BT-Drucksache 17/12906

zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/12389 - Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken

Vom 21. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12906
17. Wahlperiode 21. 03. 2013

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/12389 –

Für eine sozio-kulturelle Existenzsicherung ohne Lücken

A. Problem

Trotz des grundgesetzlich geschützten Anspruchs aller in Deutschland leben-
den Menschen auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini-
mums weist die Mindestsicherung nach Einschätzung der Antragsteller heute
Lücken auf. So seien die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
sowie der Hilfe zum Lebensunterhalt so weit heruntergerechnet worden, dass
sie für eine echte sozio-kulturelle Teilhabe nicht ausreichten. Zudem könnten
auf Grund der Einkommens- und Vermögensanrechnung im Rahmen der Be-
darfsgemeinschaft rund 500 000 Menschen keinen Einzelanspruch auf Hilfe
realisieren. Existenzielle Leistungen könnten unter bestimmten Voraussetzun-
gen sogar komplett versagt werden. Arbeitsuchenden Unionsbürgerinnen und
- bürgern sowie Asylsuchenden, Geduldeten und Bleibeberechtigten würden
ferner Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII gänzlich verwehrt. Ein wei-
teres Problem stelle auch die nach wie vor hohe Komplexität des Leistungs-
rechts dar.

B. Lösung

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert eine gesetzliche Regelung,
die das menschenwürdige Existenzminimum für jeden in Deutschland lebenden
Menschen sicherstelle, Bürokratie vermeide und verloren gegangenes Ver-
trauen in staatliches Handeln wiederherstelle. Dazu gehöre es u. a., die Regel-
bedarfe nach dem SGB II und SGB XII für Erwachsene so auszugestalten, dass

sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten und ein menschenwür-
diges Dasein ermöglichten, die Regelbedarfsstufe 3 für behinderte Menschen
über 25 Jahre in ihrer jetzigen Form abzuschaffen sowie existenzielle Leistun-
gen an Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft stärker zu individualisieren.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD.

Drucksache 17/12906 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Kosten

Konkrete Kostenrechnungen wurden nicht angestellt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12906

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/12389 abzulehnen.

Berlin, den 20. März 2013

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Sabine Zimmermann
Vorsitzende

Gabriele Hiller-Ohm
Berichterstatterin

siert wird auch die Regelung der Ansprüche in Bedarfsge-
Abschaffung. Einig sei man mit der Fraktion BÜNDNIS 90/
meinschaften und die Antragsteller fordern Änderungen.

Darüber hinaus fordern die Antragsteller u. a., existenzielle
Leistungen in Bedarfsgemeinschaften zu individualisieren

DIE GRÜNEN beispielsweise auch in der Kritik am Bil-
dungs- und Teilhabepaket, wolle es aber nicht komplett auf-
lösen. Für den Ausbau der Infrastruktur in der Bildung trete
Drucksache 17/12906 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm

I. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 17/12389 ist in der 222. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 21. Februar 2013 an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden
Beratung sowie an den Innenausschuss, den Rechtsaus-
schuss sowie den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend zur Mitberatung überwiesen worden.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die antragstellende Fraktion kritisiert, dass mit dem im
April 2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfsermittlungsgesetz)
offensichtliche Defizite und seit Langem bekannte Mängel
nicht beseitigt worden seien. Die Koalition habe den Regel-
satz künstlich heruntergerechnet. So sei beispielsweise der
Regelbedarf auch auf Basis der Ausgaben von Menschen
mit Einkommen unterhalb des Existenzminimums berech-
net worden. Menschen in verdeckter Armut würden nicht
gesondert betrachtet. Für die Berechnung der Bedarfe von
Alleinstehenden seien zudem nicht mehr die Ausgaben der
einkommensschwächsten 20 Prozent herangezogen worden,
sondern nur noch die untersten 15 Prozent aller Einperso-
nenhaushalte. Zudem hat sich die Bundesregierung nicht am
tatsächlichen Verbrauch dieser Haushalte orientiert, sondern
ganze Verbrauchspositionen herausgestrichen (z. B. Alkohol
und Schnittblumen) oder viel zu niedrig angesetzt (z. B.
Verkehr). In der Konsequenz sei der vom Bundesverfas-
sungsgericht geforderte interne Ausgleich zwischen den
verschiedenen Positionen nahezu unmöglich gemacht wor-
den.

Ferner erhielten seit Einführung der Regelbedarfsstufe 3
zum Januar 2011 erwerbsunfähige Menschen mit Behinde-
rung, die über 25 Jahre alt seien und mit ihren Eltern zusam-
menlebten, nur noch 80 Prozent des Regelsatzes. Das stelle
eine Schlechterstellung gegenüber der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2009 dar. Zudem treffe
der pauschale Abschlag Menschen, die an ihrer Einkom-
menssituation selbst am wenigsten ändern könnten.

Bei der Berechnung des Kinderregelsatzes habe die Bundes-
regierung statistisch mangelhafte Daten verwendet und ver-
altete Methoden angewandt. Gegenüber den Gesamtausga-
ben der Referenzhaushalte seien die Regelbedarfe der Kin-
der durch die schwarz-gelbe Bundesregierung um mindes-
tens 20 Prozent gekürzt worden. Von einem Mindestmaß an
sozialer und kultureller Teilhabe könne vor diesem Hinter-
grund keine Rede sein. Um das System der Ehe- und Fami-
lienförderung gerechter und übersichtlicher zu gestalten, sei
mittelfristig eine Kindergrundsicherung einzuführen. Kriti-

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Innenausschuss, der Rechtsausschuss sowie der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben
den Antrag auf Drucksache 17/12389 in ihren Sitzungen am
20. März 2013 beraten und dem Deutschen Bundestag
übereinstimmend mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der SPD die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf
Drucksache 17/12389 in seiner 128. Sitzung am 20. März
2013 beraten und dem Deutschen Bundestag mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die
Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD
die Ablehnung empfohlen.

Die Fraktion der CDU/CSU verwies darauf, dass die Re-
gelsätze nach dem SGB II und SGB XII verfassungsgemäß
berechnet und Sanktionen verfassungsgemäß verhängt wür-
den. Die Regelsätze seien in einem transparenten Verfahren
gerecht und nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher
Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahrenen realitäts-
gerecht ermittelt worden. In Einzelfällen könne es tatsäch-
lich zu Problemen kommen, wie man auch wisse. Diese
müssten aber flexibel als Einzelfall gelöst werden, ohne
dass man das ganze System in Frage stelle. Das ganze Re-
gelsystem müsse zudem insgesamt in sich gerecht bleiben.
Bei der geforderten umfassenden Öffnung der Sozialleistun-
gen für arbeitsuchende Bürger aus anderen EU-Staaten rei-
che es nicht aus, dass diese sich selbst als arbeitsuchend be-
zeichneten. Man müsse vielmehr darauf achten, keine An-
reize für das Ausnutzen des deutschen Sozialsystems zu set-
zen. Man lehne den Antrag daher ab.

Die Fraktion der SPD stimmte dem grundlegenden Anlie-
gen des Antrags zu, für eine sozio-kulturelle Existenzsiche-
rung ohne Lücken zu sorgen. Über den Weg dorthin teilten
sich aber die Meinungen. Zwar teile man die Zweifel an der
Ermittlung und Bemessung der gegenwärtigen Höhe der
Regelbedarfe, aber die jetzt vorliegenden Vorschläge seien
dafür nicht unbedingt geeignet, hier zu einer sozialpolitisch
und verfassungsrechtlich tragfähigen Regelung zu gelan-
gen. Das Bundesverfassungsgericht werde die Berechnung
der Regelsätze für Erwachsene und Kinder prüfen und da-
mit eine Basis für die Neuregelung bieten. Bei den Bedarfs-
gemeinschaften trage die Fraktion die Forderung nach
Überprüfung der Regelung mit, nicht aber nach kompletter
sowie den Grundbedarf und die Kosten der Unterkunft und
Heizung von Sanktionen auszunehmen.

die SPD-Fraktion ebenfalls ein. Auch sehe man Handlungs-
bedarf bei den Sanktionen für Arbeitsuchende und der Pra-

Berichterstatterin
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12906

xis bei den Kosten der Unterkunft und Heizung. Der Antrag
habe viele gute Ansätze. Man sehe aber Unterschiede in der
Ausgestaltung.

Die Fraktion der FDP lehnte den Antrag ab. Die Regel-
sätze im SGB II und SGB XII seien verfassungsgemäß fest-
gelegt. Zu den Erfahrungen mit den Bedarfsgemeinschaften
unter der Regelbedarfsstufe 3 werde bis Juli 2013 ein Be-
richt vorgelegt. Daraus würden gegebenenfalls Schlussfol-
gerungen zu ziehen sein. Auch die Kritik am Bildungs- und
Teilhabepaket könne man nur zurückweisen. In Einzelfällen
kämen Förderleistungen bedauerlicherweise immer wieder
nicht bei den Kindern an. Darauf müsse der Gesetzgeber re-
agieren. Weiter sei die Infrastrukturförderung in der Bildung
zwar lohnenswert, werde aber durch das Grundgesetz in ih-
ren Möglichkeiten begrenzt.

Die Fraktion DIE LINKE. schloss sich der Kritik an Lü-
cken bei der sozio-kulturellen Existenzsicherung an. Dazu
habe man immer wieder selbst Anträge ins Parlament einge-
bracht. Die Fraktion unterstütze u. a. die Forderungen nach
Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie
nach Deckung des Mehrbedarfs von Menschen mit Behin-
derung bei auswärtiger Ausbildung. Der Antrag hätte eher
kommen sollen, enthalte aber viele vernünftige Forderun-
gen. Einiges falle allerdings auch unklar oder unzureichend

aus. So werde bei den Bedarfsgemeinschaften lediglich die
Überprüfung, nicht aber die Abschaffung gefordert und bei
den Sanktionen werde lediglich eine Abmilderung statt der
Abschaffung verlangt. Weil der Antrag aber in die richtige
Richtung gehe, werde die Fraktion ihm zustimmen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderte, die
Umsetzung des von der Verfassung garantierten Grund-
rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu
überprüfen. Das komme als Aufgabe auf die nächste Bun-
desregierung zu. Das Grundrecht werde an vielen Stellen
verletzt. So habe die Fraktion Zweifel an der geltenden Be-
rechnung der Regelsätze durch die Bundesregierung. Ferner
hätten wegen der Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft
beispielweise 300 000 Frauen keinen eigenständigen An-
spruch auf das Existenzminimum. Sie müssten im Rahmen
der Bedarfsgemeinschaft auch für Leistungskürzungen mit
einstehen, an deren Ursache sie nichts ändern könnten.
Sanktionen nach dem SGB II seien ein besonders heikles
Kapitel, bei dem viele Menschen quasi in Sippenhaft ge-
nommen würden. Zu den problematischen Fragen gehörten
zudem die Praxis bei den Kosten der Unterkunft und Hei-
zung, der Mehrbedarf von Menschen mit Behinderung in
auswärtiger Ausbildung u. a. m. Diesen Problemen müsse
sich der Gesetzgeber stellen.

Berlin, den 20. März 2013

Gabriele Hiller-Ohm

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