BT-Drucksache 17/13886

Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten

Vom 11. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13886
17. Wahlperiode 11. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Ulrich Kelber, Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Gabriele Groneberg, Astrid Klug, Ute Kumpf,
Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Mechthild
Rawert, Kerstin Tack, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Die digitale Welt verbraucherfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Digitalisierung bringt Veränderungen für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher mit sich, die Eingang in die weitere verbraucherpolitische Diskussion
finden müssen. Das Internet globalisiert Verbraucherverhalten. Der Markt ist
vielfältiger, aber auch unüberschaubarer und intransparenter, die rechtlichen
und technischen Hintergründe sowie der Konsumalltag sind komplexer ge-
worden. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher finden sich im Tarif-
dschungel und im Kleingedruckten nicht zurecht.

Einerseits gilt es die technischen Errungenschaften zu nutzen, andererseits
müssen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gewahrt wer-
den. Die Schutzwürdigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern muss
unter zwei Maßgaben besondere Beachtung finden:

• Verbraucherinnen und Verbraucher, die über vernetzte Endgeräte inter-
agieren, haben kein persönliches Gegenüber, dessen Aktionen und Reak-
tionen sie einschätzen und bewerten können.

• Das Kenntnisniveau und die Umgangserfahrenheit mit neuen Medien sind
unter Verbraucherinnen und Verbrauchern unterschiedlich ausgeprägt.
Das jeweilige Schutzniveau muss so angesiedelt sein, dass es alle Verbrau-
cherinnen und Verbraucher erfasst.

Moderne Verbraucherpolitik muss sich in der digitalen wie auch in der ana-
logen Welt an den tatsächlichen Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Ver-
braucher orientieren. Aktuelle empirische Studien zum Verbraucherverhal-
ten, Gutachten und Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats
Verbraucher- und Ernährungspolitik beim Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) sowie aktuelle Arbeiten
und Positionen des Europäischen Parlaments zum Thema „vulnerable con-

sumers“ bieten eine gute Grundlage für ein modernes Verbraucherleitbild,
nach dem es „die“ Verbraucherinnen und Verbraucher oder „den“ Entschei-
dungstyp nicht gibt. Jede Verbraucherin und jeder Verbraucher hat besondere
Kenntnisse. Während eine Verbraucherin Ernährungsexpertin ist, ist ein an-
derer Verbraucher Computerspezialist.

Drucksache 17/13886 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag geht daher von einem differenzierten Verbraucher-
leitbild aus, wonach sich Verbraucherinnen und Verbraucher grob in drei Ka-
tegorien einordnen lassen:

• den „verletzlichen“ Verbraucher, der mit der Angebotsvielfalt und
- unübersichtlichkeit überfordert ist,

• den „vertrauenden“ Verbraucher, der aus verschiedensten Gründen (z. B.
Zeitmangel, Bequemlichkeit o. Ä.) auf die Sicherheit der Produkte und die
Seriosität des Angebots vertraut, sowie

• den „verantwortungsvollen“ Verbraucher, der sich vor einer Entscheidung
informiert und bewusst auswählt.

Um den verschiedenen Verbrauchertypen gerecht zu werden, muss es Ziel der
Marktgestaltung werden, dass gesunder Menschenverstand ausreichend ist,
um bewusste Entscheidungen zu treffen. Verbraucherbezogene Forschung ist
hierfür unerlässlich.

2. Informationspflichten sind aus verbraucherpolitischer Perspektive nur dann
sinnvoll, wenn die Informationen auch so gestaltet sind, dass sie einen Mehr-
wert für Verbraucherinnen und Verbraucher bieten. Der Nutzen für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher wird derzeit nicht ausreichend evaluiert. Ver-
braucherinnen und Verbraucher sollen die richtige Information zum richtigen
Zeitpunkt in einer für sie verständlichen Weise erhalten. Sie muss verfügbar
sein, wenn sie wirklich benötigt wird und auch im Kontext der digitalen Welt
– so beispielsweise bei der Darstellungsform auf mobilen Endgeräten mit
ihren vergleichsweise kleinen Displays – zweckdienlich sein.

3. Ob die digitale Gesellschaft eine offene, demokratische, kreative, verbrau-
cherfreundliche sowie eine innovative und wirtschaftlich erfolgreiche sein
kann, entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob es gelingt, das Internet offen
und diskriminierungsfrei zu halten. Grundlage hierfür ist, dass alle Bürgerin-
nen und Bürger, alle Verbraucherinnen und Verbraucher Zugang zu schnel-
lem Internet haben sowie eine gesetzlich verankerte Netzneutralität. Der
gleichberechtigte Transport von Daten und der diskriminierungsfreie Zugang
zum Netz und zu dessen Inhalten sind für optimale Teilhabe und niedrige
Marktzugangsschwellen konstitutiv. Die Diskriminierungsfreiheit der Infra-
strukturen und Inhalte bilden die Grundlage für ein freies und innovations-
freundliches Internet.

4. Aufgabe moderner Verbraucherpolitik ist es, die Grundrechte der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, insbesondere das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulich-
keit und Integrität informationstechnischer Systeme, auch in der digitalen
Gesellschaft zu wahren. Jeder muss auch in der digitalen Welt das Recht ha-
ben, selbst zu entscheiden, was er wann mit seinen personenbezogenen Daten
macht und wie diese Daten verarbeitet werden. Das Grundrecht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung muss zur Geltung kommen. Auch das immer
mehr an Bedeutung gewinnende Grundrecht auf Gewährleistung der Vertrau-
lichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – das IT-Grundrecht –
dient dem Persönlichkeitsschutz der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Maßnahmen des Datenschutzes und der Datensicherheit sind besonders
wichtige Mittel und ergänzen sich gegenseitig, um den Schutz dieser Grund-
rechte zu gewährleisten. Hohe Datenschutzstandards sind mehr denn je not-
wendig, insbesondere weil Verbraucherinnen und Verbraucher immer mehr
digitale Technik nutzen und somit immer mehr digitale Spuren hinterlassen,
aber auf Grund der immer komplexeren Systeme meist nicht in der Lage sind,
ausreichende Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen. Hohe Datenschutz- und

Datensicherheitsstandards schaffen das nötige abstrakte Vertrauen in diese
Techniken und ermöglichen erst dadurch allen Verbraucherinnen und Ver-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13886

brauchern unabhängig von den eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten einen
unbefangenen Umgang mit den neuen Techniken und Möglichkeiten. Hohe
Datenschutz- und Datensicherheitsstandards tragen auf diese Weise auch
dazu bei, dass alle Verbraucherinnen und Verbraucher unabhängig von ihren
technischen Kenntnissen an den neuen Entwicklungen teilhaben können.

5. Die Anforderungen an einen wirksamen Datenschutz haben sich durch die
zunehmende Nutzung digitaler Techniken verändert. Datenschutz – und so-
mit der Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Verbraucherinnen
und Verbraucher – lässt sich nicht mehr allein dadurch gewährleisten, dass
auf problematische Sachverhalte im Einzelfall gesetzgeberisch reagiert wird.
Es sind nicht mehr nur Datenhandel, die Datensammelwut des Staates oder
einzelner Unternehmen, illegale Geschäftspraktiken oder in einzelnen Tech-
niken liegende funktionale Besonderheiten, die die Souveränität der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher über ihre Daten gefährden. Aus der rasanten Ent-
wicklung neuer Techniken, der Globalisierung von Datenverarbeitung und
der Vernetzung sämtlicher Lebensbereiche sowie der Verknüpfung von All-
tagsgegenständen mit dem Internet ergeben sich vielmehr auch strukturelle
Risiken für die Grundrechte der Betroffenen. Diese Entwicklung wird in den
kommenden Jahren zunehmen.

Profilbildung – das Erfassen von Verhalten und Persönlichkeitsmerkmalen
zur Berechnung von Vorlieben oder Wahrscheinlichkeiten – ist in vielen
Bereichen der digitalisierten Gesellschaft bereits Realität. Auf Profilbildung
basierende Dienste können nützliche Helfer im Alltag sein und Verbrauche-
rinnen und Verbraucher mit gewünschten Informationen versorgen. Auf der
anderen Seite werden personenbezogene Daten in einem Umfang und in
einer Vielfalt gesammelt und ausgewertet, die nicht von allen Verbraucherin-
nen und Verbrauchern gewollte Einblicke in wesentliche Teile der Lebens-
gestaltung oder gar aussagekräftige Bilder der Persönlichkeit ermöglichen.
Neben einer verbesserten Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher
über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes, be-
darf es allgemeingültiger Regelungen, unter welchen Voraussetzungen Pro-
filbildung erlaubt sein soll.

Neue Trends, wie die unter dem Stichwort „Big Data“ bekannten Technolo-
gien zur Verknüpfung und Auswertung unstrukturierter Datenmengen aus
verschiedensten Quellen – teils in Echtzeit –, stellen den Datenschutz vor He-
rausforderungen. Big-Data-Technologien bieten Chancen. Sie können etwa
im Gesundheitsbereich, der Energieversorgung oder in der Verkehrsplanung
wertvolle Erkenntnisse liefern. Es gilt, den gesellschaftlichen Nutzen der Da-
tenverarbeitung von Big-Data-Technologien mit dem Prinzip der informa-
tionellen Selbstbestimmung zu vereinen. Datenschutz ist ein grundlegendes
Freiheitsrecht. Jede und jeder muss selbst entscheiden können, wie mit ihren/
seinen Daten umgegangen wird. Daher kommt dem Datenschutz durch Tech-
nik eine grundlegende Bedeutung zu: Anonymisierung und Pseudonymisie-
rung können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Datenanalysen mit den
Zielen und den hohen Anforderungen des Datenschutzes vereinbar zu ma-
chen. Diese Vereinbarkeit ergibt sich allerdings nicht von alleine – sie muss
aktiv politisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund müssen klare ge-
setzliche Regelungen bereits beim Erheben von personenbezogenen Daten
ansetzen und nicht erst bei deren Nutzung.

Es muss sichergestellt werden, dass der unbestreitbare Nutzen, den z. B. Big-
Data-Anwendungen für die Gesellschaft bringen können, nicht zu gläsernen
Verbraucherinnen und Verbrauchern führt. Der anonymen Gestaltung von auf
Profilbildung basierenden Geschäftsmodellen und der Förderung entspre-

chender Techniken kommt dabei besondere Bedeutung zu. Anonymisierung
und Pseudonymisierung können aber nur dort greifen, wo auf Grund der er-

Drucksache 17/13886 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

hobenen und verknüpften Daten ein „single out“, also die eindeutige Identi-
fizierung einer einzelnen Person, nicht möglich ist.

Eröffnen Verbraucherinnen und Verbraucher beispielsweise einen Account
bei einem sozialen Netzwerk oder nehmen sie ein neu erworbenes Smart-
phone in Betrieb, so müssen sie sich durch teils sehr umständliche und breit
gefächerte Einstellungsebenen kämpfen, bis sie überhaupt wissen, welche
Daten öffentlich zugänglich sind, ob Daten in der Cloud gespeichert werden
oder welche Dienste auf die GPS-Funktion oder das Adressbuch ihres Tele-
fons zugreifen. Die Voreinstellungen sind hier in der Regel eben so daten-
schutzunfreundlich wie undurchsichtig. Damit Verbraucherinnen und Ver-
braucher bei der Nutzung neuer Techniken oder Dienste zu jeder Zeit volle
Kontrolle darüber haben, welche Daten erhoben, verarbeitet oder veröffent-
licht werden, muss der Grundsatz „Privacy by default“ gesetzlich verankert
werden. Damit wären alle Dienste oder Endgeräte verpflichtend, so daten-
schutzfreundlich wie möglich voreinzustellen. Es muss den Verbraucherin-
nen und Verbrauchern überlassen bleiben, und durch einfache bzw. plakative
Benutzerführung auch faktisch möglich sein, Apps oder Diensten den Zugriff
auf einzelne Daten zu gewähren oder einzelne Daten zur Speicherung in der
Cloud freizugeben.

Ebenso ist bei der Entwicklung einer neuen Technik ein präventiver Ansatz
erforderlich. Router, intelligente Stromzähler oder Smartphones aber auch
Dienstleistungen im Internet wie Suchmaschinen führen zu massenweiser
Verarbeitung personenbezogener Daten. Es ist weder zielführend noch ökono-
misch sinnvoll, wenn Datenschutzprobleme erst bei der Verwendung beob-
achtet werden und durch nachträgliche Änderungen oder Nachrüstungen auf
diese reagiert wird. Zum einen hat die persönlichkeitsrelevante Datenverar-
beitung dann bereits stattgefunden, zum anderen können nachträgliche Kor-
rekturen sehr zeit- und kostenintensiv sein. Nützlich ist ein Konzept, das be-
reits bei der Herstellung von Endgeräten oder der Programmierung von
Anwendungen ansetzt und den Datenschutz über den gesamten Lebenszyklus
einer Technologie hinweg – von der Herstellung über die Nutzung bis hin zur
Entsorgung – von vornherein mitdenkt. Der Grundsatz „Privacy by Design“
muss gesetzlich geregelt werden.

In der digitalen Welt werden zunehmend unterschiedliche Dienste miteinan-
der verknüpft. Gleichzeitig geht der Trend zu integrierten Systemen, bei den
Hardware, Software und Dienste zu einheitlichen integrierten Systemen ver-
bunden werden, die gegenüber Konkurrenzprodukten abgeschottet und in-
kompatibel sind. Apple hat mit einem solchen geschlossenen System den An-
fang gemacht. Zurzeit wird an der Marktreife weiterer, mit bestimmter
Hardware und Geräten verknüpfter integrierter Dienstleistungen gearbeitet.
Als Beispiel seien „connected car“ oder „connected home“ bzw. „smart
home“ genannt. Der Ausbau von Clouddiensten und die Einführung von
IPV6 werden diese Entwicklung weiter beschleunigen. Hat der Benutzer sich
in diesen Diensten „eingerichtet“, so geht beim Wechsel des Anbieters, des
Geräte- oder Fahrzeugherstellers eventuell ein mehr oder weniger großer Teil
seiner Daten und damit „Lebenseinrichtung“ verloren. Es entstünde eine Art
„digitale Leibeigenschaft“. Darum ist es nicht nur aus Gründen des Verbrau-
cherschutzes, sondern auch zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs und der
Wettbewerbsgleichheit, notwendig, das Recht auf Transportabilität eigener
Daten gesetzlich zu verankern und einheitliche Standards für den Datenaus-
tausch und den Ex- und Import von Daten zu definieren.

6. Finanztransaktionen finden immer häufiger über digitale Infrastrukturen
statt. Dies nicht nur im Bereich des Onlinebanking und der Onlinebezahl-

dienste, sondern auch beim alltäglichen Einkaufen im Geschäft. Wenn Ver-
braucherinnen und Verbraucher an der Kasse mit ihrer Kreditkarte oder per

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13886

Lastschrifteinzugsverfahren bezahlen, finden internetbasierte Datenverarbei-
tungen statt. Erste Techniken des mobilen Bezahlens via Smartphone stecken
bereits in den Startlöchern. Sowohl Internetzahlungsdienste als auch Techni-
ken für mobiles Bezahlen müssen so gestaltet werden, dass Verbraucherinnen
und Verbraucher keine Angst vor Betrug im Zahlungsverkehr oder Miss-
brauch ihrer Zahlungsdaten haben müssen. Der Erfolg von Online- und Mo-
bile-Payment-Diensten hängt entscheidend vom Vertrauen der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher in die neuen Techniken und Möglichkeiten ab.

Bei der Nutzung von Onlinebanking und Onlinebezahlsystemen müssen Ver-
braucherinnen und Verbraucher darauf vertrauen können, dass sie und ihr
Vermögen vor unberechtigtem Zugriff geschützt sind. Bevor eine Zahlung
online veranlasst werden kann, muss durch starke Authentifizierungsmecha-
nismen die Berechtigung des Nutzers oder der Nutzerin sichergestellt sein.

Derzeit geht der Trend im Internet dahin, dass sowohl Händler als auch Ver-
braucherinnen und Verbraucher beim selben Zahlungsdienstleister angemel-
det sein müssen. Dies führt nicht nur dazu, dass Verbraucherinnen und Ver-
braucher gezwungen werden, ihre Kontodaten bei etlichen Diensten zu
hinterlegen und Händler über etliche dieser Dienste Zahlungen abzuwickeln,
es schränkt zudem auch den Wettbewerb unter den Zahlungsdienstleistern
ein. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten ihren Zahlungsdienstleister
frei wählen können. Wenn sie sich bei einer Vielzahl von Zahlungsdienstleis-
tern registrieren müssten, geht ihnen der notwendige Überblick über erfolgte
Transaktionen und ggf. auch missbräuchliche Abbuchungen abhanden. Neue
Onlinebezahlformen sollten daher auf standardisierten Verfahren aufsetzen,
so dass Verbraucherinnen und Verbraucher ggf. einen anderen Zahlungs-
dienstleister als den des Händlers nutzen können. Nur durch eine freie Wahl
des Zahlungsdienstleisters kann dauerhaft ein funktionierender Preis- und
Leistungswettbewerb ermöglicht werden.

Auch Mobiltelefone sind fast ständig online erreichbar und dadurch beson-
ders angreifbar. Sicherheitssoftware hat sich, anders als beim PC, noch nicht
durchgesetzt. So kann Schad- oder Spionagesoftware beispielsweise über
Apps oder Updates anderer Anwendungen in das Smartphone gelangen.
Auch wird es durch die immer mehr werdenden Anwendungen, die zu Mar-
ketingzwecken Zugriff auf Daten verlangen, angreifbar. Alle Bezahlformen
des Online und Mobile Payments erfordern daher Sicherheitssysteme auf
hohem Niveau unter Gewährleistung der Nutzbarkeit. Anbieter sollten IT-
Sicherheit stärker in den Produkten implementieren. Dies kann über gesetz-
liche Anreize wie beispielsweise durch Produkthaftungsregelungen oder eine
Beweislastregelung befördert werden.

7. Die digitale Welt zeichnet sich dadurch aus, dass der technologische Fort-
schritt ständig neue Marktsegmente und -teilnehmer hervorbringt. Zudem
bietet der digitale Markt im Vergleich zu anderen Märkten viele scheinbar
„kostenfreie“ Angebote, was ihn deutlich von anderen Märkten unterschei-
det. Verbraucherinnen und Verbraucher haben es schwer, seriöse von unse-
riösen Angeboten zu unterscheiden. Analoge Strukturen und Zuständigkeiten
verhindern in der Regel sowohl eine umfassende zivilgesellschaftliche
Marktbeobachtung wie auch staatliche Marktmissbrauchsaufsicht. Wir brau-
chen daher einen Marktwächter in der digitalen Welt, der die Marktstrukturen
beobachtet, Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern sammelt
und systematisch auswertet, Missstände an die zuständigen Aufsichtsbehör-
den meldet und im Zweifel auch die Rechte der Verbraucherinnen und Ver-
braucher durchsetzt. Darüber hinaus soll er in der Verbraucherbildung aktiv
sein. Der Marktwächter digitale Welt soll nicht nur konkrete Beschwerden

aufnehmen, bündeln und überprüfen, ob eine systematische Benachteiligung
der Verbraucherinnen und Verbraucher vorliegt, sondern auch allgemeine

Drucksache 17/13886 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Geschäftsbedingungen sowie verbraucherschützende Vorschriften (bspw.
Button-Lösung) im Onlinehandel kontrollieren. Die Überwachung der daten-
schutzrechtlichen Vorschriften sowie des Umgangs mit Daten im digitalen
Bereich von der Onlineplattform bis hin zu Praktiken in Ladengeschäften
bspw. mit RFID Chips, gehören ebenso zu seinen Aufgaben. Er sammelt Ver-
braucherbeschwerden und wertet diese systematisch aus.

8. Unter dem Motto „Vergüten statt verbieten“ vereinen sich die im digitalen
Zeitalter scheinbar gegensätzlichen Notwendigkeiten. Auch im digitalen
Zeitalter muss den Kultur- und Kreativschaffenden aus der Verwertung geis-
tigen Eigentums eine angemessene Vergütung erwachsen. Auf der anderen
Seite muss die reale Nutzung des Netzes zur legalen Nutzung werden. Hierzu
müssen moderne – für Urheberinnen und Urheber sowie Nutzerinnen und
Nutzer gleichermaßen attraktive – Onlineangebote und Geschäftsmodelle für
das Internet etabliert und der Trend zur Nutzung legaler Onlineangebote un-
terstützt werden. Eine Kulturflatrate lehnt die Fraktion der SPD ab.

Es bedarf neuer Geschäftsmodelle und Vermarktungsstrategien, die sowohl
die Rechte der Urheberinnen und Urheber wahren als auch die digitalen
Realitäten und Gewohnheiten der Verbraucherinnen und Verbraucher berück-
sichtigen. Die derzeitige Situation, in der Verbraucherinnen und Verbraucher
auf Grund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen mit dem Ur-
heberrecht in Konflikt geraten, ist genauso wenig haltbar, wie daraus resul-
tierende Einnahmeverluste der Urheberinnen und Urheber. Diese neuen Ge-
schäftsmodelle und Vermarktungsstrategien sollen sowohl den Urheberinnen
und Urhebern und Verwerterinnen und Verwertern von Rechten dienen als
auch zugleich eine einfache und verbraucherfreundliche legale Nutzung ge-
schützter Inhalte ermöglichen, was auch den Nutzerinnen und Nutzern die
nötige Rechtssicherheit bietet. Die Entwicklung legaler kommerzieller Ge-
schäftsmodelle sollte daher unterstützt und vorangetrieben werden.

Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt unklar, warum di-
gitale Werkexemplare im Gegensatz zu Datenträgern nicht weiterverkauft
werden dürfen. Der Europäische Gerichtshof hat 2012 in einem Vorab-
entscheidungsverfahren (Az.: C-128/11) entschieden, dass Softwarehersteller
den Weiterverkauf „gebrauchter“ Lizenzen nicht untersagen dürfen, wenn
der Käufer diese per Download erworben hat und ihm dabei ein zeitlich un-
begrenztes Nutzungsrecht eingeräumt wurde. Körperliche Kopien auf CDs
und ähnlichen Datenträgern seien insofern aus dem Internet heruntergelade-
nen Programmkopien gleichzustellen. Allerdings müsse der Erwerber beim
Weiterverkauf die Kopie von seinem eigenen Rechner löschen. Es ist zu prü-
fen, ob und inwiefern die Grundsätze dieser Entscheidung zu UsedSoft auch
auf den Bereich des Handels mit digitalen Mediengütern (beispielsweise
Filme, Musik, eBooks) übertragen werden können.

Die Regelungen zur Privatkopie haben sich im Grundsatz bewährt. Sie tragen
erheblich zum Rechtsfrieden bei, auch wenn die Rechtsanwendung in der
Praxis kompliziert ist. Eine weitere Beschränkung der Zulässigkeit der Pri-
vatkopie wäre kontraproduktiv und ist in der Praxis nicht durchsetzbar. Sie
darf auch – im Rahmen des rechtlich Erlaubten – nicht durch Nutzungsbedin-
gungen und Lizenzvereinbarungen eingeschränkt werden.

Ein weiteres drängendes Handlungsfeld ist die massenhafte Abmahnung von
Privaten auf Grund von Urheberrechtsverstößen im Internet. Familien wer-
den mit überzogenen Gebühren von durchschnittlich 700 bis 800 Euro, mit-
unter auch deutlich darüber, belastet, wenn ein Kind einen Song ins Internet
gestellt hat oder ein Dritter über einen vermeintlich nicht ausreichend ge-
sicherten Internetanschluss unbefugt Dateien hochgeladen hat. Aus der Ab-

mahnung gegenüber Privaten darf kein „Geschäft“ werden. Deshalb müssen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/13886

die Abmahnkosten bei Urheberrechtsverstößen im privaten Bereich wirksam
begrenzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. verbraucherbezogene Forschung zu stärken und auszubauen, mit dem Ziel,
anhand von validen Erkenntnisse – etwa der Verhaltensökonomie oder zu
Marktstrukturen – durch verbraucherpolitische Maßnahmen den Markt so zu
gestalten, dass auch verletzliche und vertrauende Verbraucherinnen und Ver-
braucher nicht benachteiligt oder überfordert werden;

2. ein Verbraucherpanel als jährliche und repräsentative Verbrauchererhebung
einzurichten;

3. einen Verbrauchercheck im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren einzufüh-
ren, bei dem die Auswirkungen von gesetzlichen Regelungen auf Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in der analogen wie auch digitalen Welt beleuch-
tet werden;

4. Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität von Verbraucherinformationen zu
ergreifen. Insbesondere sollen

a) die notwendigen und wesentlichen Informationen – aber auch die erfor-
derlichen rechtsverbindlichen Einwilligungserklärungen – dem genutzten
Medium angemessen gestaltet und verständlich sein;

b) Verbraucherinformationen dahingehend geprüft werden, ob eine Informa-
tion für den angestrebten Zweck das richtige Mittel ist bzw. ob es sich um
einen Bereich handelt, in dem eine Information den Verbraucherinnen und
Verbrauchern die Wahlfreiheit erleichtert und somit einen Mehrwert bietet
oder eher um einen Bereich in dem Verbraucherinnen und Verbraucher
schutzbedürftig sind und daher andere Instrumente zielführender wären;

c) Verbraucherinformationen dahingehend geprüft werden, ob sie verfügbar
sind, wenn sie wirklich benötigt werden;

d) Verbraucherinformationen dahingehend geprüft werden, ob sie für die un-
terschiedlichen Verbrauchergruppen verständlich sind;

5. ein Recht auf schnelles Internet für alle über eine Universaldienstverpflich-
tung gesetzlich abzusichern;

6. Netzneutralität gesetzlich zu verankern;

7. in den Verhandlungen im Europäischen Rat über eine Europäische Daten-
schutz-Grundverordnung hohe Datenschutzstandards durchzusetzen, damit
die Persönlichkeitsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gewahrt
bleiben, insbesondere (zur Datenschutz-Grundverordnung siehe auch Antrag
der Fraktion der SPD auf Bundestagsdrucksache 17/11144),

• das so genannte Marktortprinzip zu verankern, damit bei der Verarbeitung
von Daten europäischer Verbraucherinnen und Verbraucher auch europä-
isches Datenschutzrecht gilt;

• am Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und am Einwilligungsvorbehalt festzu-
halten und begleitend Möglichkeiten zu entwickeln, die Einwilligung im
Hinblick auf die digitale Welt für datenverarbeitende Stellen und Verbrau-
cherinnen und Verbraucher gleichermaßen praktikabler zu machen;

• die Begriffe Profiling, Anonymisierung, Pseudonymisierung sowie Daten-
übertragung zu definieren;

Drucksache 17/13886 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
• Datenschutz durch Technik und damit die Möglichkeiten der Anonymi-
sierung und Pseudonymisierung zu fördern, mit dem Ziel, das Erheben
von personenbezogenen Daten soweit möglich von vornherein zu ver-
meiden bzw. zu begrenzen;

• die Zielvorgaben des Datenschutzes – Datensparsamkeit, Datenvermei-
dung und die Zweckbindung jeglichen Umgangs mit Daten – stärker zur
Geltung zu bringen;

• mit den Grundsätzen „Privacy by default“ und „Privacy by Design“ einen
präventiven Ansatz des Datenschutzes zu etablieren;

• Regelungen zu Profilbildung zu etablieren, die bereits bei der Erhebung
der Daten ansetzen und die Souveränität der Betroffenen über ihre Daten
berücksichtigen;

• den rechtlichen Rahmen zu setzen, damit gut ausgestattete, starke und
unabhängige Aufsichtsbehörden eine konsistente Anwendung des Daten-
schutzrechts in ganz Europa gewährleisten können;

• durch spürbar hohe Strafen und Bußgelder finanzielle Anreize zu setzen,
wirksame Datenschutz- und Datensicherheitsstandards in Unternehmen
zu implementieren;

• ein Recht auf Datentransportabilität festzuschreiben, das in keiner Hin-
sicht eingeschränkt werden darf, und Regelungen zur Definition von
einheitlichen Standards dafür zu treffen;

8. standardisierte Verfahren für Onlinebezahlmodelle zu fördern, so dass Ver-
braucherinnen und Verbraucher den Zahlungsdienstleister frei wählen kön-
nen und so dauerhaft ein funktionierender Preis- und Leistungswettbewerb
ermöglicht wird;

9. einen Marktwächter digitale Welt bei den Verbraucherzentralen und ihrem
Bundesverband einzurichten, der die Marktstrukturen beobachtet, Be-
schwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern sammelt und systema-
tisch auswertet, Missstände an die zuständigen Aufsichtsbehörden meldet
und im Zweifel auch die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher
durchsetzt;

10. im Zuge der Einführung eines Marktwächters digitale Welt die Klarstellung
im Unterlassungsklagegesetz (UKlaG) vorzunehmen, dass Datenschutzvor-
schriften, soweit sie Verbraucherrechte betreffen, Verbraucherschutzgesetze
im Sinne des UKlaG sind;

11. zu prüfen, wie der Weiterverkauf von digitalen Gütern rechtlich ermöglicht
werden kann;

12. die Möglichkeit von Privatkopien auch in der digitalen Welt zu erhalten;

13. massenhafte Abmahnungen von Urheberrechtsverletzungen durch Private
einzudämmen, in dem eine Streitwertobergrenze mit klar gefasstem Anwen-
dungsbereich eingeführt wird – insbesondere sind Ausnahmetatbestände
mit unbestimmten Rechtsbegriffen abzulehnen. Auch der „fliegenden Ge-
richtsstands“ bei Urheberrechtsverstößen im Internet muss eingeschränkt
werden.

Berlin, den 11. Juni 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.