
an die Qualität der Lärmkartierung ist ein Vergleich der Werte beim Straßenver-
kehrslärm meist nicht möglich. Die Probleme gehen auf die unterschiedliche
Qualität der Eingangsdaten zurück, da unterschiedliche Netzdichten und Stan-
dardwerte genutzt werden, statt differenzierte Werte für Lkw-Anteile, Fahrbah-
nen usw. aufzuführen. Die Lärmbewertung muss daher vereinheitlicht werden.
Das Umweltbundesamt empfiehlt die Verwendung von einheitlichen Schwel-
lenwerten für die zu berücksichtigenden Kfz-Verkehrsstärken in Ballungsräu-
men und die Entwicklung von einheitlichen Kriterien für eine Vorprüfung. Die
Datenerhebung sollte für Geschwindigkeiten, Fahrbahnbeläge, Lkw-Anteile
einheitlich vorgegeben werden und Standardwerte vermeiden. Außerdem sollte
ein Katalog mit allgemein gültigen Qualitätskriterien für Eingangsdaten entwi-
ckelt werden. Neben als Mittelungspegel ausgedrückten Schutzzielen ist eine
Festlegung von Maximalpegeln, die zu keiner Zeit überschritten werden dür-
fen, notwendig.
Derzeit gibt es Regelungen zum Straßen- und Schienenlärm in der 16. und
34. BImSchV sowie in den §§ 41 bis 43 und 47a bis 47f BImSchG. Im Rahmen

Drucksache 17/13915 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einer Neuregelung zur Lärmsanierung an bestehenden Straßen und Schienen-
strecken kann es sinnvoll sein, die bestehenden Regeln in einem Artikelgesetz
zu einem Verkehrslärmschutzgesetz zusammenzufassen.

Zu Nummer 2

Die Datenlage zu den Kosten der Lärmsanierung ist gering. Für die Erarbeitung
eines Anspruchs auf Lärmsanierung ist daher zunächst eine umfassende Be-
standsaufnahme erforderlich, die mittels einer gutachterlichen Bewertung die
Kosten einer umfassenden Lärmsanierung abschätzt. Da eine Regelung für alle
Straßen und Schienenstrecken angestrebt wird, müssen neben Bundesfernstra-
ßen und Schienenwegen der DB AG auch die Sanierungskosten in der Baulast
von Ländern, Kommunen und anderen Gebietskörperschaften erfasst werden.

Etwa 80 Prozent der Straßen sind kommunal bzw. landeseigen. Daher werden
die Länder einer Regelung nur zustimmen, wenn sie bei den Kosten der Lärm-
sanierung finanziell unterstützt werden. Es muss geprüft werden, inwiefern der
Mischfinanzierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgrund des
Artikels 104b Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes Grenzen gesetzt sind. Denk-
bar sind Bund-Länder-Vereinbarungen mit allen 16 Bundesländern, wie sie
z. B. durch Abstufung nicht mehr fernverkehrsrelevanter Bundesstraßen getrof-
fen wurden. Eine weitere Möglichkeit ist eine vergleichbare Regelung wie bei
der Städtebauförderung (Baugesetzbuch, §§ 136 bis 191), bei der Kommunen
mit einem Förderprogramm von Bund und Ländern bei der Entwicklung und
Erneuerung unterstützt werden. Es müsste den Ländern erlaubt werden, einen
zu definierenden Betrag auch für die Lärmsanierung entlang von Landesstraßen
oder NE-Bahnen (Nichtbundeseigene Bahn) zu verwenden. Im Rahmen einer
solchen Vereinbarung sollten die Länder auch eigene Anteile zusagen. Zu prü-
fen wäre hier die Möglichkeit eines Fondsmodells, an dem Bund und Länder
beteiligt sind. Den Antragstellern ist die schwierige finanzielle Situation der
Kommunen bewusst. Ein Modell zur Lärmsanierung muss dies berücksichtigen
und daher auch eine Unterstützung der Kommunen durch bestehende oder neu-
artige Finanzierungsinstrumente unter Berücksichtigung der Konnexitätserfor-
dernisse sicherstellen.

Zu den Nummern 4 und 5

Aktuell stehen 100 Mio. Euro jährlich für die Lärmsanierung an Schienenwe-
gen und 50 Mio. Euro für Bundesfernstraßen im Bundeshaushalt zur Verfü-
gung. Mit diesen Ansätzen würde die Lärmsanierung an Straßen über 30 Jahre
und an Schienen mindestens 15 Jahre dauern. Das ist für die Betroffenen nicht
akzeptabel und die Mittel müssen erhöht werden, um die angestrebten Schutz-
ziele beim Lärmschutz zu erfüllen. Die EG-Wegekostenrichtlinie erlaubt eine
Gebühr zur Deckung der Kosten von Schadstoff- und Lärmemissionen. Die
Lkw-Maut kann deswegen zur Finanzierung der Kosten für die Lärmsanierung
im Straßennetz herangezogen werden. Möglich wären die Einführung einer
Lärmkomponente bei der anstehenden Überarbeitung der Lkw-Maut und die
Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und Fahrzeuge ab 3,5 t.

Den Antragstellern ist bewusst, dass Verkehrslärm neben Straßen und Schie-
nenstrecken auch wesentlich durch Flugverkehr entsteht. Für den Fluglärm be-
stehen Regeln im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm und im Luftverkehrsge-
setz. Diese Gesetze müssen evaluiert und überarbeitet und um Vorgaben zum
aktiven Lärmschutz und zur Begrenzung des Fluglärms im Umfeld der Flughä-
fen ergänzt werden. Eine gemeinsame Regelung von Straßen-, Schienen- und
Fluglärm wäre grundsätzlich wünschenswert; wichtiger ist es jedoch, überhaupt
eine Regelung für die Lärmsanierung an Straße und Schiene zu erreichen und

den Fluglärmschutz zu verbessern. Eine gemeinsame Behandlung der unter-
schiedlichen Gesetzgebungsverfahren würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13915

eine Verbesserung zu verzögern. Deswegen erscheint es sinnvoll, Straßen- und
Schienenlärm sowie Fluglärm zunächst in unterschiedlichen Gesetzen zu be-
handeln. Da eine Regelung für Straßen- und Schienenlärm mit einem Artikel-
gesetz angestrebt wird, kann das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm später als
Bestandteil aufgenommen werden.

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