BT-Drucksache 17/13250

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 17/12650 - Lebenslagen in Deutschland - Vierter Armuts- und Reichtumsbericht

Vom 23. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13250
17. Wahlperiode 23. 04. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Frank Heinrich, Dr. Matthias Zimmer, Peter Weiß
(Emmendingen), Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, Gitta Connemann,
Dr. Johann Wadephul, Dr. Carsten Linnemann, Heike Brehmer, Thomas Dörflinger,
Michael Grosse-Brömer, Ulrich Lange, Maria Michalk, Stefan Müller (Erlangen),
Max Straubinger, Dr. Peter Tauber, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, Heinz
Golombeck, Miriam Gruß, Pascal Kober, Johannes Vogel (Lüdenscheid),
Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 17/12650 –

Lebenslagen in Deutschland – Vierter Armuts- und Reichtumsbericht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die wirtschaftliche Situation in Deutschland hat sich in den letzten Jahren spür-
bar verbessert. Sie war nicht zuletzt von einer ausgesprochen guten Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt geprägt. Zwar kam es zu spürbaren Belastungen durch die
Finanz- und Wirtschaftskrise. Der Arbeitsmarkt zeigte sich jedoch äußerst ro-
bust und die Beschäftigung erreichte ein historisch hohes Niveau. Gleichzeitig
nahm die Arbeitslosigkeit erheblich ab. Damit konnten viele Menschen die Ab-
hängigkeit von staatlichen Hilfeleistungen überwinden. Dies wird auch interna-
tional anerkannt.

Ein gut funktionierender Arbeitsmarkt ist entscheidend für die Vermeidung von
Armutsrisiken. Wie der Armuts- und Reichtumsbericht feststellt, ist Erwerbstä-
tigkeit Grundlage des allgemeinen Wohlstands in Deutschland. Sie dient den pri-
vaten Haushalten als wichtigste Quelle zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts
und ist damit eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. An-
dererseits sind Arbeitsplatzverlust und längerer Verbleib in Arbeitslosigkeit zen-

trale Risikofaktoren für ein relativ geringes Einkommen, einen eingeschränkten
Lebensstandard oder die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen. Arbeitslosig-
keit verschlechtert den Gesundheitszustand und das subjektive Wohlergehen.
Sind Eltern langfristig arbeitslos, geht hiervon auch eine negative Signalwir-
kung auf die davon unmittelbar betroffenen Kinder und Jugendlichen aus. Dies
kann auch deren Bildungs- und Ausbildungschancen reduzieren. Eine Erwerbs-

Drucksache 17/13250 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

aufnahme führt in der Mehrzahl der Fälle aus diesen Situationen heraus und
stärkt auch die Kinder.

Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht macht deshalb zu Recht auf die positive
Entwicklung aufmerksam:

• Von 2007 bis 2012 ist die Anzahl der Arbeitslosen um knapp eine Million
gesunken und die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten
um rund zwei Millionen gestiegen.

• Seit dem Jahr 2007 reduzierte sich die Langzeitarbeitslosigkeit um über
40 Prozent.

• Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger ging bei den Erwerbsfähigen um über
800 000 und bei den Kindern um rund 270 000 zurück.

• Die Armutsrisikoquote – ein relatives Maß, das sich bei für alle Personen
gleicher Entwicklung praktisch nicht ändert – blieb seit 2007 relativ konstant
zwischen 14 und 16 Prozent.

• Die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung war in den vergangenen
Jahren tendenziell rückläufig.

• Der Niedriglohnbereich – ebenfalls eine relative Größe – hat nicht zugenom-
men, sondern schwächte sich zuletzt eher ab.

Die Löhne steigen spürbar, insbesondere dort, wo die Tarifbindung hoch ist. Seit
drei Jahren profitieren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt wieder
von Reallohnsteigerungen. Auch die Renten sind gestiegen. Die christlich-libe-
rale Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode in Branchen mit insgesamt
vier Millionen Beschäftigten die von den Tarifpartnern ausgehandelten Tarifver-
träge mit Lohnuntergrenzen für allgemeinverbindlich erklärt. Davon wurden in
Branchen mit über zwei Millionen Beschäftigten Lohnuntergrenzen erstmals
eingeführt. Altersarmut ist für die allermeisten heutigen Rentner ein Fremdwort,
sie liegt bundesweit bei rund 2,5 Prozent. Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit
ist mit etwas mehr als 5 Prozent die niedrigste in Europa.

Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, können in Deutschland auf
ein umfangreiches System an sozialen Leistungen vertrauen. Die Sozialleis-
tungsquote zeigt, dass rund ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts für
Soziales ausgegeben wird. Deutschland bewegt sich damit im oberen Bereich
der Europäischen Union. Die soziale Absicherung trägt maßgeblich dazu bei,
dass Deutschland als ein gerechtes Land wahrgenommen wird, wie eine kürzlich
veröffentlichte Untersuchung vom INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENS-
BACH gezeigt hat. Die öffentliche Diskussion um „Armut in Deutschland“ darf
die Existenz unseres funktionierenden Sozialstaates und die große Leistung un-
serer Solidargemeinschaft nicht ignorieren. Daher sollte besonders darauf ge-
achtet werden, dass die Begriffe Armut und Armutsrisiko nicht vermengt wer-
den. Unser Sozialstaat sichert allen Haushalten ein Einkommen oberhalb der Ar-
mutsgrenze.

Von den verschiedenen Ausprägungen, die man mit dem subjektiven Begriff der
Gerechtigkeit verbindet, wird der Chancengerechtigkeit die höchste Bedeutung
beigemessen. Die christlich-liberale Koalition will eine echte Chancengesell-
schaft. Hier soll jeder die Chance auf Erfolg haben – Zukunft darf nicht von Her-
kunft abhängen. Die christlich-liberale Koalition will eine Bildungsrepublik, in
der alle entsprechend ihren Fähigkeiten und Neigungen gute Bildungschancen
und damit Möglichkeiten auf persönliche Entfaltung und sozialen Aufstieg
haben. Deshalb hat die christlich-liberale Bundesregierung auch in den vergan-
genen vier Jahren ungeachtet der Sparanstrengungen in vielen Bereichen 13 Mrd.
Euro zusätzlich für Bildung zur Verfügung gestellt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13250

Dieser Ansatz ist jedem Versuch überlegen, durch eine staatliche Umvertei-
lungspolitik ein höheres Maß an Gerechtigkeit zu erreichen. Eine solche Politik
degradiert die Bürgerinnen und Bürger zu Empfängern staatlicher Zuteilungen
und verkennt das den Menschen eigene Streben nach Erfüllung durch Leistung,
Erfolg und die Fähigkeit zur Solidarität.

Leistungsgerechtigkeit schafft Anreize zur Leistungsbereitschaft und legt einen
wesentlichen Grundstein für eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft, die
auf eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und sozialem Ausgleich fußt und „Wohl-
stand für alle“ als Leitbild hat. Die christlich-liberale Koalition will die Basis
sichern für einen breiten gesellschaftlichen Mittelstand, der die Dynamik entfaltet
für eine leistungsfähige Wirtschaft, die sich auch in Zukunft im globalen Wett-
bewerb behaupten kann.

Wichtig ist deshalb, dass Chancen bestehen und genutzt werden können. Eine
funktionierende Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt deshalb das Gesell-
schaftsmodell der Wahl. Die geschichtlichen Erfahrungen in Deutschland zei-
gen, dass Freiheit und Marktwirtschaft zusammengehören, und dass durch sie
am besten Innovationen und Wohlstand gefördert werden. Dabei ist die Vermei-
dung sozialer Härten nicht nur ein moralisch motiviertes Ziel der Politik. Sie
trägt vielmehr auch zur Akzeptanz sowie zur Dynamik und Risikobereitschaft in
einer Marktwirtschaft bei.

Es ist wichtig, dass Deutschland den Kurs beibehält. Die im Vergleich zu frühe-
ren Krisen erfolgte Stärkung des Grundsatzes „Fördern und Fordern“, die effi-
zientere Organisation der Arbeitsvermittlung sowie die höhere Flexibilität auf
dem Arbeitsmarkt, die durch die Reformen der vergangenen zehn Jahre erreicht
worden sind, haben gerade in diesem aus sozialer Sicht besonders bedeutsamen
Bereich der Wirtschaft entscheidend zu den Erfolgen beigetragen. Über Jahr-
zehnte hinweg war zu beobachten, dass sich in konjunkturellen Abschwungpha-
sen die Arbeitslosigkeit erhöht hat und in anschließenden wirtschaftlichen Auf-
schwüngen kaum abgebaut wurde. Dieses Muster war in den vergangenen Jah-
ren nicht mehr zu beobachten. Die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes hat
sich verbessert. Sie zu erhalten und Hürden für Arbeitsuchende in den Arbeits-
markt ab- und nicht aufzubauen ist eine permanente Aufgabe. Dies gilt für an-
dere Bereiche unserer Volkswirtschaft gleichermaßen.

Zusätzlich bleibt aber auch wesentlich, dass für jeden Menschen Chancen zum
Aufstieg offenstehen, unabhängig von der Herkunft, vom Einkommen oder von
der Bildung der Eltern. Die Soziale Marktwirtschaft stellt die Menschen immer
wieder vor Herausforderungen: Strukturwandel, Flexibilisierung der Arbeits-
welt und Globalisierung verlangen von ihnen Anpassungen, die Chancen, aber
auch Risiken bergen, und daher mit einer – teilweise vorübergehenden – Ver-
schlechterung der persönlichen Verhältnisse einhergehen können. Die Bereit-
schaft, sich darauf einzulassen, steigt, wenn zugleich die Aussicht besteht, dass
man die persönliche Situation durch eigene Anstrengungen wieder verbessern
kann.

Der Armuts- und Reichtumsbericht signalisiert hier Handlungsbedarf. So steht
das deutsche Bildungssystem weiterhin vor der Aufgabe, die soziale Durchläs-
sigkeit zu erhöhen und Bildungsaufstiege zu ermöglichen. Es ist zum Beispiel
problematisch, dass Kinder aus bildungsfernen und einkommensschwachen El-
ternhäusern sowie insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund seltener und
kürzer eine Kindertagesstätte besuchen als andere Kinder. Auch der erreichte
allgemeine und berufliche Bildungsabschluss wird in Deutschland stark vom
soziokulturellen Hintergrund geprägt. Defizite bei Schul- und Ausbildungs-
abschluss wirken sich nach den Ergebnissen des Berichts vor allem auch bei
Menschen mit Behinderungen negativ auf die gesamte Erwerbsbiografie aus.

Drucksache 17/13250 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Gefragt sind daher in Zukunft vermehrt politische Strategien für eine faire, auf-
stiegsoffene Gesellschaft, die sich aktiv gegen herkunftsbedingte Benachteili-
gungen wendet und Chancen für Beschäftigung eröffnet. Das ist nicht nur ein
Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch der wirtschaftlichen Vernunft.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftsstand-
ortes Deutschland als Basis der Arbeitsplätze zu bewahren und zu stärken;

2. Maßnahmen zu vermeiden, die die Flexibilität des Arbeitsmarktes ein-
schränken, und Missbrauch effektiv und zielgenau zu bekämpfen;

3. am Grundsatz des „Förderns und Forderns“ in der Arbeitsmarktpolitik fest-
zuhalten und diesen weiterzuentwickeln;

4. die Wirtschaft unseres Landes durch geeignete Maßnahmen für die Heraus-
forderungen des demografischen Wandels zu wappnen;

5. die Anstrengungen aller Akteure für den notwendigen qualitativen und
quantitativen Ausbau von bedarfsgerechter Kindertagesbetreuung und
Ganztagsschulen über das Jahr 2013 hinaus zu verstärken;

6. in Kooperation mit der Wirtschaft insbesondere Alleinerziehenden sowie
für Menschen mit Behinderung flexible Möglichkeiten zu bieten, am Er-
werbsleben teilzunehmen;

7. die Durchlässigkeit im Bildungssystem, wie auch die Möglichkeit schuli-
sche Abschlüsse zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können, weiter
zu verbessern;

8. die dualen Ausbildungssysteme zu stärken und in enger Kooperation mit
den Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern Berufsein-
stiege mit niedrigeren Qualifikationen zu ermöglichen;

9. den erfolgreich eingeschlagenen Weg bei der Anerkennung ausländischer
Abschlüsse weiter fortzusetzen, um bereits in Deutschland lebendes Fach-
personal auch entsprechend der vorhandenen Qualifikationen einsetzen zu
können;

10. die Forschung zu unterstützen und voranzutreiben, die die Faktoren analy-
siert, welche individuelle Aufstiegschancen erhöhen und die Ansatzpunkte
identifiziert für eine erfolgreiche Entfaltung von Chancen und zur Überwin-
dung von Risikolagen.

Berlin, den 23. April 2013

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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