BT-Drucksache 17/12818

Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten - Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren

Vom 19. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12818
17. Wahlperiode 19. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Elke
Ferner, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Hubertus Heil (Peine), Angelika Krüger-
Leißner, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast, Thomas Oppermann,
Karin Roth (Esslingen), Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar
Schreiner, Kerstin Griese, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychische Belastungen in der
Arbeitswelt reduzieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bundesregierung ignoriert Handlungsbedarf angesichts der Zunahme arbeitsbe-
dingter psychischer Belastungen

Mit dem Wandel der Arbeitswelt nehmen die physischen und psychischen Be-
lastungen zu – darüber besteht heute breiter Konsens. Die Verdichtung der Ar-
beit, steigende Arbeitszeiten, immer mehr Schicht-, Abend- und Nachtarbeit,
steigende inhaltliche Anforderungen, Kostenoptimierung und Personalabbau
erhöhen den psychosozialen Druck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
kontinuierlich. Die Arbeitgeber nutzen prekäre Beschäftigungsformen, um ver-
meintlich flexibler agieren zu können und die Personalkosten zu reduzieren.
Die Hoffnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei überdurchschnitt-
lich guter Leistung vom Unternehmen dauerhaft übernommen zu werden, führt
zu hohem Anpassungsdruck und der Bereitschaft, auch gesundheitsschädigende
Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Zu diesen zählen neben den klassi-
schen körperlichen Belastungen immer häufiger psychische Faktoren. Randbe-
legschaften werden zudem nur noch schwer mit den bestehenden gesetzlichen
Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz erreicht.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich weder für die Einhaltung der be-
reits vorhandenen gesetzlichen Vorschriften des Arbeitsschutzes eingesetzt, noch
durch den Erlass einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psy-
chische Belastung bei der Arbeit auf den Wandel der Arbeitswelt und die damit
einhergehenden steigenden arbeitsbedingten psychischen Belastungen reagiert.

Diverse Studien belegen, dass die Arbeitgeber ihre gesetzlich festgeschriebe-
nen Pflichten im Arbeitsschutz häufig nicht oder nur unzureichend umsetzen

und so die Gesundheit der Beschäftigten gefährden. Auch das Engagement im
Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung ist unzureichend. Die Arbeit-
geberverbände fordern die Betriebe nicht aktiv auf, ihrer Pflicht nachzukom-
men, geschweige denn zusätzliche Angebote zur Erhaltung der Gesundheit der
Beschäftigten zu unterbreiten. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrate-
gie (GDA) ist eine auf Dauer angelegte konzertierte Aktion von Bund, Ländern
und Unfallversicherungsträgern zur Stärkung von Sicherheit und Gesundheit

Drucksache 17/12818 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

am Arbeitsplatz. Die von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Dr.
Ursula von der Leyen angekündigte gemeinsame Erklärung mit den Sozialpart-
nern zur psychischen Gesundheit bei der Arbeit ist in letzter Sekunde an den
Arbeitgebern gescheitert. Die Bundesregierung erweitert zwar mit dem BUK-
Neuorganisationsgesetz (BUK-NOG, Bundestagsdrucksache 17/12297) die ge-
setzlichen Grundlagen des Arbeitsschutzes, aber weigert sich eine Verordnung
zu erlassen, die für eine wirksame Prävention dringend erforderlich wäre. Der
aktuell vorgelegte Referentenentwurf zur Förderung der Prävention des Bun-
desministeriums für Gesundheit beinhaltet keine vorbeugenden Maßnahmen,
um arbeitsbedingten Belastungen zu begegnen, sondern verliert sich vielmehr
in finanzpolitischen Kleinigkeiten. Dies legt nahe, dass das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales bzw. die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie
bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs außen vorgelassen wurden.

Die Ergebnisse des Stressreports Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Ar-
beitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) belegen, dass die typischen Stressfak-
toren seit 2006 auf einem hohen Niveau unverändert häufig im Arbeitsleben
vorkommen. So gaben 58 Prozent der Befragten an, häufig verschiedene Auf-
gaben gleichzeitig auszuüben (Multitasking). Als zentrale Belastungsfaktoren
werden zudem Termin- und Leistungsdruck (52 Prozent), ständig wiederkeh-
rende Arbeitsvorgänge (50 Prozent) sowie Störungen und Unterbrechungen bei
der Arbeit (44 Prozent) ausgewiesen.1

Das Ergebnis der Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012 be-
ziffert den Anteil derjenigen, die sich sehr häufig bis oft bei der Arbeit „ge-
hetzt“ fühlen bzw. „unter Zeitdruck“ stehen, auf 56 Prozent. Zwischen den Er-
hebungen 2011 und 2012 ist der Anteil um 4 Prozent gestiegen. 54 Prozent der
Beschäftigten haben in sehr hohem und hohem Maße den Eindruck, dass sie in
der gleichen Arbeitszeit immer mehr leisten müssen.2 Überstunden gehören
zum Alltag. So arbeiten 20 Prozent der Befragten in der Woche zehn oder mehr
Stunden über ihre reguläre Arbeitszeit hinaus.3

Auch Schicht- und Nachtarbeit sowie hochflexible, nachfrageorientierte Ar-
beitszeitmuster sind auf Dauer belastend. Die schon erwähnte Repräsentati-
vumfrage des DGB aus dem Jahr 2011 belegt: Ein knappes Drittel der Beschäf-
tigten arbeitet zu versetzten oder gar völlig unregelmäßigen Zeiten. 40 Prozent
der Befragten sehen ihre Bedürfnisse bei der Planung der Arbeitszeit nicht oder
nur in geringem Maße berücksichtigt, 60 Prozent betrachten ihren Einfluss auf
die eigene Arbeitszeitgestaltung als geringfügig. In vielen Berufen wird eine
dauernde Erreichbarkeit über Internet und/oder Mobiltelefon gefordert, was die
Grenze zwischen Freizeit und Arbeitszeit zunehmend verschwimmen lässt.
Nach dem DGB-Index Gute Arbeit 2011 müssen 27 Prozent der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer sehr häufig oder oft außerhalb ihrer Arbeitszeit für
den Arbeitgeber erreichbar sein. Unter den Vorgesetzten sind rund 40 Prozent
ständig für betriebliche Belange erreichbar. Auch Wochenend- und Nachtarbeit
haben deutlich zugenommen. Von den Befragten gaben knapp 35 Prozent an,
häufiger bzw. oft am Wochenende zu arbeiten. 20 Prozent gehen regelmäßig ei-
ner Tätigkeit in Schichtarbeit nach.4

Wer dauerhaft unter Stress leidet, läuft Gefahr, psychosomatische Erkrankun-
gen oder psychische Störungen herauszubilden, die sich häufig chronifizieren.
Psychische Belastungen können nicht nur die Ursache von Suchterkrankungen,

1 Lohmann-Heislah, 2012: BAuA Stressreport 2012, Die wichtigsten Ergebnisse.
2 DGB-Index Gute Arbeit GmbH, Wachsender Psycho-Stress, wenig Prävention – wie halten es die Be-

triebe mit dem Arbeitsschutzgesetz, Ergebnisse der Repräsentativumfrage 2012, S. 4 f.
3 DGB-Index Gute Arbeit GmbH, Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung, Entgrenzung, Ergebnisse der Re-
präsentativumfrage 2011, S. 3.
4 DGB-Index Gute Arbeit GmbH, Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung, Entgrenzung, Ergebnisse der Re-

präsentativumfrage 2011, S. 3 ff.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12818

Angststörungen oder Depressionen sein, sondern auch zu Erkrankungen der At-
mungsorgane, des Herz-Kreislauf-Systems, der Verdauungsorgane sowie zu
Muskel- und Skeletterkrankungen führen.

Die Anzahl der Fehltage, die auf psychische Störungen zurückgehen, lag im
Jahr 2011 bei 22,5 Ausfalltagen pro Fall und damit doppelt so hoch wie bei an-
deren Erkrankungen.5 Gemäß den Daten des Gesundheitsreports der Techniker
Krankenkasse sind die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit dem
Jahr 2000 um 70 Prozent angestiegen.6 Die Gesundheitsberichterstattung des
Bundes 2012 zeigt, dass psychische Störungen mittlerweile nicht nur häufig zu
langer Arbeitsunfähigkeit beitragen, sondern auch die „Haupterkrankungsursa-
che für Frühberentungen“ sind. Im Jahr 2012 lag der „Anteil psychischer Er-
krankungen an allen Erwerbsminderungsrenten“ bei 41 Prozent (1996 im Ver-
gleich bei 20,1 Prozent) und das durchschnittliche Zugangsalter der Erkrankten
bei rund 48 Jahren.7

Nach einer Studie von Bödeker und Friedrichs verursachten psychische Störun-
gen im Jahr 2008 Behandlungskosten von knapp 29 Mrd. Euro. Berücksichtigt
man auch den durch Krankheit entstandenen Ausfall an Bruttowertschöpfung,
müssten sogar 45 Mrd. Euro Kosten angesetzt werden. Die direkten Krankheits-
kosten durch arbeitsbedingte psychische Belastungen betragen etwa 9,9 Mrd.
Euro.8

Arbeit kann bei guten Arbeitsbedingungen einen positiven Einfluss auf die psy-
chische Gesundheit haben, jedoch erfordert die gewandelte Arbeitswelt einen
besseren Schutz vor arbeitsbedingten Gefährdungen durch psychische Belas-
tungen. Bisher hat es die Bundesregierung versäumt, die Pflichten für Arbeitge-
ber hinreichend konkret und verpflichtend vorzuschreiben, sodass psychische
Belastungen beim Arbeitsschutz nicht angemessen berücksichtigt werden.

Arbeitsschutz – Arbeitgeber in die Pflicht nehmen

Die Forderung nach einer Humanisierung der Arbeitswelt ist alt, aber hochak-
tuell. Die Anforderungen an den Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheits-
förderung sind durch die Zunahme von psychosozialen und psychomentalen Ri-
siken rapiden Veränderungen unterworfen. Arbeits- und Gesundheitsschutz sind
sowohl gesellschaftlich notwendig als auch für jedes einzelne Unternehmen von
Bedeutung. Alle Beteiligten profitieren, wenn gesundheitliche Risiken und ins-
besondere psychische Belastungen vermieden werden und Menschen in Arbeit
gesund sind.

Nach dem Arbeitsschutzgesetz sind Arbeitgeber seit 1996 verpflichtet, Maßnah-
men des Arbeitsschutzes zur Verhütung von Unfällen und von arbeitsbedingten
Erkrankungen zu ergreifen und zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit
beizutragen. Arbeitgeber sind nach § 3 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) an-
gehalten, „eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten
anzustreben“. Die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen für die Beschäf-
tigten müssen nach den §§ 5 und 6 ArbSchG vom Arbeitgeber beurteilt und die
Ergebnisse sowie die festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes in den Be-
trieben dokumentiert werden – allerdings nur nach derzeit geltenden gesetzlichen
Regelungen in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten, weil die europäischen
Vorgaben an diesem Punkt von der Bundesregierung bislang fehlerhaft umgesetzt
worden sind.

5 Wissenschaftliches Institut des AOK (WidO) Fehlzeiten-Report 2012, 2013.
6 Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2012.
7
Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2012.
8 Bödeker/Friedrichs 2011, Kosten der psychischen Erkrankungen und Belastungen in Deutschland.

Kurzgutachten.

Drucksache 17/12818 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Gefährdungsbeurteilung – als Kernelement des Arbeitsschutzes – wird
trotz gesetzlicher Vorschrift laut den Ergebnissen der Evaluation der Gemeinsa-
men Deutschen Arbeitsschutzstrategie nur in 51 Prozent aller Betriebe durch-
geführt. Je größer der Betrieb, umso eher werden Gefährdungsbeurteilungen
durchgeführt. 59 Prozent der Kleinstbetriebe (ein bis neun Beschäftigte) erstel-
len demnach keine Gefährdungsbeurteilung. Erschwerend kommt hinzu, dass
Gefährdungsbeurteilungen in der Regel kaum psychische Belastungen berück-
sichtigen. Von den 6 500 befragten Betrieben erfassen nur 20 Prozent psychi-
sche Gefährdungen bei einer Beurteilung mit. Die Forschungsergebnisse legen
nahe, dass hier ein großes Informationsdefizit bezüglich der Erstellung von Ge-
fährdungsbeurteilungen vorliegt und umfassender Beratungsbedarf besteht.9

Das Arbeitsschutzgesetz beinhaltet zwar die Pflicht, alle arbeitsbedingten Ge-
fährdungen im Betrieb zu erfassen – psychische Gefährdungen werden aber
bisher in der Aufzählung möglicher Gesundheitsgefahren nicht explizit ange-
sprochen (§ 5 Absatz 3). Lediglich die 2011 vom Bund, von den Ländern und
den Unfallversicherungsträgern im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Ar-
beitsschutzstrategie verabschiedete Leitlinie sowie die Bildschirmarbeitsver-
ordnung fordern, auch psychische Faktoren bei der Gefährdungsbeurteilung zu
berücksichtigen. Durch zunehmenden öffentlichen Druck hat die Bundesregie-
rung in dem Entwurf zum BUK-Neuorganisationsgesetz (Bundestagsdruck-
sache 17/12297), der aktuell in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde,
die lange überfällige Erweiterung des Gesundheitsbegriffs im Arbeitsschutzge-
setz vorgenommen. In den Jahren 2013 bis 2018 sollen der Bund, die Länder
und die Unfallversicherungsträger im Rahmen der GDA ihre Präventionsaktivi-
täten unter anderem gezielt auf den Schutz und die Stärkung bei arbeitsbeding-
ten psychischen Belastungen richten.

Trotz dieser Bemühungen steht fest: Die geltenden Grundpflichten für Arbeit-
geber hinsichtlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes werden den gewandel-
ten Belastungen in der Arbeitswelt nur unzureichend gerecht. Das Recht bildet
die Bedeutung von Gefährdungen durch psychische Belastungen nicht adäquat
ab. In den gesetzlich geregelten Bereichen bestehen zudem praktische Umset-
zungsdefizite. Die Arbeitgeber müssen den Arbeitsschutz gemäß den gesetzli-
chen Regelungen umsetzen und damit den Beschäftigten gesunde Arbeit und
ein gesundes Altern auf alterns- und altersgerechten Arbeitsplätzen ermögli-
chen. Der Staat muss seiner eigenen Verantwortung nachkommen, indem er
eindeutige Vorgaben für die Arbeitgeber formuliert und die Umsetzung durch
Kontrollen, durch Beratung und gegebenenfalls durch Sanktionen nachhält.

Die ESENER-Unternehmensbefragung 2010 (ESENER: Europäische Unter-
nehmenserhebung über neue und aufkommende Risiken) hat ergeben, dass auf
betrieblicher Ebene vor allem dann Maßnahmen im Arbeits- und Gesundheits-
schutz ergriffen werden, wenn gesetzliche Verpflichtungen erfüllt werden müs-
sen oder Druck von der Arbeitsschutzaufsicht ausgeübt wird.10 Obwohl die
Bundesregierung bereits im Juli 2012 in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/10229)
Missstände hinsichtlich der Beurteilung psychischer Belastungen zugestanden
hat, wurden bisher keine Anstrengungen unternommen, um die Aufsichtstätig-
keit beim Arbeitsschutz zu stärken.

In nahezu allen Bundesländern wurde seit 2005 das Personal der Aufsichts-
behörden im Arbeitsschutz kontinuierlich abgebaut.11 Gleichzeitig wurde der
Gewerbeaufsicht aber eine Vielzahl neuer Aufgaben übertragen. Psychische
Belastungen werden von den Aufsichtsbehörden nur in jeder 90. Besichtigung

9
Dachevaluation GDA 2011.
10 ESENER-Unternehmensbefragung 2010.
11 Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (SuGA) 2007 bis 2009.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12818

behandelt.12 Ursachen dafür sind nicht nur das bestehende Personal-, sondern
auch ein Qualifikationsdefizit.

Wiedereingliederung umsetzen – Betriebliches Eingliederungsmanagement
anwenden

Kann jemand wegen gesundheitlicher Einschränkungen die eigentliche Tätig-
keit im Betrieb nicht mehr ausführen, dann ist das betriebliche Eingliederungs-
management (BEM) nach § 84 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
IX) ein zentrales Instrument, um die Arbeitsfähigkeit möglichst frühzeitig wie-
derherzustellen, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und die Arbeitsplätze
der betroffenen Beschäftigten zu erhalten.

Da ein Arbeitgeber kaum erkennen kann, wer in seiner Belegschaft behindert
oder von Behinderung bedroht ist, wurde in § 84 Absatz 2 SGB IX die Präven-
tionspflicht auf alle Beschäftigten ausgedehnt. Mit dieser im SGB IX für alle
Beschäftigten geltenden Norm muss unter Mitwirkung der Betriebs- und Perso-
nalräte ein betriebliches Eingliederungsmanagement implementiert werden.
Ziel der Regelung ist, einer Ausgrenzung von Beschäftigten entgegenzuwirken,
die länger oder häufiger krank sind. Das Verfahren soll systematisch und prä-
ventiv den – auch betrieblichen – Ursachen lang andauernder Arbeitsunfähig-
keit nachgehen und Maßnahmen ermitteln, die auf das Abstellen der Arbeitsun-
fähigkeit abzielen.

Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wie-
derholt arbeitsunfähig sind, durch betriebliches Handeln wieder im Unterneh-
men arbeiten können. In Abstimmung mit dem Betriebs- oder Werksarzt sowie
dem Betriebsrat muss der Arbeitgeber unter Mitwirkung der betroffenen Person
Lösungsansätze entwickeln, die eine Weiterbeschäftigung im Betrieb gewähr-
leisten und wiederholter Arbeitsunfähigkeit entgegenwirken. Der Rahmen zur
Durchführung des BEM in § 84 Absatz 2 SGB IX ist jedoch regelungsbedürf-
tig. Zudem sollte die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Kündigungs-
schutz im Gesetz verankert werden.

Für das Wohlbefinden der Beschäftigten sind zudem Maßnahmen des sozialen
Arbeitsschutzes erforderlich. Zunehmend klagen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer über Leistungsverdichtung und Überforderung durch Personalein-
sparungen. Sind die Beschäftigten diesen Herausforderungen nicht gewachsen,
entwickeln sie mitunter Abwehrhaltungen, die sich in andauernden Konflikten
mit Vorgesetzten oder Kollegen bis hin zum strategisch durchgeführten Mob-
bing äußern können. Persönliche Anfeindungen, Schikanen oder Schuldzuwei-
sungen können eine enorme Belastung für die psychische Gesundheit von Be-
schäftigten darstellen. Um das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten zu schüt-
zen und ein gutes Betriebsklima zu fördern, müssen Arbeitgeber dem Entstehen
von Konfliktherden durch die Umsetzung einer umfassenden motivationsför-
dernden betrieblichen Arbeits- und Gesundheitspolitik entgegenwirken. Das
BEM eignet sich in diesem Zusammenhang nicht nur als Instrument der Wie-
dereingliederung, sondern auch zur Auflösung von innerbetrieblichen Konflik-
ten.

Um Anreize zur Anwendung des BEM in den Betrieben zu schaffen, wurde bei
der Einführung der Präventionspflicht 2001 in § 84 Absatz 3 SGB IX fest-
geschrieben, dass Rehabilitationsträger und Integrationsämter die Einführung
des betrieblichen Eingliederungsmanagements auf betrieblicher Ebene durch
Prämien oder einen Bonus fördern können. Da Arbeitgeber jedoch verpflichtet
sind, das BEM anzubieten und mittlerweile über zehn Jahre vergangen sind,
12 Schröder/Urban 2013, Gute Arbeit, Ausgabe 2013, S. 364.

Drucksache 17/12818 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

kann auf das Bonusmodell verzichtet werden. Vielmehr bedarf es konkreter
Sanktionen, wenn Beschäftigten der gesetzliche Anspruch auf das BEM ver-
wehrt wird.

Aktivitäten der Sozialversicherungsträger

Die Aufsichtsbehörden der Länder und die Träger der gesetzlichen Unfallversi-
cherung (z. B. Berufsgenossenschaften) überwachen den Arbeitsschutz. Mit
der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) soll den Arbeitgebern das Haf-
tungsrisiko gegenüber ihren Beschäftigten abgenommen werden.13

Die Krankenversicherungen sind nach § 20a SGB V zuständig für die betriebli-
che Gesundheitsförderung und unterstützen die Unfallversicherung bei der Ver-
hütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren. Diese betriebliche Gesundheits-
förderung ergänzt den gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und basiert
auf freiwilligen Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber. Die Krankenversiche-
rungen haben die Aufgabe, die gesundheitliche Situation im Betrieb zu erheben
und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist demnach ein Bestandteil der Präven-
tionsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Mit dieser Leistung wird bisher
jedoch nur ein geringer Anteil der Betriebe erreicht. Lediglich 38 Prozent aller
kleinen und mittleren Unternehmen führen entsprechende Projekte durch. In
Kleinstunternehmen war die Quote nach einer Studie von Beck und Schnabel im
Jahr 2009 mit 22 Prozent noch geringer.14 Als Gründe werden meist ein Mangel
an personellen und finanziellen Ressourcen sowie Informationsdefizite bezüg-
lich Umsetzung und Möglichkeiten externer Unterstützung angeführt. Meist
findet auch keine Koordination mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger
statt.

Die gesetzliche Rentenversicherung erbringt nach § 9 SGB VI Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie
ergänzende Leistungen, um Auswirkungen einer Krankheit oder Behinderung
auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu über-
winden und so Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder
ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie mög-
lichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Diese Leistungen
dienen der Umsetzung des Prinzips „Rehabilitation vor Rente“.

Ältere Versicherte haben einen höheren Bedarf an Leistungen zur Teilhabe –
das ist sozialmedizinisch unumstritten. Auf die Altersgruppe der 45- bis 65-
Jährigen entfallen rund 75 Prozent der Rehabilitationsleistungen. Die demogra-
fischen Veränderungen tragen dazu bei, dass der Bedarf an Rehabilitationsleis-
tungen weiter steigen wird. Mit der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen
gehen sehr kostenintensive Leistungen einher. Damit verbunden ist die Zahl der
Anträge auf Leistungen zur Teilhabe angestiegen. Trotz Maßnahmen zur Kos-
tendämpfung im Bereich der Rehabilitation haben die Rentenversicherungsträ-
ger zunehmend Probleme aufgrund der begrenzten Mittel, ihren Auftrag aus § 9
SGB VI zu erbringen.

Die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten könnte aus Sicht der SPD effektiver ge-
fördert werden, wenn die Aktivitäten der Sozialversicherungszweige besser
verzahnt wären. Die Sozialversicherungsträger sollten die Betriebe bei der Ver-
besserung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit aktiv und abgestimmt be-
raten und unterstützen. Beratungsprojekte wie GeniAL oder die Demographie-
Lotsen oder die Vielzahl so genannter BEM-Projekte zeigen, dass man mit An-
geboten der Sozialversicherungen besonders auch kleine und mittlere Betriebe
13 Kittner, 2012.
14 Beck/Schnabel 2009.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12818

erreichen kann, die ohne externe Unterstützung häufig nicht aktiv werden. Zur
Sicherstellung der Präventions- und Rehabilitationsleistungen müssen die Sozi-
alversicherungsträger über die dazu nötigen finanziellen Ressourcen verfügen.

Betrieblichen Gesundheitsschutz fördern – Engagement der Arbeitgeber
stärken

Die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die mit prekärer Beschäftigung verbun-
denen Belastungen und die Zunahme von psychischen Erkrankungen erfordern
die Etablierung einer alterns- und altersgerechten Arbeitsgestaltung sowie einer
präventiven Gesundheitskultur in den Betrieben.

Das steigende Durchschnittsalter der Belegschaften und der höhere Anteil von
älteren Beschäftigten bringen andere Anforderungen an die Arbeitsgestaltung
und -organisation mit sich. Die Gestaltung von guter und gesunder Arbeit – als
Antwort auf den demografischen Wandel – muss zu einer Führungsaufgabe und
zum Teil der Personalpolitik der Unternehmen sowie der Strategien zur Weiter-
bildung der Mitarbeitenden werden. Grundsätzlich unterscheidet sich die Leis-
tungsfähigkeit nicht zwischen den Altersgruppen. Sie nimmt zwar in einzelnen
Leistungsbereichen – wie z. B. körperliche Ausdauer und Beweglichkeit – mit
zunehmendem Alter ab, im Gegenzug sind jedoch Erfahrungswissen oder Ver-
antwortungsbewusstsein im Alter stärker ausgeprägt. Arbeitswissenschaftliche
Untersuchungen zeigen, dass Leistungsunterschiede zwischen Menschen glei-
chen Alters mit zunehmendem Lebensalter stärker divergieren als zwischen
Menschen unterschiedlichen Alters.

Laut den Statistiken der Krankenkassen existiert ein Zusammenhang zwischen
Alter und Krankheit. Zwar sind Ältere nicht häufiger krank als Jüngere, aber im
Falle einer Erkrankung meist länger betroffen. Besonders betroffen sind Be-
schäftigtengruppen, die Tätigkeiten von geringer Qualifikation mit hohen An-
teilen an schwerer körperlicher Arbeit sowie geringen individuellen Hand-
lungsspielräumen ausüben.

Die Risiken sind je nach Tätigkeit unterschiedlich. Dies zeigen die Forschungs-
ergebnisse zu physischen Belastungsfaktoren. Muskel- und Skeletterkrankun-
gen ergeben sich insbesondere bei mehrjähriger Exposition bei statischer Kör-
perhaltung, repetitiven Bewegungen und häufigem Lastenheben und häufen
sich bei gleichzeitigem Vorliegen von psychosozialen Belastungen. In Berufen
mit körperlicher Schwerarbeit (z. B. Baugewerbe, Pflegeberufe) ist das Risiko
krankheitsbedingter Frühverrentung doppelt so hoch wie bei Beschäftigten
ohne derartige Belastungen. Am höchsten ist der Anteil an Erwerbsminde-
rungsrentnern bei den Hilfsarbeitern, in den Bau- und Ernährungsberufen sowie
bei den Gesundheitsberufen. Pflegekräfte leiden beispielsweise deutlich häufi-
ger unter Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) als der Durchschnitt der Be-
schäftigten des Gesundheitswesens. Bei einem Vergleich der Berufsgruppen
zeigt sich aber auch, dass Pflegekräfte um 62 Prozent häufiger wegen psychi-
scher Erkrankungen arbeitsunfähig sind.15

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geht davon aus, dass
30 bis 40 Prozent der Ausfälle, die durch chronische Erkrankungen entstehen,
durch Prävention verhindert werden könnten. Damit Beschäftigte dauerhaft ge-
sund bleiben, sind Unternehmen gefordert, nicht nur den verpflichtenden Ar-
beitsschutzvorschriften Folge zu leisten, sondern ein umfassendes, effizientes
betriebliches Gesundheitsmanagement aufzubauen und nachhaltig zu etablie-
ren. Das betriebliche Gesundheitsmanagement umfasst Maßnahmen des Ar-
beitsschutzes, des betrieblichen Eingliederungsmanagements und der betriebli-
chen Gesundheitsförderung. Darüber hinaus zielt es auf die Führung, die Unter-
15 GDA, gesund pflegen.

Drucksache 17/12818 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nehmenskultur und das Betriebsklima, um arbeitsbedingten Erkrankungen vor-
zubeugen.

Mit Blick auf den Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit aller Beschäf-
tigten stehen Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation im Fokus betrieblicher
Maßnahmen. Systematische Belastungswechsel und Lernanreize sind Schlüs-
selfaktoren, um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten lebenslang zu fördern.
Hierbei sind die Bedingungen am konkreten Arbeitsplatz entscheidend.

Stellt man die Erwerbsbiographie in den Mittelpunkt, so müssen Umschulun-
gen auch während des Beschäftigungsverhältnisses möglich sein. Resultiert
eine erkennbare gesundheitliche Belastung aus einer bestimmten Tätigkeit,
sollte eine berufsbegleitende Höher- und Weiterqualifizierung stattfinden, die
zu anspruchsvolleren Tätigkeiten befähigt. Dieser zweite berufliche Bildungs-
abschnitt muss in das Beschäftigungsverhältnis integriert sein.

Empirische Studien zeigen, dass die Weiterbildungs-/Qualifizierungschancen
für die psychische Gesundheit und die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten
wichtige Einflussfaktoren sind. Der Berufsbildungsbericht 2012 belegt, dass
die Teilnahmequoten an betrieblicher sowie individueller berufsbezogener Wei-
terbildung zwischen 2007 und 2010 gesunken sind. So lag die Weiterbildungs-
quote für Frauen bei 33 Prozent und bei Männern bei 38 Prozent. Besonders ak-
tiv waren die bereits gut Ausgebildeten. Demnach profitieren insbesondere gut
qualifizierte, in Vollzeit Beschäftigte ohne Migrationshintergrund zwischen 35
und 49 Jahren von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen.16

All diese Studien zeigen, dass der gesetzlich vorgeschriebene Arbeits- und Ge-
sundheitsschutz weiterentwickelt werden muss, um effektiv arbeitsbedingten
Erkrankungen zu begegnen. Ergänzend muss das Engagement hinsichtlich der
betrieblichen Gesundheitsförderung und Weiterbildungsaktivitäten der Betriebe
gestärkt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Umsetzung des Arbeitsschutzes und den Erhalt der Gesundheit der Be-
schäftigten in den Betrieben und Unternehmen durch weitere gesetzgeberi-
sche Maßnahmen zu flankieren:

a) durch den Erlass einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch
psychische Belastung bei der Arbeit (Anti-Stress-Verordnung) die beste-
hende Regelungslücke im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu schließen
und einen verbindlichen Bezugsrahmen für Betriebe und Aufsichtsbehör-
den zu erlassen. Diese muss folgende Faktoren, die zu psychischen Be-
lastungen führen können, berücksichtigen: die Gestaltung der Arbeitsauf-
gabe, der Arbeitsorganisation, die sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz,
die Gestaltung der Arbeitszeit und Arbeitsplatz- und Arbeitsbedingun-
gen. § 2 des Arbeitsschutzgesetzes schließt Maßnahmen der menschen-
gerechten Gestaltung der Arbeit explizit mit ein. Insofern sollte die zu er-
lassende Verordnung auch die oben beschriebenen prekären Formen der
Arbeit berücksichtigen;

b) durch die gesetzlich vorgeschriebene Umsetzung des betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements in Betrieben. Die Bundesregierung hat dafür
Sorge zu tragen, dass die Regelungen zum betrieblichen Eingliederungs-
management nach § 84 SGB IX in den Betrieben angewendet werden.
Kleine und mittlere Unternehmen müssen stärker über die bestehenden
Regelungen informiert und bei der Anwendung und Durchführung des
BEM unterstützt werden. Wenn bei Beantragung des Krankengeldes kein
16 Bundesinstitut für Berufsbildung 2012, Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012, S. 288.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/12818

BEM nachgewiesen werden kann, verlängert sich die Lohnfortzahlung
um sechs Wochen;

c) durch Änderungen hinsichtlich der Anwendung und Dokumentation des
BEM. Der Arbeitgeber soll sich mit der Arbeitnehmervertretung auf ein
Verfahren bzw. einen Ablauf zur Durchführung des BEM rechtsverbind-
lich verständigen. Wird keine Einigung über die Festlegung von Verfah-
rensvorschriften zwischen den Betriebsparteien erzielt, kann die Eini-
gungsstelle über das Arbeitsgericht eingesetzt werden. Das Wiederein-
gliederungsgespräch sowie die daraus resultierenden Ergebnisse sollen
vom Arbeitgeber zeitnah dokumentiert werden. Die Dokumentation muss
auch die umgesetzte Maßnahme und das Ergebnis der Überprüfung ent-
halten. Das in § 84 Absatz 3 SGB IX enthaltene Bonusmodell wird ge-
strichen und dafür die Dokumentationspflicht aufgenommen;

d) durch die Verbesserung des sozialen Arbeitsschutzes, indem die Arbeit-
geber angehalten werden, das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten zu
schützen und auf ein gutes Betriebsklima hinzuwirken. Der Arbeitgeber
hat dafür Sorge zutragen, dass Führungskräfte angemessen qualifiziert
sind, um Beschäftigte zu führen aber auch aktiv mitwirken, psychische
Belastungen sowie Konflikte am Arbeitsplatz zu verhindern. Bei innerbe-
trieblichen, andauernden Konflikten gegenüber einzelnen oder mehreren
Beschäftigten (Mobbing) soll das betriebliche Eingliederungsmanage-
ment auch zur Schlichtung des Konflikts genutzt und dem Beschäftigten
die Möglichkeit gegeben werden, den Arbeitsplatz innerbetrieblich zu
wechseln, indem den Betriebsratsgremien – unter Berücksichtigung der
wirtschaftlichen Situation des Betriebes – ein echtes Mitbestimmungs-
recht eingeräumt wird hinsichtlich der Umgestaltung von Arbeitsplätzen,
die gesundheitlichem, physischem und psychischem Verschleiß vorbeu-
gen und der Arbeitsplätze, die auf spezifisches Leistungsvermögen von
Älteren Rücksicht nehmen (alterns- und altersgerechte Arbeitsplätze) so-
wie ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der betrieblichen Gesundheits-
förderung. Der Arbeitgeber hat angemessene finanzielle Mittel unter Be-
rücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zur Ver-
fügung zu stellen;

e) durch die verstärkte Beteiligung der Krankenkassen. Der Arbeitgeber
wird gesetzlich verpflichtet, mit einer Krankenkasse, die im Betrieb ver-
treten ist, ein Konzept zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu erarbei-
ten. Der Arbeitgeber hat Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Be-
schäftigten zur Teilnahme freizustellen. Die weiteren gesetzlichen Kran-
kenkassen der Beschäftigten im Betrieb sind an den Kosten der betriebli-
chen Gesundheitsförderung zu beteiligen. Unter Kostenbeteiligung haben
auch Privatversicherte Zugang zur betrieblichen Gesundheitsförderung;

f) indem darauf hingewirkt wird, dass die Gefährdungsbeurteilung gemäß
§ 5 des Arbeitsschutzgesetzes in allen Betrieben und im öffentlichen
Dienst flächendeckend umgesetzt und dokumentiert wird. Die Gefähr-
dungsbeurteilung soll explizit auch psychische Belastungen miterfassen.
Die Umsetzung der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung muss von
den Aufsichtsbehörden der Länder und durch die Aufsicht der gesetz-
lichen Unfallversicherung überwacht und bei Verstößen sanktioniert wer-
den. Die Sanktion erfolgt in Form von Ersatzvornahme. Die betrieblichen
Interessenvertretungen und die Beschäftigten sind wirksam zu beteiligen;

g) indem darauf hingewirkt wird, die betrieblichen Akteure über arbeitsbe-
dingte psychische Belastungen zu informieren und entsprechend zu qua-
lifizieren, um Gefährdungen physischer und psychischer Natur einzu-

dämmen. Die Betriebe sollen dazu angehalten werden, psychischen Be-
lastungen entgegenzuwirken. Um Arbeit und Freizeit deutlich voneinan-

Drucksache 17/12818 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der zu trennen, wird die Interessenvertretung besser darüber aufgeklärt,
dass sie ein Initiativrecht zur Beschränkung der selbstbestimmten Ar-
beitszeit besitzt, um digitale Arbeit, die zu jeder Zeit an beliebigen Orten
stattfindet, zu regulieren. Bei Streitigkeiten der Betriebsparteien trifft die
Einigungsstelle eine verbindliche Entscheidung;

h) durch eine Prüfung, ob psychische Erkrankungen in die Berufskrankhei-
tenliste aufzunehmen sind, um bei arbeitsbedingten Erkrankungen nicht
nur Prävention, sondern auch Rehabilitation und Entschädigung durch
die Unfallversicherung zu ermöglichen;

2. eine umfassende Strategie für die Weiterentwicklung des Arbeits- und Ge-
sundheitsschutzes zu erarbeiten:

a) diese Strategie beinhaltet aufbauend auf den Vorarbeiten der Gemeinsa-
men Deutschen Arbeitsschutzstrategie nationale Arbeitsschutz- und Ge-
sundheitsförderungsziele, die für alle Akteure des Arbeitsschutzsystems
verbindlich und überprüfbar sind. Dem Deutschen Bundestag ist jährlich
ein Bericht über die Ergebnisse, die Aktivitäten und die Überwachung,
gegliedert nach Bundesländern, vorzulegen. Die staatlichen und berufs-
genossenschaftlichen Aufsichtsbehörden sollen den Bericht für ihre
Überwachungstätigkeiten nutzen können;

b) hierzu ist die Forschungslage bezüglich psychischer Belastungen in der
Arbeitswelt zu verbessern, um bestehende Forschungslücken zu schlie-
ßen;

c) der noch bestehende Forschungsbedarf in Bezug auf die gesundheitliche
Lage älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und in Bezug auf
wirksame Handlungsmöglichkeiten ist branchenspezifisch aufzuarbeiten;

d) der Umsetzungsstand der Gesetzeslage zum Arbeitsschutz, zur betriebli-
chen Gesundheitsförderung sowie zum betrieblichen Eingliederungsma-
nagement muss regelmäßig evaluiert werden. Die 1996 im Arbeitsschutz-
gesetz verankerte Pflicht des Arbeitgebers zur Beurteilung der Arbeitsbe-
dingungen wird unzureichend umgesetzt. Durch eine Evaluation sind das
Ausmaß und die Gründe zu erfassen. Der Bericht ist zu veröffentlichen
und in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK), in der Deut-
schen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und in der Gemeinsa-
men Deutschen Arbeitsschutzstrategie zu diskutieren;

e) es ist zu prüfen, ob die Ausweitung der Beratungsaktivitäten der Sozial-
versicherungsträger durch gesetzliche Regelungen unterstützt werden
kann und darüber hinaus, ob eine Beratung der Beschäftigten und der Ar-
beitgeber in Zeitabständen durch die Sozialversicherungen oder durch
Sachverständige ergänzend zu den übrigen rechtlichen Vorgaben sinnvoll
und finanzierbar ist;

3. die für den Arbeitsschutz zuständigen überbetrieblichen Stellen in die Lage
zu versetzen, ihre Aufgabe noch effektiver zu erfüllen, indem

a) einheitliche Ausbildungsstandards für die Arbeitsschutzaufsicht länder-
übergreifend festgelegt werden und die Ausbildung explizit Module zur
psychischen Gesundheit und Prävention psychischer Belastungen bein-
haltet;

b) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Konzept erarbeitet
wird, mit dem die Zahl der Arbeitsmediziner und Betriebsärzte erheblich
erhöht wird;

c) der Arbeitsschutzaufsicht die notwendigen Personalressourcen zur Verfü-

gung gestellt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist
angehalten, mit den Ländern darüber zu verhandeln und im Konsens zu

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/12818

vereinbaren, dass der Arbeitsschutzaufsicht länderübergreifend ausrei-
chend Personal zur Verfügung steht, um der Anzahl der zu prüfenden Be-
triebe gerecht zu werden. Die Kooperation der Aufsichtsbehörde des Ar-
beitsschutzes mit den Sozialpartnern und den anderen Sozialversiche-
rungsträgern ist zu unterstützen;

d) die Träger der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie bestmög-
lich unterstützt werden, um das Thema „Schutz und Stärkung der Ge-
sundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ weiter voranzu-
bringen und den Begriff der arbeitsbedingten Erkrankungen anhand von
Beschäftigtengruppen und typischen Belastungen zu konkretisieren. Be-
triebe und Beschäftigte sind darin zu unterstützen, möglichen Gesund-
heitsrisiken zu begegnen. Es sollten branchenabhängige Handlungsfelder
entwickelt und die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen weiter aus-
gebaut und verbessert werden;

e) sie darauf hinwirkt, dass die psychotherapeutische Versorgung so ausge-
baut wird, dass psychisch Erkrankte zeitnah behandelt und rehabilitiert
werden;

4. das Engagement der Unternehmen und Verwaltungen in der Umsetzung der
betrieblichen Gesundheitsförderung zu stärken,

a) durch verstärkte Aufklärung und Beratung der Unternehmen aus Mitteln
der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA);

b) indem in Abstimmung mit den Trägern der Sozialversicherung und des
Arbeitsschutzes Beratungsstellen (Lotsen) zur individuellen Beratung
und Begleitung der Betroffenen eingerichtet werden. Um den Erhalt der
Arbeitsfähigkeit zu fördern, bietet der Lotse präventive Gesundheitsge-
spräche an und informiert über verfügbare Präventions- und Rehabilita-
tionsleistungen;

c) indem aus Mitteln der Initiative Neue Qualität der Arbeit die bestehenden
Hemmnisse bei der Umsetzung der betrieblichen Gesundheitsförderung
untersucht, Vorschläge zu deren Beseitigung aufgezeigt, besondere Be-
dürfnisse in Klein- und Mittelbetrieben reflektiert werden und die Be-
deutung der Qualifizierung von Führungskräften deutlich gemacht und
die Beteiligung der Beschäftigten selbst und ihrer betrieblichen und über-
betrieblichen Interessenvertretungen erhöht wird;

d) indem durch die Förderung von bundesweiten und regionalen Netzwer-
ken von Unternehmen (Deutsches Netzwerk für Betriebliche Gesund-
heitsförderung – DNBGF –, Netzwerk „Unternehmen für Gesundheit“,
Das Demographie Netzwerk – ddn – usw.) der Austausch von Erfahrun-
gen und Informationen der Unternehmen untereinander gefördert wird;

5. durch den Einbezug der demografischen Entwicklung den Anpassungsme-
chanismus der Deutschen Rentenversicherung zu reformieren, um dadurch
den „Rehadeckel“ zu erhöhen. Die Finanzierung der vorhandenen Präven-
tions- und Rehabilitationsleistungen muss sichergestellt und deren Weiter-
entwicklung vorangetrieben werden; denn nur mit entsprechenden Präven-
tions- und Rehabilitationsleistungen haben ältere Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer eine Chance, bis zum Erreichen der Altersgrenze im Erwerbs-
leben verbleiben zu können;

6. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der für leistungsgeminderte ältere Arbeit-

nehmerinnen und Arbeitnehmer flexiblere Übergänge aus dem Erwerbsle-
ben in den Ruhestand ermöglicht; zentrale Punkte dabei sind

Drucksache 17/12818 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
a) die erleichterte Möglichkeit zur Entrichtung von Zusatzbeiträgen zur ge-
setzlichen Rentenversicherung, um insbesondere Abschläge bei einem
vorzeitigen Rentenzugang ausgleichen zu können;

b) die Einführung einer Teilrente ab dem 60. Lebensjahr oder vergleichbarer
flexibler Übergangsmodelle, bei denen auf der Grundlage gesetzlicher
Regelungen tarifvertragliche Regelungen abgeschlossen werden können.

Berlin, den 19. März 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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