BT-Drucksache 17/13406

Behandlungs- und Versorgungssituation Alkoholabhängiger sowie Ausbildungslage im Medizinstudium

Vom 8. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13406
17. Wahlperiode 08. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Ulla Jelpke, Cornelia Möhring,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Behandlungs- und Versorgungssituation Alkoholabhängiger sowie
Ausbildungslage im Medizinstudium

Alkoholabhängigkeit ist eine Volkskrankheit (laut BKK Gesundheitsreport
2007 liegt die Prävalenz bei 5 Prozent). Laut WHO Report – Alcohol in the
European Union, Consumption, harm and policy approaches und der Alcohol
Comparator Report – Alkoholkonsum, Abhängigkeit und Gesundheitsschäden
in Deutschland ist der Alkoholkonsum bei Erwachsenen gleichbleibend hoch.
In Deutschland sterben jährlich etwa 74 000 Menschen an den Folgen des
Alkoholmissbrauchs. Eine psychische oder verhaltensbezogene Störung durch
Alkohol wurde im Jahr 2011 als zweithäufigste Einzeldiagnose in Kranken-
häusern mit 338 400 Behandlungsfällen diagnostiziert (Jahrbuch Sucht 2013,
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen).

Die direkten jährlichen Kosten der Behandlung alkoholbezogener Krankheiten
werden im Jahrbuch Sucht 2013 mit 10 Mrd. Euro angegeben. Weitere 16,7 Mrd.
Euro werden für indirekte Kosten (Ressourcenverluste) veranschlagt. Wie der
Barmer-GEK Gesundheitsreport 2012 zum Thema Alkoholkonsum und Er-
werbstätigkeit zeigt, gibt es eine hohe Erwerbsunfähigkeitsquote durch Alkohol-
abhängigkeit.

9,5 Millionen Menschen konsumieren Alkohol in riskanter Weise. 1,3 Millionen
Menschen sind als alkoholabhängig diagnostiziert (Jahrbuch Sucht 2012), davon
sind jedoch nur ca. 10 Prozent in Behandlung (Rehm, J., Rehm, M., Shield,
K. D., Gmel, G., Frick, U., Mann, K. (2012): Alkoholkonsum, Alkoholabhän-
gigkeit und Gesundheitsschäden in Deutschland. Szenarien eines verbesserten
Zugangs zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Toronto, ON: Addiction
and Mental Health/ Dresden: Technische Universität Dresden). Der WHO und
der Alcohol Comparator Report – Alkoholkonsum, Abhängigkeit und Gesund-
heitsschäden in Deutschland prognostizieren, dass eine Erhöhung der Behand-
lungsquote um 40 Prozent jährlich 2 000 Menschen das Leben retten könnte.

Die Behandlung von Alkoholabhängigkeit stellt sich als schwierig dar: Ab-
stinenz ist für viele Alkoholabhängige ein unerreichbares Ziel; Rückfallraten
liegen nach Abstinenzbehandlungen bei bis zu 90 Prozent (Sonntag, D.,

Künzel, J. (2000): Hat die Therapiedauer bei alkohol- und drogenabhängigen
Patienten einen positiven Einfluss auf den Therapieerfolg? In: Sucht Sonder-
heft 2, S. 89 bis 176). Die Bedeutung der Alkoholreduktion als notwendigen
therapeutischen Ansatz für die Versorgung der Patienten nimmt in Anbetracht
dieser Zahlen zu. Die Thematik von Diagnose und Behandlung wird im Medi-
zinstudium jedoch nur mit 2 bis 3 Stunden bedacht. Bis zu 60 Prozent der Stu-
dierenden wünschen sich laut der SAME Study eine ausführlichere Behandlung

Drucksache 17/13406 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
des Themas im Studium (Strobel et al., 2012; Smoking and Alcohol in Medical
Education: SAME Study. Addicition. 107: 1878–1882).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus der Aussage, dass
90 Prozent der Alkoholabhängigen nicht in Behandlung sind?

2. Was gedenkt die Bundesregierung, gegen die therapeutische Unterversor-
gung Alkoholabhängiger zu unternehmen, welche Maßnahmen sind zu er-
greifen?

3. Was kann man an Diagnose- und Behandlungsqualität erwarten, wenn die
Thematik Alkoholabhängigkeit nur mit 2 bis 3 Stunden während des Stu-
diums behandelt wird?

Sieht die Bundesregierung Bedarf, das Curriculum anzupassen und die haus-
ärztliche Fortbildung um einen entsprechenden Schwerpunkt zu erweitern?

4. Warum ist die Untersuchung auf Alkoholabhängigkeit noch nicht in den § 25
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V Gesundheitsuntersuchungen
für Ü35 integriert, obwohl andere Volkserkrankungen, wie Diabetes Mellitus
und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bestandteil dieser Früherkennungsunter-
suchungen sind?

Was gedenkt die Bundesregierung bezüglich Früherkennung von Alkohol-
abhängigkeit zu tun?

5. Erkennt die Bundesregierung bei Alkoholabhängigkeit auch in der Alkohol-
reduktion ein erstrebenswertes Therapieziel, und welche Maßnahmen
ergreift sie, um dieses Therapieziel zu fördern?

6. Welche Informationen hat die Bundesregierung über den Umfang von Arbeits-
unfähigkeit aufgrund von Alkoholabhängigkeit und dem daraus resultierenden
Produktivitätsverlust sowie der Anzahl der Frühberentungen aufgrund von
Alkoholabhängigkeit?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, inwieweit und für wie viele
Menschen, das Therapieziel Reduktion des Alkoholkonsums bei Erwachse-
nen mit Alkoholabhängigkeit angewendet wird?

Wie viele Patientinnen und Patienten könnten von einer derartigen Behand-
lung profitieren?

8. Hält die Bundesregierung die Verordnungseinschränkung für verfassungs-
mäßig unbedenklich?

9. Weshalb hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnungsfähigkeit
von Alkoholentwöhnungspräparaten mit der Vorgabe einer gesonderten
Begründung durch den verordnenden Arzt/die verordnende Ärztin in der
Arzneimittelrichtlinie eingeschränkt?

Ist in der Versorgungswirklichkeit eine durch Vorsicht und zusätzlichen
Arbeitsaufwand bedingte Zurückhaltung der Ärztin oder des Arztes zu er-
warten?

Berlin, den 8. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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