BT-Drucksache 17/12357

Kostenentwicklung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm

Vom 15. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12357
17. Wahlperiode 15. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Ebner, Dr. Valerie Wilms, Sylvia Kotting-Uhl, Birgitt
Bender, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
Dorothea Steiner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kostenentwicklung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm

Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete in ihrer Ausgabe vom 22. Januar 2013, dass
die ICE Neubaustrecke (NBS) Wendlingen–Ulm aufgrund baulicher Verzöge-
rungen voraussichtlich erst im Jahr 2021 in Betrieb gehen kann. Darüber hinaus
wird in verschiedenen Medien darüber berichtet, dass die Projektkosten um etwa
369 Mio. Euro ansteigen werden. Eine Begründung bzw. Aufschlüsselung dafür
bleibt die Deutsche Bahn AG (DB AG) der Öffentlichkeit wie auch beim Projekt
Stuttgart 21 bisher schuldig.

Ferner ist völlig offen, wie sich die zu erwartenden erheblichen zeitlichen Ver-
zögerungen bei der Umsetzung von Stuttgart 21 oder gar der Ausstieg der DB AG
aus dem Projekt auf Kostenentwicklung und Ausführung der Neubaustrecke
auswirken werden. Denn die Neubaustrecke bringt erst einen Nutzen, wenn sie
auch faktisch in das Schienennetz eingebunden werden kann. Dazu braucht es
Klarheit bei Stuttgart 21.

Sollte die Neubaustrecke wider Erwarten Anfang 2021 in Betrieb gehen, müss-
ten nach derzeitigen Kostenschätzungen in den Jahren 2018 bis 2020 mindestens
jeweils 423 Mio. Euro für das Projekt bereitgestellt werden (vgl. Stuttgarter-
Zeitung.de vom 26. April 2012 „Der Finanzplan für die ICE-Trasse birgt
Risiken“). Für den Neu- und Ausbau von Schienenwegen stehen insgesamt für
alle Projekte in Deutschland aber nur rund 1,1 Mrd. Euro pro Jahr zur Ver-
fügung. Die entsprechende Bereitstellung der Mittel Ende des Jahrzehnts würde
also rund 40 Prozent des Neu- und Ausbauetats beanspruchen. Auch ohne die zu
erwartenden Mehrkosten wird an dieser Stelle deutlich, wie begrenzt die zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel zum Ausbau der Bundesschienenwege
sind.

Vor dem Hintergrund der Kostensteigerung und zu befürchtender erheblicher
Bauzeitverzögerung beim Projekt Stuttgart 21 sind auch mögliche Auswirkun-
gen für die Realisierung und Umsetzung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm
zu erwarten.

Darüber hinaus bestehen auf der geplanten Trassenführung der Neubaustrecke
erhebliche tunnelbautechnische Risiken, die zu weiteren Mehrkosten führen
können. Die aktuelle Berichterstattung über die Einstellung der Tunnelbauarbei-
ten beim Kramertunnel in Garmisch-Partenkirchen (vgl. merkur-online vom
18. September 2012 „Garmisch blickt in die Röhre“) geben Anlass, den Kennt-
nisstand bei den Tunnelbauarbeiten im Karst der Schwäbischen Alb zu hinter-
fragen. Denn auch hier muss mit Hohlräumen und Wassereinbrüchen während

Drucksache 17/12357 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der Bauphase gerechnet werden. Verlässliche Vorerkundungen sollten deshalb
mögliche Kostenrisiken abzuschätzen helfen. Der Bund und die DB AG sind
deshalb in der Pflicht, für Transparenz zu sorgen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft die in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 22. Januar 2013 veröffentlichte
Aussage zu, dass die NBS erst im Jahr 2021 in Betrieb gehen kann und eine
erneute Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Projekts trotz des späteren
Inbetriebnahmetermins nicht vorgesehen ist?

Falls nein, warum nicht?

2. Inwiefern trifft es zu, dass die Kosten für die NBS von der DB AG auf ca.
3,3 Mrd. Euro, also 369 Mio. Euro mehr als bisher bekannt, veranschlagt
werden, und von welchen Kosten geht die Bundesregierung derzeit aus?

3. Auf welche Ursachen führt die Bundesregierung die von der DB AG pro-
gnostizierten Mehrkosten zurück?

4. Welche Auswirkungen haben diese Kostenschätzungen auf die Jahresschei-
ben bis zur vollständigen Finanzierung der NBS Wendlingen–Ulm (vgl.
Schriftliche Frage 107 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms auf Bundes-
tagsdrucksache 17/9615)?

5. Inwiefern trifft es zu, dass der Bund und die DB AG mit unterschiedlichen
Projektkosten kalkulieren, und was sind die Gründe hierfür?

6. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung die Möglichkeit, dass durch die
prognostizierten Kostensteigerungen für die NBS das Kosten-Nutzen-Ver-
hältnis bei einer erneuten Wirtschaftlichkeitsprüfung unter einen Wert von
1,0 fällt, und was wären nach Ansicht der Bundesregierung die Folgen,
wenn der Wert unter 1,0 fällt?

7. Mit welchen Auswirkungen für die Inbetriebnahme der NBS Wendlingen–
Ulm rechnet die Bundesregierung durch die voraussichtlichen Bauzeitver-
zögerungen beim Projekt Stuttgart 21?

8. Welche Konsequenzen erwartet die Bundesregierung durch die Kostenstei-
gerung beim Projekt Stuttgart 21 für die Finanzierung, Abwicklung und die
Terminierung der NBS Wendlingen–Ulm?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die NBS unter Berück-
sichtigung der prognostizierten Kostensteigerungen ohne Bauzeitverzöge-
rungen zu finanzieren, und ist die Gesamtfinanzierung für die NBS Wend-
lingen–Ulm dann noch gesichert?

10. In welcher Weise ist die Finanzierung für die NBS Wendlingen–Ulm nach
dem Jahr 2018 gesichert, und welche Auswirkungen hat dies auf die geplan-
ten Fertigstellungstermine anderer Bedarfsplanprojekte?

11. Welche weiteren Kostensteigerungen und Risiken für die NBS Wendlingen–
Ulm werden von der Bundesregierung bzw. der DB AG erwartet, und wur-
den diese Risiken extern überprüft?

12. Sind in den zusätzlichen Kosten bei Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen–
Ulm bereits Kosten für die Einhaltung der angestrebten Termine für beide
Projekte berücksichtigt?

13. Haben die DB AG und die Bundesregierung im Zuge der neuen Entwick-
lungen Alternativszenarien für Stuttgart 21 und die NBS Wendlingen–Ulm
geprüft, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12357

14. Welche Auswirkung hätte die Verfolgung von Alternativplanungen auf das
bereits erlangte Baurecht bzw. die noch laufenden Planfeststellungsverfah-
ren, und welche zeitlichen und kostenmäßigen Änderungen hätte dies zur
Folge?

15. Welche Auswirkung hätte eine Alternativplanung beim Projekt Stuttgart 21
auf die NBS Wendlingen–Ulm, und muss aufgrund der zu erwartenden
Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen–
Ulm auf andere Projekte verzichtet werden?

16. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für das Projekt
Stuttgart 21 und die NBS Wendlingen–Ulm aus den jüngsten bautechni-
schen Erfahrungen beim Kramertunnel bei Garmisch-Partenkirchen, wo
aufgrund nicht beherrschbarer geologischer Probleme im Karst unter dem
Kalkmassiv die Bauarbeiten abgebrochen wurden, wobei insbesondere im
Karstgebirge Schwäbische Alb vergleichbare natürliche Bedingungen be-
stehen könnten?

17. Trifft es zu, dass für die geplanten Tunnelbauwerke bei der geplanten NBS
Detailerkundungen für den Vortrieb erst im Zuge der Bauausführung ge-
plant sind, und wenn ja, warum?

18. Wie engmaschig dicht war die geologische Erkundung der geplanten
Tunneltrassen, und ist durch diese eine aussagekräftige Abschätzung der
Risiken, des Baufortschritts und der Kosten gewährleistet?

19. Wurden engmaschig geophysikalische Vorerkundungen auf Karsthohl-
räume im geplanten Trassenverlauf durchgeführt?

20. Inwieweit sind die Kosten und die Bauzeit durch eine grobe Vorerkundung
überhaupt hinreichend realistisch einschätzbar, und in welchen Größenord-
nungen muss mit Abweichungen gerechnet werden?

21. Könnten Karsthohlräume und Wassereinbrüche zu längeren Bauverzöge-
rungen, Stillstandzeiten oder einer Trassenverlagerung führen?

22. Wurden die veranschlagten Kosten und Bauzeiten bei vergleichbaren Bahn-
tunneln (Irlahülltunnel in Bayern, NBS Nürnberg–Erfurt) eingehalten (bitte
tabellarisch mit veranschlagten sowie tatsächlichen Kosten und Bauzeiten
pro Tunnel aufführen)?

23. Warum wurde beim geplanten Steinbühltunnel, der auf über 4 Kilometer
Länge durch besonders verkarstetes Gestein verlaufen soll, auf Erkun-
dungsstollen verzichtet?

24. Inwiefern sind für eventuelle Eingriffe in das Grundwasser oder für die Ver-
füllung von Karsthohlräumen gesonderte behördliche Genehmigungen zu
beantragen, und um welche handelt es sich hierbei?

25. Wurden Zeitpuffer für Stabilisierungsmaßnahmen und eventuelle Baustill-
stände in die Bauplanung einberechnet?

26. Können abdichtende Maßnahmen, Hohlraumverfüllungen oder die Bau-
tätigkeit selbst die Grundwasserströme dauerhaft verändern und die Trink-
wassergewinnung gefährden?

27. Sind Umleitungssysteme für Grundwasser möglich und in der Bau- und
Kostenplanung berücksichtigt?

Berlin, den 15. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.