BT-Drucksache 17/13821

Diskrepanz zwischen Unterrichtung des Parlaments und Vorfällen in Afghanistan

Vom 30. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13821
17. Wahlperiode 30. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Christine Buchholz, Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Annette
Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Harald Koch und der Fraktion DIE LINKE.

Diskrepanz zwischen Unterrichtung des Parlaments und Vorfällen in Afghanistan

Wöchentlich werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestags über die
Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr durch das Bundesministerium der
Verteidigung (BMVg) unterrichtet. Diese „Unterrichtungen des Parlamentes“
(UdP) werden in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt erstellt und den Ab-
geordneten der zuständigen Fachausschüsse zugeleitet. Sie bilden eine wichtige
Grundlage in den parlamentarischen Debatten um die Verlängerung von Manda-
ten, in deren Rahmen die Auslandseinsätze der Bundeswehr stattfinden. Viele
Abgeordnete verlassen sich auf eine ehrliche und genaue Darstellung in den
UdP, um die Entwicklung der militärischen Konfrontationen in den Einsatzlän-
dern und das Ausmaß der Gefahren abschätzen zu können, denen die entsandten
Soldatinnen und Soldaten infolge von Parlamentsbeschlüssen ausgesetzt sind.

In der UdP 40/08 (Redaktionsschluss 1. Oktober 2008) berichtete das BMVg
über einen Angriff auf das Camp Marmal. Dabei handelt es sich um das größte
Feldlager der Bundeswehr in Afghanistan mit einigen Tausend Soldaten aus ver-
schiedenen Ländern. Es liegt in der Nähe der afghanischen Stadt Masar-e-Sharif,
hat eine Größe von 2 km2 und beherbergte zum Zeitpunkt des Angriffs den Stab
der deutschen Streitkräfte in Afghanistan, das Regionalkommando Nord (Regional
Command North – RC N) der International Security Assistance Force (ISAF).
Im Lager befanden sich darüber hinaus die Kräfte der Quick Reaction Force
(QRF) und das norwegische Camp Nidaros.

Im November 2012 veröffentlichte die WAZ-Mediengruppe gescannte Exem-
plare der Unterrichtungen des Parlaments zum Einsatz in Afghanistan auf einer
Internetseite. Der am 27. September 2008 in Camp Marmal befindliche Offizier
Daniel Lücking bemerkte daraufhin, dass die Unterrichtung des Parlaments
durch das BMVg über den erfolgten Angriff erheblich von dessen tatsächlichem
Verlauf abwich.

In seinem öffentlich zugänglichen Blog http://ptbsblog.daniel-luecking.de/isaf-
3-2008 beschreibt der damalige Oberleutnant Daniel Lücking, dass er bereits zur
Mittagszeit des 27. September 2008 auf dem Weg zur Lagerkantine zwei heftige
Detonationen vernehmen konnte. Etwa eine Viertelstunde später wurde Alarm
ausgelöst, der erst am nächsten Tag gegen 8 Uhr aufgehoben wurde. Einheiten
der Schutzkompanie seien durch das Lager gefahren und hätten über Lautspre-

cher die Soldaten aufgefordert, in den Containern zu bleiben. In der Folge kam
es zu einem Stunden währenden Feuergefecht in Hörweite zum Lager, das erst
am Abend endete. Nach Angaben Daniel Lückings konnte man auch Flugzeuge
hören. Er vermutet, dass es sich dabei um Luftunterstützung durch NATO-Ver-
bündete handelte.

Drucksache 17/13821 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Daniel Lücking beschreibt ferner, dass er von einem Kameraden aus der Stabs-
abteilung in der Folge erfuhr, dass insgesamt acht Raketen im Lager eingeschla-
gen seien. Nicht alle seien detoniert, aber „sehr präzise abgefeuert worden“. Es
habe sich nicht um altes Material gehandelt, sondern um moderne Raketen. Als
mögliche Ziele kamen das Betriebsstofflager oder der norwegische Teil des La-
gers in Frage – einen Tag vor Besuch der norwegischen Verteidigungsministerin.

Des Weiteren berichtet Daniel Lücking, dass er selbst Zeuge der Verhaftung
eines Afghanen am Lagereingang wurde. Der genannte Kamerad aus der Stabs-
abteilung berichtete ihm von der Verhaftung von insgesamt drei Afghanen, die
an die mit der NATO verbündeten afghanischen Kräfte übergeben worden seien.

Daniel Lücking beschreibt in seinem Blog, wie er seinen Abteilungsleiter am Tag
nach den Angriffen um Aufklärung über die Diskrepanz zwischen der offiziellen
Darstellung und den realen Vorgängen im Camp bat, dieser nach der Stabs-
besprechung jedoch nachdrücklich auf die offizielle Darstellung verwies. Ihm sei
der Eindruck vermittelt worden, dass Nachfragen nicht erwünscht waren.

Wenige Tage nach dem Vorfall bestätigte der landeskundliche Berater des Kom-
mandeurs gegenüber Daniel Lücking in einem persönlichen Gespräch, dass es
Festnahmen gegeben habe. Daniel Lücking zitiert diesen Berater mit den Worten:
„Keine Sorge, dass machen die Drei nie wieder. Die Aktion war nicht mit dem
Gouverneur der Provinz Balkh abgestimmt. Die sind jetzt einen Kopf kürzer.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Eintragungen weisen die in Masar-e-Sharif durch die ISAF-Kräfte
geführten Logbücher der Operationszentrale (OPZ) zu diesem Vorfall auf?

a) Wie viele Raketen schlugen gemäß dieser Logbücher am 27. September
2008 im Camp Marmal ein?

b) Wie viele dieser Raketen sind gemäß dieser Logbücher detoniert?

c) Welcher Raketentyp wurde gefunden bzw. wird vermutet?

d) Welche Eintragungen weisen die ISAF-Logbücher zur durchgeführten
Luftunterstützung auf?

Handelte es sich um Aufklärungsflugzeuge?

e) Was ist über die Herkunft der Angreifer bekannt?

Handelte es sich nach Einschätzungen der Bundeswehrführung um einen
Green-on-Blue-Vorfall?

f) Wie viele Personen wurden im Zusammenhang mit dem Angriff durch die
Bundeswehr festgenommen?

g) Wann erfolgte die Übergabe laut ISAF-Logbücher der Festgenommenen
an die afghanischen Kräfte?

h) Welche Einheiten haben laut ISAF-Logbücher die Festnahme durchge-
führt?

i) Wie lange dauerte das Feuergefecht am 27. September 2008 ?

j) Wie viele der Opposing Militant Forces wurden laut ISAF-Logbücher bei
dem Feuergefecht verletzt oder getötet?

k) Wann wurde der Alarm im Lager aufgehoben?

2. Was ist über das weitere Schicksal der am 27. September 2008 festgenomme-
nen Afghanen bekannt?
3. Welche Vorschriften galten am 27. September 2008 für die Festnahme und
Überstellung von Afghanen für die Bundeswehrkräfte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13821

4. Gibt es weitere relevante Vorkommnisse oder spätere Erkenntnisse im Zu-
sammenhang mit dem geschilderten Angriff am 27. September 2008, die das
BMVg in der UdP 40/08 nicht aufgeführt hat?

5. Wie viele Raketenangriffe hat es seit dem genannten Vorfall auf das Camp
Marmal gegeben (bitte Zeitpunkt und Zahl der jeweiligen Raketentreffer im
Camp aufführen)?

Berlin, den 30. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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