BT-Drucksache 17/13585

Europäische Jugendgarantie umsetzen - Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen

Vom 15. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13585
17. Wahlperiode 15. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josip Juratovic, Willi Brase, Kerstin Griese, Anette Kramme,
Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Gabriele Hiller-Ohm, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast, Thomas Oppermann, Silvia
Schmidt (Eisleben), Anton Schaaf, Caren Marks, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Europäische Jugendgarantie umsetzen – Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland
bekämpfen

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat europaweit Auswirkungen auf den Ar-
beitsmarkt. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit hat massiv zugenommen. In
sieben Ländern der Europäischen Union (EU) liegt sie bei über 25 Prozent, in
vier Ländern über 30 Prozent, in Griechenland und Spanien gar bei über 50 Pro-
zent (vergleiche Eurostat Online-Datenbank). In der EU waren im Februar 2013
rund 5,7 Millionen junge Menschen bis 25 Jahre arbeitslos. Das bedeutet im
Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 196 000 Personen. Die Internationale
Arbeitsorganisation (ILO) spricht von einer „verlorenen Generation“ (www.
spiegel.de/wirtschaft/soziales/jugendarbeitslosigkeit-uno-ilo-fordert-verstaerkte-
massnahmen-a-834194.html) ohne Perspektive – die Jugendlichen sind die
Leidtragenden der Wirtschafts- und Finanzkrise.

Auch Deutschland ist keine Insel der Glückseligen. Zwar beträgt die Arbeits-
losigkeit bei den unter 25-Jährigen nur 9,4 Prozent (vergleiche Monatsbericht
der Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutsch-
land, März 2013), allerdings hatten laut Statistischem Bundesamt 2011 2 242 000
junge Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren keinen Berufsabschluss – ein Ein-
fallstor für unsichere und prekäre Beschäftigung. Schon vor dem Hintergrund
der Fachkräftebedarfssicherung besteht hier großer Handlungsbedarf. Umso
erstaunlicher ist die Äußerung der Bundesregierung durch die Unterrichtung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Ausschuss für Arbeit und
Soziales des Deutschen Bundestages (Ausschussdrucksache 17(11)1978):
„Politische Verpflichtungen sind gering, da der Ansatz der Jugendgarantie be-
reits weitgehend der Praxis in Deutschland entspricht.“

Auf europäischer Ebene wird seit langem über die Einführung einer Jugend-
garantie nach österreichischem Vorbild diskutiert. Am 28. Februar 2013 hat der
Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz einen

Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer Jugendgarantie
beschlossen. Nun liegt es an den Mitgliedstaaten, diese Jugendgarantie umzu-
setzen. Jungen Menschen soll binnen vier Monaten nach Verlust einer Arbeit
oder dem Verlassen der Schule eine hochwertige Arbeitsstelle bzw. weiterfüh-
rende Ausbildung oder ein hochwertiger Praktikums- bzw. Ausbildungsplatz
angeboten werden.

Drucksache 17/13585 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland bislang im europäischen
Vergleich vergleichsweise niedrig ist, muss die Einführung der Jugendgarantie
als Chance zur Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation für
junge Menschen genutzt werden. Denn jeder der 290 951 unter 25-Jährigen, der
arbeitslos ist, ist einer zu viel.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der europaweit alarmieren-
den Zahlen die vom Rat geforderte europaweite Einführung einer Jugend-
garantie, und wie wird die Bundesregierung auf europäischer Ebene die
Umsetzung der Jugendgarantie in den einzelnen Mitgliedstaaten verfolgen?

Ist eine Evaluation der Umsetzung vorgesehen, und wenn ja, in welchen
Zeitabständen?

2. Wie plant die Bundesregierung, die Jugendgarantie als Anlass zu nutzen,
um auch in Deutschland Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeits-
losigkeit zu initiieren?

3. Wie und durch welche genauen Maßnahmen kommt die Bundesregierung
laut Ausschussdrucksache 17(11)1078 zur Überzeugung, dass die Anforde-
rungen der Jugendgarantie bereits in Deutschland umgesetzt seien, ins-
besondere angesichts der Tatsache, dass dennoch tausende Jugendliche in
Deutschland von Jugendarbeits- bzw. Ausbildungslosigkeit betroffen sind?

4. Wie interpretiert die Bundesregierung die Definition einer „hochwertigen
Arbeitsstelle“, die von der Jugendgarantie gefordert wird, und welche An-
sprüche an die Qualität der Arbeitsstelle sollen erhoben werden?

5. Inwieweit wird die Bundesregierung angesichts der europäischen Forde-
rung, Jugendliche in hochwertige Arbeitsstellen zu vermitteln, Maßnahmen
ergreifen, um die überdurchschnittlich hohe Vermittlung von Jugendlichen
in Stellen in der Leiharbeit und mit Befristungen zu reduzieren?

6. Wie wird die Bundesregierung gegen den Missbrauch der „Generation
Praktikum“ vorgehen, angesichts der Forderung der Jugendgarantie nach
„hochwertigen Praktikumsplätzen“, und wie sieht die Bundesregierung vor
diesem Hintergrund die Forderungen nach einer Definition von Praktika im
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), nach der Definition einer angemessenen
Vergütung von mindestens 350 Euro brutto im Monat im BGB und nach
einem zwingenden schriftlichen Vertragsabschluss?

7. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass auch Praktika nach einem erfolg-
reichen Berufsabschluss als Maßnahmen der Jugendgarantie gelten sollen,
und wie wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass grundsätzlich
nach einem Berufsabschluss eine Vermittlung in reguläre Jobs und nicht in
Praktika stattfindet?

8. Wie arbeitet die Bundesregierung an einem nationalen Aktionsplan für ein
Jugendfördergesetz, der beim EU-Gipfel im Januar 2012 beschlossen
wurde, um die Maßgabe der Vermittlung binnen vier Monaten nach dem
Schulabschluss umzusetzen?

9. Welche Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) wird die Bundes-
regierung zur Umsetzung der Jugendgarantie beantragen, und welche Pro-
jekte sollen aus den Mitteln, die der ESF zur Bekämpfung der Jugend-
arbeitslosigkeit bereitstellt, in Deutschland gefördert werden?

10. An welchen Stellen werden zukünftig ESF-Mittel eingespart werden müs-
sen, und welche Projekte in Deutschland werden zukünftig nicht mehr dar-

über gefördert, da das Geld zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13585

dem ESF nicht zusätzlich bereitgestellt wurde, sondern umgeschichtet
wird?

11. Wie setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die europaweite
Arbeitsvermittlung EURES, wie auf europäischer Ebene beschlossen, ge-
stärkt wird?

12. Welche Pläne hat die Bundesregierung, um die besonders von Jugend-
arbeitslosigkeit betroffenen EU-Länder bei der Einführung der Jugend-
garantie zu unterstützen, und welche Beratungstätigkeit ist hier sowohl von
deutscher als auch von europäischer Ebene angedacht?

13. Wie schätzt die Bundesregierung die tatsächliche Wirkung der Jugend-
garantie ein, wenn sie in allen EU-Ländern umgesetzt wird, und reicht die
Jugendgarantie in der derzeit beschlossenen Form aus Sicht der Bundes-
regierung aus, um die Jugendarbeitslosigkeit europaweit zu bekämpfen?

14. Welche weitergehenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen wird die Bun-
desregierung auf europäischer Ebene vorantreiben, um die Jugendarbeits-
losigkeit unter anderem durch öffentliche Investitionen zu bekämpfen, und
wie steht die Bundesregierung zum Konzept einer europäischen Wirt-
schaftsstrategie sowie zum Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes
eines „Marshallplans für Europa“?

15. Welche Überlegungen und Maßnahmen bestehen seitens der Bundesregie-
rung, hiesige Unternehmen zu unterstützen, im EU-Raum arbeitslose
Jugendliche als Auszubildende, die ihre Ausbildung in Deutschland absol-
vieren sollen, anzuwerben (u. a. im naturwissenschaftlichen/mathemati-
schen Bereich)?

16. Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung vor, um im EU-Raum an-
geworbenen Jugendlichen eine Integration in die deutsche Arbeitsgesell-
schaft zu erleichtern?

17. Gibt es bereits Programme seitens der Bundesregierung, Jugendlichen aus
dem EU-Raum mit Sprachprogrammen die Arbeits- bzw. Ausbildungsauf-
nahme in Deutschland zu erleichtern bzw. zu ermöglichen?

Wie umfassend sind die Programme, und für welchen Zeitraum sind sie ge-
dacht?

Wie viele Mittel aus welchem Haushalt sind dafür vorgesehen?

18. Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung in ihrem Handeln die Stel-
lungnahme des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (IHK), dass
laut des IHK-Magazins für Berufsbildung „position“ (zweites Quartal
2013, S. 8) die geplante Jugendgarantie nicht seriös wäre, „da sie von den
betroffenen EU-Ländern kurzfristig nicht zu leisten“ sei?

19. Aus welchen Gründen stimmte die Bundesregierung dem Punkt der Emp-
fehlung zu, eine zuständige Behörde zu ermitteln, „die für die Einrichtung
und Verwaltung des Jugendgarantie-Systems sowie für die Koordinierung
der Partnerschaften auf allen Ebenen und in allen Branchen zuständig ist“,
obwohl in Deutschland die Maßnahmen auf dem Ausbildungs- und
Arbeitsmaßnahmen regional koordiniert werden?

20. Welche zuständige Behörde soll nach Ansicht der Bundesregierung die in
Frage 19 genannte Koordinierung übernehmen?

21. Inwieweit wird dafür Sorge getragen, dass den vom Rat genannten Be-
schäftigungsformen ein einheitliches Referenzniveau im europäischen bzw.
in den nationalen Qualifikationsrahmen zugeordnet wird?
Haben sich die Länder auf eine einheitliche Zuordnung bei zum Beispiel
„hochwertigen Praktika“ verständigt?

Drucksache 17/13585 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Wieso soll die Jugendgarantie erst vier Monate nach Verlust einer Arbeit
oder dem Verlassen der Schule wirken?

Nach welchen Gesichtspunkten bzw. auf welcher (wissenschaftlichen)
Grundlage wurde diese Zeitspanne gewählt?

23. Wieso wird die Jugendgarantie nicht von vornherein auf die Gruppe junger
Erwachsener bis zum Alter von 30 oder 35 Jahren ausgedehnt, zumal be-
kannt ist, dass die Ausbildungs- und Arbeitssituation europaweit ähnlich
schwierig ist wie bei jungen Menschen bis 25?

Berlin, den 15. Mai 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.