BT-Drucksache 17/12386

Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und Artenschutz stärken

Vom 19. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12386
17. Wahlperiode 19. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Matthias Miersch, Dirk Becker, Willi Brase,
Gerd Bollmann, Marco Bülow, Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Petra
Ernstberger, Iris Gleicke, Gabriele Groneberg, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler,
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Dr. Wilhelm Priesmeier,
Frank Schwabe, Kerstin Tack, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und
Artenschutz stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit circa 20 Jahren boomt in Deutschland der Handel mit nichtdomestizierten
Wildtieren für die Privathaltung. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes
werden derzeit jährlich zwischen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien sowie
bis zu 380 000 Süßwasserfische nach Deutschland eingeführt – die Importe
lebender Meereszierfische, Amphibien oder nichtheimischer Säugetiere werden
nicht nach Anzahl erfasst. Ein Großteil des Handels betrifft dabei Arten, die
international nicht geschützt sind und deren Handel weder artspezifisch erfasst
noch in irgendeiner Weise reglementiert ist. Gerade bei solchen Arten, deren
internationaler Handel nicht beschränkt ist, ist der Anteil von Naturentnahmen
besonders hoch.

Artenschutz

Wildfänge machen immer noch einen großen Anteil der Importe nach Deutsch-
land aus.

Während der Import von Wildvögeln seit dem Jahr 2005 gestoppt ist, gehen die
Einfuhren der Reptilien unvermindert weiter. Auch hier handelt es sich nach
Angaben der Bundesregierung bei vielen Arten größtenteils noch immer um
Naturentnahmen, so beispielsweise bei Brillenkaimanen aus Südamerika, Tag-
geckos aus Madagaskar, Buntfröschen aus Madagaskar, Pazifikboas aus Süd-
ostasien, Chamäleons der Gattungen Brookesia und Chamaeleo aus Ostafrika
sowie Kinyongia aus Madagaskar, afrikanischen Dornschwanzagamen oder
nordamerikanischen Höckerschildkröten.

Selbst Arten, die seit vielen Jahren unter Privathaltern beliebt sind, werden noch

immer in riesigen Stückzahlen importiert, wie beispielsweise Höckerschild-
kröten oder Königspythons. Die Nachfrage nach solchen Arten wird bis heute
nicht durch hiesige Nachzuchten, sondern Importe gedeckt.

Auch wenn für viele Arten die Lebensraumzerstörung die Hauptbedrohung dar-
stellt, schwächen Naturentnahmen für den Handel die ohnehin schrumpfenden
Wildbestände noch weiter. Immer mehr Feldforscher verweigern bei ihren
wissenschaftlichen Publikationen die Nennung der Fundstellen neu entdeckter

Drucksache 17/12386 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

und meist noch ungeschützter Arten, um so ein gezieltes Einsammeln für den
internationalen Handel zu verhindern. Besonders bedenklich sind auch Importe
von Arten, die im Herkunftsland bereits nationalen Schutzbestimmungen unter-
liegen, jedoch nicht international geschützt sind. So zeigt eine neue Studie aus
Indonesien, dass fast die Hälfte der Reptilien- und Amphibienarten, die für den
internationalen Heimtiermarkt exportiert werden, nach nationalen Bestimmun-
gen nicht gefangen bzw. ausgeführt werden dürfen. Ursächlich hierfür sind die
begrenzten finanziellen, personellen und technischen Ressourcen in den Her-
kunftsländern, die dort den Artenschutzvollzug erschweren oder gar unmöglich
machen. Naturentnahmen im großen Stil führen zu Veränderungen der Arten-
zusammensetzung in den Ökosystemen. Königspythons z. B. spielen in Agrar-
ökosystemen eine wichtige Rolle bei der Regulation von ernteschädigenden
Nagetieren; ein massives Sammeln der Schlangen führt zu einer Zunahme der
Nagetiere.

Das Aussetzen nichtheimischer, insbesondere potentiell invasiver Arten durch
überforderte Halter kann zu einer Faunenverfälschung mit negativen Aus-
wirkungen auf die heimischen Arten führen.

Tierschutz

Der Verkauf von Wildtieren erfolgt über Tierbörsen, Baumärkte, Gartencenter,
das Internet und über Zoogeschäfte. Oft unterbleibt dabei eine umfassende Be-
ratung bezüglich der Haltungsansprüche oder es werden unüberlegte Spontan-
käufe gefördert, was insbesondere bei Wüsten-, Berg- und Regenwaldbewoh-
nern mit ihren besonderen klimatischen Ansprüchen bzw. bei Nahrungsspezia-
listen oder langlebigen oder groß werdenden Arten zu erheblichen Tierschutz-
problemen führen kann. Wehrhafte oder gefährliche Tiere können auch ein
Risiko für den Halter darstellen.

Auch Tierarten, die gemeinhin als „einfach“ gelten, wie beispielsweise Schild-
kröten, leiden unter nicht artgerechter Tierhaltung. Einer Studie der Universität
Leipzig zufolge sind bei 51 Prozent der Reptilien Haltungsfehler sowie bei
weiteren 10 Prozent Ernährungsfehler nachzuweisen. Besonders häufig waren
solche Haltungsfehler bei Grünen Leguanen, Europäischen Landschildkröten
und Würgeschlangen nachweisbar. Durch eine Fehlernährung verursachte
Schäden wurden besonders bei Grünen Leguanen und Europäischen Land-
schildkröten ermittelt – wobei verstärkt Jungtiere betroffen waren.

Die Zahlen der Fund- und Abgabetiere steigen. Die Tierheime und Reptilien-
Auffangstationen kommen an den Rand ihrer Aufnahmekapazitäten und ihrer
finanziellen Möglichkeiten. In den Bundesländern bestehen keine bzw. unein-
heitliche Regelungen zur Haltung gefährlicher Wildtiere in Privathand im Sinne
der Gefahrenabwehr.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Einfuhr von Wildfängen für
den kommerziellen Lebendtierhandel in die Europäische Union verboten
wird, wenn es sich um gefährliche Arten handelt oder wenn die Tiere, ins-
besondere Reptilien, gefährliche Krankheitserreger, wie z. B. Salmonellen,
in sich tragen;

2. sich auf EU-Ebene für eine umfassende und dem Sinne des Vorsorgeprinzips
entsprechende Verordnung einzusetzen, die die Ausbreitung invasiver nicht-
heimischer Arten verhindert. In diesem Zusammenhang soll berücksichtigt
werden, dass

a) das invasive Potential vieler Arten für die einzelnen EU-Staaten zwar noch
nicht erwiesen ist, deren invasives Potential aus anderen Ländern oder auf-

grund ihrer biologischen Eigenschaften (Anpassungsfähigkeit, Reproduk-
tionsrate, Mobilität, Nahrungsspektrum) jedoch bereits bekannt ist,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12386

b) das Spektrum der im Heimtierhandel angebotenen Arten einem ständi-
gen Wandel unterliegt, der von Angebot, Zugänglichkeit von Märkten,
sich ändernden Schutzbestimmungen oder auch Preisentwicklungen
bestimmt wird. Diese ständigen Angebotsschwankungen sprechen für
eine „Weiße Liste“ unbedenklicher Arten gegenüber einer „Schwarzen
Liste“ mit zu verbietenden Arten, die laufend angepasst werden müsste,

c) eine künftige EU-Regelung nicht nur den Import aus Drittländern regeln
sollte, sondern auch den Handel, die Zucht und die Haltung innerhalb der
EU, um eine Ausbreitung potentiell invasiver Arten einzudämmen;

3. die Importe von „Nachzuchten“ bzw. „Farmzuchten“ nach Deutschland
kritisch prüfen zu lassen, um falsch deklarierte Wildfänge über diesen Weg
zu verhindern. Insbesondere aus Ländern, in denen ein solches Umetikettie-
ren bekannt ist bzw. Zweifel an den Zuchtkapazitäten bestehen, sind Import-
lieferungen veterinärmedizinisch auf Hinweise einer Naturentnahme zu
untersuchen;

4. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die EU-Importe aller Wildtiere
artspezifisch erfasst und entsprechend dem Vorsorgeprinzip auf ihre Nach-
haltigkeit hin geprüft werden;

5. sich auf EU-Ebene für eine Verordnung einzusetzen, die Importe von Arten
in die EU nicht länger erlauben, die im Herkunftsland streng geschützt und
deren Exporte verboten sind, die aber keinem internationalen Schutzstatus
unterliegen;

6. sich dafür einzusetzen, im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkom-
mens zu prüfen, ob endemische Arten generell nicht mehr gehandelt werden
dürfen;

7. strenge Auflagen für die tierschutzkonforme Durchführung von Tierbörsen
zu erlassen;

8. den Verkauf von Wildtieren über Tierbörsen zu verbieten;

9. für gewerbliche Händler auf Tierbörsen die gleichen Mindestanforderungen
zu stellen wie für die Unterbringung in Zoofachgeschäften;

10. die Bundesländer zu unterstützen, ausreichend Auffangstationen für Wild-
tiere einzurichten;

11. in Verhandlungen mit den Bundesländern einzutreten, um klare und bundes-
weit einheitliche Rahmenregelungen für die Haltung gefährlicher Wildtiere
in Privathand im Sinne der Gefahrenabwehr zu schaffen.

Berlin, den 19. Februar 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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