BT-Drucksache 17/13607

Übung des Spezialkräfteverbundes ATLAS im April 2013

Vom 16. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13607
17. Wahlperiode 16. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Heidrun Dittrich, Annette Groth, Harald Koch und der Fraktion DIE LINKE.

Übung des Spezialkräfteverbundes ATLAS im April 2013

Die Zusammenarbeit polizeilicher Spezialkräfte der EU-Staaten wird fortlaufend
intensiviert. Dabei wird auch mit paramilitärischen Einheiten zusammengear-
beitet, also Mischformen aus Polizei und Militär, wie sie in einer Reihe von EU-
Ländern existieren. Eine der Zusammenarbeitsformen ist der europaweite Ver-
bund „ATLAS“, dessen Vorsitz Deutschland zurzeit innehat. Koordinator ist
damit der GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner.

Am 17. und 18. April 2013 fand die „bislang komplexeste Krisenreaktions-
simulation auf europäischer Ebene“ statt (Pressemitteilung der Europäischen
Kommission vom 17. April 2013). Bei der Übung „Common Challenge 2013“
simulierten Spezialkräfte, die „ATLAS“ angehören, „Terroranschläge in neun
EU-Mitgliedstaaten in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens“. Die
Leitung oblag der Bundespolizei bzw. der GSG 9. Bewältigt wurden die terro-
ristischen Angriffssimulationen dann zumindest teilweise durch gemeinsame
Einsätze der beteiligten Spezialkräfte. So waren an der Klärung einer Geisellage
in einer österreichischen Schule neben österreichischen auch tschechische und
deutsche Polizisten beteiligt (www.zdf.de/ZDFmediathek/#/beitrag/video/1884
068/ZDF-heute-journal-vom-17042013).

Als eine der Grundlagen der Zusammenarbeit polizeilicher Spezialkräfte der
EU-Staaten, die weiter intensiviert werden soll, nennt die Europäische Kom-
mission Artikel 222 des Vertrages von Lissabon („Solidaritätsklausel“). Darin
heißt es, die Union werde „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließ-
lich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“
nutzen – nicht nur, um gegen Terroristen vorzugehen, sondern generell anläss-
lich nicht weiter bestimmter „Katastrophen“. Die Fragesteller haben bereits in
der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass insbesondere die Zusammenarbeit
polizeilicher und militärischer Kräfte auf eine grundrechtsrelevante Militarisie-
rung polizeilicher Arbeit hinauszulaufen droht. Der teilweise – auch in der
Pressemitteilung der Europäischen Kommission – zur Begründung für solche
Übungen herangezogene Bombenanschlag von Boston ist nach Auffassung der
Fragesteller allerdings keine Gefahr, auf die militärisch zu reagieren wäre.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rolle kam der Generaldirektion Inneres der Europäischen Kommis-
sion bei der Koordinierung der Übung des Spezialkräfteverbundes ATLAS
im April 2013 zu, und welche Aufgaben genau hat sie dabei übernommen
(bitte möglichst unter Angabe der jeweiligen Dienststellen)?

Drucksache 17/13607 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Rolle kam der Kommission bei der Durchführung und welche
Rolle kommt ihr bei der Auswertung zu?

3. Welche Annahmen lagen der Übung zugrunde, und hält es die Bundes-
regierung tatsächlich für ein realistisches Szenario, dass in neun Staaten
der EU synchronisiert terroristische Attacken stattfinden und darauf jeweils
der betroffene Staat und Spezialeinheiten von drei weiteren Staaten reagie-
ren?

4. Welche Szenarien lagen den konkreten Übungen in den jeweiligen Ländern
jeweils zugrunde (bitte pro Land detailliert schildern)?

5. Wer war an der Ausarbeitung dieser Szenarien beteiligt, und inwiefern
flossen Ratschläge externer Organisationen, Unternehmen oder Personen,
die nicht den im ATLAS-Verbund zusammengeschlossenen Polizeikräften
angehören (welcher), in die Ausarbeitung ein (bitte für jedes Szenario an-
geben)?

6. Für wie realistisch hält die Bundesregierung

a) ein Szenario, das synchronisierte terroristische Angriffe in mehreren
Ländern der EU gleichzeitig vorsieht,

b) eine jeweils aus einer in- und drei ausländischen Spezialpolizeikräften
bestehenden Reaktion hierauf?

c) Auf welche Erkenntnisse stützt sie sich dabei?

d) Welche Erfahrungen wurden in der Vergangenheit gemacht, bzw. welche
Erkenntnisse liegen vor, die im Fall des österreichischen Szenarios
(Geisellage im Gebäude) darauf hindeuten, dass ausländische Kräfte in
einer solchen Lage hinzugezogen werden müssten?

7. Auf welcher inhaltlichen Grundlage wurden die vier thematischen Prioritä-
ten Wasser, Luft, Geiselnahmen in Gebäuden und Anschläge auf Transport-
wege festgelegt, und welche Analysen lagen dem zugrunde?

8. An welchen Übungen hat sich die Bundespolizei direkt beteiligt?

Wie viele Polizistinnen und Polizisten mit welchen und wie vielen Waffen,
Waffensystemen und Transportmitteln hat sie dabei jeweils eingesetzt?

9. Wurden Infrastruktur- oder Transport- bzw. sonstige Unterstützungsleis-
tungen durch militärische Einrichtungen angeboten, und wenn ja, durch
welche militärische Einrichtungen geschah dies, und inwiefern wurden
diese Angebote auch von deutschen Teilnehmenden genutzt?

10. Wie viele Angehörige jeweils welcher (ausländischen) Kräfte waren nach
Kenntnis der Bundesregierung an den jeweiligen Übungen beteiligt, und
was waren deren jeweilige konkrete Beiträge?

a) Wo fanden die Übungen jeweils statt (bitte Land, Stadt/Region an-
geben)?

b) Welche Waffen bzw. Waffensysteme wurden bei den Übungen jeweils
eingesetzt?

c) Welche Transportmittel wurden dabei jeweils eingesetzt?

d) Inwiefern und mit welchem Ziel wurden bei einzelnen Szenarien auch
fliegende Kameras oder Drohnen eingesetzt?

e) Inwiefern wurden dabei jeweils Maßnahmen durchgeführt, die im
Geltungsbereich deutschen Rechts nicht gesetzeskonform wären (bitte
erläutern)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13607

11. Wie viele weitere Personen (etwa Geiseldarsteller, Unterstützer usw.) waren
an den Übungen jeweils beteiligt, und welche Aufgaben kamen ihnen zu?

12. Welche weiteren Kräfte (wie etwa Rettungskräfte u. a.), Ministerien und
Unternehmen waren jeweils in welcher Form und mit welchen konkreten
Aufgaben eingebunden bzw. beteiligt?

13. Haben Polizeikräfte weiterer Länder Beobachter oder Hospitanten usw.
entsandt (bitte ggf. angeben, aus welchem Land, von welcher Einheit, an
welcher Übung solche Gäste anwesend waren)?

14. Inwiefern wurde bei der Übung der Zugriff auf personenbezogene Daten
simuliert oder tatsächlich vorgenommen, und um welche Datenbestände
handelte es sich dabei?

Inwiefern schloss dies die Übermittlung von Daten an ausländische Polizei-
kräfte ein?

15. Wie bewertet die Bundespolizei nach Kenntnis der Bundesregierung den
Verlauf der Übung, und welche Schlussfolgerung ziehen die Bundespolizei
sowie die Bundesregierung selbst daraus, sowohl für den Bereich der
polizeilichen Einsatztaktik, der Zusammenarbeit mit ausländischen Polizei-
bzw. Gendarmeriekräften und den Bereich der politischen Krisenreaktion?

16. In welcher Weise werden die Übungen von der Bundespolizei ausgewertet,
und in welcher Form wird die Auswertung verschriftlicht und kann dem
Deutschen Bundestag zugänglich gemacht werden?

17. Welche Polizeikräfte gehören dem ATLAS-Verbund derzeit an?

18. Welche dieser Kräfte haben Gendarmeriecharakter, verfügen über militä-
rische Qualitäten und/oder unterstehen den Verteidigungsministerien ihrer
Länder?

19. Wie ist vor dem Hintergrund der Kooperation im ATLAS-Verbund, die
auch (para)militärische Kräfte einschließt, die Aussage der Bundesregie-
rung zu verstehen, regelmäßige Kontakte zu (para)militärischen Einheiten
würden nicht angestrebt (Bundestagsdrucksache 17/10006)?

20. Inwiefern findet eine Koordination oder Zusammenarbeit der im ATLAS-
Verbund beteiligten Kräfte bzw. des ATLAS-Verbundes selbst mit der Euro-
päischen Gendarmerietruppe statt?

21. Welche Spezialkräfte aus welchem Mitgliedstaat kooperieren derzeit ständig
im Rahmen von ATLAS?

22. Welche Kosten entstehen auf deutscher Seite durch die Kooperation im
ATLAS-Verbund, und welche Gesamtkosten sind nach Kenntnis der
Bundesregierung durch die jüngste Übung entstanden?

Aus welchem Budget werden diese finanziert?

23. Welche weiteren Übungen sind gegenwärtig geplant, an denen deutsche
sowie ausländische polizeiliche Spezialkräfte zusammenarbeiten (ggf. auch
außerhalb des ATLAS-Verbundes)?

24. Welche Struktur hat der ATLAS-Verbund (Gremien, Untergruppen usw.
bitte mit konkreter Zusammensetzung, Aufgabengebiet und Tätigkeit an-
geben)?

25. Inwiefern finden im Rahmen des ATLAS-Verbundes (regelmäßige) Be-
ratungssitzungen statt, wer beruft dazu ein, und wer nimmt daran teil?

Was waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Ergebnisse der Bera-
tungssitzungen in den Jahren 2010 bis 2013?

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26. Welche Aufgaben und Kompetenzen hat der jeweilige Vorsitz des ATLAS-
Verbundes, und wie lange wird die GSG 9 noch diesen Vorsitz innehaben?

27. Welche Arbeitsgruppen gibt es im ATLAS-Verbund (bitte jeweils mit
Bezeichnung und einer Kurzbeschreibung des Themengebietes angeben),
und in welchen beteiligt sich die Bundespolizei?

Was sind aus Sicht der Bundesregierung die wesentlichen Erkenntnisse aus
der Arbeit dieser Arbeitsgruppen in den letzten Jahren?

28. Wie ist die Äußerung des GSG-9-Mitglieds M. S. gegenüber dem Öster-
reichischen Rundfunk (ORF vom 18. April 2013) „Wer hat die Einsatz-
hoheit in welchem Land? Das muss alles koordiniert werden“ zu verstehen?

Ist nach Auffassung der Bundesregierung gegenwärtig nicht einwandfrei
klargestellt, dass stets die Behörden in dem Land, in dem ein Einsatz statt-
findet, die Hoheit über den Einsatz haben?

29. Ist das auf Bundestagsdrucksache 17/4799 erwähnte, damals in Erarbeitung
befindliche Grundlagenpapier zur Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr
und Bundespolizei inzwischen fertiggestellt, und wenn ja, ist die Bundes-
regierung bereit, es dem Deutschen Bundestag vorzulegen (bitte ggf. als
Anlage beilegen)?

Falls die Bundesregierung nicht zu einer Vorlage bereit ist, warum nicht,
und was sind die wesentlichen Aussagen des Papiers?

Falls es noch nicht fertiggestellt ist, was sind die Gründe hierfür, und bis
wann ist seine Fertigstellung beabsichtigt?

30. Welche Treffen oder sonstige Zusammenkünfte internationaler Spezial-
einheiten haben 2012 und 2013 auf dem Gelände der Bundespolizei in
Bonn-St. Augustin stattgefunden?

a) Welche Szenarien bzw. „Missionen“ wurden in diesem Rahmen gezeigt?

b) Welche Einheiten welcher Behörden welcher Länder haben teilgenom-
men?

c) Wer hat den dabei üblichen „Wettkampf“ mit welcher Leistung „gewon-
nen“?

d) Wie viel Startgeld haben die „Mannschaften“ jeweils entrichtet, und aus
welchen Töpfen ist dies für die deutsche „Mannschaft“ gezahlt worden?

e) Wie hoch war die jeweilige Unterstützung welcher Sponsoren?

31. Teilt die Bundesregierung die Aussage der Europäischen Kommission,
wonach der ATLAS-Verbund ein „hervorragendes praktisches Beispiel für
proaktives Vorgehen gegen den Terrorismus“ sei, der „Solidarität und
Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
gemäß Artikel 222 des Vertrags von Lissabon“ veranschauliche (bitte be-
gründen)?

a) Inwieweit hält die Bundesregierung es für politisch wünschenswert,
im Zuge der Ausgestaltung des Artikels 222 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch polizeiliche
Spezialkräfte des Bundes nach Artikel 222 AEUV in anfragende Länder
zu entsenden, zumal Deutschland die Wahl des geeigneten Mittels ge-
mäß der Erklärung Nummer 37 zu Artikel 222 AEUV freisteht?

b) Inwiefern hält es die Bundesregierung für möglich, dass ein Bomben-
anschlag, wie er der jüngsten ATLAS-Übung zugrundelag, zur Ent-
sendung der GSG 9 nach Artikel 222 AEUV führen könnte, bzw. welche

Haltung vertritt sie hierzu in den Diskussionen um die Ausgestaltung der
„Solidaritätsklausel“?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13607

32. Inwiefern hält die Bundesregierung in den gegenwärtigen Beratungen der
„Solidaritätsklausel“ daran fest, in diesem Zusammenhang die Strukturen
des geheimdienstlich operierenden „Lagezentrums“ INTCEN (Intelligence
Analysis Centre) zu stärken oder besser zu nutzen (Bundestagsdrucksache
17/12652), und welche konkreten Vorschläge hat sie hierzu gemacht?

33. Wann und wo werden die Beratungen auf EU-Ebene über die Umsetzung
der Solidaritätsklausel gegenwärtig geführt, und welche neuen Überlegun-
gen existieren bei der Bundesregierung zur Einrichtung neuer Strukturen
bzw. einer neuen Aufgabenverteilung bezüglich der Informationsgewin-
nung, Lageerfassung und Reaktion (Bundestagsdrucksache 17/12652)?

Berlin, den 16. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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