BT-Drucksache 17/12612

Attentatspläne gegen kurdische Exilpolitikerinnen und Exilpolitiker

Vom 1. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12612
17. Wahlperiode 01. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Annette Groth, Andrej Hunko,
Ingrid Remmers, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Attentatspläne gegen kurdische Exilpolitikerinnen und Exilpolitiker

Am Abend des 9. Januar 2013 wurden drei kurdische Exilpolitikerinnen in den
Räumen des Pariser Kurdistan-Informationsbüros mit Kopfschüssen regelrecht
exekutiert. Bei den Getöteten handelt es sich um die Mitbegründerin der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Sakine Cansiz, die Frankreich-Vertreterin des
Kurdistan Nationalkongresses Fidan Dogan und die Jugendaktivistin Leyla
Saylemez, die ein Praktikum im Kurdistan-Informationsbüro absolvierte. Wäh-
rend Ermittlungsbehörden am 21. Januar 2013 einen ersten Tatverdächtigen
präsentierten, bleiben der politische Hintergrund des Attentats und mögliche
Hintermänner bislang Spekulation. Sowohl auf Seiten der türkischen Regierung
als auch kurdischer Verbände wird allerdings davon ausgegangen, dass der An-
schlag im Zusammenhang mit den seit Dezember 2012 mit dem inhaftierten
PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan aufgenommenen Friedensverhandlungen
durch den türkischen Geheimdienst steht.

Der in Belgien lebende und als PKK-Vertreter geltende frühere Abgeordnete der
türkischen Nationalversammlung Zübeyir Aydar berichtete Mitte Januar 2013 in
einem Interview mit der Nachrichtenagentur „Firat“ (ANF) von Hinrichtungs-
kommandos, die bereits im Jahr 2011 nach Europa geschickt worden seien.
Kenntnis davon habe er über offizielle Kanäle eines europäischen Staates sowie
durch eine Quelle im Iran erhalten. Laut Zübeyir Aydar hätten die Türkei und
der Iran gemeinsam vor zweieinhalb Jahren erste Pläne für die Entsendung sol-
cher Mordkommandos gegen kurdische Aktivistinnen und Aktivisten in Europa
gemacht. Im Jahr 2012 sollen Mitglieder eines solchen Kommandos aus einem
anderen europäischen Land nach Belgien gekommen sein. Ziele seien er selber,
der in Köln lebende Vorsitzende der iranisch-kurdischen Partei für ein Freies
Leben in Kurdistan (PJAK) Haci Ehmedi sowie der Vorsitzende des Volks-
kongresses Kongra-Gel Remzi Kartal gewesen. Die belgische Polizei sei ein-
geschaltet worden und habe entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen.
In Deutschland sei Haci Ehmedi von deutsche Behörden über Vorkehrungs-
maßnahmen zu seiner Sicherheit informiert worden. Zudem sei in Deutschland
eine „türkische Verbrecherbande“ gefasst worden, bei denen ein Bild sowie die
Anschrift und Telefonnummer Haci Ehmedis gefunden wurde. Im Jahr 2012
habe die belgische Polizei ihm während eines Besuches in der Mesopotami-

schen Akademie für Sozialforschung in Charleroi von der Festnahme eines oder
mehrerer Angehöriger eines Hinrichtungskommandos in Kenntnis gesetzt. Die
Angehörigen dieses Kommandos seien aus Großbritannien nach Belgien ge-
reist, um dort Attentate an Verantwortlichen der kurdischen Bewegung durchzu-
führen (http://civakaazad.com/index.php/startseite/246-aydar-attentatsplaene-
gegen-kurdische-aktivistinnen-in-europa-existieren-schon-laenger.html).

Drucksache 17/12612 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Am 19. Oktober 2012 berichtete die türkische Tageszeitung „Hürriyet“ von
einem Strategiepapier des türkischen Innenministeriums, wonach Kopfgelder in
Millionenhöhe für die Tötung von PKK-Führungskadern ausgesetzt werden
sollen. In dem Artikel heißt es: „Die Vorlage für den Strategieentwurf, der auf
die Methodik der Belohnung setzt, wird immer noch vom Ministerpräsidenten
geprüft. Der Modellentwurf umfasst Kopfgeldsummen in Höhe von bis zu
4 Millionen Türkische Lira für die 50 Führungskader der PKK, von denen sich
20 in Europa befinden. […] Die Mindestbelohnung von 2 Millionen Türkische
Lira ist für die Gebietsverantwortlichen der Organisation, sowie für die in
Europa tätigen Gruppenverantwortlichen festgesetzt“ (www.hurriyet.com.tr/
gundem/21733465.asp).

Am 20. Januar 2013 erklärte der Vizevorsitzende der türkischen Regierungs-
partei AKP, Mehmet Ali Sahin, er rechne mit weiteren derartigen Attentaten.
„Ich fürchte, in den kommenden Tagen könnte es ähnliche Vorfälle in
Deutschland geben.“ Der Abgeordnete verwies darauf, dass die Europäer immer
wieder dort lebende PKK-Mitglieder vor einer Auslieferung an die türkische
Justiz geschützt hätten. Diese indirekte Unterstützung für die Rebellen räche
sich jetzt, erklärte Mehmet Ali Sahin (www.focus.de/politik/ausland/akp-vize-
kritisiert-unterstuetzung-der-rebellen-tuerkei-gibt-europa-mitschuld-an-pkk-
morden_aid_902329.html).

Auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdog ˘an erklärte in einem
Interview mit dem türkischen Fernsehsender „24 TV“, dass es zu Morden wie
in Paris auch in Deutschland kommen könne. Gefragt nach dem Mord an den
drei kurdischen Aktivistinnen, erklärte Recep Tayyip Erdog˘an, dass nun Deutsch-
land an der Reihe sei. „Ich habe Frau Merkel diese Themen unzählige Male er-
klärt. Sie sagte: ‚Unsere Justiz ist hierzu mit 4000 Akten beschäftigt.‘ Ich habe
ihr gesagt, sie sollen ihre Justiz beschleunigen und sie daran erinnert, dass wir
ein gegenseitiges Abkommen zur Auslieferung von Straftätern haben. Wir hat-
ten von ihnen auch die Auslieferung von der in Paris ermordeten Sakine Cansız
verlangt. Sie sind dem nicht nachgekommen. Nun ist diese Sache passiert. Von
nun an kann auch Deutschland mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert wer-
den“, so Recep Tayyip Erdog˘an. Man werde beim Türkeibesuch deutscher Re-
gierungsvertreter im Februar 2013 dieses Thema nochmals breiter diskutieren
(www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/pressekurdturk/2013/04/14.htm).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Planung von Hin-
richtungskommandos in der Türkei und/oder im Iran gegen kurdische Exil-
politikerinnen und Exilpolitiker in Europa während der letzten zehn Jahre?

2. Inwieweit trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Darstellung von
Zübeyir Aydar zu, dass deutsche Behörden von Anschlagsplänen gegen
den in Deutschland lebenden PJAK-Vorsitzenden Haci Ehmedi informiert
waren?

3. Inwieweit trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Darstellung von
Zübeyir Aydar zu, dass bei einer in Deutschland gefassten Bande türkisch-
stämmiger Krimineller ein Bild und die Adresse von Haci Ehmedi gefunden
wurden?

4. Inwieweit wurden deutsche Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung
von belgischen oder anderen europäischen Sicherheitsbehörden auf die mög-
liche Existenz oder sogar Festnahme von Mitgliedern türkischer und/oder
iranischer Mordkommandos gegen kurdische Exilpolitikerinnen und Exil-
politiker informiert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12612

5. Inwieweit wurden nach Kenntnis der Bundesregierung während der letzten
fünf Jahre mutmaßliche Angehörige von türkischen und/oder iranischen
Mordkommandos gegen kurdische Exilpolitikerinnen und Exilpolitiker in
Deutschland oder einem anderen Land der Europäischen Union (EU) fest-
gestellt, festgenommen oder inhaftiert?

6. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse von den in der Tageszeitung
„Hürriyet“ vom 19. Oktober 2012 genannten Plänen der türkischen Regie-
rung, Kopfgelder in Millionenhöhe auf die Tötung von PKK-Funktionärin-
nen und Funktionären auch in Europa auszusetzen?

a) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung solche Überlegungen oder
Beschlüsse der türkischen Regierung?

b) Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung solche Pläne oder Über-
legungen unter rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Gesichts-
punkten?

c) Inwieweit hat die Bundesregierung bislang ihre Haltung zu derartigen
Plänen gegenüber der türkischen Regierung deutlich gemacht?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des Vizevorsitzenden der
türkischen Regierungspartei AKP, Mehmet Ali Sahin, er befürchte ähnliche
Attentate, wie gegen die drei kurdischen Politikerinnen in Paris, nun auch
in Deutschland?

8. Haben die Bundesregierung oder deutsche Sicherheitsbehörden Kontakt zu
Mehmet Ali Sahin aufgenommen, um ihn über mögliche Kenntnisse ge-
planter Attentate in Deutschland zu befragen?

a) Wenn ja, wie hat Mehmet Ali Sahin seine Aussagen gegenüber den
deutschen Behörden begründet?

b) Wenn nein, inwieweit sieht die Bundesregierung die generelle Not-
wendigkeit, den AKP-Politiker nach möglichen Kenntnissen über ge-
plante Mordkomplotte in der Bundesrepublik Deutschland zu befragen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des türkischen Minister-
präsidenten Recep Tayyip Erdog˘an, es könne auch in Deutschland zu
Morden an kurdischen Exilpolitikerinnen und Exilpolitikern kommen, da
Deutschland diese entgegen türkischer Gesuche nicht ausgeliefert habe?

10. Haben die Bundesregierung oder deutsche Sicherheitsbehörden Kontakt zu
Recep Tayyip Erdog˘an aufgenommen, um ihn über mögliche Kenntnisse
geplanter Attentate in Deutschland zu befragen?

a) Wenn ja, wie hat Recep Tayyip Erdog˘an seine Aussagen gegenüber den
deutschen Behörden begründet?

b) Wenn nein, inwieweit sieht die Bundesregierung die generelle Not-
wendigkeit, den türkischen Ministerpräsidenten nach möglichen Kennt-
nissen über geplante Mordkomplotte in der Bundesrepublik Deutschland
zu befragen?

11. Was waren die wesentlichen Inhalte der Gespräche vom Staatssekretär im
Bundesministerium des Innern, Klaus-Dieter Fritsche, mit Vertretern des
türkischen Innenministeriums und des türkischen Geheimdienstes (MIT)
während seines Ankara-Besuchs am 21. und 22. Januar 2013 (www.
hurriyetdailynews.com vom 29. Januar 2013 „Ankara, Berlin to step up
terror cooperation)?

a) Seit wann und aus welchem Anlass war der Besuch von Staatssekretär
Klaus-Dieter Fritsche in Ankara geplant?

Drucksache 17/12612 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Welche konkreten Vereinbarungen wurden während des Besuches ge-
troffen?

c) Inwieweit war das Thema PKK auf der Agenda des Besuches?

d) Inwieweit wurden die Morde an drei Kurdinnen in Paris thematisiert?

e) Inwieweit wurden die Äußerungen von Mehmet Ali Sahin über mögli-
che Anschläge in Deutschland durch den Staatssekretär Klaus-Dieter
Fritsche oder seine türkischen Gesprächspartner thematisiert?

12. Inwieweit stand das Thema PKK auf der Agenda vom Bundesminister des
Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, während seines Türkeibesuchs im Feb-
ruar 2013?

a) Inwieweit wurden konkrete Abkommen bezüglich der Verfolgung der
PKK besprochen oder beschlossen?

b) Inwieweit wurden die Morde an drei Kurdinnen in Paris thematisiert?

c) Inwieweit wurden die Äußerungen von Mehmet Ali Sahin und Recep
Tayyip Erdog˘an über mögliche Anschläge in Deutschland durch den
Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich oder seine türkischen
Gesprächspartner thematisiert?

13. Inwieweit stand das Thema PKK auf der Agenda von der Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel während ihres Türkeibesuchs im Februar 2013?

a) Inwieweit wurden konkrete Abkommen bezüglich der Verfolgung der
PKK besprochen oder beschlossen?

b) Inwieweit wurden die Morde an drei Kurdinnen in Paris thematisiert?

c) Inwieweit wurden die Äußerungen von Mehmet Ali Sahin und Recep
Tayyip Erdog˘an über mögliche Anschläge in Deutschland durch die
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel oder ihre türkischen Gesprächspart-
ner thematisiert?

14. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Gefahr von Anschlägen auf kur-
dische Aktivistinnen und Aktivisten oder Exilpolitikerinnen und Exilpoliti-
ker in Deutschland?

15. Inwiefern haben kurdische Verbände bezüglich der Äußerungen von
Mehmet Ali Sahin und Recep Tayyip Erdog˘an zu möglichen Attentaten in
Deutschland um Gespräche mit der Bundesregierung gebeten, und wie
reagierte die Bundesregierung auf dieses Anliegen?

16. Inwieweit haben deutsche Sicherheitsbehörden nach Kenntnis der Bundes-
regierung nach den Morden in Paris Kontakt zu kurdischen Vereinigungen
oder Exilpolitikerinnen und Exilpolitikern aufgenommen, um über Sicher-
heitsmaßnahmen zu beraten?

17. Welche Sicherheitsmaßnahmen für kurdische Exilpolitikerinnen und Exil-
politiker in der Bundesrepublik Deutschland bestehen, und inwieweit wer-
den diese vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse verstärkt?

18. Inwieweit tauschen sich deutsche Behörden bzw. Vertreter des Bundes-
innenministeriums auf EU-Ebene (EU-Ratsgremien, Analysegruppen bei
EUROPOL, etc.) über die Gefährdung kurdischer Exilpolitikerinnen und
Exilpolitiker durch ausländische Geheimdienste oder andere aus?

a) Bestehen hierzu dauerhaft arbeitende Plattformen der Zusammenarbeit?

b) Inwieweit sollte nach Ansicht der Bundesregierung die Priorität in Hin-
sicht auf exilpolitische Aktivitäten von Kurdinnen und Kurden in den

EU-Staaten in Richtung des Schutzes dieser Aktivisten verschoben
werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12612

19. Inwieweit besteht bezüglich der Ermittlungen zu den Morden an drei kur-
dischen Politikerinnen in Paris nach Kenntnis der Bundesregierung eine
Kooperation zwischen französischen und deutschen Behörden bzw. wurde
von französischer Seite eine solche Kooperation angefragt oder von deut-
scher Seite angeboten?

20. Inwieweit trifft nach Kenntnis der Bundesregierung ein Bericht des Nach-
richtenmagazins „SPIEGEL“ zu, dass in Deutschland ein Ermittlungsverfah-
ren nach § 129b des Strafgesetzbuchs gegen die in Paris ermordeten Sakine
Cansiz und Leyla Saylemez geführt wurde (www.spiegel.de/international/
world/kurdish-activists-murdered-in-paris-had-german-ties-a-877352-druck.
html)?

21. Inwieweit haben US-Behörden seit dem Jahr 2007 gegenüber bundesdeut-
schen Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung ein strafrechtliches oder
anderweitiges repressives Vorgehen gegen Sakine Cansiz eingefordert, wie
es in einem von Wikileaks veröffentlichten Geheimdokument vom US-Bot-
schafter in Ankara Ende 2007 angeregt wurde (http://wikileaks.org/cable/
2007/12/07ANKARA2917.html)?

22. Wie viele Auslieferungsgesuche gegen in Deutschland lebende oder hier in
Auslieferungshaft genommene kurdische Exilpolitikerinnen und Exilpoliti-
ker hat die Türkei während der vergangenen zehn Jahre gestellt, und wie
wurden diese von deutschen Behörden jeweils beschieden?

Berlin, den 1. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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