BT-Drucksache 17/13888

Politischen Mechanismus zum Schutz europäischer Grundwerte etablieren - Rechtsstaatsinitiative konsequent vorantreiben

Vom 11. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13888
17. Wahlperiode 11. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Michael Stübgen, Michael Grosse-Brömer, Stefan Müller
(Erlangen), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Joachim Spatz, Gabriele Molitor, Rainer Brüderle und der
Fraktion der FDP

Politischen Mechanismus zum Schutz europäischer Grundwerte etablieren –
Rechtsstaatsinitiative konsequent vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union (EU) ist weit mehr als nur Binnenmarkt und Reisefrei-
heit. Sie ist in aller erster Linie eine Wertegemeinschaft. Zentrale Elemente sind
dabei die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit sowie gemeinsame Grundwerte,
hervorgegangen unter anderem aus den christlichen Wurzeln und religiösen Tra-
ditionen Europas. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist we-
sentlicher Bestandteil des Rechtekanons der EU und umfasst die allgemeinen
Freiheits- und Gleichheitsrechte, Bürgerrechte sowie die justiziellen, wirtschaft-
lichen und sozialen Rechte aller Unionsbürger. Zusammen mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention, zu deren Einhaltung sich alle Mitgliedstaaten des
Europarates und damit alle EU-Staaten verpflichtet haben, sind beide Doku-
mente die Richtschnur, an der europäisches Handeln ausgerichtet werden muss.
Nicht zuletzt durch die Schuldenkrise im Euro-Raum droht das Vertrauen vieler
Menschen in das gemeinsame europäische Projekt zu sinken. Dieser Entwick-
lung muss entschieden und konsequent entgegengetreten werden. Gerade in der
jetzigen ökonomisch kritischen Phase ist es entscheidend, dass das gemeinsame
Wertefundament der EU intakt bleibt.

Die bisher in den Europäischen Verträgen vorgesehenen Mechanismen gegen
Grundwerteverletzungen sind nach Auffassung des Deutschen Bundestages
noch nicht ausreichend, vorgesehene politische und rechtliche Hürden zu hoch
und zeitliche Abläufe nicht optimal.

Das klassische Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens greift zu kurz, da
es grundsätzliche Fehlentwicklungen wie beispielsweise beim Prinzip der Ge-
waltenteilung oder bei der Unabhängigkeit der Justiz in der Regel nicht erfasst.
Auch die rechtliche Anwendbarkeit der Charta der Grundrechte der Europä-
ischen Union ist in den genannten Fällen nicht gegeben, da sie nur bei der

Durchführung von Europarecht greift. Auch das justice-scoreboard der Europä-
ischen Kommission verfolgt eine andere Zielrichtung. Es ist viel mehr ein tech-
nisches Verfahren im Rahmen des Europäischen Semesters zur systematischen
Prüfung der Leistungsfähigkeit der Justizsysteme der Mitgliedstaaten. Mit Ar-
tikel 7 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) steht der Europäischen
Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat ein sehr weitreichen-
des Instrument zur Reaktion auf schwerwiegende oder anhaltende Verletzungen

Drucksache 17/13888 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der Werte, auf denen sich die EU gründet, zur Verfügung. Aufgrund der sehr ho-
hen Hürden und potenziell sehr weitreichenden Konsequenzen dieses Verfah-
rens wurde es noch nie angewendet. Für Verletzungen oder Gefährdungen der
Werte, auf denen die EU gründet und die unterhalb der Schwelle des Artikels 7
liegen, ist daher ein handhabbarer politischer Mechanismus erforderlich. In die-
sem Sinne legt das Fehlen vorbeugender Maßnahmen in Artikel 7 EUV die Ein-
führung präventiver Instrumente nahe.

Um diese Lücke zu schließen, ist nach Ansicht des Deutschen Bundestages zum
effektiven Schutz der Grundwerte in der EU ein politischer Mechanismus unter-
halb der Schwelle von Artikel 7 EUV erforderlich, der weit vor der Befassung
von Rechtsprechungsorganen greift und Fehlentwicklungen frühzeitig und um-
fassend entgegenwirkt. Hier klafft bisher eine Lücke im Instrumentenkasten der
EU. Es fördert das Bild der EU und ihrer Mitgliedstaaten in der Weltgemein-
schaft, wenn sie sich im Rahmen eines Frühwarnmechanismus rechtzeitig mit
möglichen Fehlentwicklungen befasst und nach einvernehmlichen Lösungen
sucht. Der Deutsche Bundestag begrüßt daher die Initiative der Außenminister
Dänemarks, Finnlands, der Niederlande und Deutschlands zur Stärkung von
Demokratie, Grundwerten und Rechtsstaatlichkeit in der EU, wie sie bei der
3235. Tagung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten am 22. April 2013 in
Luxemburg vorgestellt wurde.

Auf Ebene der EU muss ein politischer Mechanismus geschaffen werden, bei
dem sich die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten sachverhaltsbe-
zogen in einen Dialog über die richtige Implementierung der gemeinsamen
Werte begeben können. Ein solcher Prozess sollte zügig in Gang gesetzt werden
können. Ein denkbarer Startpunkt könnte ein Bericht der Kommission darstel-
len, falls konkrete Anhaltspunkte bestehen, die auf eine Verletzung oder Gefähr-
dung von Grundwerten der EU in einem der Mitgliedstaaten hindeuten. Dieser
Bericht sollte auch bereits eine Stellungnahme des betreffenden Mitgliedstaates
umfassen.

Die Implementierung eines neuen politischen Mechanismus soll möglichst nie-
derschwellig, d. h. nach Möglichkeit ohne Vertragsänderungen, erfolgen. Die
geltenden Verträge bieten ausreichend Spielraum für ein weiteres Instrumenta-
rium. Rechtlich tragfähig könnte beispielsweise eine gemeinsame politische
Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission sein, um im
bislang ungeregelten Vorfeld des Artikels 7 EUV einen neuen politischen Früh-
warnmechanismus zu etablieren. Vorbild hierfür wäre eine ähnliche Praxis wie
im Vorfeld von Vertragsverletzungsverfahren, wo die Kommission bei Vorliegen
konkreter Anhaltspunkte auf Vertragsverletzungen den jeweiligen Mitgliedstaat
zur Abgabe einer Stellungnahme auffordern kann.

Dieser neue rechtsstaatliche Ad-hoc-Mechanismus muss für alle Mitgliedstaa-
ten gelten. So wird gewährleistet, dass das immer wieder kritisierte Gefälle zwi-
schen einer eingehenden Prüfung während des Beitrittsprozesses zur EU und
einer mangelnden Thematisierung von rechtsstaatlichen Fehlentwicklungen
während der Mitgliedschaft abgebaut wird.

Die Europäische Kommission ist als Hüterin der Verträge dazu berufen, ein
politisches Diskussionspapier zu dieser Gesamtthematik zu erarbeiten. Der
Deutsche Bundestag unterstützt daher die Aufforderung der Bundesregierung an
die Europäische Kommission, ein erstes Diskussionspapier zu einem Mechanis-
mus zur Stärkung europäischer Grundwerte und des Rechtsstaats in der EU vor-
zulegen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13888

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

darauf hinzuwirken,

1. dass die Europäische Kommission ein erstes Diskussionspapier für einen
politischen Mechanismus zum Schutz europäischer Grundwerte vorlegt;

2. dass ein solcher Mechanismus möglichst ohne Vertragsänderung eingerichtet
wird;

3. dass der neue politische Mechanismus ein leicht handhabbares politisches
Verfahren erhält, welches unmittelbar in Gang gesetzt werden kann. Er soll
kein flächendeckendes dauerndes Monitoring vorsehen, sondern ad hoc ein-
greifen können;

4. dass sich dieses Instrument auf alle Mitgliedstaaten erstreckt.

Berlin, den 11. Juni 2013

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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