BT-Drucksache 17/13191

Konsens für eine moderne Infrastruktur - Die Bundesverkehrswege solide finanzieren

Vom 23. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13191
17. Wahlperiode 23. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Sören Bartol, Michael Groß, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert,
Martin Dörmann, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalk, Hans-Joachim
Hacker, Gustav Herzog, Johannes Kahrs, Ulrich Kelber, Ute Kumpf, Kirsten
Lühmann, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Konsens für eine moderne Infrastruktur – Die Bundesverkehrswege solide
finanzieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland braucht eine leistungsfähige Infrastruktur, um auch künftig als
moderner Industrie- und Dienstleistungsstandort wirtschaftlich erfolgreich zu
sein und eine hohe Lebensqualität zu sichern. Dies gilt insbesondere für die
Verkehrsinfrastruktur. Denn gut ausgebaute Verkehrswege sind nicht nur die
Voraussetzung für die persönliche Mobilität der Bürgerinnen und Bürger,
sondern sie bilden auch eine wesentliche Grundlage der wirtschaftlichen Stärke
Deutschlands als Industrie- und Exportnation.

Die Bundesregierung investiert in die Verkehrsinfrastruktur derzeit zu wenig
und mit oftmals falschen Prioritäten. Die Folge sind Kapazitätsengpässe und
Staus, zu wenig Schutz vor Verkehrslärm, Verfehlung der Klimaschutzziele und
ein zunehmender Verfall der Infrastruktur durch fehlende Instandhaltung.

Die Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur hat dazu geführt, dass wich-
tige Neu- und Ausbauvorhaben, etwa die Anbindung der deutschen und der so
genannten ZARA-Seehäfen (Zeebrügge, Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam)
an das deutsche Hinterland und der Ausbau wichtiger Bahnknoten wie Köln
und Dortmund, unterbleiben oder nur sehr schleppend vorankommen. Zugleich
schreitet der Verfall der vorhandenen Infrastruktur voran, weil die Mittel für
deren Erhalt nicht reichen. Deutschland lebt von der Substanz.

Wie dramatisch der Verschleiß der Verkehrswege ist, zeigt der Zustand der
Bundesfernstraßenbrücken: Rund 14 Prozent der Gesamtbrückenfläche im Be-
reich der Bundesfernstraßen sind so marode, dass dringender Instandhaltungs-
bedarf besteht (Zustandsnote schlechter als 3, d. h. „nicht mehr ausreichender
Bauwerkszustand“, vgl. Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichtsjahr 2010,
S. 207). Bei 302 Bundesfernstraßenbrücken ist sogar eine umgehende Instand-

setzung bzw. Erneuerung erforderlich (Zustandsnote 3,5 bis 4, „ungenügender
Bauwerkszustand“, Stand: 1. September 2010, vgl. Bundestagsdrucksache
17/5325, S. 7). Allein Nordrhein-Westfalen musste zahlreiche Autobahn-
brücken für Schwertransporte sperren. Es ist davon auszugehen, dass in den
kommenden Jahren dort fast die Hälfte aller Großbrücken ertüchtigt oder neu

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gebaut werden müssen. Von den bislang 112 Brücken, deren Statik nachgerech-
net worden ist, müssen 49 erneuert werden.

Der Anteil der Brücken in gutem bis sehr gutem Zustand hat sich in Deutschland
binnen zehn Jahren von 30 Prozent auf 15 Prozent halbiert. Umgekehrt hat sich
der Anteil der Brücken, deren Zustand nur noch befriedigend bis ausreichend ist
und bei denen in naher Zukunft Erhaltungsmaßnahmen notwendig werden, von
57 Prozent auf fast 72 Prozent erhöht (Bundestagsdrucksache 17/5325, S. 6).
Gründe für den dramatischen Anstieg des Erhaltungsbedarfs sind der hohe Anteil
alter Brücken, die vor 1975 errichtet wurden (rund 38 Prozent), und die weiter
ansteigende Belastung der Brücken durch zunehmenden Schwerlastverkehr.

Die von der Verkehrsministerkonferenz eingesetzte Kommission „Zukunft der
Verkehrswegefinanzierung“ hat in ihrem Abschlussbericht die Unterfinanzie-
rung der Verkehrsinfrastruktur drastisch dargelegt: Allein für Erhalt und
Betrieb der Bundesfernstraßen fehlen demnach jährlich 800 Mio. Euro. Weitere
0,5 Mrd. Euro pro Jahr sind notwendig, um die in den letzten Jahren durch Ver-
nachlässigung angelaufenen Schäden an den Bundesfernstraßen in den kom-
menden 15 Jahren zu beseitigen. Nach Berechnungen der Intraplan Consult
GmbH im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. („Abschätzung des
Investitionsbedarfs für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland“, 2012) müs-
sen künftig allein 1 Mrd. Euro pro Jahr aufgewendet werden, um die Brücken
der Bundesfernstraßen in einem guten Zustand zu erhalten, bzw. sie wieder in
einen guten Zustand zu bringen. Allein im besonders dicht besiedelten Flächen-
land Nordrhein-Westfalen werden hierfür in den nächsten zehn Jahren mindes-
tens 3,5 Mrd. Euro benötigt. Um alle Bundesstraßenneu- und -ausbauprojekte,
die im Bundesverkehrswegeplan als Vordringlicher Bedarf gekennzeichnet
sind, in den kommenden zehn Jahren fertig zu stellen, müssten nach Berech-
nungen der Intraplan Consult GmbH außerdem die dafür vorgesehenen Mittel
von derzeit rund 2 Mrd. Euro auf 3 Mrd. Euro aufgestockt werden.

Den jährlichen Mehrbedarf für den Erhalt und Betrieb der Bundesschienen-
wege beziffert die Kommission „Zukunft der Verkehrswegefinanzierung“ auf
rund 1 Mrd. Euro; weitere 200 Mio. Euro sind notwendig, um die angelaufenen
Schäden in den kommenden 15 Jahren zu beseitigen. Der Etat für Aus- und
Neubauvorhaben müsste nach Berechnungen der Intraplan Consult GmbH von
derzeit 1,3 Mrd. Euro auf 2,3 Mrd. Euro pro Jahr aufgestockt werden, um über-
haupt nur die bereits im Bau befindlichen Neu- und Ausbauprojekte in den kom-
menden zehn Jahren fertigstellen zu können.

Für Erhalt, Aus- und Neubau im Bereich der Bundeswasserstraßen gibt die
Kommission „Zukunft der Verkehrswegefinanzierung“ einen jährlichen Mehr-
bedarf von mindestens 550 Mio. Euro an, in dem aber weder die Kosten für die
Beseitigung des Rückstaus an Instandhaltungsmaßnahmen noch z. B. die Kos-
ten für das „Konzept zur Durchgängigkeit von Wasserstraßen für Fische“ ent-
halten sind, dessen Kosten allein mindestens auf 800 Mio. Euro veranschlagt
werden.

Diese Zahlen zeigen: In die Verkehrswege muss deutlich mehr als bisher inves-
tiert werden. Aber mehr Geld allein genügt nicht. Es muss effizient eingesetzt
und es müssen die richtigen Prioritäten gesetzt werden. An all dem mangelt es
derzeit.

Notwendig ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens für eine grundlegende
Reform der Planung, Durchführung und Finanzierung von Verkehrsinvesti-
tionen. Zu diesem Infrastrukturkonsens gehört auch eine frühzeitige Bürger-
beteiligung. Sie steht nicht im Widerspruch zu kurzen Planungs- und Bau-
zeiten, im Gegenteil: Breite Akzeptanz von Bauvorhaben sichert deren rasche
Umsetzung.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• im Entwurf für den Bundeshaushalt 2014 und in der mittelfristigen Haus-
haltsplanung jährlich, zusätzlich 2 Mrd. Euro verlässlich für die Verkehrsin-
frastruktur zur Verfügung zu stellen;

• den Substanzverfall der Verkehrswege zu stoppen und deshalb bei der Ver-
teilung der Finanzmittel dem Erhalt Priorität vor Aus- und Neubau einzu-
räumen. Die Finanzmittel für den Erhalt der Bundesverkehrswege müssen
deutlich aufgestockt und auf einem langfristig verlässlich hohen Niveau ge-
halten werden;

• ein Programm zur Sanierung der Bundesautobahnen mit Schwerpunkt Auto-
bahnbrücken vorzulegen;

• eine verbesserte Finanzausstattung für den Erhalt der Schienenwege – ein-
schließlich der Eisenbahnbrücken – im Rahmen der Leistungs- und Finan-
zierungsvereinbarung (LuFV) Schiene vorzusehen;

• die Instandsetzung der überalterten Schleusen an Flüssen und Kanälen mit
hoher Netzbedeutung zügig anzugehen;

• beim Aus- und Neubau eine klare Priorität bei der Beseitigung von Engpäs-
sen und dem Ausbau hoch belasteter Hauptachsen, Seehafenhinterland-
anbindungen und Knoten zu setzen. Hierfür ist ein „Nationales Verkehrs-
wegeprogramm“ aufzulegen, in das 80 Prozent der Neu- und Ausbaumittel
fließen. Zentraler Bestandteil muss ein Programm zur Engpassbeseitigung
und Staureduzierung auf Autobahnen sein. Die Finanzierung muss außer-
halb der Länderquote erfolgen und im Bundeshaushalt auf fünf Jahre fixiert
werden;

• die Erschließung der Fläche nicht zu vernachlässigen. Hierfür müssen
weiterhin 20 Prozent der Investitionsmittel des Verkehrsetats für den Neu-
und Ausbau zur Verfügung stehen;

• bei der Bundesverkehrswegeplanung einen Neuanfang einzuleiten, indem
sie zu einer verkehrsträgerübergreifenden Netzplanung umgestaltet wird, die
erfüllbare und bezahlbare Prioritäten setzt. Grundsätzlich müssen die Bau-
vorhaben mit dem höchsten verkehrlichen Nutzen und der geringsten Belas-
tung für Mensch und Natur Priorität haben;

• eine stärkere Transparenz und bessere Kontrolle der Mittelverwendung
sicherzustellen und zu diesem Zweck künftig alle zwei Jahre einen Ver-
kehrsinfrastrukturbericht vorlegen, der Schwachstellen aufdeckt und den
Finanzbedarf für die Erhaltung der Verkehrswege offenlegt;

• die Finanzierung von Infrastrukturgroßvorhaben, die in Teilen oder komplett
aus dem Einzelplan 12 finanziert sind und Verpflichtungen von mehr als
25 Mio. Euro umfassen, der besonderen Kontrolle des Parlaments zu unter-
werfen und vom Haushaltsausschuss und dem Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages beschließen zu lassen.
Dasselbe gilt für alle Verträge, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung für und dessen nachgeordneten Bereichen im Namen
der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen werden. Bei Infrastruktur-
vorhaben aus dem Nationalen Verkehrswegeprogramm, deren Finanzierung
auf fünf Jahre fixiert werden soll, ist eine Beschlussfassung der Ausschüsse
nur zu Beginn des Finanzierungszeitraumes notwendig sowie immer dann,
wenn die veranschlagte Investitionssumme erhöht werden soll;

• die infrastrukturellen Voraussetzungen für einen Deutschland-Takt auf der
Schiene mit bundesweit funktionierenden und aufeinander abgestimmten
Anschlüssen zu schaffen. Dazu muss das Schienennetz so ausgebaut wer-
den, dass der Personenverkehr durch bessere Anschlüsse und mehr Pünkt-

lichkeit attraktiver wird. Anschlüsse, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
müssen wieder zum Markenzeichen der Bahn werden;

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• unverzüglich Planungen auf den Weg zu bringen, um die Kapazität des
Schienennetzes für den Güterverkehr bis 2030 zu verdoppeln und gleich-
zeitig mehr Kapazitäten für den Schienenpersonenverkehr zu schaffen;

• den Schutz vor Verkehrslärm deutlich zu verbessern und dafür zu sorgen,
dass ab 2020 keine lauten Güterwagen mit Graugussbremssohlen in
Deutschland mehr verkehren und die Auslösewerte für die Lärmsanierung
weiter an die Auslösewerte der Lärmvorsorge angeglichen werden;

• bei den Bundeswasserstraßen einen Schwerpunkt auf die gezielte Beseiti-
gung von Engpässen auf Strecken mit hohem Transportaufkommen und auf
die Verbesserung der Hinterlandanbindung der Seehäfen zu legen;

• für die nachhaltige Unterhaltung der Wasserstraßen ein Konzept zu erarbeiten,
das den vielfältigen Funktionen der Wasserstraßen für Verkehr, Tourismus,
Wasserhaushalt und Naturschutz gerecht wird und den Beschäftigten in der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eine verlässliche Perspektive bietet;

• die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Lkw-Maut in der kommenden
Legislaturperiode auf alle Bundesstraßen sowie auf Landes- und Kommunal-
straßen ausgeweitet werden kann und die Mehreinnahmen ohne Abstriche in
die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Verkehrsinvestitionsmittel im
allgemeinen Haushalt dürfen nicht im Gegenzug gekürzt werden. Die Maut-
einnahmen auf Landes- und Kommunalstraßen sollen den Ländern und
Gemeinden zweckgebunden zum Erhalt und Ausbau der Landes- und Kom-
munalstraßen sowie der Schienenpersonennahverkehrs-/Öffentlichen Straßen-
personenverkehrsinfrastruktur zustehen;

• zu diesem Zweck einen verkehrsträgerübergreifenden Finanzierungskreis-
lauf zu installieren und diesen so auszugestalten, dass die Verwendung der
Einnahmen für die einzelnen Verkehrsträger transparent und nachvollzieh-
bar ist;

• sich klar gegen die Einführung einer Pkw-Maut auszusprechen, die gerade
diejenigen Menschen zusätzlich belasten würde, die aus beruflichen oder
familiären Gründen auf ihr Fahrzeug angewiesen sind;

• sicherzustellen, dass sämtliche Einnahmen aus Trassen- und Stationserlösen
der Deutschen Bahn AG wieder in die Infrastruktur zurückfließen;

• mit den Ländern einen Investitionspakt für die kommunale Verkehrsinfra-
struktur zu schließen, bei dem die Länder weiterhin Investitionsmittel für die
kommunale Verkehrsinfrastruktur erhalten und sich im Gegenzug verpflich-
ten, die Gelder zweckgebunden zu verwenden;

• Vorschläge vorzulegen, wie den Ländern im Rahmen der anstehenden Neu-
regelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ein ausreichender Aus-
gleich für die 2019 entfallenden Entflechtungsmittel zur Finanzierung der
kommunalen Verkehrsinfrastruktur (Entflechtungsgesetz, Gemeindeverkehrs-
finanzierungsgesetz) geschaffen werden kann;

• die von der SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Antrag „Für einen neuen
Infrastrukturkonsens: Gemeinsam Zukunft planen – Infrastruktur bürger-
freundlich voranbringen“ (Bundestagsdrucksache 17/9156) erhobenen For-
derungen zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung und zur Planungsbe-
schleunigung aufzugreifen und umzusetzen.

Berlin, den 23. April 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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