BT-Drucksache 17/12845

Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse des Bundes konsequent weiter vorantreiben

Vom 19. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12845
17. Wahlperiode 19. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Anette Hübinger, Albert Rupprecht (Weiden), Michael
Kretschmer, Dr. Thomas Feist, Monika Grütters, Eberhard Gienger, Michael
Grosse-Brömer, Florian Hahn, Dr. Stefan Kaufmann, Ewa Klamt, Axel Knoerig,
Stefan Müller (Erlangen), Dr. Philipp Murmann, Tankred Schipanski, Uwe
Schummer, Marcus Weinberg (Hamburg), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger,
Patrick Meinhardt, Sylvia Canel, Heiner Kamp, Rainer Brüderle und der Fraktion
der FDP

Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse
des Bundes konsequent weiter vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gleichstellung von Frauen und Männern in den Hochschulen und außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen der deutschen Wissenschafts- und For-
schungslandschaft ist noch nicht auf allen Karrierestufen erreicht. Dieser Befund
ist für Deutschland im 21. Jahrhundert höchst unbefriedigend. Allerdings ist dies
nur eine Momentaufnahme, denn es gibt gute, zukunftsweisende Ansätze, um
diesen Mangel zu beheben. Der Bericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonfe-
renz (GWK) zur Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung ist ein Indi-
kator dafür. In den regelmäßig erscheinenden GWK-Berichten spiegelt sich näm-
lich eine kontinuierliche, positive Entwicklung von Gleichstellungsaspekten im
deutschen Wissenschafts- und Forschungssystem wider.

Die Daten der GWK zeigen seit Jahren einen klaren Trend: Frauen sind im Wis-
senschaftssystem auf allen Karrierestufen auf dem Vormarsch. Dies ist wichtig,
weil ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis nicht nur eine Gerechtigkeits-
frage ist, sondern auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes mit handfesten
Vorteilen verbunden ist. Prof. Dr. Martina Schraudner (Technische Universität
Berlin, Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung
e. V., München) wies in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am
11. Juni 2012 zum Thema „Frauen in Wissenschaft und Forschung“ zu Recht

darauf hin, dass mit einer heterogenen, ausgewogenen Personalstruktur bzw.
gelebter Diversity auf allen Hierarchiestufen ein viel breiteres Spektrum an
Forschungsthemen auf die Agenda gesetzt werden würde und damit auf einen
viel größeren Pool an Talenten zurückgegriffen werden könnte.

Deutschland kann und darf es sich – gerade auch vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels sowie des Fachkräftemangels und der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Forschungs- und Wirtschaftsstandortes –

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in keinster Weise leisten, das Potenzial vieler, sehr gut ausgebildeter Frauen
außen vor zu lassen.

Auf Basis der 16. Fortschreibung des Datenmaterials (2010/2011) der GWK
stellt sich der Frauenanteil an deutschen Hochschulen auf unterschiedlichen
Karrierestufen aktuell wie folgt dar: Bei den Erstimmatrikulierten und bei den
Studienabschlüssen kann schon heute von einem ausgewogenen Geschlechter-
verhältnis gesprochen werden, da der Anteil von Frauen bei den Erstimmatriku-
lierten bei 49,5 Prozent und bei den Studienabschlüssen bei 51,8 Prozent liegt.
Bei diesen Durchschnittswerten ist zu berücksichtigen, dass es je nach Fachrich-
tung nicht unerhebliche Abweichungen gibt. Beispielsweise lag der Anteil der
Studienanfängerinnen in den Ingenieurswissenschaften 2010 bei 22 Prozent und
in den Sprach- und Kulturwissenschaften im selben Jahr bei 74,5 Prozent.

Ähnlich erfreulich ist die Entwicklung des Frauenanteils bei den Promotionen.
Hier konnte der Anteil in den vergangenen knapp 20 Jahren von 28,9 auf
44,1 Prozent gesteigert werden. Somit ist schon heute auch in diesem Bereich
ein nahezu ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter erreicht, wobei der pro-
zentuale Anteil auch hier je nach Fachrichtung divergiert.

Mit jeder weiteren Sprosse der wissenschaftlichen Karriereleiter nimmt der
Frauenanteil allerdings fächerübergreifend deutlich ab. So liegt der Anteil von
Frauen bei den Habilitationen aktuell bei 24,9 Prozent und bei den Professuren
bei 19,2 Prozent. Bei C4-/W3-Professuren sinkt der Wert weiter auf 14,6 Pro-
zent. Angesichts dieser Zahlen kann noch nicht von Geschlechtergerechtigkeit
auf den höchsten Stufen der Karriereleiter im Wissenschafts- und Forschungs-
system gesprochen werden.

Dabei ist die Entwicklung der vergangenen Jahre durchaus beachtlich, gerade
auf den höchsten Karrierestufen. So stieg der Frauenanteil an den Habilita-
tionen in den vergangenen knapp 20 Jahren von 12,9 auf nunmehr 24,9 Prozent.
Bei den Professuren stieg der Anteil in diesem Zeitraum von 6,5 auf 19,2 Pro-
zent. Die Durchschnittswerte haben sich also fast verdoppelt bzw. verdreifacht.

Die 16. Fortschreibung des Datenmaterials (2010/2011) zu Frauen in Hoch-
schulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen zeigt bei den Pro-
fessuren noch weitere positive Entwicklungen auf. Im Zeitraum von 1997 bis
2011 stieg der Frauenanteil bei den Bewerbungen um Professuren von 12,9 auf
23,7 Prozent, bei den Berufungen kletterte der Anteil von 16,9 auf 26,8 Prozent
und die Ernennungen stiegen von 15,7 auf 26,7 Prozent. Sichtbare Verbesserun-
gen sind somit in allen Bereichen des Berufungsgeschehens zu attestieren.
Diese Fortschritte sind beachtlich, aber noch nicht ausreichend. Auch bei die-
sen Kennzahlen muss in den kommenden Jahren eine noch größere Dynamik
erreicht werden.

Der Befund ist eindeutig: Zum einen wird der Anteil an Frauen einer Karriere-
stufe durch den geringen Anteil an Frauen einer vorhergehenden Karrierephase
begründet. Infolgedessen ist der heutige Mangel an Frauen in wissenschaft-
lichen Führungspositionen unter anderem Ergebnis der vorausgehenden Jahre.
Zum anderen kehren viele qualifizierte Frauen entweder nach der Promotion
dem Wissenschaftsbetrieb in Deutschland den Rücken oder gehen nicht den
Weg über die Habilitation zur Professur. Dieser Bruchstelle und den damit ver-
bundenen Umständen muss bei allen zukünftigen Bemühungen die größte Auf-
merksamkeit geschenkt werden, damit die unter dem Begriff „leaky pipeline“
bekannte Bruchstelle nach der Promotion zukünftig geschlossen werden kann.
An der richtigen Stelle setzt dahingehend das von Seiten des Bundes initiierte
Professorinnen-Programm an. In den letzten Jahren konnten im Rahmen des
Programms über 260 W2- und W3-Professuren an deutschen Hochschulen
gefördert werden. Daneben setzen auch die W1-Professuren, die so genannten

Juniorprofessuren, an der richtigen Stelle an und schaffen neue Karrierewege.

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Bei den W1-Professuren lag der Frauenanteil 2010 bei 37,8 Prozent und damit
im Vergleich zur Habilitation deutlich über der Quote.

Prof. Dr. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, merkte in
der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 11. Juni 2012 treffend
an, dass zur Lösung des Problems ein Kulturwandel notwendig ist und dazu ein
langer Atem gebraucht werde. Dieser Herausforderung müssen sich alle betei-
ligten Akteure stellen. In der Summe hält der Wissenschaftsrat eine Fortsetzung
der Offensive für Chancengleichheit für erforderlich. „Die Wissenschaftsorga-
nisationen müssen weiter gemeinsam mit Nachdruck daran arbeiten, die Ziele
der Offensive zu erreichen und sollten sich kurzfristig in Abstimmung mit ihren
Mitgliedseinrichtungen ehrgeizigere Etappenziele auf dem Weg dorthin set-
zen“, so Prof. Dr. Wolfgang Marquardt [PM WR vom 29. Mai 2012].

In den kommenden Jahren bieten sich gute Chancen, diese Herausforderung zu
meistern. Denn allein bis Ende dieses Jahrzehnts werden voraussichtlich knapp
ein Drittel der an deutschen Universitäten lehrenden und forschenden Professo-
rinnen und Professoren altersbedingt ausscheiden. Den Universitäten bietet sich
also eine einmalige Gelegenheit, in einem überschaubaren Zeitrahmen den
Frauenanteil bei den Professuren im Rahmen dieses Personalwechselfensters
maßgeblich zu steigern. Klar ist aber auch, dass die Qualifikation der potenziel-
len Nachfolger und Nachfolgerinnen letztendlich das entscheidende Berufungs-
kriterium bleiben muss.

Neben der Situation an den deutschen Hochschulen spielt beim Thema Chancen-
gleichheit bzw. Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung die
Lage an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine ebenso große
Rolle. Auch dazu liefert die 16. Fortschreibung des Datenmaterials (2010/2011)
zu Frauen in Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen der
GWK eine umfassende statistische Situationsbeschreibung. Dem letzten ver-
öffentlichten Datenmaterial ist zu entnehmen, dass der Anteil von Frauen am
wissenschaftlichen Personal der außeruniversitären Forschungseinrichtungen
2010 bei 32,5 Prozent lag. Wobei auf die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried
Wilhelm Leibniz e. V. (WGL) 44,5 Prozent, auf die Max-Planck-Gesellschaft
zur Förderung der Wissenschaften e. V. (MPG) 35,3 Prozent, auf die Helmholtz-
Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V. (HGF) 28,9 Prozent und die
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. (FhG)
18,4 Prozent entfallen. Darauf lässt sich in den kommenden Jahren gut aufbauen.

Doch ist bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen genauso wie im
Hochschulbereich zu beobachten, dass der Frauenanteil auf jeder weiteren
Stufe der Karriereleiter abnimmt. So sinkt der beachtliche Frauenanteil von
43,8 Prozent bei den Doktoranden bis auf nicht akzeptable 12 Prozent (2011) in
so genannten Führungspositionen. Auch hier unterscheiden sich die einzelnen
Organisationen sehr deutlich. Den höchsten Frauenanteil in Führungsposi-
tionen mit 19 Prozent erreicht die MPG, den niedrigsten mit lediglich 3,2 Pro-
zent die FhG.

Nicht zuletzt dank der 2008 eingeführten Forschungsorientierten Gleichstel-
lungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft e. V. (DFG) gibt es aber
auch hier seit Jahren eine kontinuierliche, positive Entwicklung bei den Mit-
gliedsgemeinschaften. So stieg der Anteil von Frauen in Führungspositionen
organisationsübergreifend von mageren 2 Prozent im Jahr 1992 auf nunmehr
12 Prozent. Sicherlich eine Steigerung von ganz niedrigem Niveau, aber immer-
hin eine Versechsfachung des ursprünglichen Wertes. Die DFG genießt hier mit
ihren Anstrengungen, die auch nach 2013 auf Basis der bisherigen Praxiserfah-
rungen in angepasster Form weitergeführt werden müssen, eine Vorbildfunktion,

die auch für die Forschungsförderung des Bundes genutzt werden sollte.

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Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind sich ihrer Verantwortung
hinsichtlich der Notwendigkeit einer weiteren signifikanten Steigerung der Be-
teiligung von Frauen – gerade in Führungspositionen – bewusst und haben sich
entsprechende Ziele für die kommenden Jahre gesetzt. Die Organisationen
setzen dabei vorrangig auf den „Instrumentenkasten“ der Forschungsorientierten
Gleichstellungsstandards der DFG und ergänzen dieses Maßnahmenbündel
durch zur eigenen Organisation passende Instrumente, wie das Postdoc-
Programm zur Förderung von Frauen nach der Promotion bei der Helmholtz-
Gemeinschaft.

Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass die Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen in den letzten Jahren bereits selbst eigene Initiative
gezeigt und Maßnahmen der direkten wie indirekten Frauenförderung ergriffen
haben. Wenn ein Kulturwandel gewollt ist, geht es nur über den Einsatz vor
Ort, in den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ehr-
geizige Ziele dürfen nicht nur von der Politik gesetzt werden, sondern müssen
aus den Wissenschaftseinrichtungen heraus an sich selbst gestellt werden.
Diese sind von politischer Seite weiter zu fordern und durch Programme und
Anreize zu fördern.

Die aufgezeigten Zahlen für die deutschen Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen zeigen trotz eindeutig positiver Entwicklung und aller
bisherigen Bemühungen deutlich, dass die gleichstellungspolitischen Herausfor-
derungen in den kommenden Jahren enorm sind. Maßnahmen per Gießkannen-
prinzip bzw. starre Quoten helfen in keinster Weise weiter, weil die fächer-
gruppenspezifischen Unterschiede einfach zu groß sind und nur flexible – aber
dennoch verbindliche – Lösungen diesem Umstand Rechnung tragen können.

Der Bund kann im Rahmen seiner Zuständigkeiten im föderalen Gefüge und vor
dem Hintergrund der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zukunftswei-
sende Akzente in Fragen der Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung
setzen. Diese Möglichkeiten muss die Bundesregierung konsequent nutzen. Ein
richtiger und wichtiger Ansatz ist in diesem Zusammenhang das gemeinsame
Vorgehen von Bund und Ländern unter dem Dach der Gemeinsamen Wissen-
schaftskonferenz. Ziel für die Zukunft muss ein noch besser abgestimmtes Vor-
gehen von Bund und Ländern in Gleichstellungsfragen sein, um in den kommen-
den Jahren eine höhere Dynamik in diesem Bereich zu erreichen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der letztjährige GWK-Beschluss zum so genannten
Kaskadenmodell. Die beschlossene Anwendung dieses Modells auf allen
Qualifikationsstufen bei den Forschungseinrichtungen von Bund und Ländern
ist auch als nachdrückliches Zeichen an die Universitäten zu werten, diesem
Beispiel zu folgen und flächendeckend flexible, verbindliche Zielquoten auf
Basis des Kaskadenmodells einzuführen.

Das Kaskadenmodell bietet im Gegensatz zu einer starren Quote den Vorteil,
durch seine Orientierung am Frauenanteil der jeweils darunter liegenden Karrie-
restufe die individuellen Gegebenheiten der Organisation bzw. die spezifischen
Bedingungen des Fachs zu berücksichtigen.

Prof. Dr. Wolfgang Marquardt vertrat am 11. Juni 2012 in der öffentlichen An-
hörung „Frauen in Wissenschaft und Forschung“ im Gespräch zum Kaskaden-
modell die Meinung, dass flexible Zielquoten eher durch Anreize als durch die
Implementierung von Sanktionsmechanismen flankiert werden sollten. Ebenso
äußerte sich Prof. Dr. Joybrato Mukherjee von der Justus-Liebig-Universität
Gießen zu dieser Frage. Um eine breite Akzeptanz zu finden, sollten flexible
Zielquoten demnach von einem Dreiklang aus verbindlichen Vorgaben, ehr-
geizigen aber realistischen Zielsetzungen und positiven Anreizen geprägt sein.
Solche Impulse sind ohne Frage wichtig, um die gleichstellungspolitische
Dynamik in den kommenden Jahren weiter zu erhöhen. Es gibt schon heute

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12845

viele gute Instrumente, die auf Basis bisheriger Praxiserfahrungen verfeinert
und weiterentwickelt werden können. Dahingehend sind alle Akteure des deut-
schen Wissenschafts- und Forschungssystem ebenso wie die Gesetzgeber in
Bund und Ländern gefragt.

Des Weiteren sind alle Akteure der deutschen Wissenschafts- und Forschungs-
landschaft im Rahmen ihrer Bemühungen zur Frauenförderung dazu aufgeru-
fen, auf allen Karrierestufen mindestens einen Frauenanteil von 30 bis 40 Pro-
zent zu erreichen. Diese so genannte kritische Masse wird von Experten als not-
wendige Grundvoraussetzung dafür gesehen, einen sich selbst tragenden Verän-
derungsprozess zur Erhöhung des Frauenanteils in den jeweiligen Institutionen
herbeizuführen.

Das Kaskadenmodell bietet auf dem Weg hin zu dieser angestrebten Eigen-
dynamik den großen Vorteil, intelligent und flexibel mit Zielvorgaben umgehen
zu können. Eine flächendeckende Anwendung des Kaskadenmodells muss des-
halb das Ziel aller Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen
sowie der handelnden Akteure auf Länder- und Bundesebene sein.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Bundesregierung mit einem
klaren strategischen Ansatz für mehr Chancengerechtigkeit einsetzt. Insbeson-
dere begrüßt er, dass die Bundesregierung nicht prioritär auf personenbezogene
Förderung setzt, sondern auf strukturelle Änderungen, auf eine Neuorientie-
rung des gesamten Wissenschaftssystems in Richtung chancengerechter Struk-
turen. Dieser Paradigmenwechsel steht für eine moderne Gleichstellungsförde-
rung in Wissenschaft und Forschung.

Der Bundestag begrüßt ausdrücklich die erfolgreichen Maßnahmen der
Bundesregierung wie

• das nunmehr in die zweite Runde gestartete Professorinnen-Programm des
Bundes und der Länder, das exzellenten Wissenschaftlerinnen die Annahme
einer unbefristeten Professur ermöglicht und zugleich Anreize für ein gleich-
stellungspolitisches Umdenken in den Hochschulen setzt;

• die Integration gleichstellungspolitischer Zielsetzungen in den Pakt für For-
schung und Innovation, die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt;

• den GWK-Beschluss zur Anwendung des Kaskadenmodells, mit dem Bund
und Länder ein sichtbares Signal an die außeruniversitären Forschungsein-
richtungen gesetzt haben, ihre Anstrengungen zur Gewinnung qualifizierter
Frauen in Zukunft noch zu verstärken;

• die Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(BMBF) „Frauen an die Spitze“, mit der grundlegende Erkenntnisse zur Un-
terrepräsentanz von Mädchen und Frauen in Bildung und Forschung gewon-
nen und neue, zielorientierte Instrumente entwickelt werden können;

• den „Nationalen Pakt für mehr Frauen in MINT-Berufen“ (MINT = Mathe-
matik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), mit dem junge Frauen zu
einer Studien- oder Berufswahl im MINT-Bereich motiviert werden;

• die Regelungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und wissen-
schaftlicher Karriere, insbesondere die Anpassung des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetztes an Erfordernisse der Kinderbetreuung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Evaluation der DFG-Gleichstel-
lungsstandards deren Übertragung in die Projekt- und Ressortforschung des

Bundes zu prüfen und wenn möglich zu integrieren;

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2. in den Zuwendungsbestimmungen der Projektförderung des BMBF vorzu-
sehen, dass sich bei befristeten Arbeitsverträgen mit dem wissenschaft-
lichen Nachwuchs, die mit der Projektfinanzierung begründet werden, die
Vertragslaufzeit an der Projektlaufzeit orientiert;

3. ihre Rolle als Impulsgeber und Vorreiter in Fragen der Chancengleichheit in
Wissenschaft und Forschung durch ein gleichstellungspolitisches Konzept
zu stärken. Mit diesem Konzept sollen die bisherigen Maßnahmen weiter-
entwickelt und neue Instrumente etabliert werden;

4. mit diesem Konzept das Ziel zu verfolgen, mittel- und langfristig zu einem
Frauenanteil in Höhe von mindestens 30 bis 40 Prozent auf allen Karriere-
stufen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu gelangen, um da-
mit selbsttragende Veränderungsprozesse durch die Erreichung dieser so
genannten kritischen Masse in Gang zu setzen;

5. in Zusammenarbeit mit den Ländern im Rahmen der GWK zu erwirken, dass
auch die Länder zur Erreichung dieses Ziels entsprechende Maßnahmen
ergreifen, insbesondere indem sie auf dem Kaskadenmodell basierende Ziel-
vereinbarungen mit den Hochschulen bzw. deren Hochschul- und Fach-
bereichsleitungen abschließen und darauf hinwirken, dass die deutschen
Hochschulen das Kaskadenmodell flächendeckend als zentrales Instrument
für mehr Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung implementie-
ren;

6. dafür zu sorgen, dass vereinbarte Gleichstellungsziele auf Basis des Kaska-
denmodells immer verbindlich, ambitioniert und realistisch ausgestaltet
sind;

7. zu prüfen, inwieweit das Audit „Beruf und Familie“ als erforderliches För-
der- bzw. Begutachtungskriterium bei zukünftigen Bundesförderprogram-
men und Auswahlprozessen der außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen implementiert werden kann;

8. in allen Evaluationsberichten zu den Maßnahmen des BMBF die Fortschritte
für mehr Geschlechtergerechtigkeit in geeigneter Form darzustellen;

9. eine Zusammenstellung der Erkenntnisse aus den verschiedenen Studien zu
den Wirkungen bzw. Effekten bereits in Anwendung befindlicher Instru-
mente vorzunehmen, um eine noch bessere Entscheidungsgrundlage für die
Entwicklung neuer Instrumente, für die Weiterentwicklung von bestehen-
den Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit bzw. auch für die
Streichung unwirksamer Ansätze zu erlangen;

10. die Begleitforschung hinsichtlich der vielfältigen und unterschiedlichen
Gleichstellungsfragen im deutschen Wissenschafts- und Forschungssystem
weiter zu stärken und einen besonderen Schwerpunkt auf die MINT-Fächer
zu legen, da sich noch immer zu wenige Frauen für diese zukunftsträchtigen
Fächergruppen entscheiden;

11. sich nachdrücklich gegenüber den Ländern und Hochschulen dafür einzu-
setzen, dass die Planbarkeit von Karrieren im Wissenschaftssystem verbes-
sert, transparente Aufstiegsmöglichkeiten für junge Nachwuchswissen-
schaftlerinnen und -wissenschaftler ermöglicht sowie flexible Arbeitszeit-
modelle – dies schließt auch den Arbeitsort ein – eingeführt werden;

12. die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft/Forschung, explizit die
Rahmenbedingungen für flexible Lösungen zur Kinderbetreuung vor Ort,
in Zusammenarbeit mit den Ländern und Akteuren der deutschen Wissen-
schaft- und Forschungslandschaft fortdauernd weiter zu verbessern;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12845

13. die Umsetzung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hinsichtlich einer noch
besseren Vereinbarkeit von Familie und Karriere zu überprüfen und dabei
aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen.

Berlin, den 19. März 2013

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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