BT-Drucksache 17/13482

Projekt Zukunft - Deutschland 2020 - Bildungschancen mit guten Ganztagsschulen für alle verbessern

Vom 14. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13482
17. Wahlperiode 14. 05. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael Gerdes, Ulrike
Gottschalck, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Edelgard
Bulmahn, Ulla Burchardt, Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Kerstin
Griese, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe
(Leipzig), Ute Kumpf, Caren Marks, Thomas Oppermann, Florian Pronold, René
Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf), Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz
(Spandau), Stefan Schwartze, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Projekt Zukunft – Deutschland 2020 – Bildungschancen mit guten
Ganztagsschulen für alle verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug. Gemessen an dem
Ziel, alle Begabungen und Talente der jungen Menschen zur Entfaltung zu brin-
gen sowie ihren individuellen Neigungen und Bedürfnissen gerecht zu werden,
muss es besser werden. Trotz der großen Anstrengungen von Bund, Ländern
und Gemeinden insbesondere nach dem „PISA-Schock“ im Jahr 2000 gelingt
es auch heute noch nicht, allen jungen Menschen die gleichen Chancen auf
Selbstverwirklichung und eine erfolgreiche Bildungskarriere zu eröffnen.
Damit werden ihnen Zukunftschancen und Möglichkeiten für eine selbstbe-
stimmte sowie eigenverantwortliche Lebensführung vorenthalten. Das Recht
auf Bildung droht ins Leere zu laufen, wenn etwa die soziale Herkunft, die
finanzielle Leistungsfähigkeit oder auch nur der Zufall des Wohnortes einen
entscheidenden Einfluss auf den Bildungsverlauf von jungen Menschen erhalten.
Der gleiche Zugang zu Bildungschancen ist eine zentrale Frage der sozialen
Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.

Die größte Gefährdung der Chancengleichheit ist die soziale Benachteiligung
im deutschen Bildungswesen. In kaum einem anderen europäischen Land ist
der Bildungserfolg so eng mit der sozialen Herkunft verknüpft wie in Deutsch-
land. Gleich, welchen Indikator man wählt, stets belegen die Zahlen für junge
Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern oder aus Familien mit einem nied-
rigen sozioökonomischen Status geringere Chancen auf gute Schulabschlüsse
oder ein Hochschulstudium. So haben Kinder aus höheren sozialen Statusgrup-

pen eine viermal größere Chance auf einen Gymnasialbesuch als Kinder aus
niedrigen Statusgruppen. Ein Kind aus einer Arbeiterfamilie hat bis zu dreimal
geringere Chancen auf ein Studium als ein Kind aus einer Akademikerfamilie.
Bildungschancen sind zudem räumlich sehr unterschiedlich verteilt. Kinder und
Jugendliche aus Familien in prekärer sozialer Lage und mit niedrigem
Bildungsstatus konzentrieren sich zunehmend in Quartieren mit mangelhaften
Gebäudebeständen und schlechter Infrastruktur, aus denen Besserverdienende

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abwandern. Die Vernachlässigung integrativer und sozial ausgleichender Initia-
tiven durch die Bundesregierung, wie beispielsweise des ressortübergreifenden
Förderprogramms „Soziale Stadt“, hat die Lage zudem verschärft.

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind von der sozialen
Benachteiligung besonders betroffen, weil sie häufiger in Familien mit sozio-
ökonomisch niedrigem Status aufwachsen und im Bildungsverlauf zusätzlichen
Hürden ausgesetzt sind. So erhalten sie bei gleichen Leistungen seltener höhere
Schulempfehlungen und erreichen trotz Befähigung oft auch geringere Bil-
dungsniveaus. Die Wahrscheinlichkeit, die Schule ohne Abschluss zu verlas-
sen, ist im Vergleich ebenfalls doppelt so hoch. Schülerinnen und Schülern mit
Migrationshintergrund gelingt es somit nicht, verstärkt vom positiven Trend zu
höheren Bildungsabschlüssen in allen Sozialgruppen zu profitieren. Ihr Rück-
stand zu deutschen Schülerinnen und Schülern verringert sich bei allen wesent-
lichen Bildungsindikatoren kaum. Damit ist das Ziel der 2008 beschlossenen
„Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ von Bund und Ländern, die Bil-
dungsleistungen bis 2013 anzugleichen, bisher deutlich verfehlt worden.

Zudem droht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Leistungsfähig-
keit und soziale Gerechtigkeit der öffentlichen Bildungsinstitutionen zu schwin-
den. Die Debatte um einen ständig wachsenden Lern- und Leistungsdruck im
Schulwesen sowie steigender Schulstress der Kinder und Jugendlichen sind ein
Alarmzeichen und belasten zunehmend das familiäre Zusammenleben. Der An-
stieg der privaten Ausgaben für Nachhilfeunterricht ist in mehrfacher Hinsicht
ein Indikator für diesen Bildungsdruck. Zum einen erreichen die Aufwendungen
aktuellen Studien zufolge mit 1,5 Mrd. Euro ein Rekordniveau. Zum anderen
fließen nur 10 Prozent dieser Mittel in den Primarbereich, obwohl dort die
Grundlagen für erfolgreiche Bildungskarrieren gelegt werden. Zudem können
sich Familien aus höheren Statusklassen deutlich mehr Nachhilfe für ihre Schul-
kinder leisten. Die soziale Ungleichheit wird durch die Privatisierung der Bil-
dungschancen jedenfalls vergrößert.

Das Vertrauen schwindet auch aufgrund der zunehmend wahrnehmbaren un-
gleichen Lebensverhältnisse im Schulwesen. So erzeugen 16 unterschiedliche
Schulsysteme zersplitterte Regelungslandschaften, die insbesondere den Eltern
kaum zu vermitteln sind. Hinzu kommen die unterschiedliche Finanzkraft von
Ländern und Kommunen sowie die wachsenden Fortschrittsblockaden infolge
konkurrierender politischer Zuständigkeiten gerade an den Schnittstellen im
Bildungsverlauf. Es fehlt an vergleichbaren Angeboten und Chancen in allen
Regionen Deutschlands. Egal ob Klassengrößen, Lernförderung, Förderbedarfe
bei der sprachlichen Bildung oder inklusive Lernformen – gerade in Zeiten eines
wachsenden Konsolidierungsdruckes orientieren sich die Bildungsangebote
nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern am finanziell Möglichen.

Um die Chancengleichheit in der Bildung zu verwirklichen und das Vertrauen
der Menschen in die öffentlichen Bildungsinstitutionen und den Bildungs-
föderalismus zurückzugewinnen, müssen Bund, Länder und Kommunen ent-
schiedener und gemeinsam handeln. Ziel muss es dabei insbesondere sein, die
öffentlichen Bildungsinfrastrukturen und -einrichtungen zu stärken und mit den
erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen auszustatten.

Dabei kommt dem Ganztagsschulangebot eine Schlüsselrolle zu. Aus pädago-
gischer, integrations-, sozial- und auch wirtschaftspolitischer Sicht bietet der
weitere quantitative und qualitative Ganztagsausbau hervorragende Chancen,
das Bildungssystem leistungsfähiger zu machen, alle Begabungen auszuschöp-
fen und Chancengleichheit zu stärken. Das erste Ganztagsschulprogramm von
Bund und Ländern 2003–2009 war ein erfolgreicher Durchbruch für die Ganz-
tagsschule. Nun darf Deutschland nicht auf halbem Wege stehen bleiben, son-

dern muss den nächsten Schritt wagen. Dessen Ziel muss es sein, mit einem
zweiten Ausbauprogramm ein flächendeckendes, qualitatives Angebot aufzu-

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bauen, das alle Kinder und Jugendlichen erreicht. Die Schule der Zukunft ist
immer auch eine gute Ganztagsschule.

1. Gute Ganztagsschulen haben enorme Potenziale

Eine gute Ganztagsschule schafft Raum und Zeit, damit qualifiziertes Fach-
personal allen Kindern und Jugendlichen hilft, ihre Stärken und Begabungen,
ihre Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft zu entwickeln, zu erproben und
zu entfalten. Mit guten Konzepten können Ganztagsschulen zu aktiven gesell-
schaftlichen Orten entwickelt werden, die integrative und inklusive Funktionen
mit attraktiven Freizeitangeboten und lebendigen Beziehungen zum lokalen
Umfeld verbinden. Zugleich bieten sie den Eltern die Verlässlichkeit, die sie
zur selbstbestimmten Lebensführung benötigen.

Chancengleichheit sichern – Individuelle Förderung realisieren

Eine bessere individuelle Förderung ist die beste Antwort auf die wachsende
Heterogenität der Lerngruppen an den allgemeinbildenden Schulen. Die unter-
schiedlichen Ausgangsbedingungen und die persönlichen Potenziale und Be-
gabungen wie die besonderen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler müssen
im Bildungsverlauf besser berücksichtigt werden und sich in der Form, Intensität
und auch Konzeption der schulischen Förderangebote stärker niederschlagen.
Eine leistungsfähige individuelle Förderung ist der erfolgversprechendste
Hebel, um Chancengleichheit für alle zu realisieren und die größten schulpoliti-
schen Herausforderungen von heute zu bewältigen.

Eine leistungsfähige individuelle Förderung ist die beste Antwort auf die soziale
Selektivität des deutschen Bildungssystems. Um den negativen Zusammenhang
von Herkunft und Bildungserfolg zu durchbrechen und den Kampf gegen Bil-
dungsarmut voranzubringen, bieten attraktive und leistungsfähige, in das öffent-
liche Schulsystem integrierte individuelle Förderangebote die besten Chancen.
Sie könnte zudem zahlreiche Umsetzungsprobleme des Bildungs- und Teilhabe-
pakets im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch hinsichtlich der bisher kaum in An-
spruch genommenen Lernförderung lösen und die gewünschten Wirkungen
deutlich effektiver, unbürokratischer und diskriminierungsfreier sicherstellen.
Individuelle Förderung ist ebenfalls der Schlüssel für eine bessere Integration
durch Bildung, weil schülerorientierte Fördermaßnahmen der sozialen Benach-
teiligung von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund gerade im
Bildungsverlauf entgegenwirken können und dem Scheitern vorbeugen.

Eine nachhaltige Verbesserung ist hier ohne eine an den individuellen Bedarfen
orientierte und durchgehende Förderung nicht zu erreichen. Diese muss frühest-
möglich ansetzen und insbesondere am Übergang zur Grundschule wirksam
sein, damit bereits dort, wo die Basis für die Bildungsbiografie geschaffen
wird, unterschiedliche Ausgangslagen kompensiert und Bildungschancen
sozial gerecht eröffnet werden. Der kontinuierlichen, an erfolgreichen Maß-
nahmen in der frühkindlichen Bildung anknüpfenden individuellen Sprach-
förderung in der Grundschule kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Denn
in dieser Phase wird die Sprache als „Bildungssprache“, als Lehr- und Lern-
instrument zur Vermittlung von Wissen und Können, neu erworben und damit
ein wichtiger Grundstein für eine erfolgreiche Bildungsbiografie gelegt.

Individuelle Förderung ist auch der Schlüssel, um persönliche Begabungen,
Interessen und Neigungen der Kinder und Jugendlichen besser zur Entfaltung zu
bringen. Über den erforderlichen Ausgleich unterschiedlicher individueller
Startchancen hinaus bietet sie zusätzliche Chancen für die Stärkung von Stärken
der Schülerinnen und Schüler, sei es in sprachlichen, musisch-künstlerischen,
sportlichen oder auch mathematischen und naturwissenschaftlich-technischen

Bereichen. Eine Förderung individueller Begabungen und Neigungen aller ist
die Voraussetzung dafür, dass die Akzeptanz Chancengleichheit stärkender

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Maßnahmen zunimmt und Talente und Begabungen nicht länger hinter dominie-
renden sozial ungerechten Wahrnehmungs- und Bewertungsstereotypen uner-
kennbar bleiben.

Anzunehmen, dass Kinder und Jugendliche sich in Begabte einerseits und
Benachteiligte andererseits unterteilen und bildungspolitisch sich jeweils als
homogene Zielgruppe adressieren lassen, verkennt offenbar die innere Logik
sozialer Selektivität. Begabung und soziale Benachteiligung sind unabhängig
voneinander, viele sozial Benachteiligte sind in verschiedenster Hinsicht begabt
und viele vermeintlich Begabte zehren im Grunde von dem sozialen Kapital
ihres familiären Hintergrundes. Erst eine sensible und leistungsfähige individu-
elle Förderung vermag diesen negativen Zusammenhang zu durchbrechen und
soziale Gerechtigkeit in der Bildung mit einer Talent- und Leistungsorientierung
zu verbinden – und damit Chancengleichheit für alle zu stärken.

Ferner kann die zweite große Herausforderung der Schaffung eines inklusiven
Bildungssystems nur auf Grundlage einer bedarfsorientierten individuellen För-
derung gelingen. Ziel muss es sein, für dieses Ziel die erforderlichen rechtlichen
Rahmenbedingungen zu schaffen und die benötigten materiellen und personel-
len Ressourcen bereitzustellen. Mit der Ratifizierung der UN-Behinderten-
rechtskonvention hat die Debatte zusätzlich an Dynamik gewonnen. In den Län-
dern sind entsprechende engagierte Umsetzungsschritte mit dem Ziel gestartet
worden, mittelfristig möglichst alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von
ihrem sonderpädagogischen Förderbedarf an Regelschulen gemeinsam zu unter-
richten. Ohne diese werden weder die Integrationseffekte und Abschlusschan-
cen der Förderschülerinnen und -schüler verbessert noch die sozialen Potenziale
realisiert und die Akzeptanz gemeinsamen Unterrichts insgesamt gestärkt.

Wenn individuelle Förderung der Schlüssel für Chancengleichheit für alle ist,
dann eröffnen gute Ganztagsschulen die größten Potenziale für eine bedarfs-
gerechte und leistungsfähige individuelle Förderung. Entsprechend ausgestattet
bieten sie die erforderlichen zeitlichen, räumlichen und multiprofessionellen
personellen Ressourcen, um auf die zunehmend heterogene Lerngruppe ange-
messen reagieren und bedarfsgerecht ausgleichende, begabungsgerecht stär-
kende wie auch besondere individuelle Förderangebote für alle umsetzen zu
können.

Besseres Lernen in flexiblen Lernarrangements ermöglichen

Gute Ganztagsschulen schaffen zusätzliche zeitliche, räumliche, konzeptionelle
und personelle Ressourcen, um die steigenden vielfältigen inhaltlichen wie
methodisch-didaktischen Anforderungen wie gesellschaftlichen Erwartungen
an die Schule als Bildungsinstitution aufnehmen zu können. Mit der möglichen
hohen Angebotsvielfalt über Hausaufgabenbetreuung und individuelle Förde-
rung, über fachbezogene und fachübergreifende Angebote bis hin zu freizeit-
bezogenen Angeboten bieten sie zusätzliche Chancen für schülerorientierte
Schulkonzepte.

Ein zentraler Baustein sowohl für effektivere Lernprozesse als auch für ein lehr-
und lernförderliches Klassen- und Schulklima ist die Rhythmisierung des Unter-
richts, d. h. die über den ganzen Tag verteilte Abwechslung von konzentrierten
Unterrichtsphasen und entspannenden Phasen u. a. für Reflexion, Gemein-
schaftserlebnisse wie individuelle Förderung und Aktivitäten. Gute Ganztags-
schulen schaffen erst die zeitlichen und räumlichen Voraussetzungen, um das
starre 45-Minuten-Zeitkorsett zu durchbrechen und im Wechsel von Lernphasen
und Entspannungsphasen flexiblere und sowohl kindgerechte als auch sachan-
gemessene Lernumfelder zu schaffen. Dies schafft individuelle Möglichkeiten
für Wiederholung und Vertiefung ebenso wie für Reflexion und ausgleichende,

spannungslösende Aktivitäten. Eine positive, wirkungsvolle Rhythmisierung
steht damit einer einfachen Verlängerung des Unterrichts in den Nachmittag ent-

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gegen, wie sie beispielsweise für verkürzte gymnasiale Oberstufen oft prägend
ist. Der Wechsel von An- und Entspannungsphasen verspricht seine größte
Wirkung, wenn er als Strukturprinzip den gesamten Schulalltag und damit auch
den Nachmittag zu prägen vermag.

Die zusätzlichen zeitlichen, räumlichen und personellen Ressourcen guter
Ganztagsschulen erleichtern es ebenfalls, Lerngegenstände multiprofessionell
und mit unterschiedlichen methodisch-didaktischen Ansätzen und sozialen
Kontexten zu bearbeiten. So können Unterrichtsinhalte durch fachbezogene
oder fachübergreifende, oft auch projektbasierte Lernangebote am Nachmittag
ergänzt werden, die alternative Perspektiven und Einsichten erlauben oder auch,
wenn sinnvoll, durch außerschulische Partner verantwortet werden. Der Lern-
erfolg in der Vermittlung fachlicher und sozialer Kompetenzen kann durch
Rhythmisierung und die größere Bandbreite möglicher Lernsettings an guten
Ganztagsschulen deutlich erleichtert werden.

Dies eröffnet gerade auch für fachübergreifende oder auch tagesaktuelle
Themen und Fragestellungen zusätzliche Möglichkeiten, in einen zugleich
attraktiven und abwechslungsreichen Unterrichtsalltag eingebettet zu werden,
Fragen u. a. der Demokratiebildung, Werterziehung, Umweltbildung und nicht
zuletzt der Entwicklung einer wirtschaftlichen Handlungskompetenz aufzu-
greifen und entsprechende Angebote und Projekte auch gemeinsam mit den
Schülerinnen und Schülern zu entwickeln und umzusetzen.

Diese zusätzlichen Möglichkeiten kommen auch einer besseren schulischen Be-
rufsorientierung zugute, die gerade in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen
hat. Die systematische Vermittlung von orientierungsfähigen Einblicken in mög-
liche Berufsfelder ist auch eine unverzichtbare schulische Aufgabenstellung.
Dadurch wird eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Wünschen, Neigun-
gen und Potenzialen der Schülerinnen und Schülern befördert, was gerade vor
dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftebedarfs und der sich ständig
verändernden Anforderungen der modernen Arbeitswelt wichtig ist. Gute Ganz-
tagsschulen schaffen somit den Raum, der für einen möglichst bruchlosen Über-
gang in einen auf die jungen Menschen abgestimmten Berufsbildungsweg er-
forderlich ist.

Gute Ganztagsschulen bieten ebenfalls hervorragende Rahmenbedingungen für
eine zeitgemäße Ernährungsbildung und die Verwirklichung der damit ver-
bundenden positiven Präventions- und mittelfristigen Gesundheitseffekte. Das
betrifft zunächst die Bereitstellung einer gemeinsamen, gesunden und diskrimi-
nierungsfreien Schulverpflegung, die sich an den Qualitätsstandards der Deut-
schen Gesellschaft für Ernährung orientieren sollte. Die damit einhergehenden
höheren Kosten müssen sozial verträglich ausgestaltet sein. Der Bund wird die
Länder wie Kommunen durch geeignete Maßnahmen in die Lage versetzen,
diese Aufgabe auch erfüllen zu können.

Ganztägige Schulangebote bieten zusätzliche Chancen, Fragen der Ernährung,
der Lebensmittelwirtschaft und auch der ökonomischen Haushaltsführung
pädagogisch konzeptionell zu verbinden und in vielfältigen methodisch-
didaktischen Ansätzen und Formaten sowie auch professionsübergreifend zu
bearbeiten.

Raum für soziales Lernen schaffen

Die an Ganztagsschulen verlängerten gemeinsamen Erfahrungs- und Hand-
lungszusammenhänge der Schülerinnen und Schüler bieten zusätzliche Mög-
lichkeiten für positive Sozialisierungsprozesse. Das gemeinsame Miteinander
in unterschiedlichsten Kontexten, im Unterricht und in den Ruhephasen, beim
Mittagessen und bei den ergänzenden kulturellen wie freizeitorientierten Lehr-

und Betreuungsangeboten befördert die soziale und kulturelle Entwicklung und

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Integration der Schülerinnen und Schüler. Dadurch kann dem zunehmend
wahrgenommenen Schulstress und Lern- wie Leistungsdruck effektiv ent-
gegengewirkt werden. Verhaltensnormen und Rollenerwartungen werden ge-
meinsam eingeübt und die Entwicklung sozialer Verantwortung und selbständi-
ger Handlungskompetenzen wird erleichtert. Gute Ganztagsschulen werfen ihr
Korsett einer engmaschig organisierten „Lehranstalt“ ab und bieten sich den
jungen Menschen als ein sozialer Lebensraum an, den sie in vorbildlichen Kon-
zepten im Idealfall sogar mitgestalten können.

Eine wichtige Funktion leisten die ergänzend möglichen sozialen, kulturellen,
musischen oder auch sportlichen Angebote an guten Ganztagsschulen. Sie
erweitern die soziokulturelle Infrastruktur des öffentlichen Schulwesens und er-
leichtern gerade Schülerinnen und Schülern aus sozial schwachen oder bil-
dungsfernen Familien die Partizipation an neigungskompatiblen oder freizeit-
orientierten Aktivitäten. Dies erweitert nicht nur individuelle Erfahrungs- und
Lernkontexte um weitere positiv bewertete Möglichkeiten, sondern steigert da-
mit auch die „soziale“ Chancengleichheit im Schulsystem.

Jugendliche sollen dabei auch Gelegenheiten zur Selbstentfaltung, Selbster-
probung und zur Verantwortungsübernahme haben, wie es auch der 14. Kinder-
und Jugendbericht anregt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12200, S. 406). Solche
Freiräume sind Kindern und Jugendlichen im Schulalltag, aber auch in anderen
Lebenswelten, verstärkt einzuräumen.

Qualifizierte Betreuung für vielfältige Lebensentwürfe sichern

Gute Ganztagsschulen bieten verlässliche Rahmenbedingungen, in denen
Eltern vielfältigere Familien- und Erwerbsmodelle verwirklichen können. Eine
zeitlich gesicherte und qualifizierte Betreuung entlastet die Eltern spürbar und
ermöglicht ihnen größere Gestaltungsfreiheiten ihrer familiären und beruf-
lichen Beziehungen. Gute Ganztagsschulen erleichtern so die Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbsleben und leisten damit eine wichtige erzieherisch unter-
stützende Funktion für die Eltern. Studien zeigen, dass diese Möglichkeiten
insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen deutlich verbessern und ihre
selbstbestimmten Handlungsräume erweitern können. Damit einher gehen posi-
tive Effekte sowohl für die gesellschaftliche Teilhabe der Eltern, für die Familien-
einkünfte und insbesondere bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
nicht zuletzt für die entsprechende Altersvorsorge.

Gute Ganztagsschulen schaffen damit die Voraussetzungen für höhere Erwerbs-
quoten und die damit verbundenen positiven wirtschaftlichen Effekte. Studien
prognostizieren, dass mit einem flächendeckenden Ganztagsangebot vor allem
in den alten Ländern eine deutlich steigende Erwerbsbeteiligung und höhere
durchschnittliche Arbeitszeiten der Mütter verbunden wären. Auch das Institut
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht von 350 000 bis 460 000
zusätzlichen Erwerbspersonen aus. Das zusätzliche Fachkräftepotenzial und die
zusätzliche Wertschöpfung leisten einen Beitrag zur Sicherung der wirtschaft-
lichen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Bund, Länder und Kommunen partizi-
pieren nicht zuletzt über das höhere Steueraufkommen, das mittelfristig die
Mehraufwendungen für gute Ganztagsschulen sogar übertreffen wird.

Lokale Bildungslandschaften stärken

Schulen bilden wichtige Knotenpunkte in den lokalen Bildungsnetzwerken.
Moderne Gesamtkonzepte für Betreuung, Erziehung und Bildung vor Ort
basieren auf einer intensivierten Zusammenarbeit der privaten wie öffentlichen
Akteure sowie besseren Verzahnung der bildungsbezogenen, kulturellen, sozia-
len wie sportlichen Angebote. Sie ermöglichen vielfältiges Lernen und Erfah-

ren und fördern gleichermaßen Kompetenzaufbau wie Persönlichkeitsentwick-
lung der Kinder und Jugendlichen. Gleichzeitig unterstützen sie bürgerschaft-

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liches Engagement und steigern die Attraktivität und Lebensqualität der Wohn-
quartiere. Kooperationsoffene Schulen leisten einen wichtigen Beitrag zu
leistungsfähigen lokalen Bildungslandschaften.

Die mit guten Ganztagsschulen sich bietenden zusätzlichen räumlichen, zeit-
lichen, konzeptionellen und personellen Ressourcen erleichtern eine Öffnung
der Schulen zum lokalen und regionalen sozialen und kulturellen Umfeld.
Ebenso wie außerschulische Partner für die pädagogisch und didaktisch beglei-
tete Gestaltung von Lern- und Betreuungsangeboten an der Schule gewonnen
werden können, erhält auch die Schule zusätzliche Handlungsmöglichkeiten für
außerschulische Projekte und kontinuierliche Kooperationen mit privaten wie
öffentlichen Akteuren. Schulen und u. a. Bibliotheken, Theater, Kultur-,
Freizeit- oder Jugendzentren wie Sportvereine können eine institutionalisierte,
verlässliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit in lokalen Bildungsnetz-
werken einüben. Gute Ganztagsschulkonzepte berücksichtigen zudem das
Spannungsfeld zu außerschulischen Freizeitangeboten u. a. der freien Jugend-
arbeit oder der Sportvereine. Die nicht immer vermeidbaren Zeitkonkurrenzen
dürfen nicht dazu führen, dass Schule das Freizeitverhalten sozusagen „mono-
polisiert“ und für die persönliche, soziale wie körperliche Entwicklung unver-
zichtbare frei gestaltbare außerschulische Aktivitäten und Interessen zu sehr
verdrängt.

Auch aus Sicht der Städte und Gemeinden sind Schulen ein bestimmender
Faktor für die Wohnortattraktivität und Lebensqualität von Standorten. Und sie
bilden zentrale Bausteine für kommunale Strategien, auf dem Weg zu einer
integrierten Fachplanung die lokalen Bildungslandschaften mit örtlichen Erfor-
dernissen und Möglichkeiten der Jugendhilfe wie der kommunalen Kultur-,
Raum- und Sozialplanung zu verbinden. Gute Ganztagsschulen sind hier auf-
grund ihrer zusätzlichen Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten hervor-
ragende Partner für eine stringente kommunale Entwicklungsplanung. Er-
schwert wird die Umsetzung dieser Strategien allerdings durch die kommunalen
Unterschiede sowohl in der Finanzkraft als auch in der demografischen Ent-
wicklung. Vielen Regionen mit abnehmenden Bevölkerungs- oder Schülerzah-
len stehen weiterhin Kommunen gegenüber, die durch Zuzug und entsprechend
wachsenden bildungsinfrastrukturellen Bedarfen gekennzeichnet sind.

2. Gute Ganztagsschulen zeigen Wirkung

Für die Kinder und Jugendlichen, deren Eltern, die Lehrkräfte und Schulleitun-
gen, die außerschulischen Partner und Akteure sowie die Länder und Kommu-
nen kommt es darauf an, die enormen Potenziale auch vor Ort zu verwirk-
lichen. Die bisher umfassendste Untersuchung ist die Längsschnittstudie
„Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) der Justus-Liebig-Uni-
versität Gießen, des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dort-
mund (IFS), des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und des Deutschen Instituts
für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF).

Die wichtigsten Befunde der 2010 veröffentlichten Schulentwicklungs- und
Wirkungsstudie StEG bestätigen viele Erwartungen und Hoffnungen, zeigen
aber auch Defizite und Handlungsbedarfe auf. So besteht bei den Schülerinnen
und Schülern wie auch den Eltern eine breite Akzeptanz der Ganztagsangebote,
im Sekundarbereich I sogar mit steigender Tendenz. Während an Grundschulen
die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler öfter aus Familien mit einem hö-
heren sozioökonomischen Status stammen, verliert sich dieser Unterschied im
Sekundarbereich I weitestgehend. Die Eltern fühlen sich durch Ganztagsschu-
len insgesamt entlastet und unterstützt, besonders stark gilt dies für Familien
mit niedrigem sozioökonomischem Status. Hier treten auch die erzieherischen

Hilfestellungen stärker hervor. Hinsichtlich der erwarteten individuellen Förde-
rung ihrer Kinder sehen die Eltern aber noch Verbesserungsbedarfe. Und wie

Drucksache 17/13482 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

erwartet steigt die Teilnahmewahrscheinlichkeit der Kinder und Jugendlichen
an Ganztagsangeboten direkt mit der Erwerbstätigkeit der Mutter.

Die Ergebnisse zur pädagogischen Wirkung zeigen ferner, dass eine dauerhafte
und kontinuierliche Teilnahme an Ganztagsangeboten sowohl problematisches
Sozialverhalten als auch das Risiko von Klassenwiederholungen verringert.
Eine Teilnahme führt hingegen nur dann zu individuellen Leistungsverbesse-
rungen, wenn sie kontinuierlich ist, die Intensität mindestens drei Tage pro
Woche beträgt, das allgemeine Schulklima (positives Schüler-Betreuer-Verhält-
nis, gelingende innerschulische und außerschulische multiprofessionelle Zu-
sammenarbeit und Kooperation) positiv ist und als entscheidende Variable eine
hohe Angebotsqualität (d. h. Motivation, Partizipation und Aktivierung der
Schülerinnen und Schüler) wahrgenommen wird. Besonders positiv wirkt sich
die Teilnahme an Ganztagsschulen auf Noten aus, wenn an der Schule verstärkt
binnendifferenzierende Lehrformen praktiziert werden.

Die Studie untersucht dabei ebenfalls den Einfluss der Organisationsform der
Ganztagsschule auf die erwarteten Effekte, die nach der Definition der Kultus-
ministerkonferenz in die „gebundene“ (alle Schülerinnen und Schüler sind zur
Teilnahme am Ganztagsbetrieb verpflichtet), die „teilweise gebundene“ (ein
Teil der Schülerinnen und Schüler verpflichtet sich, oft Klassen oder Klassen-
stufen) sowie „offene“ (Schülerinnen und Schüler können individuelle Ange-
bote wahrnehmen) Form unterschieden werden. Dabei konnte ein Einfluss der
Organisationsform auf die Wirkungen bisher nicht festgestellt werden.

Ferner haben sich der Umfang und die Vielfalt der kooperativen Lehr- und
Betreuungsangebote mit außerschulischen Partnern an Ganztagsschulen erhöht.
Dabei weisen allerdings rund 60 Prozent der Angebote keine konzeptionelle
Verbindung zum Unterricht auf. Zudem dominieren weiterhin Angebote der
institutionellen Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit durch öffentliche und ge-
meinnützige Einrichtungen. Die freie Jugendarbeit und Sportvereine sind hin-
gegen seltener und wenn, dann in geringerem Umfang Kooperationspartner von
Ganztagsschulen. Ganztagsschülerinnen und -schüler sind darüber hinaus selte-
ner in Sportvereinen aktiv.

Die StEG zeigt, dass viele Potenziale guter Ganztagsschulen tatsächlich ver-
wirklicht werden können. Insbesondere belegt sie, dass sie allgemein zu einem
positiven Schulklima beiträgt und dass die individuelle Teilnahmeintensität
offenbar wichtiger als die Organisationsform der Ganztagsschule („gebunden“
oder „offen“) ist. Die entscheidende Erfolgsvariable findet sich zudem in der
Qualität der Lehr- und Betreuungsangebote und deren besserer Verbindung zum
Unterricht. Die konzeptionellen Möglichkeiten vielfältiger Ganztagsschulange-
bote insbesondere in der Verknüpfung von Vor- und Nachmittag sind offenbar
noch nicht ausgeschöpft, ebenso muss demnach der Qualitätsaspekt noch stärker
in den Fokus der Ganztagsschulentwicklung rücken. Als ungelöst muss weiter-
hin das Problem gelten, einen tragfähigen Ausgleich in der Zeitkonkurrenz ins-
besondere zur freien Jugendarbeit oder zu den Sportvereinen zu schaffen.

3. Der Durchbruch: Das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm 2003–2009

Die bildungspolitischen Hoffnungen ruhten nach dem so genannten PISA-
Schock 2000 insbesondere auch in den enormen Potenzialen guter Ganztags-
schulen. Dementsprechend hat die damalige Bundesregierung durch die Bundes-
ministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn die Initiative ergriffen
und mit den Ländern ein Ganztagsschulausbauprogramm IZBB (Investitionspro-
gramm Zukunft Bildung und Betreuung) vereinbart. Von 2003 bis 2009 flossen
rund 4 Mrd Euro Bundesmittel in den Ganztagsausbau, ergänzt um weitere rund
400 Mio. Euro von den Ländern und Kommunen. Dies brachte in Deutschland

den Durchbruch für die Ganztagsschulen und stellt eine der größten schulstruk-
turellen Reformen der Bundesrepublik Deutschland dar.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/13482

Während der Ganztagsausbau seit Mitte der 90er-Jahre nur leicht zulegte,
konnte mit dem IZBB die Zahl der Ganztagsschulen seit 2002 bis 2009 um
rund 170 Prozent gesteigert werden (Verwaltungseinheiten mit Ganztagsbetrieb
nach Definition der Kultusministerkonferenz (KMK), von rund 5 000 auf über
13 300). Der Anteil der Schüler und Schülerinnen, die an Ganztagsschulen
lernen und leben, wurde parallel von 9,8 Prozent auf 26,9 Prozent oder um über
1,2 Millionen gesteigert. Der einzigartige Erfolg des IZBB ist ein Beleg dafür,
zu welchen Fortschritten Deutschland in der Bildung in der Lage ist, wenn Bund
und Länder kooperativ zusammenwirken und knappe Finanzmittel zielgerichtet
eingesetzt werden.

Die Länder haben nicht nur das IZBB erfolgreich umgesetzt. Sie haben es
darüber hinaus mit eigenen Ganztagsinitiativen flankiert oder nach dessen Aus-
laufen fortgesetzt und entsprechende Anstrengungen für einen weiteren qualita-
tiven Ganztagsausbau unternommen. Den Ländern und Kommunen gebührt
eine große Anerkennung um ihre Verdienste für den Ausbau des schulischen
Ganztagsangebots in Deutschland, zumal vor dem Hintergrund der angespann-
ten Finanzsituation vieler Länder und Kommunen.

Bis 2011 konnte so die Ganztagsschulquote auf 54,3 Prozent (15 349 von rund
28 300 Verwaltungseinheiten im allgemeinbildenden Bereich) gesteigert wer-
den. Seit 2002 konnte die Zahl an Ganztagsschulen insgesamt um 210 Prozent
gesteigert werden. Durchschnittlich besuchen 30,6 Prozent der Schülerinnen
und Schüler Schulen in Ganztagsform. Im Primarbereich sind über 47 Prozent
Ganztagsschulen, an denen aber lediglich 26,2 Prozent aller Grundschülerinnen
und -schüler teilnehmen. Der Anteil der Ganztagsschüler und -schülerinnen,
die in gebundener Form teilnehmen, lag 2011 bei 45 Prozent.

Der heutige Ausbaustand weist zudem erhebliche Unterschiede zwischen den
Ländern und Schulformen auf. So sind 2011 sowohl die Ganztagsschulquote
(von 28,6 Prozent in Baden Württemberg bis 96,7 Prozent in Sachsen gemessen
an der KMK-Definition) als auch die allgemeine Ganztagsteilnahmequote (von
11,4 Prozent in Bayern bis 78,5 Prozent in Sachsen) breit gestreut. Auch die
Teilnahmequote in der gebundenen Form weist erhebliche Unterschiede auf
und reicht von 3,1 Prozent in Hessen (nur öffentliche Schulen), 4,2 Prozent in
Schleswig-Holstein und 5,1 Prozent in Bayern bis zu 30,9 Prozent in Sachsen.
Insbesondere die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler im bildungsbiogra-
fisch prägenden Grundschulbereich reicht je nach Land von 3,1 Prozent in
Mecklenburg-Vorpommern bis 82,6 Prozent in Thüringen.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ganztägige Angebote besuchen, un-
terscheidet sich auch stark nach der jeweiligen Schulform. So ist die Teilnahme-
quote der Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen 2011 mit 73,7 Prozent
viereinhalb Mal höher als die an Realschulen mit 16,2 Prozent. Auch die Anteile
der in gebundener Form teilnehmenden Schülerinnen und Schüler variiert je
nach Schulform stark und reicht von 80,6 Prozent bei Gesamtschulen, über
34,5 Prozent bei Realschulen, 37,7 Prozent bei Gymnasien bis hinunter zu
18,1 Prozent im Grundschulbereich.

In qualitativer Hinsicht wird oft die Definition der Ganztagsschule durch die
Kultusministerkonferenz kritisiert. Diese sieht drei Kriterien vor und verlangt
entsprechende Schulangebote an mindestens drei Tagen in der Woche von täg-
lich mindestens sieben Stunden, dass diese unter der Verantwortung der Schul-
leitung und im konzeptionellen Zusammenhang mit dem Unterricht stehen sowie
dass an diesen Tagen die schulseitige Bereitstellung eines Mittagessens erfolgt.
Diese Definition ist lediglich eine Minimaldefinition, mit der quantitativ wie
qualitativ sehr unterschiedliche Modelle unter das gleiche Etikett „Ganztags-
schule“ fallen. Damit sind die positiven Effekte von Ganztagsschulen aller-

dings nicht hinreichend gesichert, da sie – wie etwa die StEG zeigt – an weiter-
gehende Qualitätskriterien gebunden sind.

Drucksache 17/13482 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zudem hat sich trotz aller Anstrengungen der Länder und Kommunen die Aus-
baudynamik spürbar verlangsamt. Während in den beiden ersten Phasen der
IZBB die Anzahl der Ganztagsschulen (2002 bis 2005 um 66 Prozent, 2005 bis
2009 um weitere 62 Prozent) wie der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler
(2002 bis 2005 um 50 Prozent, 2005 bis 2009 um weitere 61 Prozent) stark ge-
stiegen ist, haben sich die folgenden Steigerungen bis 2011 deutlich auf 15 bzw.
10 Prozent verringert. Nicht zuletzt aufgrund der Erfordernisse der Haushalts-
konsolidierung im Lichte der Schuldenbremse fehlen oft die notwendigen Mit-
tel für einen zügigen und flächendeckenden, bedarfsgerechten Ganztagsausbau.
Hinzu kommen durch verstärkt auftretende Mittelkonkurrenzen zu weiteren,
ebenfalls unverzichtbaren und wichtigen bildungspolitischen Aufgaben, wie
z. B. dem Betreuungsausbau im frühkindlichen Bereich, der Verwirklichung
einer inklusiven Bildung oder der Hochschulfinanzierung infolge der anhaltend
hohen Studienplatznachfrage.

4. Ausbaudynamik mit „Masterplan Gute Ganztagsschule“ erneuern

Das heutige Ganztagsangebot ist trotz aller Anstrengungen von Bund, Länder
und Kommunen nicht bedarfsgerecht, nicht flächendeckend ausgewogen und
auch qualitativ häufig noch unzureichend. Das Angebot ist quantitativ noch
weit entfernt von den 60 bis 80 Prozent, die Experten als realistische Nachfrage
veranschlagen. Es ist auch weder pädagogisch noch sozial- und gesellschafts-
politisch oder auch ökonomisch ausreichend. Darüber hinaus erzeugt es un-
gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland und schöpft die mögliche Hebel-
wirkung guter Ganztagsschulen für gleiche Chancen auf bessere Bildung und
eine gute Zukunft nur ansatzweise aus.

Fünf Ziele des Masterplans

Mit einem neuen Ausbauprogramm „Masterplan Gute Ganztagsschule“ sollen
Bund, Länder und Kommunen gemeinsam die quantitative und qualitative
Stagnation durchbrechen und die Ausbaudynamik erneuern. Das Programm ist
an folgenden fünf Zielen auszurichten:

1. Ziel muss es sein, jedem Kind und Jugendlichen unabhängig vom Wohnort,
von der Schulform oder individuellen wie besonderen Förderbedarfen einen
Ganztagsschulplatz anbieten können. Darauf sollen Eltern und Kinder sich
verlassen zu können.

2. Der Masterplan muss ein Qualitätsprogramm sein. Beim bisherigen Ganz-
tagsausbau stand in vielen Fällen die Verlässlichkeit der Betreuung im
Vordergrund. Die Qualität der Lehr- und Betreuungsangebote konnte nicht
immer die Erwartungen der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer bzw. der
Kinder und Jugendlichen erfüllen. Die hohen Potenziale und die nachhaltige
Attraktivität ganztägiger Schulformen hängen aber entscheidend von der
Qualität der Lehr- und Betreuungsangebote ab.

3. Schulen sollen möglichst direkt vom Masterplan profitieren können. Gerade
die „gute Schule“ wird immer vor Ort gemacht. Wir wollen deshalb den
qualitativen Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland unter dem Leitbild
der guten, aktiven Ganztagsschule verfolgen und damit eigenverantwort-
liche Schulen als handelnde und gestaltende Akteure stärken. Wir wollen sie
aktivieren und ihnen die notwendigen Gestaltungsmittel geben, die verein-
barten Ziele auch erreichen zu können.

4. Gute Ganztagsschulen können nur in lokalen Bildungsnetzwerken ihre
Potenziale voll ausschöpfen. Der Masterplan soll daher die institutionelle
Zusammenarbeit der kommunalen Verwaltung und Bildungsanbieter, der
Bundesagentur für Arbeit, der freien Jugend- und Vereinsarbeit sowie der

Kultur- und Sozialarbeit direkt fördern. In Programmgebieten der „Sozialen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/13482

Stadt“ sollten die vorhandenen Netzwerkstrukturen aufgegriffen und ausge-
baut werden, um den ressortübergreifenden Ansatz zu stärken und Synergien
zu nutzen.

5. Den Kommunen kommt eine Schlüsselrolle beim Ganztagsschulausbau zu.
Unbeschadet der verfassungsrechtlichen Grenzen einer direkten Zusammen-
arbeit mit dem Bund kann der Masterplan nur mit Beteiligung und Unter-
stützung der Kommunen erfolgreich sein. Sie müssen als Partner auf Augen-
höhe mit Stimme und Gewicht einbezogen und über die Länder verlässlich
in die arbeitsteilige Aufgabenerfüllung des Masterplans eingebunden werden.

Zur Umsetzung des Masterplans sind zwei Förderlinien vorzusehen. Neben
einem Investitionsprogramm zur Förderung der baulichen Voraussetzungen für
ganztägigen Schulbetrieb mit dem Ziel des Kapazitätsausbaus ist als zweite För-
derlinie ein Personal- und Qualitätsbudget für die Förderung der konzeptionellen
und qualitativen Entwicklung der Ganztagsschulen einzurichten.

Aufgrund der Größenordnung des Projektes soll der Masterplan mindestens
zwei Phasen enthalten. Die erste Phase von vier Jahren dient dem Projektstart,
dem Kapazitätsausbau und der Etablierung der zweiten, gleichwertigen Förder-
linie zum Personal- und Qualitätsausbau. Die zweite anschließende Phase soll
– sofern bereits möglich – konzeptionell auf ein flächendeckendes, d. h. be-
darfsgerechtes, Angebot ausgerichtet werden.

1. Förderlinie: Das Investitionsprogramm des Masterplans

Das Investitionsprogramm übernimmt die Kosten für die notwendigen Bau-
maßnahmen für Funktionsräume (Küchen, Mensen, Sport- und Fachräume,
Aufenthaltsräume usw.) und Einrichtungen, ohne die kein angemessenes Ganz-
tagsangebot möglich ist. Aktuelle Studien setzen bei den Schülerinnen und
Schülern an und gehen von einmalig 3 500 bis 3 750 Euro Investitionskosten
pro Schulplatz aus. Auf einem Ausbaupfad bis beispielsweise 2020 wären dann
rund 1 Mrd. Euro im Jahr zusätzlich zu veranschlagen. In der ersten, vierjähri-
gen Phase könnten damit rund eine Million zusätzliche Ganztagsplätze ge-
schaffen werden. In der zweiten Phase ist dann die für einen bedarfsdeckenden
Ausbau notwendige Ganztagsschulquote festzustellen und als Zielmarke für die
weitere investive Förderung mit den Ländern und Kommunen zu vereinbaren.

Das Investitionsprogramm reserviert zudem einen angemessenen Anteil der
Mittel in einem zweiten Topf zur Förderung von baulichen Anpassungsmaß-
nahmen an bestehenden Schulgebäuden. Die Räume und Schulausstattung sind
überwiegend nach wie vor nicht für den Ganztagsbetrieb konzipiert worden
oder dafür gut geeignet. Da differenzierende Lehrformen in heterogenen Lern-
gruppen andere Raumbedarfe haben und der Einfluss einer positiven Lernum-
gebung und sozial wie pädagogisch förderlichen Ausgestaltung der Lern-, Auf-
enthalts- und Funktionsräume ebenfalls unbestreitbar ist, sollen entsprechende
Umbau- und Umgestaltungsmaßnahmen neben den für einen Ganztagbetrieb
notwendigen Baumaßnahmen ebenfalls förderfähig sein.

2. Förderlinie: Das Personal- und Qualitätsbudget des Masterplans

Das Personal- und Qualitätsbudget der zweiten Förderlinie des Masterplans ist
entscheidend, um die Potenziale der Ganztagsschule auszuschöpfen und ihre
Akzeptanz bei Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und nicht zuletzt den Schüle-
rinnen und Schülern zu erreichen. Aufgrund der lokal sehr unterschiedlichen
Rahmenbedingungen werden die zusätzlichen Mittel für Personal und Qualität
nicht an organisatorische oder fachliche Vorgaben oder konkrete Verwendungs-
zwecke gebunden. Über ihre konkrete Verwendung soll allein vor Ort entschie-
den werden. Daher werden die Mittel in beiden Phasen den Schulen als Ge-

samtbudget zur Verfügung gestellt.

Drucksache 17/13482 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Da der Masterplan weder die KMK-Definition zur Ganztagsschule als Basis
nimmt noch eine neue engere Definition festlegt, setzt er ganz auf die Anreiz-
wirkung eines durch die Teilnahmeintensität der Schülerinnen und Schüler ge-
steuerten Qualitätsbudgets. Die Budgethöhe für die einzelne Schule wird daher
nur an zwei Kriterien bemessen: der Zahl der am Ganztagsbetrieb teilnehmen-
den Schülerinnen und Schüler sowie am Grad ihrer vorgesehenen kontinuier-
lichen und regelmäßigen Teilnahme. So ergeben sich einer aktuellen Experten-
studie zufolge im Vergleich zu 2010 zusätzliche Kosten pro Schüler bzw. Schü-
lerin und Jahr von 640 Euro (offene Form) bis 1 280 Euro (gebundene Form).
In jedem Falle sollen höhere Verpflichtungsgrade einer Teilnahme sich budget-
erhöhend auswirken. Für die zweite Phase nach vier Jahren müssen zusätzlich
Weichenstellungen für die nachhaltige, kontinuierliche Ausfinanzierung des
Qualitätsbudgets vorgenommen und mit den Ländern und Kommunen verein-
bart werden.

Entscheidend ist, dass über die Verwendung des Qualitätsbudgets die Schul-
leitungen mit den Mitwirkungsgremien einen Qualitätsvertrag vereinbaren. Da-
rin verbrieft die Schule den Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerin-
nen und Schülern die geltenden Qualitätsstandards. Neben den pädagogischen
Aspekten sollen hier auch übergreifende Fragen, wie beispielsweise zur Er-
nährungsbildung oder Konzepte für eine institutionalisierte Zusammenarbeit
mit kommunalen und privaten Akteuren Eingang finden. Der Qualitätsvertrag
sollte ausweisen, wie die schulinterne multiprofessionelle wie außerschulische
Zusammenarbeit organisiert und welcher gemeinsame Ansatz mit Land und
Kommune hinsichtlich personal- und dienstrechtlicher Fragen für die Fach-
kräfte verfolgt werden. Erst dann kann die Schule eine Entscheidungsverant-
wortung über Budget und multiprofessionelles Personal auch ausfüllen.

8 Mrd. Euro des Bundes für die ersten vier Jahre

Ohne einen substanziellen Finanzbeitrag des Bundes sind die Ziele des
„Masterplan Gute Ganztagsschule“ nicht zu erreichen. Folgende Eckpunkte
sind für ein entsprechendes Finanzangebot an Länder und Kommunen vorzu-
sehen:

– Für die erste vierjährige Phase wird der Bund insgesamt 8 Mrd. Euro zur
Verfügung stellen.

– Auf die beiden Förderlinien sollen davon je 4 Mrd. Euro entfallen, um die
Gleichrangigkeit des Qualitätsprogramms zum Kapazitätsausbau zu sichern.

– Für die zweite Phase sind die Kosten im Lichte der Ausbaustände wie -ziele
neu zu bestimmen und die Finanzierungsquoten für den Bund und die Länder
zu vereinbaren.

– Der Bund bleibt bis zur Erreichung eines flächendeckenden Ganztagsange-
bots in der gemeinsamen Pflicht mit den Ländern und Kommunen.

5. Finanzielle Voraussetzungen schaffen

Der quantitative und qualitative Ausbau der Ganztagsschulen kann nicht auf der
finanziellen Basis des Status quo erreicht werden. Selbst wenn es den Ländern
gelänge, große Teile der vorhandenen Mittel trotz rückläufiger Schülerinnen-
und Schülerzahlen im Bildungswesen zu belassen, reicht es allein aufgrund der
Mittelkonkurrenzen zu anderen Bildungsbereichen nicht aus, um allein daraus
ein Sofortprogramm für den flächendeckenden Ganztagsschulausbau zu finan-
zieren. Allein die Schätzungen hinsichtlich der laufenden jährlichen Mehrkosten
eines flächendeckenden, qualitativen Ganztagsangebots von 6 bis 14 Mrd. Euro
belegen die Größenordnung des Bedarfs. Zudem ist die Finanzkraft der Länder

höchst unterschiedlich ausgeprägt und verlangt es nicht zuletzt die Schulden-
bremse, einen Ausbau nicht aus Krediten zu finanzieren.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13 – Drucksache 17/13482

Fortschritte in allen Bildungsbereichen und damit auch ein zweites Ganztags-
schulprogramm „Masterplan Gute Ganztagsschule“ setzen Einnahmeverbesse-
rungen für den Bund und für die Länder voraus. Ziel muss es sein, die Konsoli-
dierung mit steigenden Bildungsausgaben zu verbinden. Für Bildung sollen
jährlich zusätzlich 20 Mrd. Euro bereitgestellt werden, je 10 Mrd. Euro vom
Bund und von den Ländern. Erst mit diesen zusätzlichen und dauerhaften Mit-
teln erreichte Deutschland das Niveau anderer, vergleichbarer Länder in der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

6. Kooperationsverbot für Bildung im Grundgesetz abschaffen

Die deutsche Bildungsverfassung steht in ihrer derzeitigen Form dem hier vor-
geschlagenen „Masterplan Gute Ganztagsschule“ von Bund und Ländern ent-
gegen. Mit der Föderalismusreform 2006 ist das so genannte Kooperationsverbot
im Grundgesetz verankert worden. Demnach sind dem Bund Finanzhilfen für
Bereiche untersagt, die in der alleinigen Zuständigkeit der Länder liegen. Das
gilt für die Grundfinanzierung der Hochschulen ebenso wie für die Schulen.
Damit ist der Bund aber genau in denjenigen Bereichen außen vor, in denen die
Weichen für eine gute und lebenswerte Zukunft entscheidend gestaltet werden.
Der Masterplan kann aber nur als Gemeinschaftsprojekt vom Bund, Ländern
und Kommunen erfolgreich sein.

Ziel einer Verfassungsänderung muss daher ein kooperativer Bildungsföderalis-
mus sein, der die Zusammenarbeit der Ebenen fördert und nicht länger blockiert.
Deshalb muss das Kooperationsverbot vollständig, für alle Bildungsbereiche,
aufgehoben werden. Der erfolgversprechendste Vorschlag hierfür besteht in
einem neuen Artikel 104c des Grundgesetzes (GG), der auf Grundlage einer
Vereinbarung eine dauerhafte Bildungsfinanzierung des Bundes eröffnet, sofern
alle Länder zustimmen. Eine solche Verfassungsänderung eröffnet die Rechts-
grundlage, um ein angemessenes und hinreichend ausfinanziertes zweites Aus-
bauprogramm für gute Ganztagsschulen auf den Weg zu bringen. Eine Verfas-
sungsänderung, die dem entgegen den einen Bildungsbereich gegen den anderen
ausspielt und etwa nur Kooperationen für wenige Wissenschaftseinrichtungen
erleichterte, würde hingegen die Fortschrittsblockade im Schulwesen weiter
verlängern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur begrenzten Ergänzung
des Artikels 91b GG ist daher unzureichend und wird abgelehnt.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt

1. den bisherigen Ausbau des Ganztagsangebots an allgemeinbildenden Schulen
in Deutschland;

2. die enormen bisherigen Anstrengungen der Länder und Kommunen zum
Ganztagsausbau.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen neuen Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung vorzulegen, der auf
Basis eines neuen Artikels 104c eine vollständige Aufhebung des Koopera-
tionsverbotes für alle Bildungsbereiche beinhaltet;

2. die Voraussetzungen zu schaffen, dass Bund und Länder gemeinsam zusätz-
lich 20 Mrd. Euro im Jahr für Bildung bereitstellen können, um nachteilige
Mittelkonkurrenzen im Bildungsbereich zu verhindern und bei den Bildungs-
aufwendungen den OECD-Durchschnitt zu erreichen;

3. mit den Ländern und Kommunen in Verhandlungen zu einem zweiten Aus-
bauprogramm „Masterplan Gute Ganztagsschule“ einzutreten und dabei auf

folgende Punkte hinzuwirken:

Drucksache 17/13482 – 14 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– Ziel ist ein bedarfsgerechter, flächendeckender Ausbau des Ganztagsan-
gebots von allgemeinbildenden Schulen, unabhängig von Wohnort oder
der Schulform;

– gleichwertig zum Ganztagsplatzausbau (1. Förderlinie) ist ein Qualitäts-
programm (2. Förderlinie) zu vereinbaren, um die konzeptionellen und
personellen Ressourcen für qualitative Lehr- und Betreuungsangebote zu
vergrößern und alle pädagogischen, sozialen und individuellen Potenziale
besser auszuschöpfen;

– sicherzustellen, dass mit dem Qualitätsprogramm eigenverantwortliche
Schulen als handelnde und gestaltende Bildungsakteure gestärkt und ihnen
die notwendigen Gestaltungsmittel für die Umsetzung der gemeinsam mit
den Eltern und Schülerinnen und Schülern entwickelten Qualitätsverträge
sowie für die lokale und regionale Zusammenarbeit gegeben werden;

– die Förderung von lokalen Bildungsnetzwerken muss ein Bestandteil des
Masterplans werden, damit Kooperationen von Ganztagsschulen sowohl
mit institutionellen Partnern als auch mit privaten Trägern sowie der freien
Jugendarbeit und mit Sportvereinen gestärkt werden. Dies muss in Stadt-
und Quartiersentwicklungsstrategien eingebunden sein und an Strukturen
des Quartiersmanagements und der Bürgerbeteiligung anknüpfen. Bildung
im Quartier muss zu einem Schwerpunkt in einem gestärkten Leitpro-
gramm „Soziale Stadt“ mit verbindlicher ressortübergreifender Koopera-
tion werden;

– die Kommunen sind an diesen Verhandlungen gleichberechtigt und auf
Augenhöhe zu beteiligen, da ohne ihren Beitrag ein Erfolg des Master-
plans gefährdet ist;

4. für die erste vierjährige Phase des „Masterplan Gute Ganztagsschule“ insge-
samt 8 Mrd. Euro Bundesmittel zur Verfügung zu stellen;

5. die Begleitforschung zum Ganztagsausbau nicht nur fortzusetzen, sondern
auszubauen und hinsichtlich u. a. der Effekte einer durchgehenden Sprach-
förderung, der Möglichkeiten zur Steigerung der Angebotsqualität sowie er-
folgreicher Modelle zur besseren Vereinbarkeit von Ganztagsschule und
freier Jugendarbeit, wie Sportaktivitäten, weiterzuentwickeln.

Berlin, den 14. Mai 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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