BT-Drucksache 17/12177

Lage syrischer Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in Deutschland

Vom 29. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12177
17. Wahlperiode 29. 01. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Dr. Lukrezia Jochimsen, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Frank Tempel, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Lage syrischer Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in Deutschland

Mit den anhaltenden bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Syrien verschärft sich
auch die Lage für die syrischen Flüchtlinge innerhalb Syriens und in den Nach-
barstaaten immer weiter. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen
(UN) António Guterres nannte vor der UN-Vollversammlung die Zahl von
700 000 Menschen, die in den Nachbarstaaten Zuflucht suchten (www.unhcr.
de). Von Januar bis Oktober 2012 waren es in der gesamten Europäischen
Union (EU) rund 23 500, davon 15 000 in Deutschland und Schweden.

In die Staaten der EU gelangen syrische Flüchtlinge weiterhin fast ausschließ-
lich nur auf irregulären Wegen. Auch ein Appell von António Guterres an die
Innenminister der EU, die Grenzen für syrische Flüchtlinge offen zu halten, hat
daran nichts ändern können. Selbst der Appell zur Aufnahme von 500 besonders
schutzbedürftigen Flüchtlingen durch die 27 Staaten verhallte bislang (dpa,
17. Januar 2013).

Viele in Deutschland aufgenommene Flüchtlinge oder syrische Staatsange-
hörige würden gerne ihre Angehörigen aus den Flüchtlingslagern oder aus
Syrien nachholen. Dies scheitert in vielen Fällen aus formalen und rechtlichen
Gründen. In einer Mitteilung vom 4. Dezember 2012 wies der UNHCR (United
Nations High Commissioner for Refugees) darauf hin, dass die meisten syri-
schen Flüchtlinge in Deutschland lediglich subsidiären Schutz (Abschiebeverbot
nach § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG) erhalten.
Nach der Asylgeschäftsstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
betraf dies im Jahr 2011 5 480 von insgesamt 7 467, d. h. fast drei Viertel aller
Anerkennungen der Schutzbedürftigkeit bei syrischen Asylsuchenden. Als sub-
sidiär Schutzberechtigte haben sie derzeit keinen vergleichbaren Anspruch auf
den Nachzug von Familienmitgliedern, wie Asylberechtigte oder Flüchtlinge im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention – was sich erst infolge der Neufassung
der EU-Qualifikationsrichtlinie ändern wird. Der Vertreter des UNHCR in
Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik, Dr. Michael Linden-
bauer, fordert deshalb eine Aufnahme von Verwandten in Deutschland lebender
syrischer Staatsangehöriger außerhalb des regulären Verfahrens und appellierte

an die Innenminister von Bund und Ländern, eine entsprechende Vereinbarung
nach § 23 Absatz 1 AufenthG zu treffen. Es sei dringend erforderlich, diesen Per-
sonen einen sicheren alternativen Zugang nach Deutschland zu verschaffen.
Vielfach wird in diesen Fällen eine Unterstützung und gegebenenfalls auch eine
Unterbringung durch die hier lebenden Verwandten erfolgen.

Drucksache 17/12177 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl syrischer
Binnenflüchtlinge und zur Zahl syrischer Flüchtlinge in den angrenzenden
Staaten?

2. In welcher Form leistet die Bundesregierung derzeit für diese Flüchtlinge
Hilfe?

3. Welche Maßnahmen werden darüber hinaus geplant, eingeleitet oder ge-
prüft, um den Flüchtlingen vor Ort bzw. den Anrainerstaaten zu helfen?

4. Welche Haltung hat die Bundesregierung zur Bitte des UN-Flüchtlings-
kommissars nach Aufnahme von 500 besonders schutzbedürftigen Flücht-
lingen im Rat der EU-Innenminister am 17. Januar dieses Jahres eingenom-
men, und wie hat sie im Anschluss daran dieses Anliegen unterstützt, vo-
rangetrieben oder umgesetzt?

5. Wird sich die Bundesrepublik Deutschland auch unabhängig von der Betei-
ligung der anderen EU-Staaten an einem möglichen „resettlement“ beson-
ders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten Syriens beteili-
gen, wenn ja, in welcher Größenordnung könnte die Beteiligung liegen,
wenn nein, warum nicht, und ist die Bundesregierung insbesondere der Auf-
fassung, dass die zumeist irreguläre Einreise von gut 6 000 syrischen Asyl-
suchenden nach Deutschland im Jahr 2012 ein ausreichender Beitrag
Deutschlands zur Entlastung der überforderten Nachbarländer ist, die meh-
rere Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen haben (bitte begründen)?

6. Von welchen anderen EU-Staaten ist der Bundesregierung bekannt, dass
diese sich an einem solchen „resettlement“ beteiligen wollen, und welche
lehnen dieses ab?

7. Welche Fallkonstellationen betrafen die Aufnahme von 26 syrischen Staats-
angehörigen durch die Bundesrepublik Deutschland nach § 22 AufenthG
(vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10624), und wie viele
syrische Staatsangehörige wurden seit Frühjahr 2011 bis heute auf der
Grundlage des § 22 AufenthG in welchen Fallkonstellationen aufgenom-
men?

8. Wie ist der aktuelle Stand der Visumbearbeitung von Anuar Naso (vgl. Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10624), wie ist die Haltung der
Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung des Landkreises
Hildesheim hierzu, welche Informationen hat die Bundesregierung zur
aktuellen Situation von Anuar Naso, und wie ist der Verweis der Bundes-
regierung in der Beantwortung der Frage 6 auf die Antwort zu Frage 4 auf
der genannten Bundestagsdrucksache zu verstehen?

9. Was ist der Bundesregierung über Hilfsmaßnahmen seitens anderer EU-
Staaten und der Europäischen Kommission für die syrischen Flüchtlinge in
den Nachbarstaaten bekannt?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Ausmaß syrische Schutz-
suchende von mutmaßlich rechtswidrigen Rückschiebungsmaßnahmen der
italienischen Behörden nach Griechenland betroffen sind (vgl. Bericht von
Human Rights Watch „Turned away“, 22. Januar 2013), und wie reagiert
die Bundesregierung auf diese Berichte?

11. Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu einem verstärk-
ten Aufkommen syrischer Schutzsuchender an der türkisch-griechischen

Land- bzw. Seegrenze, wie gefährlich ist die irreguläre Einreise in die EU
über diese Grenze für syrische Schutzsuchende, und wie viele tödliche

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12177

Zwischenfälle gab es nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2012
bzw. 2013 beim Versuch, die türkisch-griechische Grenze auf irregulären
Wegen zu überschreiten?

12. Wie viele syrische Staatsangehörige wurden nach Kenntnis der Bundes-
regierung ohne gültigen Aufenthaltstitel im Jahr 2012 (soweit vorliegend)
an der griechisch-türkischen bzw. an anderen EU-Außengrenzen (bitte
differenzieren) aufgegriffen, und wie viele wurden zurückgewiesen?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Ausmaß syrische Flüchtlinge
von informellen Rückschiebungsaktionen (push back) in der Ägäis durch
griechische Grenzschützer betroffen sind und inwieweit FRONTEX (Euro-
päische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen)
an diesen Operationen beteiligt ist, und wie reagiert die Bundesregierung auf
entsprechende Berichte zum Beispiel der griechisch-türkischen Menschen-
rechtsgruppe Kayiki (Mitteilung vom 18. Januar 2013 auf www.kayiki.org)?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung dazu, wie die Türkei mit
syrischen Flüchtlingen umgeht, die an der EU-Außengrenze zurückge-
wiesen oder zurückgeschoben werden (bitte so detailliert wie möglich dar-
stellen)?

15. Haben sich die von der Bundesregierung erwähnten Missstände im Um-
gang mit syrischen Schutzsuchenden in Griechenland und Zypern (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/10624, Frage 10) nach Kenntnis der Bundes-
regierung in den letzten Monaten verbessert (bitte ausführen), und was ist
der Bundesregierung zu Anerkennungsquoten syrischer Asylsuchender in
beiden Staaten bekannt?

16. Werden syrische Asylsuchende im Rahmen des Dublin-Verfahrens von
Deutschland aus nach Zypern zurücküberstellt, und wenn ja, wie ist
dies vereinbar mit den von der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache
17/10624 zu Frage 10 beklagten Missständen?

17. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, der Bitte des
UNHCR nach einer Öffnung der Grenzen für syrische Schutzsuchende zu
entsprechen (bitte ausführen)?

18. Welche aktuellen „Risiko-Analysen“ der Grenzschutzagentur FRONTEX
zur Entwicklung der Zahl syrischer Asylsuchender liegen der Bundesregie-
rung derzeit vor, und was ist ihre wesentliche Aussage?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl syrischer Asyl-
suchender in den EU-Staaten im Jahr 2012 und zur Anerkennungsquote (so
weit möglich, bitte nach Flüchtlingsanerkennung und subsidiärem Schutz-
status differenzieren)?

20. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Angehö-
rigen von in Deutschland subsidiär Schutzberechtigten bzw. von sonstigen
hier lebenden syrischen Staatsangehörigen den Nachzug in die Bundes-
republik Deutschland zu ermöglichen, welche Ermessensspielräume für
eine humanitäre Handhabung gibt es, und inwieweit macht die Bundesre-
gierung bzw. machen die Bundesländer nach Kenntnis der Bundesregie-
rung hiervon Gebrauch?

21. Wird sich die Bundesregierung gegenüber den Ländern für eine
Aufnahmeregelung nach § 23 Absatz 1 AufenthG für Verwandte von in
Deutschland lebenden syrischen Staatsangehörigen einsetzen (bitte begrün-
den)?

Drucksache 17/12177 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
22. Wie viele Visaanträge wurden im vergangenen Jahr durch syrische Staats-
angehörige in den deutschen Auslandsvertretungen in den Nachbarstaaten
Syriens gestellt, wie viele und in welchen Kategorien wurden Visa erteilt
(bitte nach Auslandsvertretungen auflisten)?

23. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, in Visumver-
fahren für syrische Staatsangehörige Erleichterungen zu schaffen, sowohl
aus humanitären Erwägungen als auch zur Entlastung der Botschaften?

24. Welche Möglichkeiten bestehen derzeit, syrischen Staatsangehörigen einen
vorübergehenden Aufenthalt bei in Deutschland lebenden Verwandten zu
ermöglichen, wenn Letztere für die damit entstehenden Kosten aufkom-
men?

a) Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte eine vergleichbare Auf-
nahme bosnischer Kriegsflüchtlinge in größerer Zahl im Jahr 1992?

b) Wäre gegebenenfalls die Einführung einer solchen Möglichkeit im Auf-
enthaltsrecht aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll (bitte begründen)?

25. Unter welchen Bedingungen wird sich die Bundesregierung gegenüber den
Bundesländern dafür einsetzen, dass den in Deutschland lediglich gedulde-
ten syrischen Staatsangehörigen angesichts der auf unabsehbare Zeit un-
verschuldet nicht möglichen Abschiebung bzw. Ausreise Aufenthaltser-
laubnisse statt (Ketten-)Duldungen erteilt werden (bitte begründet dar-
legen), wie viele Geduldete betrifft dies aktuell (bitte nach Bundesländern
differenziert angeben), und wie ist es nach Ansicht der Bundesregierung zu
erklären, dass von der für solche Fälle unmöglicher Ausreisen bzw. Ab-
schiebungen einschlägigen Vorschrift nach § 25 Absatz 5 AufenthG in der
Praxis so häufig nicht Gebrauch gemacht wird (bitte ausführen)?

Berlin, den 29. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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