BT-Drucksache 17/12588

Vereinigungsfreiheit auch bei Tochterunternehmen deutscher Unternehmen sicherstellen

Vom 27. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12588
17. Wahlperiode 27. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), Petra
Ernstberger, Iris Gleicke, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-
Möller, Katja Mast, Thomas Oppermann, Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben),
Ottmar Schreiner, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Vereinigungsfreiheit auch bei Tochterunternehmen deutscher Unternehmen
sicherstellen

Die grundlegenden Menschenrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern werden international von verschiedenen Abkommen geschützt. Hierzu ge-
hören u. a. die UN-Leitlinien zur Wahrung der Menschenrechte in Unterneh-
men, die acht ILO-Kernkonventionen und die CSR-Strategie der Europäischen
Kommission.

Erstere wurden am 16. Juni 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Natio-
nen als sogenannte Guiding Principles on Business and Human Rights: Imple-
menting the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework (auch
als „UN-Leitprinzipien“ bekannt – www.ohchr.org/documents/issues/business/
A.HRC.17.31.pdf) verabschiedet. Diese Prinzipien zielen auf die Umsetzung
des „Protect, Respect and Remedy“-Konzepts ab, welches der Menschenrechts-
rat der Vereinten Nationen im Jahr 2007 ausrief. Dieses Konzept beruht auf drei
Säulen.

1. Staatliche Schutzverpflichtung (protect)

Ein Staat ist innerhalb seiner Landesgrenzen zum Schutz der Menschenrechte
verpflichtet. Im Hinblick auf international tätige Unternehmen, die im jeweili-
gen Staat ansässig sind, ist der Geltungsbereich dieses Prinzips ausgeweitet. In
diesem Fall sollte der Staat darauf bestehen, dass Unternehmen Menschenrechte
im Zuge ihrer Geschäftstätigkeit ohne jegliche Einschränkung und somit auch in
all ihren Tochtergesellschaften wahren (Prinzip 2). Dies gilt also auch für die
Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Aktivitäten deutscher Unterneh-
men im Ausland.

Außerdem sollten Staaten zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Wahrung
der Menschenrechte insbesondere in solchen Unternehmen zu gewährleisten,
die sich in staatlichem Besitz befinden bzw. von diesem kontrolliert werden, die
als Dienstleister für den Staat selbst fungieren, oder in Form von Exportkrediten
oder Risikogarantien staatlich unterstützt werden (Prinzipien 6 bis 8).
2. Respektgebot für Unternehmen (respect)

Unternehmen sind im Zuge aller ihrer Aktivitäten zur Wahrung der Menschen-
rechte verpflichtet. Unternehmen sollten die Menschenrechte in allen ihren Be-
triebseinrichtungen wahren, darunter auch die acht Kernkonventionen der ILO.
Diese Verantwortung „besteht völlig unabhängig von der Fähigkeit bzw. Bereit-

Drucksache 17/12588 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schaft eines Staates, den eigenen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukom-
men“ und „geht über die schlichte Befolgung der Landesgesetze hinaus“ (Prin-
zip 11). Unternehmen müssen ihrer „Sorgfaltspflicht“ nachkommen, um dieses
Ziel zu erreichen und Menschenrechtsverletzungen „zu erkennen, vorzubeugen,
einzudämmen und diesbezüglich Rechenschaft abzulegen“ (Prinzip 15).

3. Beschwerdemöglichkeiten und Wiedergutmachung (remedy)

Von Menschenrechtsverletzungen betroffene Personen müssen Beschwerde-
möglichkeiten haben und Wiedergutmachung erlangen können.

Die in den acht ILO-Kernkonventionen festgelegten Arbeits- und Gewerk-
schaftsrechte sind ausdrücklich Bestandteil der UN-Leitprinzipien. Das Recht
auf Vereinigungsfreiheit und auf die Gründung von Gewerkschaften ist zudem
Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 20, Arti-
kel 23) – ebenso wie das Recht auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedin-
gungen.

Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom Oktober 2011 über
eine neue CSR-Strategie die UN-Leitlinien aufgegriffen und die Regierun-
gen aufgefordert, nationale Umsetzungspläne zu erstellen (http://ec.europa.eu/
enterprise/policies/sustainable-business/files/csr/new-csr/act_de.pdf). Unterneh-
merische soziale Verantwortung umfasst dabei – wie in der Mitteilung ausge-
führt – „Maßnahmen, die die Unternehmen über ihre rechtlichen Verpflichtun-
gen gegenüber Gesellschaft und Umwelt hinaus ergreifen.“ Diese Definition ist
in ähnlicher Form vom CSR-Forum der Bundesregierung bestätigt worden,
welches präzisierend festgestellt hat: „Unternehmen nehmen gesellschaftliche
Verantwortung wahr, indem sie insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
fair behandeln, fördern und beteiligen.“ In Deutschland erfolgt die Umsetzung
von CSR-Prinzipien freiwillig. Allerdings wurde vielfach gefordert, diese auf
eine rechtlich verbindlichere Basis zu stellen.

Die UN-Leitlinien zur Wahrung der Menschenrechte in Unternehmen werden
jedoch nicht durchgängig eingehalten. Auch Tochterunternehmen deutscher Fir-
men stehen in der Kritik, wie z. B. solche der Deutschen Telekom AG, deren
größter Anteilseigner mit über 30 Prozent über direkte und indirekte Beteiligun-
gen der Bund ist. Verschiedene Veröffentlichungen und Materialien (vergleiche
hierzu DER SPIEGEL 47/2012 oder „Inakzeptabel: Wir erwarten Besseres!“,
Betriebsräte der Deutschen Telekom und Kollegen von Ver.di treffen sich mit
T- Mobile-Beschäftigten in den USA, Mai 2012, Gewerkschaftsvermeidung bei
T-Mobile USA: Zusammenfassung) über T-Mobile USA haben den Tenor, dass
dort das Recht auf Vereinigungsfreiheit und freie und faire Tarifverhandlungen
missachtet werde.

1. So wende laut dieser Veröffentlichungen/Materialien T-Mobile USA soge-
nannte Gewerkschaftsvermeidungs-Praktiken an, um die gewerkschaftliche
Organisation der Arbeitenden zu verhindern. Zum Beispiel würden Beschäf-
tigte, die offen für die Gewerkschaft eintreten, verstärkt kontrolliert und
Gründe für Kündigungen gesucht bzw. konstruiert. Bei einer Mitarbeiterin,
die sich offen zu ihrer Gewerkschaft CWA (Communications Workers of
America) bekannt habe, sei eine Woche lang jedes Gespräch überwacht wor-
den.

2. Nach diesen Veröffentlichungen habe das Management das Recht, während
der Arbeitszeit Stellung gegen Gewerkschaften zu beziehen, während es den
untergebenen Managern und Mitarbeitern untersagt sei, abweichende Mei-
nungen zu äußern. Das bedeute, dass das Managment eine offene Anti-Ge-
werkschaftskampagne führen könne. Auf Versammlungen, zu deren Teil-

nahme alle Beschäftigten verpflichtet würden, würde die Gewerkschaft als
unerwünschte „Dritte Partei“ bezeichnet. Je näher die Wahl rücke, umso un-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12588

angenehmer würde der Umgangston bei den Versammlungen, die ohne die
Anwesenheit der Gewerkschaftsbefürworter abgehalten würden.

3. Anti-Gewerkschaftskampagnen würden demnach sorgfältig und detailliert
ausgearbeitet und T-Mobile-USA-Manager würden explizit darauf geschult,
die Gründung von Gewerkschaften im Betrieb zu unterdrücken, ohne dabei
das Gesetz zu brechen. Viele US-Unternehmen beauftragten Berater, die dar-
auf spezialisiert seien, die Organisationsversuche der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu bekämpfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

Einhaltung der UN-Leitprinzipien zur Wahrung der Menschenrechte in Unter-
nehmen

1. Wie beabsichtigt die Bundesregierung, den UN-Prinzipien zur Wahrung der
Menschenrechte in Unternehmen im Hinblick auf länderübergreifend tätige
Unternehmen mit Sitz in Deutschland Geltung zu verschaffen und damit
einer Aufforderung der Europäischen Kommission zu entsprechen?

2. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesrepublik Deutschland im Ein-
zelnen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass länderübergreifend tätige Unter-
nehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland Menschenrechte auch
im Ausland respektieren und ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, um Men-
schenrechtsverletzungen „zu erkennen, vorzubeugen, einzudämmen und
diesbezüglich Rechenschaft abzulegen“?

3. Wird die Bundesregierung entsprechend den Anforderungen der UN-Leit-
prinzipien effektive Leitlinien für Unternehmen formulieren, wie diese die
Menschenrechte in all ihren Betriebsteilen einhalten können?

4. Wird die Bundesregierung entsprechend den UN-Prinzipien – wie auch in
einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom Oktober 2011
erwogen – deutsche Unternehmen im Hinblick auf ihre Töchter im Ausland
verpflichten, sich dazu zu äußern, wie jene ihren Einfluss zur Einhaltung der
Menschenrechte geltend machen und entsprechende Offenlegungs- und Be-
richtspflichten einführen?

5. Welche Beschwerdemöglichkeiten und Wiedergutmachungsmassnahmen im
Sinne der UN-Leitprinzipien stellt die Bundesregierung Personen zur Verfü-
gung, die von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen
oder deren Töchter im Ausland betroffen sind, und sieht die Bundesregierung
Handlungsbedarf im Hinblick auf die Einhaltung der ILO-Kernarbeits-
normen in den USA?

6. Welche gesetzlichen Änderungen plant die Bundesregierung, um Klagen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu ermöglichen, wenn die Kern-
arbeitsnormen der ILO in Tochterunternehmen deutscher Konzerne im Aus-
land verletzt werden?

Verantwortung des Bundes bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung

7. Inwieweit sieht die Bundesregierung eine besondere Verantwortung deut-
scher Unternehmen, auf die Einhaltung fundamentaler Menschen- und Ar-
beitsrechte in ihrem Unternehmen und bei ihren Unternehmenstöchtern im
Ausland zu achten?

8. Auf welche Art kommt die Bundesregierung ihrer Verantwortung hinsicht-
lich der Einhaltung fundamentaler Menschen- und Arbeitsrechte bisher
nach?

Drucksache 17/12588 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Welche weiteren Schritte sind angesichts der Tatsache geplant, dass die
Bundesrepublik Deutschland direkt und indirekt einen Anteil von über
30 Prozent an der Deutschen Telekom AG hält, und erwächst entsprechend
den UN-Leitprinzipien hieraus eine besondere Verpflichtung der Bundes-
regierung, auf die Einhaltung der Menschenrechte durch das Unternehmen
und dessen ausländische Töchter zu achten?

9. Inwieweit wirkt der Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen im Auf-
sichtsrat von Unternehmen mit Bundesbeteiligung darauf hin, dass das Un-
ternehmen seiner Verantwortung im Sinne der UN-Leitprinzipien gerecht
wird?

Welche Maßnahmen wurden in der Vergangenheit im Einzelnen getroffen?

10. Setzt sich der Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen entsprechend
den UN-Leitprinzipien im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG dafür
ein, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und insbesondere die
Einhaltung der Grundrechte auf Vereinigungsfreiheit und faire Tarifver-
handlungen beispielsweise bei ausländischen Töchtern wie T-Mobile USA
sicherzustellen, und plant die Bundesregierung, in Konfliktfällen eine ak-
tive Rolle zu spielen?

Wenn ja, wie will sie diese ausfüllen?

Wenn nein, warum sieht sie keinen Handlungsbedarf?

Einhaltung von ILO-Kernkonventionen und -grundprinzipien

11. Mit welchen Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung dafür ein, der von
der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Rede vor der ILO-Arbeits-
konferenz am 14. Juni 2011 betonten Bedeutung von Sozialpartnerschaft,
Sozialem Dialog und von freien Gewerkschaften weltweit (www.ilo.org/
wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---relconf/documents/
meetingdocument/ wcms_157824.pdf) Geltung zu verschaffen?

Mit welchen Maßnahmen setzt sich die Bundesregierung für die Einhaltung
dieser Prinzipien in deutschen Unternehmen, insbesondere solchen, an de-
nen sie maßgeblich beteiligt ist, ein?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung in ihrer Funktion als Anteilseignerin vor
dem Hintergrund, dass die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer
Rede am 14. Juni 2011 vor der ILO-Arbeitskonferenz die Bedeutung der So-
zialpartnerschaft hervorgehoben und die Wichtigkeit der Zusammenarbeit
mit Gewerkschaften in Deutschland betont hat, die Aussage von T-Mobile
USA: „Wir respektieren die Entscheidung der Beschäftigten für eine Ge-
werkschaft. Nichtsdestotrotz bleiben wir überzeugt, dass es besser für die
Beschäftigten von T-Mobile und des Unternehmens ist, wenn Management
und Beschäftigte in einer direkten Beziehung bleiben“ (unter anderem
http://nhregister.com/articles/2012/06/12/business/
doc4fd7e63b3eadd007248995.txt?viewmode=fullstory, sowie diverse
Rund-emails an Beschäftigte von T-Mobile)?

Aktionsplan CSR der Bundesregierung

13. Inwieweit beteiligt sich das Bundesministerium der Finanzen, welches als
Anteilseignervertreter ein Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom
AG stellt, am „Aktionsplan CSR“ der Bundesregierung (www.csr-in-
deutschland.de/csr-in-deutschland/aktivitaeten-der-bundesregierung.html)?

14. Wurde bzw. ist beabsichtigt, dem Bundesministerium der Finanzen zur

Durchsetzung der UN-Leitprinzipien die Aufgabe zu übertragen, in Unter-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12588

nehmen mit Bundesbeteiligung, die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen
zu gewährleisten?

Wenn ja, wie soll dies umgesetzt werden?

Wenn nein, warum nicht, und wer sollte stattdessen die Gewährleistung
übernehmen?

15. Hält die Bundesregierung eine effektive Förderung von Frauen ohne die Ge-
währung elementarer Arbeitnehmerrechte vor dem Hintergrund für mög-
lich, dass die Deutsche Telekom AG in der Broschüre „CSR in Germany“
(www.csr-in-deutschland.de/fileadmin/user_upload/Downloads/BMAS/
CSR-IN-GERMANY_Broschuere_2012.pdf) des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales zwar als Vorreiterin in Sachen Frauenförderung gelobt
wird, aber gleichzeitig kritisiert wird, dass den – in Callcentern überwie-
gend weiblichen – Beschäftigten von T-Mobile USA große Hindernisse bei
der gewerkschaftlichen Organisation in den Weg gelegt würden?

Berlin, den 27. Februar 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.