BT-Drucksache 17/12896

Umsetzung der Richtlinie Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung

Vom 20. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12896
17. Wahlperiode 20. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Mechthild Rawert, Dr. Marlies
Volkmer, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, Elke Ferner, Dr. Edgar Franke,
Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Karl Lauterbach, Steffen-Claudio Lemme, Hilde
Mattheis, Thomas Oppermann, Dr. Carola Reimann, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Umsetzung der Richtlinie Ausübung der Patientenrechte in der grenz-
überschreitenden Gesundheitsversorgung

Bürger der Europäischen Union (EU) können ab 2013 weitgehend selbst be-
stimmen, in welchem Land der EU sie sich ambulant oder stationär behandeln
lassen. Das hat das Europaparlament am 19. Januar 2011 mit der „EU-Richtlinie
über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesund-
heitsversorgung“ beschlossen. Die sogenannte Patientenrichtlinie bildet einen
Rahmen für die Rechte, die Patienten in Europa bei der grenzüberschreitenden
Gesundheitsversorgung haben sollen, wenn sie sich selbst und eigenverantwort-
lich zu einer Behandlung in einem anderen europäischen Mitgliedstaat begeben
und sich anschließend die Kosten dieser Behandlung in ihrem Heimatland er-
statten lassen wollen. Die Richtlinie ist zu unterscheiden von der Koordinie-
rungs- oder Sozialschutzverordnung (Verordnung (EG) Nr. 883/2004), die die
Gesundheitsversorgung von Menschen regelt, die im Ausland arbeiten oder
krank geworden sind. Diese gilt weiter uneingeschränkt. Nichtsdestotrotz wur-
den in dieser Kleinen Anfrage auch allgemeine Fragen zur bisherigen Umset-
zung weiterhin gültiger Regelungen aufgenommen.

Die Richtlinie war im EU-Parlament und in den Mitgliedstaaten heftig umstrit-
ten. Die gefundenen Lösungen stellten jedoch nach Einschätzung vieler Akteure
einen tragbaren Kompromiss dar, den es national weiterzuentwickeln galt. Für
die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht und in die Ausgestaltung der
Gesundheitsversorgung haben die Mitgliedstaaten nunmehr knapp zehn Monate
bis zum 25. Oktober 2013 Zeit. Angesichts dessen, fragen wir die Bundesregie-
rung nach dem Stand der Umsetzung. Die Kleine Anfrage dient zudem dazu,
über neue Erkenntnisse in diesem Bereich zu informieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

Anwendungsbereich
1. Mit wie vielen Fällen einer Behandlung im Ausland von deutschen Patientin-
nen und Patienten pro Jahr rechnet die Bundesregierung nach Umsetzung der
EU-Richtlinie zur Patientenmobilität?

2. Mit wie vielen Fällen einer Behandlung im Inland von Patientinnen und
Patienten aus EU-Ländern pro Jahr rechnet die Bundesregierung nach Um-
setzung der EU-Richtlinie zur Patientenmobilität?

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3. Wie viele Fälle einer entsprechenden Behandlung von deutschen Versicher-
ten im Ausland gab es nach Kenntnis der Bundesregierung bislang (bitte
nach Gesetzlich Krankenversicherte, Privatversicherte, Geschlecht und
Behandlungsarten aufschlüsseln)?

4. Wie hoch ist dabei jeweils der Anteil der Notfallversorgung?

Beratung und Information

5. Welche Informationen im Internet werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung deutschen Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt, die sich
im Ausland behandeln lassen wollen bzw. die dort erkranken, und wie wird
die Bundesregierung diese Angebote im Netz bewerben?

6. Inwieweit werden die gesetzlichen Krankenkassen und nach Kenntnis der
Bundesregierung die privaten Krankenversicherungen über die neuen
Rechte für Patientinnen und Patienten informieren, und wie wird die Bun-
desregierung das Informationsgebot seitens der Kassen und Versicherungen
sicherstellen?

7. Welche sonstigen Informationsangebote gibt es bislang?

8. Werden die Kassen und Versicherungen zu einem bestimmten Informa-
tionsangebot verpflichtet, und wenn ja, inwiefern, und wenn nein, warum
nicht?

9. Welche weitergehenden Informationen und Beratungsangebote außer den
Internetangeboten und den Angeboten über die Nationale Kontaktstelle
werden die Versicherten hinsichtlich der Auswirkungen der EU-Richtlinie
seitens des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) selbst erhalten?

10. Welche Mittel werden für die oben genannten Aufgaben zur Beratung und
Information seitens der Bundesregierung bereitgestellt, und welche Haus-
haltstitel werden dafür herangezogen?

11. Wer übernimmt die Verantwortung in Fällen von fehlerhafter Versorgung
und Behandlung?

12. Wie sind die Beschwerdemöglichkeiten und Rechtsbeihilfen in Fällen von
fehlerhafter Versorgung und Behandlung von deutschen Patientinnen und
Patienten im Ausland und von ausländischen Patientinnen und Patienten in
Deutschland geregelt?

13. Wie werden diese Beschwerdemöglichkeiten und Rechtsbeihilfen geregelt,
und auf welcher Rechtsgrundlage kann dies erfolgen?

14. Wie und von wem werden die Qualitäts- und Sicherheitsstandards über-
wacht, und wie wird darüber informiert?

15. Wie ist gesichert, dass Sicherheits- und Haftungsfragen durch transparente
Beschwerdemöglichkeiten und -verfahren geregelt werden können?

Vorabgenehmigung, Abrechnungsverfahren und -möglichkeiten

16. In welcher Weise wird der Krankenhausaufenthalt definiert, und ist eine
Vorabgenehmigung zwingend vorgesehen?

17. In welchen Fällen wird ein System der Vorabgenehmigung eingeführt

a) bei einer Gesundheitsversorgung mit mindestens einer stationären Über-
nachtung,

b) für hochspezialisierte und kostenintensive Gesundheitsversorgung und

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c) in schweren und besonderen Fällen (hinsichtlich Qualität und Sicherheit
der Behandlung)?

18. In welcher Weise werden die erweiterten Möglichkeiten (ambulante und
spezialisierte Behandlungen) zur Vorabgenehmigung genutzt und in das
Fünfte Buch Sozialgesetzbuch integriert (bitte mit konkretem Zeitplan)?

19. Wie wird sichergestellt, dass eine Überprüfung der Vorabentscheidung auf
Verlangen der Patientin/des Patienten stets ermöglicht wird?

20. Wie wird die Kostenerstattung geregelt?

21. Wie wird gesichert, dass das Sachleistungsprinzip auch in der grenzüber-
schreitenden Gesundheitsversorgung zum Tragen kommt?

22. Inwieweit ist ausgeschlossen, dass ein Gesundheitstourismus aus Deutsch-
land heraus zu einem Abbau regionaler Versorgungsstrukturen führt bzw.
nach Deutschland Kapazitätsprobleme und Wartezeiten für deutsche
Patientinnen und Patienten mit sich bringt (bitte mit Begründung)?

23. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der Richtlinie auf die
deutschen Kurorte ein?

24. Inwieweit wird insbesondere ein Gesundheitstourismus aus Deutschland
heraus zu Lasten der Kurorte in Deutschland verhindert?

25. Rechnet die Bundesregierung damit, dass Versicherte aus Deutschland
Behandlungen im Ausland durchführen lassen, weil in Deutschland keine
Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht, und wenn ja, mit welchen,
und mit wie vielen Fällen?

a) Können diese Behandlungen von den Kassen erstattet werden?

b) Welche Motive könnten nach Einschätzung der Bundesregierung für
eine Behandlung im europäischen Ausland die höchste Relevanz haben?

26. Ist eine grenzüberschreitende Behandlung für psychische und psychiatri-
sche Leiden sowie Psychotherapien ebenso möglich?

Wenn ja, in welchem Maße?

Wenn nein, warum nicht?

27. Können andere psychotherapeutische Verfahren als die in Deutschland
üblichen Verfahren, die bislang lediglich im Ausland angeboten werden,
zukünftig ggf. erstattet werden?

28. Wie wird gewährleistet, dass die Kassen und Versicherungen – wie die
Richtlinie es fordert – die Kosten zeitnah erstatten werden?

29. Welche Zeiträume werden den Kassen und Versicherungen für die Kosten-
erstattung eingeräumt?

30. Wie wird sichergestellt, dass der Kostenerstattungsanspruch – wie in der
EU-Richtlinie vorgesehen – nur für Leistungen gilt, die während eines vor-
übergehenden Aufenthalts in einem anderen EU-Staat in Anspruch genom-
men werden?

31. Inwieweit werden Verschreibungen von Arzneimitteln und Medizinpro-
dukten EU-weit anerkannt, und wie werden die jeweiligen Ansprüche in der
Praxis tatsächlich gewährleistet?

32. Inwieweit wird sichergestellt, dass die Apotheken in Deutschland bzw. im
Ausland die Verschreibungen verstehen und die Arzneimittel, Ärzte und
Patienten korrekt identifiziert werden?
33. Inwiefern ist sichergestellt, dass eine ambulante Versorgung im Ausland
weiterhin ohne Vorabgenehmigung möglich ist?

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34. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang die jährlichen
Kosten ambulanter Behandlung und Versorgung von deutschen Patientin-
nen und Patienten im Ausland, und wie hoch ist dabei der Anteil der Kosten-
erstattung durch die Kassen und Versicherungen?

35. Inwiefern wird die neue EU-Richtlinie die Situation von Wanderarbeite-
rinnen und Wanderarbeitern (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Selb-
ständige, Beamtinnen und Beamte, Studierende, Rentnerinnen und Rentner,
die in zwei oder mehreren Mitgliedsländern der EU arbeiten, gearbeitet
haben oder arbeiten möchten) verändern?

a) Werden sich hinsichtlich der Behandlung von Berufskrankheiten und
Arbeitsunfällen Änderungen ergeben?

b) Werden sich hinsichtlich der Leistungen bei Mutterschaft Änderungen
ergeben?

c) Werden sich hinsichtlich der Transportkosten im Falle einer gesundheit-
lichen Behandlung Änderungen ergeben?

36. Welche versicherungsrechtlichen Änderungen werden für Wanderarbeite-
rinnen und Wanderarbeiter relevant?

Einrichtung nationaler Kontaktstellen

37. Ab wann nehmen die Nationalen Kontaktstellen ihre Arbeit auf, und wer ist
sind die Träger dieser Einrichtungen?

38. Welches Konzept zu der Einrichtung der Nationalen Kontaktstellen liegt
vor, und welche Regelungen enthält es?

39. Inwiefern wird bei der Errichtung der Nationalen Kontaktstellen auf beste-
hende Strukturen z. B. der Krankenkassen zurückgegriffen?

40. Wie ist die Unabhängigkeit der Nationalen Kontaktstelle gewährleistet?

41. Welche Informations- und Beratungsangebote sollen für Patientinnen und
Patienten seitens der Nationalen Kontaktstellen bereitgehalten werden?

42. Wer wird in welcher Höhe die Kosten für die Aufgabenerfüllung der Na-
tionalen Kontaktstellen übernehmen, und nach welchen Kriterien erfolgt
die Aufteilung der Kosten?

43. Welche personellen und sächlichen Ressourcen sind für den Aufbau der
Nationalen Kontaktstellen vorgesehen?

44. Welche Kosten für die Nationalen Kontaktstellen kommen auf den Steuer-
zahler zu (bitte mit Angabe entsprechender Haushaltstitel)?

45. Welche Auflagen und Vorgaben gibt es von Seiten der EU zur Einrichtung
der Nationalen Kontaktstellen?

46. Wurden von Seiten des BMG Vorschläge zur Ausgestaltung der Nationalen
Kontaktstellen den entsprechenden Verhandlungspartnern auf europäischer
Ebene vorgelegt, und wenn ja, welche, und wenn nein, warum nicht?

47. Welche personellen und sächlichen Ressourcen sollen dafür langfristig be-
reitgestellt werden?

48. Wie wird sichergestellt, dass die Nationale Kontaktstelle in Deutschland die
erforderlichen Informationen, z.B. über Qualitäts- und Sicherheitsstandards
deutscher Leistungserbringer (Vertrags-/Privatärzte) zeitnah erhält?

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Ausgestaltung von hochspezialisierten Fachzentren

49. Hat das Bundesministerium für Gesundheit ein Konzept für den Aufbau
hochspezialisierter Fachzentren – wie sie die EU-Richtlinie vorsieht – in
Deutschland erarbeitet?

50. Wurde ein solches Konzept den Verhandlungspartnern auf europäischer
Ebene vorgelegt?

51. Welche Entscheidungen gibt es dazu?

52. Welche Bereiche der Versorgung sollen nach Meinung des BMG durch
hochspezialisierte Fachzentren erfasst werden?

53. Welche Qualitätskriterien sollen für den Aufbau der Fachzentren vorgese-
hen werden?

54. Wie soll eine nationale/internationale Vernetzung der Fachzentren ausge-
staltet werden?

55. Sollen bei den Fachzentren in integrierten Versorgungsstrukturen zum Bei-
spiel Akteurinnen und Akteure aus der Pflege und Betreuung oder Pro-
dukthersteller und ähnliche Partner eingebunden werden, um eine umfas-
sende Versorgung beispielsweise bei seltenen Erkrankungen sicherzustellen?

Wenn ja, inwiefern?

Wenn nein, warum nicht?

56. Welche Vorschläge zur Ausgestaltung der Referenzzentren liegen derzeit
von Seiten der Europäischen Kommission vor?

57. Wie werden von Seiten des BMG diese Vorschläge bewertet, und mit wel-
chem Ergebnis wurden sie auf ihre Umsetzbarkeit innerhalb der Versor-
gungsstrukturen in Deutschland geprüft?

58. Welche Rolle spielt dabei der gesundheitliche Verbraucherschutz?

Berlin, den 20. März 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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