BT-Drucksache 17/13253

Rechte intersexueller Menschen stärken

Vom 24. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13253
17. Wahlperiode 24. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Petra Crone, Angelika Graf (Rosenheim),
Caren Marks, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Franz Müntefering,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Sönke Rix,
Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Stefan Schwartze, Sonja Steffen,
Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Rechte intersexueller Menschen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Intersexuelle Menschen müssen endlich als ein gleichberechtigter Teil unserer
vielfältigen Gesellschaft anerkannt werden. Daher dürfen sie in ihren Men-
schen- und Bürgerrechten nicht länger eingeschränkt werden.

Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, bei denen Chromosomen und in-
nere oder äußere Geschlechtsorgane nicht übereinstimmend einem weiblichen
oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können oder die in sich unein-
deutig sind. Wissenschaftlichen Studien zufolge werden in Deutschland etwa
150 bis 340 Kinder pro Jahr geboren, deren biologisches Geschlecht nicht ein-
deutig ist. Die Gesamtzahl der Menschen mit „Varianten der Geschlechtsent-
wicklung“ (Schweizer Ethikrat, Stellungnahme der Nationalen Ethikkommis-
sion Humanmedizin 20/2012) liegt nach Angaben der Bundesregierung bei etwa
8 000 bis 10 000 (Bundestagsdrucksache 16/4786). Die Verbände der Inter-
sexuellen sprechen allerdings von einer deutlich höheren Personenzahl.

Trotz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse bleiben intersexuelle Menschen
gesellschaftlich ausgegrenzt. Viele haben physisches und psychisches Leid er-
fahren und erleben es noch heute. Im Besonderen wurden und werden intersexu-
elle Menschen in ihrem Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, auf
Selbstbestimmung und Nichtdiskriminierung verletzt, weshalb sie in diesen
Rechten und ihrem Anspruch auf Anerkennung unterstützt und bestärkt werden
müssen.

Im Jahr 2009 übergaben Interessenverbände intersexueller Menschen dem UN-
Ausschuss zur Überwachung des „Internationalen Übereinkommens zur Besei-
tigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW) einen „Schatten-
bericht“ zur Situation intersexueller Menschen in Deutschland. In der Folge for-

derte das UN-Gremium die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, die
den Schutz der Menschenrechte von intersexuellen Menschen in Deutschland
gewährleisten. Dies nahm die Bundesregierung zum Anlass, den Deutschen
Ethikrat eine Stellungnahme erarbeiten zu lassen. In der umfassenden Stellung-
nahme des Deutschen Ethikrats werden die Menschenrechtsverletzungen an
intersexuellen Menschen deutlich benannt. Hier heißt es unter anderem: „Etliche
Betroffene sind aufgrund der früher erfolgten medizinischen Eingriffe so ge-

Drucksache 17/13253 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schädigt, dass sie nicht in der Lage sind, einer normalen Erwerbstätigkeit nach-
zugehen, oder sie sind infolge der Eingriffe schwer behindert“ (Bundestags-
drucksache 17/9088, S. 55).

Der Deutsche Bundestag sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid an, das
intersexuellen Menschen widerfahren ist und bedauert dies zutiefst.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

• sicherzustellen, dass geschlechtszuweisende und -anpassende Operationen
an minderjährigen intersexuellen Menschen vor deren Einwilligungsfähig-
keit verboten werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass eine alleinige
stellvertretende Einwilligung der Eltern in irreversible geschlechtszuwei-
sende Operationen ihres minderjährigen Kindes – außer in lebensbedroh-
lichen Notfällen oder bei Vorliegen einer medizinischen Indikation – nicht
zulässig ist. Eine medizinische Indikation muss von einem qualifizierten in-
terdisziplinärem Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung bestä-
tigt werden;

• sicherzustellen, dass dem ausdrücklichen Wunsch intersexueller minderjäh-
riger Jugendlicher nach geschlechtszuweisenden Operationen Rechnung ge-
tragen wird, unter der Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit. Im Gesetz
über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist klarzustellen, dass die Bestellung eines
geeigneten Verfahrensbeistandes in der Regel immer erforderlich ist. Darüber
hinaus ist zu prüfen, welche weiteren bestehenden straf- und zivilrechtlichen
Regelungen entsprechend zu verändern sind, um den erklärten Willen des
intersexuellen Minderjährigen umzusetzen;

• sicherzustellen, dass intersexuelle Menschen stets in ein qualifiziertes inter-
disziplinäres Kompetenzzentrum zur Diagnostik und Behandlung vermittelt
werden;

• dafür Sorge zu tragen, dass intersexuellen Menschen, die in ihrer Kindheit
operiert worden sind, die Kosten für daraus resultierende Hormonbehandlun-
gen sowie psychotherapeutische Unterstützung von den Krankenkassen er-
stattet werden;

• den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aufzufordern zu prüfen, ob in-
tersexuelle Menschen bei einer erforderlichen Hormonersatztherapie in die
sogenannte Chronikerregelung aufgenommen werden können;

• gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen, der Ärzteschaft und den Anti-
diskriminierungsstellen des Bundes und der Länder ein unabhängiges Bera-
tungs- und Betreuungsangebot für betroffene Kinder, deren Eltern, betroffene
Heranwachsende und Erwachsene zu schaffen und dabei die Beratungs- und
Selbsthilfeeinrichtungen der Betroffenenverbände einzubeziehen;

• zügig für eine Präzisierung des vom Deutschen Bundestag am 31. Januar 2013
verabschiedeten Personenstandsrechts-Änderungsgesetz (Bundestagsdruck-
sache 17/10489) zu sorgen, da die Neuregelung des § 22 des Personenstands-
gesetzes (PStG) im Geburtenregister zu einer Fülle von ungeklärten Folge-
wirkungen auf alle Folgedokumente sowie weitere Rechtsgebiete geführt hat;

• dafür Sorge zu tragen, dass intersexuelle Menschen eine vereinfachte Ände-
rungsmöglichkeit der Vornamen sowie der ursprünglich durch ihre Eltern
vorgenommenen Geschlechtskategorisierung erhalten, wenn diese nicht
mehr mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt. Dabei muss ein
effektives Offenbarungsverbot gewährleistet werden;

• im Zusammenspiel mit den Ländern die Standesämter entsprechend dem

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2008 (1 BvR 576/97)
anzuweisen, dass auch geschlechtsneutrale Vornamen zu akzeptieren sind;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13253

• sich für einheitliche ärztliche Leitlinien zur Intersexualität auf aktuellem
medizinisch wissenschaftlichem Erkenntnisstand einzusetzen, die sich auch
an den „Ethischen Empfehlungen und Grundsätzen bei DSD“ (Arbeitsgruppe
Ethik im Netzwerk Intersexualität „Besonderheiten der Geschlechtsentwick-
lung“ veröffentlicht in: Monatszeitschrift Kinderheilkunde, März 2008) orien-
tieren;

• den Dialog mit den zuständigen Bundes- und Landeskammern der Ärzte und
Psychotherapeuten sowie der Hebammenverbände aufzunehmen, mit dem
Ziel, entsprechende Curricula in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen um
das Thema Intersexualität, in den ebenso die Perspektive der intersexuellen
Menschen vorkommt, zu ergänzen und das Thema verstärkt im Rahmen von
Fort- und Weiterbildungsangeboten zu berücksichtigen;

• bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass das Thema Intersexualität ein fes-
ter Bestandteil der Aus-, Fort- und Weiterbildung sowohl von Erzieherinnen
und Erziehern als auch von Lehrerinnen und Lehrern wird. Somit soll ge-
währleistet werden, dass in Kindertageseinrichtungen und im Schulunter-
richt, beispielsweise in den Fächern Biologie, Sozialkunde oder Ethik, ein
angemessener Umgang mit Intersexualität und geschlechtlicher Vielfalt ver-
mittelt wird;

• im Zusammenspiel mit den Ländern, Kommunen und freien Trägern die
Fachkräfte in den Bereichen Verwaltung, Sport, Polizei und Justiz für die
Belange intersexueller Menschen stärker zu sensibilisieren;

• bei den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Fristen für die Aufbewahrung
der Krankenakten bei Operationen im Genitalbereich auf mindestens 40 Jahre
ab Volljährigkeit verlängert werden und intersexuellen Menschen ein unge-
hinderter Zugang zu ihren Krankenakten gewährleistet wird;

• die Selbsthilfe von intersexuellen Menschen zu stärken;

• eine Forschungsstudie im Auftrag zu geben, die das an intersexuellen Men-
schen begangene Unrecht dokumentiert und dem Bundestag einen Bericht bis
zum 31. Dezember 2015 vorzulegen;

• den Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes regelmäßig um ein
Kapitel zu ergänzen, in dem die Lebenssituation von Menschen verschiede-
ner Geschlechtsidentitäten bzw. sexueller Orientierungen dargestellt wird;

• weitere wissenschaftliche interdisziplinäre Forschungen zum Thema Inter-
sexualität unter Beteiligung von Kultur-, Gesellschaftswissenschaften sowie
der Betroffenenverbände zu fördern.

Berlin, den 24. April 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Intersexuelle Menschen, das heißt Menschen, bei denen geschlechtsdeterminie-
rende und geschlechtsdifferenzierende Merkmale des Körpers (zum Beispiel
Chromosomen, Gene, Hormonhaushalt, Keimdrüsen, innere und äußere
Geschlechtsorgane) nicht übereinstimmend dem männlichen oder weiblichen
Geschlecht entsprechen oder einem Geschlecht klar zugeordnet werden können,

sind ein gleichberechtigter Teil unserer vielfältigen Gesellschaft. In Deutschland
werden etwa 150 bis 340 Kinder pro Jahr geboren (eine von 2 000 bis 4 500 Ge-

Drucksache 17/13253 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

burten), die als intersexuell klassifiziert werden können (Woweries, Frühe Kind-
heit, 03/10, S. 18). Die Verbände der intersexuellen Menschen sprechen aller-
dings von einer deutlich höheren Zahl.

Intersexuelle Menschen, die in der Regel mehrfachen Operationen insbesondere
im Säuglings- und Kindesalter unterzogen wurden, berichten, dass sie sich als
Opfer von Verstümmelungen sehen und ihre Gefühle, Wut und Hass, sowie trau-
matische Erlebnisse noch Jahrzehnte lang und sehr intensiv erleben (Woweries,
Frühe Kindheit, 03/10, S. 20).

Auch wissenschaftliche Nachuntersuchungen zeigen ein bedrückendes Bild
(Schweizer, Katinka und Richter-Appelt, Hertha: Leben mit Intersexualität. Be-
handlungserfahrungen, Geschlechtsidentität und Lebensqualität Psychotherapie
im Dialog, 10. 2009(1), S. 19 bis 24). Weit über die Hälfte der an der Hamburger
Studie Teilnehmenden zeigte klinisch relevanten Leidensdruck; 47 Prozent hat-
ten Suizidgedanken; 13,5 Prozent berichteten über zurückliegenden Selbstver-
letzungen. Ein großer Teil gibt eine asexuelle Orientierung an, die auf trauma-
tisierende Operations- und Behandlungserfahrungen zurückgeführt wird. Da-
durch haben sie jedes sexuelle Interesse und die Fähigkeit, sich zu verlieben,
verloren. Ebenfalls ist die Eltern-Kind-Beziehung hohen Bindungsbelastungen
ausgesetzt.

Eine andere 2008 durchgeführte klinische Evaluationsstudie im Netzwerk Inter-
sexualität ergab ebenfalls eine sehr hohe Unzufriedenheit intersexueller Men-
schen mit den an ihnen vorgenommenen operativen und hormonellen Eingriffen
(www.netzwerk-dsd.uk-sh.de). Vor allem Erwachsene beklagten die massiven
psychischen und physischen Folgen der genitalen Operationen. Bei 25 Prozent
aller operierten Studienteilnehmenden kam es zu Komplikationen. 28 Prozent
aller Erwachsenen gaben an, dass es für sie schwierig ist, eine spezialisierte Be-
handlung der nachfolgenden Probleme zu finden. Bei den untersuchten Erwach-
senen haben 45 Prozent in der psychischen Gesundheit deutlich schlechtere
Werte als eine Vergleichsgruppe. Auch die teilnehmenden Kinder geben Ein-
schränkungen in der Lebensqualität in fast allen Bereichen an.

Im Ergebnis führt dies zu dem Schluss, dass das prophylaktische Entfernen und
Verändern von Genitalorganen bei intersexuellen Kindern zu unterbleiben hat
und nur bei einer anerkannten medizinischen Indikation durchgeführt werden
darf.

Die Diagnose und Behandlung intersexueller Menschen sollen in der Regel in
einem qualifizierten interdisziplinären Kompetenzzentrum vorgenommen wer-
den.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistands für intersexuelle Minderjährige soll in
jedem Fall erfolgen, damit die Rechte von intersexuellen Kindern und Jugend-
lichen gewahrt werden.

Darüber hinaus sollen intersexuellen Menschen, die an Folgen der geschlechts-
zuweisenden Operationen leiden, die Kosten für daraus resultierende Hormon-
behandlung sowie psychotherapeutische Unterstützung von den Krankenkassen
erstattet werden. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, zu prüfen, ob inter-
sexuelle Menschen aufgrund einer erforderlichen Hormonersatztherapie in die
sogenannte Chronikerregelung aufgenommen werden können.

Ebenso ist es dringend notwendig, ein unabhängiges Beratungs- und Betreuungs-
angebot für intersexuelle Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern zu schaffen
und entsprechende Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen zu unterstützen.

Die Existenz intersexueller Menschen wird in der Wissenschaft seit Jahren an-
erkannt und untersucht. So zum Beispiel wird seit 2003 im Rahmen des Förder-

schwerpunkts „Netzwerke für seltene Erkrankungen“ ein nationales For-
schungsnetzwerk zu „Störungen der somatosexuellen Differenzierung und In-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13253

tersexualität“ mit insgesamt 3,4 Mio. Euro durch das Bundesministerium für
Bildung und Forschung gefördert.

Ebenso wird Intersexualität auf der politischen internationalen Ebene diskutiert,
da sich immer häufiger intersexuelle Menschen zu Wort melden und gegen bis-
herige Praktiken der Behandlung im Kindesalter protestieren. Auf der Ebene der
Vereinten Nationen ist dies 2008/2009 bei der Berichterstattung zum „Überein-
kommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW)
ans Licht der Öffentlichkeit gekommen, nachdem ein Schattenbericht des
Vereins „Intersexuelle Menschen e. V.“ zum offiziellen CEDAW-Bericht der
Bundesregierung Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen dargestellt
hatte. Ebenso erstellten der Verein „Intersexuelle Menschen e. V.“ und die
Selbsthilfegruppe „XY-Frauen“ Schattenberichte beim UN-Ausschuss über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) und beim UN-Anti-
folterausschuss (CAT).

Schließlich hat sich der Deutsche Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung mit
dem Thema befasst und am 23. Februar 2012 eine Stellungnahme zur Situation
intersexueller Menschen vorgestellt (Bundestagsdrucksache 17/9088). Der Ethik-
rat ist der Auffassung, dass intersexuelle Menschen als Teil gesellschaftlicher
Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren müssen und vor
medizinischen Fehlentwicklungen und Diskriminierung in der Gesellschaft zu
schützen sind. Darüber hinaus hat er 18 Empfehlungen zur medizinischen Be-
handlung und vier zum Personenstandsrecht formuliert. Die Empfehlungen zum
Personenstandsrecht wurden vom Bundesrat übernommen und in einem Be-
schluss vom 6. Juni 2012 zum Personenstandsrechts-Änderungsgesetz an die
Bundesregierung zur Prüfung weitergeleitet (Bundesratsdrucksache 304/12).

Auch der Deutsche Bundestag beschäftigte sich mit dem Thema. Im Ausschuss
für Familien, Senioren, Frauen und Jugend fand am 25. Juni 2012 eine öffent-
liche Anhörung statt, in der alle Sachverständigen die Menschenrechtsverlet-
zungen an intersexuellen Menschen thematisiert und das Parlament zum Han-
deln aufgefordert haben.

Mit dem vom Deutschen Bundestag am 31. Januar 2013 in zweiter und dritter
Lesung verabschiedeten Personenstandsrechts-Änderungsgesetz (Bundestags-
drucksache 17/10489) wurde im Rahmen eines Änderungsantrags der Koali-
tionsfraktionen der CDU/CSU und FDP in § 22 PStG neu geregelt, dass der
Personenstand eines Kindes, das weder dem weiblichen noch dem männlichen
Geschlecht zugeordnet werden kann, ohne eine solche Angabe in das Geburten-
register eingetragen werden kann. Dies stellt eine Verbesserung gegenüber dem
bisher geltenden Personenstandsrecht dar, das Intersexuelle bisher ignorierte.

Ungeachtet dessen führt diese neue gesetzliche Regelung zu einer Fülle von
noch ungeklärten Folgewirkungen auf andere Rechtsgebiete, da die konkreten
und umfassenden Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze des Deutschen
Ethikrates (Bundestagsdrucksache 17/9088) damit nur unzureichend umgesetzt
wurden. Daher ist die getroffene Gesetzesänderung zu präzisieren, um Recht-
sicherheit für intersexuelle Menschen zu gewährleisten.

Außerdem beklagen intersexuelle Menschen, dass ihnen der Zugang zu ihren
Krankenakten verwehrt bleibt. Oft erfahren sie über an ihnen im Säuglings- und
Kindesalter durchgeführten Operationen erst im Erwachsenalter, wenn die me-
dizinische Dokumentation nicht mehr existiert. Deshalb ist es notwendig, eine
Sonderregelung zu schaffen, nach der die Fristen für die Aufbewahrung von
Krankenakten bei geschlechtszuweisenden und geschlechtsanpassenden Opera-
tionen auf mindestens 40 Jahre ab Volljährigkeit verlängert werden. So kann ihnen
ein ungehinderter Zugang zu ihren Krankenakten gewährleistet werden (vgl.
Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD – Arbeitsgruppe Ethik im

Drucksache 17/13253 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Netzwerk Intersexualität: „Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung“, Mo-
natsschrift für Kinderheilkunde, 2008 (156), S. 245).

Schließlich soll das bisher tabuisierte Thema Intersexualität in Aus-, Fort- und
Weiterbildungsangeboten für die Angehörigen der beteiligten Gesundheitsbe-
rufe integriert werden. Ebenfalls soll Intersexualität ein fester Bestandteil des
Schulunterrichts, beispielsweise in den Fächern Biologie, Sozialkunde oder
Ethik, sowie der frühkindlichen Bildung sein, um der Diskriminierung inter-
sexueller Menschen entgegenzuwirken. Darüber hinaus soll Intersexualität
weiter interdisziplinär unter Beteiligung von Kultur- und Gesellschaftswissen-
schaften sowie der Betroffenenverbände erforscht werden. Die gesamte Gesell-
schaft ist aufgefordert, geschlechtliche Vielfalt als eine Variante menschlicher
Geschlechtsentwicklung anzuerkennen und nicht durch die Medizin in ein Kor-
sett starrer Zweigeschlechtlichkeit einzupassen.

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