BT-Drucksache 17/13278

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/12638, 17/13258 - Entwurf eines Zweiten Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze

Vom 24. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13278
17. Wahlperiode 24. 04. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner, Cornelia Behm, Harald Ebner,
Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/12638, 17/13258 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung
des Netzausbaus Elektrizitätsnetze

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Ausbau der Stromnetze in Deutschland ist aus zwei Gründen notwendig:
Zum einen sind viele der bestehenden Übertragungs- und Verteilnetze veraltet
und müssen daher modernisiert werden. Zum anderen müssen auch neue Lei-
tungen und neue Technik aufgebaut werden, da ein Stromsystem mit einem
hohen und weiter steigenden Anteil vor allem dezentraler erneuerbarer Ener-
gien eine andere Netzstruktur benötigt als ein System mit konventionellen
Großkraftwerken auf der Basis von Kohle und Atom. In den letzten Jahren hat
der Netzausbau mit dem Wandel der Energielandschaft jedoch nicht Schritt ge-
halten. Es muss sichergestellt werden, dass die Netzinfrastruktur fit gemacht
wird für eine 100-prozentige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien.

2009 hat die große Koalition das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) ver-
abschiedet, welches den Neubau bzw. die Erweiterung von 24 Höchstspannungs-
trassen gesetzlich verankerte. In fünf Modellregionen konnten die Übertra-
gungsnetzbetreiber (ÜNB) zudem den Einsatz von Erdkabeln zur Vermeidung
von Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern prüfen. Im Sommer 2011
wurde vom Gesetzgeber weiter das Netzausbaubeschleunigungsgesetz

(NABEG) beschlossen, welches durch die Konzentration der Zuständigkeit für
den Netzausbau beim Bund den Netzausbau beschleunigen sollte. Dennoch
kommt der Ausbau der Leitungen bisher nicht recht voran: Von den im ENLAG
priorisierten Vorhaben mit einer Gesamtlänge von über 1 800 Kilometern im
Höchstspannungsnetz sind bislang nur 268 Kilometer, und damit nur knapp
15 Prozent, realisiert. Noch keines der Vorhaben mit Pilotstrecken für Erdkabel
ist in Betrieb.

Drucksache 17/13278 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Da diese Verzögerungen auch auf jahrelange Versäumnisse der Bundesregie-
rung zurückzuführen sind, ist es zu begrüßen, dass parallel zur Verabschiedung
des NABEG im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) festgelegt wurde, dass die
ÜNB einmal pro Jahr der Bundesnetzagentur (BNetzA) einen nationalen Netz-
entwicklungsplan (NEP) zur Bestätigung vorlegen müssen, der definiert, wel-
che Leitungen für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich
sind. Dieses koordinierte Verfahren zur Bedarfsermittlung wird vom Deutschen
Bundestag ausdrücklich begrüßt und unterstützt. Mit dem NEP 2012 wurde im
Mai 2012 erstmals ein bundesweit koordiniertes Modell für den Bedarf an
neuen Netzen vorgelegt, das transparenter als bisher den Netzausbaubedarf er-
mittelt hat und anschließend umfangreich konsultiert wurde. Die BNetzA hat in
ihrer Bestätigung des NEP 2012 eine von vier Höchstspannungs-Gleichstrom-
Übertragungs-Verbindungen (HGÜ) und 23 von 74 der von den Netzbetreibern
vorgeschlagenen Projekte noch nicht bestätigt. Für diese nicht bestätigten Pro-
jekte ist der Bedarf noch nicht endgültig bestätigt. Die bestätigten 51 Maßnah-
men sind dagegen wesentlicher Bestandteil des heute zur Abstimmung vorlie-
genden Gesetzentwurfs. Der Deutsche Bundestag erachtet die in dem vorlie-
genden Gesetz vorgesehenen Leitungsneubauten als angemessen und für das
Gelingen der Energiewende notwendig. Dennoch wurden im Rahmen dieses
erstmals stattfindenden Prozesses auch inhaltliche und strukturelle Defizite of-
fenbar, welche einer Korrektur bedürfen. Weiter enthält der vorliegende Ge-
setzentwurf bestimmte Vorgaben, welche mit Blick auf die notwendige Akzep-
tanz des Netzausbaus in der Bevölkerung geändert werden sollten.

Diese Defizite beginnen bei den Modellannahmen im NEP 2012. Hier wird zum
Beispiel ohne Angabe von Gründen von über 8 000 Volllaststunden für Braun-
kohlekraftwerke ausgegangen, was Kritiker zu Recht auf den Plan ruft. Es fehlt
hier deutlich an einer Transparenz und Nachvollziehbarkeit dieser Daten und
Annahmen. Es entsteht der Eindruck, viele der im Bundesbedarfsplangesetz
vorgesehenen Leitungen dienten nicht der Energiewende, sondern allein dem
Export von Strom aus Braunkohlekraftwerken, was nicht Sinn und Zweck des
Netzausbaus sein kann. Weiter wurden die Auswirkungen innovativer Techno-
logien, wie zum Beispiel Speicher, Hochtemperaturleiterseile, Lastmanage-
ment, dezentraler und intelligent vernetzter KWK-Anlagen (KWK = Kraft-
Wärme-Kopplung) oder auch das Kappen von Windspitzen im NEP 2012 nicht
ausreichend berücksichtigt. Es ist zwar zu begrüßen, dass die Bundesregierung
in dem vorliegenden Gesetz wenigstens eine Pilotstrecke für Hochtemperatur-
leisterseile ausgewiesen hat, doch die Einschränkung auf ein einzelnes Projekt
erscheint weder sinnvoll noch notwendig. Gleiches gilt auch für den Einsatz von
Erdkabeln. Erdkabel können einen wesentlichen Beitrag zur Lösung von Kon-
flikten leisten. Die von der Bundesregierung vorgenommene Einschränkung auf
zwei Pilotprojekte bei HGÜ-Leitungen erscheint vollkommen unnötig. Stattdes-
sen bedarf es der Option einer Erdverkabelung auf allen Strecken – auch bei
Drehstromleitungen –, wo es technisch und wirtschaftlich effizient ist. Die un-
terlassene Berücksichtigung dieser Technologien lässt befürchten, dass das Netz
von morgen mit Technologien von gestern gebaut werden soll. Die Vorgaben der
Bundesnetzagentur zu ersten Sensitivitätsberechnungen bis Juni 2013 sind zwar
zu begrüßen, doch die Potenziale der Sensitivitätenprüfungen sind damit noch
lange nicht erschöpft. Diese Prüfungen sollten in einem transparenten Diskus-
sionsprozess fortgeführt werden und neue Erkenntnisse zu möglichen Alterna-
tiven zum Netzausbau zügig in die Netzplanung überführt werden.

Ein weiterer Punkt mit Korrekturbedarf sind die Regelungen zur Auswahl von
Standorten für Infrastruktureinrichtungen bei HGÜ-Leitungen. Hier wurde ver-
säumt, im Rahmen einer strategischen Umweltprüfung alternative Standorte zu
suchen. Es ist weder akzeptabel noch zumutbar, dass die Festlegung von Start-

und Endpunkten für HGÜ-Leitungen dazu führt, dass z. B. Konverterstationen
direkt neben Wohngebieten errichtet werden. Die über 2 000 Einwendungen ge-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13278

gen den NEP aus Meerbusch-Osterath gegen die dort geplante Konverterstation
sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass eine Standortsuche ohne die Prüfung von
Alternativen zu einem breiten Verlust der Akzeptanz führt. Dies wurde auch
vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(BMU) in seiner Stellungnahme zum Umweltbericht zum Bundesbedarfsplan
2012 deutlich gemacht. Die Tatsache, dass sich neben den Bürgerinitiativen und
dem BMU inzwischen auch die Übertragungsnetzbetreiber für eine umfassen-
dere Alternativenprüfung aussprechen, verdeutlicht den Handlungsbedarf.

Der Deutsche Bundestag kritisiert weiter die im Bundesbedarfsplangesetz
(BBPlG) vorgesehene Verkürzung des Klagewegs. Die in Artikel 1 § 4 BBPlG
vorgesehene Anwendung des § 50 Absatz 1 Nummer 6 der Verwaltungsgerichts-
ordnung (VwGO) und die damit einhergehende Änderung des § 50 VwGO an
entsprechender Stelle durch Artikel 4 BBPlG ist in dieser Hinsicht zu korri-
gieren. Es war bereits ein Fehler, das EnLAG in einen Kanon von Infrastruktur-
gesetzen zu stellen, deren Projekte durch eine Rechtswegverkürzung beschleu-
nigt werden sollen. Dieser Fehler sollte nicht wiederholt werden, da die lange
Dauer von Gerichtsverfahren eher ihre Ursache in der Auslastung der Gerichte
hat und nicht in der Anzahl der Instanzen. Die vorgesehene Regelung gefährdet
daher unnötig die Akzeptanz des Netzausbaus insgesamt und kann auch nicht
die Verfahrensdauer verkürzen. Vielmehr ruft sie eher einen Verfahrensstau am
Bundesverwaltungsgericht hervor, das sich mit sämtlichen anhängigen Verfah-
ren befassen und die Anwendung jedes Landesrechts prüfen müsste. Aus prak-
tischen wie auch rechtssystematischen Gründen muss eine Überprüfungsinstanz
gewährleistet bleiben. Die Verkürzung des Klageweges sollte daher auch im
Sinne einer einheitlichen Regelung im EnLAG zurückgenommen und für die im
BBPlG gar nicht erst eingeführt werden.

Es ist weiter kritisch zu überprüfen, ob die Erstellung der Szenariorahmen und
der Netzentwicklungspläne von einem ein- auf einen zweijährigen Rhythmus
umgestellt werden kann. Bei der derzeitigen jährlichen Regelung ist zu be-
fürchten, dass die stetige Publikation von neuen Szenariorahmen und Netzent-
wicklungsplänen zu einem kaum noch zu vertretenden Aufwand sowohl für die
Übertragungsnetzbetreiber als auch Verbände und Privatpersonen führt, welche
sich an den Konsultationen beteiligen wollen. Da die jährliche Publikation
dieser Dokumente auch nicht zu einer qualitativen Verbesserung führt, sondern
eher eine unzureichende Sensitivitätenprüfung befürchten lässt, soll überprüft
werden, ob auch ein zweijähriger Turnus mit geltendem EU-Recht vereinbar
ist. Gleichzeitig muss dabei sichergestellt werden, dass ein kontinuierlicher Di-
alog mit Wirtschaft und Gesellschaft über den Netzausbau sichergestellt wird
und sich die Bürgerbeteiligung nicht auf die sechs Wochen Konsultationsfrist
beschränkt. Zusätzliche Beteiligungsformen seitens der Bundesnetzagentur und
der Übertragungsnetzbetreiber sollten einen kontinuierlichen Dialog sicherstel-
len und dazu beitragen, die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig über anstehende
Entwicklungen zu informieren und frühzeitig in die Vorbereitung der neuen
Netzentwicklungspläne mit einzubeziehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die folgenden Punkte im BBPlG umzusetzen:

• Es wird klargestellt, dass die genannten Netzverknüpfungspunkte keine Ver-
lagerung des Anfangs- oder Endpunktes an einen anderen Netzverknüp-
fungspunkt auf dem bedarfsfestgestellten Trassenverlauf ausschließen. Die
Standortentscheidung wird erst im Rahmen der Bundesfachplanung und
Planfeststellung konkretisiert. Als Ergänzung dazu sollte der von der Bundes-
netzagentur im Umweltbericht vorgesehene Suchradius von 10 Kilometern

deutlich erweitert werden.

Drucksache 17/13278 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
• Erdverkabelungen werden nicht nur auf zwei Pilotstrecken, sondern vor
allem in ökologisch sensiblen Gebieten und in der Nähe zu Wohnstandorten
grundsätzlich ermöglicht, indem die für die Zulassung des Vorhabens zu-
ständige Behörde den Einsatz von Erdkabeln, soweit dies technisch und
wirtschaftlich effizient ist, genehmigen kann. Diese Regelung sollte auf das
Energieleitungsausbaugesetz ausgeweitet werden, sofern sich Leitungen
noch nicht im Planfeststellungsverfahren befinden.

• Die Übertragungsnetzbetreiber erhalten den Auftrag, bei der zukünftigen Er-
stellung von Netzentwicklungsplänen eine stärkere Prüfung von sogenann-
ten Sensitivitäten vorzunehmen. Diese Prüfung soll sich dabei streng am
NOVA-Prinzip (Netzoptimierung vor Ausbau) orientieren und den Einsatz
von innovativen Technologien, wie zum Beispiel Speicher, Hochtemperatur-
leiterseile, Lastmanagement oder das Kappen von Windspitzen, umfassen.

• Es wird geprüft, ob die Erstellung der Netzentwicklungspläne von einem
einjährigen auf einen zweijährigen Turnus umgestellt werden kann und ob
sich dies mit geltendem EU-Recht vereinbaren lässt. Dabei sollte jedoch
sichergestellt werden, dass informelle Beteiligungsformen jenseits der for-
malen Konsultationsverfahren ausgeweitet werden und Fristverlängerungen
für die Konsultationsfristen ermöglicht werden.

• Es findet keine Verkürzung der Klagewege durch die vorgesehene Anwen-
dung von § 50 der Verwaltungsgerichtsordnung durch das Bundesbedarfs-
plangesetz statt. Gleichzeitig soll das Energieleitungsausbaugesetz aus § 50
der Verwaltungsgerichtsordnung gestrichen werden.

Berlin, den 24. April 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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