BT-Drucksache 17/12055

Künftige Wirtschaftskrisen erfolgreich meistern - Kurzarbeitergeld unter erleichterten Bedingungen wieder einführen

Vom 15. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12055
17. Wahlperiode 15. 01. 2013

Antrag
der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine),
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Gabriele
Hiller-Ohm, Josip Juratovic, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Katja Mast,
Thomas Oppermann, Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Künftige Wirtschaftskrisen erfolgreich meistern – Kurzarbeitergeld unter
erleichterten Bedingungen wieder einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der deutsche Arbeitsmarkt hat die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise ver-
gleichsweise gut überstanden. Die von der Großen Koalition eingeführten Rege-
lungen zum konjunkturellen Kurzarbeitergeld wurden international als vorbild-
lich gelobt. Die Kurzarbeit hat in den Krisenjahren 2009/2010 starke Einbrüche
am Arbeitsmarkt verhindert. Zu Spitzenzeiten lag die Zahl der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit im Mai 2009 bei 1 442 6671. Bei einem
durchschnittlichen Arbeitszeitausfall von rund einem Drittel entsprach dies
einem Beschäftigungsäquivalent von fast 500 0002. Ohne Kurzarbeit wäre die
Arbeitslosigkeit demnach höher gewesen3.

Die deutsche Wirtschaft hat sich seit dem letzten Einbruch insgesamt gut erholt.
Hilfreich war dabei, dass die Unternehmen im Rahmen der Kurzarbeit ihre
Fachkräfte halten und bei Anziehen der Konjunktur sofort wieder einsetzen
konnten. Kurzarbeit hat den Unternehmen eine flexible Personalanpassung
durch den schnellen Abbau von Kosten ermöglicht; der flexible Einsatz von
Personal bei erneuten Auftragseingängen stärkte die Wettbewerbsfähigkeit der
Unternehmen und verhinderte die Entlassung von Fachkräften. So konnten die
Unternehmen am Ende der Krise schnell wieder durchstarten.

Kurzarbeit spart auch: Es werden unter anderem die Ausgaben für Arbeitslosen-
geld und die volkswirtschaftlichen Kosten von Dequalifizierung während Zeiten
der Arbeitslosigkeit vermieden. Auch verbessern sich die steuerlichen Einnah-
men des Staates, wenn Unternehmen am Ende der Krise nicht erst langwierig
nach Fachkräften suchen müssen.
1 Bestand; Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Stand: Dezember 2011.
2 Vergleiche hierzu Ausschussdrucksachen 17(11)221, 17(11)344, 17(11)730 Information der Bundes-

agentur für Arbeit für den Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages, 2. Juli 2010,
24. November 2010 und 1. Dezember 2011.

3 Vergleiche Stellungnahme Prof. Dr. Matthias Knuth zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für
Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 5. Juli 2010 zum „Beschäftigtenchancengesetz“;
Ausschussdrucksache 17(11)220).

Drucksache 17/12055 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Es hat sich auch gezeigt, dass die Gefahr von Missbrauch beim Kurzarbeitergeld
massiv überschätzt wird. Selbst bei der Übernahme der Sozialversicherungs-
beiträge verblieben bei den Unternehmen Remanenzkosten in nennenswertem
Umfang, da ein Teil der Lohnnebenkosten weiter vom Betrieb zu tragen war –
nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun-
desagentur für Arbeit (IAB) rund 24 Prozent. Unternehmen haben deshalb gro-
ßes Interesse, Kurzarbeit möglichst schnell zu beenden. Wenn die Konjunktur
anzieht bzw. sich die Auftragslage bessert, geht die Inanspruchnahme von Kurz-
arbeitergeld entsprechend zügig zurück.

Dennoch hat die schwarz-gelbe Bundesregierung entschieden, die ohnehin be-
fristeten Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld früher als eigentlich vorgese-
hen zum Jahresende 2011 auslaufen zu lassen (Gesetz zur Verbesserung der Ein-
gliederungschancen am Arbeitsmarkt, Bundestagsdrucksache 17/6277), statt sie
zu verstetigen. Damit hat sie sich ohne Not der Möglichkeit beraubt, unbürokra-
tisch und schnell auf neue Krisen reagieren zu können.

Die Finanzkrise ist jedoch nach wie vor nicht bewältigt. Viele Wirtschaftsindi-
katoren zeigen nach unten oder weisen auf eine Eintrübung des konjunkturellen
Umfeldes hin. Die Forderung nach Wiedereinführung der Kurzarbeit unter er-
leichterten Bedingungen wird deshalb zunehmend häufiger gestellt. Denn klar
ist: Auch wenn Deutschland besser dasteht als viele seiner Nachbarn, wird eine
sich verschlechternde wirtschaftliche Entwicklung mit zeitlicher Verzögerung
auf den Arbeitsmarkt durchschlagen, wenn keine Vorsorge getroffen wird.

Es ist weiterhin notwendig, von der Wirtschaftskrise bedrohte Unternehmen und
deren Belegschaften zu unterstützen und das dafür notwendige Instrumentarium
vorzuhalten. Jeder Arbeitsplatz, der erhalten und jedes Unternehmen, dessen
Bestand gesichert werden kann, zählt. Die Kurzarbeit ist hier ein geeignetes Mit-
tel. Kurzarbeit soll daher auch künftig mit Ausnahme der sogenannten Konzern-
betriebsklausel generell unter den in der letzten Krise gültigen erleichterten Be-
dingungen möglich sein und als dauerhafte Regelung eingeführt werden, die
kurzfristig per Rechtsverordnung in Kraft gesetzt werden kann4.

Dies würde zur Abfederung der Wirkungen einer Finanz- und Wirtschaftskrise
auf den Arbeitsmarkt wie in der Vergangenheit auch unter anderem die folgen-
den Möglichkeiten eröffnen:

– Erstattung von 50 Prozent der vom Arbeitgeber allein zu tragenden Beiträge
zur Sozialversicherung in pauschalierter Form (auf Antrag).

– Volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge bei Teilnahme an einer be-
rücksichtigungsfähigen beruflichen Qualifizierung während der Kurzarbeit
(auf Antrag).

– Ab dem siebten Kalendermonat des Bezugs von Kurzarbeitergeld Erstattung
von 100 Prozent der vom Arbeitgeber alleine zu tragenden Beiträge zur
Sozialversicherung in pauschalierter Form (auf Antrag). Es entfällt jedoch
die sogenannte Konzernregelung, nach der es für die Erstattung von Sozial-
versicherungsbeiträgen bei Kurzarbeit in allen Betrieben des Arbeitgebers
ausreichend ist, dass mindestens in einem Betrieb Kurzarbeit mit einer ent-
sprechenden Dauer durchgeführt wurde.

– Erleichterter Zugang zu Kurzarbeit, in dem von dem sogenannten Drittel-
erfordernis abgesehen wird. Demnach ist ein Arbeitsausfall auch dann erheb-
lich, wenn im jeweiligen Kalendermonat weniger als ein Drittel der in dem

4 Vergleiche Stellungnahmen von Prof. Dr. Matthias Knuth zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses
für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 5. Juli 2010 zum „Beschäftigtenchancengesetz“,
Ausschussdrucksache 17(11)220 und zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und
Soziales am 5. September zum „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeits-

markt“, Ausschussdrucksache 17(11)610, außerdem Stellungnahme des Deutschen Gewerkschafts-
bundes, Ausschussdrucksache 17(11)611).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12055

Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einem Ent-
geltausfall von mehr als 10 Prozent betroffen sind.

– Arbeitszeitkonten müssen vor Bezug von Kurzarbeitergeld nicht ins Minus
gebracht werden.

– Abweichend von den Regelungen des § 82 des Dritten Buches Sozialgesetz-
buch (SGB III – Förderung besonderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer) können bei beruflicher Weiterbildung auch Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer gefördert werden, die das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben. Gleiches gilt für diejenigen, die in einem Betrieb mit mehr als 250 Be-
schäftigten arbeiten und deren Erwerb des Berufsabschlusses mindestens vier
Jahre zurückliegt, insofern sie in den letzen vier Jahren vor Antragstellung
nicht an einer öffentlich geförderten beruflichen Weiterbildung teilgenom-
men haben. Die Regelung gilt auch entsprechend für Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer, wenn sie vorher als Leiharbeitnehmer im Sinne des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sozialversicherungspflichtig beschäftigt
waren und die Arbeitslosigkeit durch Wiederaufnahme eines sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses bei demselben Verleiher im
Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes beenden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die nachfolgend aufgeführten Änderungen
und die notwendigen Folgeänderungen vorsieht:

a) In § 104 Absatz 1 SGB III (Dauer) die Angabe „6 Monate“ durch die Angabe
„12 Monate“ zu ersetzen. Damit kann Kurzarbeitergeld durch die Agentur für
Arbeit bis zu einer Dauer von 12 Monaten geleistet werden.

b) In § 109 Absatz 1 Nummer 2a SGB III (Verordnungsermächtigung) die An-
gabe „12 Monate“ durch die Angabe „24 Monate“ und in § 109 Nummer 2b
SGB III die Angabe „24 Monate“ durch die Angabe „36 Monate“ zu ersetzen.
Hierdurch wird die Möglichkeit eröffnet, per Verordnung die Höchstdauer
für das Kurzarbeitergeld unter bestimmten Voraussetzungen auf bis zu
36 Monate zu verlängern.

c) Die Sonderregelungen zu Kurzarbeitergeld, Qualifizierung und Arbeits-
losengeld des ehemaligen § 421t SGB III werden in der Fassung, die bis zum
31. Dezember 2010 Gültigkeit hatte, als dauerhafte Regelungen mit den ent-
sprechenden Anpassungen und Aktualisierungen eingeführt. Hiervon aus-
genommen ist die sogenannte Konzernregelung; beibehalten wird jedoch die
Möglichkeit der vollen Übernahme der vom Arbeitgeber alleine zu tragenden
Sozialversicherungsbeiträge ab dem siebten Kalendermonat des Bezuges von
Kurzarbeitergeld. Die Sonderregelungen werden, wenn außergewöhnliche
Verhältnisse auf dem gesamten Arbeitsmarkt vorliegen, kurzfristig per
Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im
Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen in Kraft gesetzt. Die
Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. Die für
eine Dauerregelung notwendigen Änderungen der einschlägigen Kapitel des
SGB III werden vorgenommen.

d) Bis 31. Dezember 2015 ist eine Evaluierung der Regelungen zum konjunktu-
rellen Kurzarbeitergeld vorzunehmen, um festzustellen, in welchem Umfang
durch die Regelungen dauerhaft Arbeitsplätze erhalten bleiben und welche
Regelungen gegebenenfalls weiterentwickelt werden sollten.

Berlin, den 15. Januar 2013
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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