BT-Drucksache 17/12044

Altmunition und Schifffahrtssicherheit auf den Bundeswasserstraßen von Nord- und Ostsee

Vom 9. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12044
17. Wahlperiode 09. 01. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Stüber, Cornelia Möhring, Herbert Behrens,
Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Dorothee Menzner, Johanna Voß
und der Fraktion DIE LINKE.

Altmunition und Schifffahrtssicherheit auf den Bundeswasserstraßen
von Nord- und Ostsee

Am Meeresboden von Nord- und Ostsee lagern nach offiziellen Schätzungen
1,6 Millionen Tonnen Altmunition und Kampfmittel unterschiedlichster Art. In
den Seekarten sind die bekannten Gebiete als Unrein-Gebiete verzeichnet.
Diese Munitionsaltlasten stammen zu einem bedeutenden Teil aus dem Zweiten
Weltkrieg. Doch auch nach Kriegsende wurden zur Entwaffnung Deutschlands
große Mengen Munition, auch Giftgasmunition und chemische Kampfstoffe, in
benannte Unrein-Gebiete versenkt, manchmal jedoch schon auf der Fahrt dahin
in Nord- und Ostsee verklappt. Zudem versenkten auch die Alliierten einen Teil
ihrer eigenen Bestände. Diese Praxis war bis in die 70er-Jahre üblich. Zusätz-
lich wird von einer flächenhaften Verteilung von Altmunition durch die Fische-
rei mit Schleppnetzen ausgegangen.

Der Bericht „Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer – Bestands-
aufnahme und Empfehlungen“ der Arbeitsgemeinschaft Bund/Länder-Mess-
programm für die Meeresumwelt von Nord- und Ostsee (ARGE BLMP) bestä-
tigt, dass die Informationslage zu der tatsächlichen Munitionsmenge, deren
Korrosionszustand und Lage, insbesondere für den Ostseeraum, lückenhaft ist
und es keine offiziell überprüfte Aufstellung von Unfallereignissen mit Muni-
tionsaltlasten in deutschen Küstengewässern und der Ausschließlichen Wirt-
schaftszone (AWZ) gibt.

Bei den letzten Messungen (2012) der Marine mit modernster Ortungstechnik
im Untersuchungsgebiet Kolberger Heide in der Kieler Bucht zeigte sich, dass
die Munitionsbelastung über die in den Seekarten verzeichneten Unrein-Gebiete
hinausreicht. Die Messfahrten der Marine erfolgten dabei als Amtshilfe für die
Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord. Das geht aus der Antwort der Bundes-
regierung auf die Schriftliche Frage 79 der Abgeordneten Sabine Stüber vom
12. Oktober 2012 (Bundestagsdrucksache 17/10968) als Nachfrage zu der Ant-
wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die LINKE.
„Munition in Nord- und Ostsee“ (Bundestagsdrucksache 17/10795) hervor.

Die Nutzung von Nord-und Ostsee hat besonders im letzten Jahrzehnt immens

zugenommen. Tourismus, Schiffsverkehr, Offshore-Investitionen – sie alle sind
Wachstumsbranchen. In den deutschen Meeresgewässern bedeutet das für die
Bundeswasserstraßen ein steigendes Schiffsverkehrsaufkommen sowohl für
den Gütertransport als auch für den Tourismus. Rund 40 000 Handelsschiffe
transportieren etwa 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs. Auch etwa
90 Prozent des EU-Außenhandels und über 40 Prozent des EU-Binnenhandels
erfolgen auf dem Seeweg. Weltweit betrachtet liegt bei etwa einem Drittel der

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Schiffsbewegungen der Ziel- oder Abfahrtshafen in der EU. Allein in der Ost-
see gibt es laut der Helsinki-Kommission (HELCOM) über 400 000 Schiffsbe-
wegungen pro Jahr. Die Nord- und Ostsee gehören zu den am häufigsten und
dichtesten befahrenen Meeren der Welt.

Im Antrag „Europäisches Notfall- und Havariemanagement wirksam und ver-
bindlich weiterentwickeln“ der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache
17/11324) wird gefordert, ein verbindliches und wirksames Schiffssicherheits-
konzept inklusive Nothafenkonzept im EU-Recht und im internationalen Recht
zu verankern sowie die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs
(EMSA) zu einer gemeinsamen Küstenwache mit koordinierender Funktion
weiterzuentwickeln.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Über welchen Kenntnisstand verfügt die Bundesregierung hinsichtlich mög-
licher Ablagerungen von Altmunition und Großkampfmitteln am und im
Meeresboden speziell im Bereich der Bundeswasserstraßen von Nord- und
Ostsee (bitte mit Quellenangabe)?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Notwendigkeit einer entsprechenden
Altlastenkartierung auf den Bundeswasserstraßen aus Gründen der See-
schifffahrtssicherheit ein (bitte mit Begründung)?

3. Wie bewertet die Bundesregierung eine mögliche Gefährdung der Sicherheit
für die Seeschifffahrt durch militärische Munitionsaltlasten auf und im Mee-
resboden der Bundeswasserstraßen von Nord- und Ostsee?

4. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung zur Gewährleistung der
Sicherheit der Seeschifffahrt auf den Bundeswasserstraßen in Nord- und
Ostsee hinsichtlich militärischer Altlasten, und gibt es dafür ein spezielles
Sicherheitskonzept?

Wenn ja, wie sieht dieses aus (bitte ausführlich erläutern)?

Wenn nein, warum nicht, und bis wann wird ein solches Sicherheitskonzept
erstellt?

5. Welche Altmunitionsfunde gab es im Bereich der Bundeswasserstraßen von
Nord- und Ostsee in den letzten zehn Jahren (bitte nach Jahren, Munitionstyp,
Umständen des Fundes und Fundort sowie nach Art der Behandlung – Ber-
gung, Sprengung, Dokumentation – auflisten und erläutern)?

6. Sieht die Bundesregierung einen Bedarf für regelmäßige Überprüfungen der
Bundeswasserstraßen auf mögliche Gefahren durch Altmunition am Meeres-
boden der Bundeswasserstraßen von Nord und Ostsee vor dem Hintergrund
der Verteilung durch Schleppnetze der Fischer?

7. Wie sind die politischen und behördlichen Zuständigkeiten bei hochsensiblen
Munitionsfunden in und in der Nähe von Bundeswasserstraßen von Nord-
und Ostsee geregelt?

8. Wo können Schiffe bei einer Havarie im Bereich der küstennahen Bundes-
wasserstraßen in Nord- und Ostsee außerhalb der ausgewiesenen Reeden
notankern, und welche Gebiete sind davon neben den bekannten Unrein-
Gebieten ausgeschlossen?

9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der zunehmenden
Anzahl der Funde von Altmunition durch die verstärkten Bauaktivitäten für
Offshore-Investitionen am Meeresboden in Nord- und Ostsee, wie zum Bei-
spiel den Fund der englischen Grundmine am 19. November 2012, die auf-

grund ihres hochsensiblen Zustandes sofort gesprengt werden musste, für die
Schifffahrtssicherheit auf den Bundeswasserstraßen von Nord- und Ostsee?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12044

10. Nach welchen Vergabekriterien und durch wen erfolgt die Vergabe von
Aufträgen zur militärischen Altlastenräumung auf See, und wie prüft der
Auftraggeber die fachliche Kompetenz und soziale Eignung potenzieller
auftragnehmender Betriebe (Qualifikation des Personals, Vergütung nach
Tarif, Absicherung und Weiterbildung des Personals)?

11. Ist ein Mindestabstand oder Sicherheitskorridor zwischen ausgewiesenen
Unrein-Gebieten und Bundeswasserstraßen der Nord- und Ostsee festge-
legt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie breit ist dieser, wer legt dies fest, und welche Sicherheitsvor-
kehrungen wurden wann getroffen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit besonderer Sicher-
heitsvorkehrungen für die Bundeswasserstraßen in Nord- und Ostsee insbe-
sondere für Gefahrguttransporte, und welche Defizite sieht sie?

13. Wie wirkt sich die durch die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord am
12. Oktober 2012 in einer Pressemitteilung bekannt gegebene Erweiterung
des Unrein-Gebiets Kolberger Heide auf die Befahrbarkeit der angrenzen-
den Bundeswasserstraße aus?

14. Gibt es innerhalb der Bundeswasserstraßen von Nord- und Ostsee Ver-
dachtsgebiete in Bezug auf mögliche militärische Altlasten, und gelten für
deren Durchfahren deshalb bis zur Abklärung und eventuellen Beräumung
besondere Sicherheitsauflagen, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, erwei-
terte Sicherheitsabstände zu vorausfahrenden Schiffen oder Verminderun-
gen der Durchfahrten bei Nebel, schlechter Sicht oder Eisgang?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Gebiete sind das (bitte mit den jeweiligen Auflagen auflis-
ten)?

15. Wie bewertet die Bundesregierung Verletzungen von Ein- und Durchfahr-
verboten in Unrein-Gebieten auf der Nord- und Ostsee durch die Schiff-
fahrt?

16. Welche solcher Verbotsverletzungen gab es in welchen Gebieten durch
welche Schiffstypen (bitte Vorfälle seit 2008 bis heute angeben)?

17. Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wie Neufunde militärischer Alt-
lasten in den Bundeswasserstraßen in Nord- und Ostsee behandelt werden,
und wie bewertet die Bundesregierung die Bergung von Altmunition und
ihre Vernichtung an Land als Lösung?

18. Wie viele Gefahrguttransporte mit welcher Gefahrgutklasse (IMO-Klasse,
IMO = International Maritime Organization) durchfuhren noch mit Einhül-
lentankern die Bundeswasserstraßen von Nord und Ostsee (bitte von 2008
bis heute, unterteilt nach IMO-Klasse, auflisten)?

19. Was unternimmt die Bundesregierung zur Abwehr von Gefahren für
Mensch und Umwelt bei möglichen Schiffshavarien auf den Bundeswas-
serstraßen von Nord- und Ostsee im Zusammenhang mit militärischen Alt-
lasten?

20. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Lotsenpflicht für eine ver-
besserte Sicherheit auf den Bundeswasserstraßen in Nord- und Ostsee an
potenziellen Gefahrenstellen unter dem Gesichtspunkt der lückenhaften
Kenntnisse zu militärischen Altlasten einzuführen?

Drucksache 17/12044 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Hält die Bundesregierung eine Lotsenpflicht für spezielle Schiffstypen zur
Verbesserung der Schifffahrtssicherheit in bestimmten Schiffspassagen
oder Gefahrenstellen der Ostsee für erforderlich?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, für welche Schiffstypen und welche Schiffspassagen hält die
Bundesregierung die Lotsenpflicht in der Ostsee für erforderlich, und wie
will sie diese in der IMO durchsetzen?

22. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Verbesserung des
Küstenkommunikations- und Überwachungssystems für Gefahrguttrans-
porte auf den Bundeswasserstraßen von Nord- und Ostsee, insbesondere
bei der Durchfahrung von Verdachtsgebieten für militärische Altlasten, und
welche Rolle spielen dabei die Gefahrenklassen des Transportguts?

Berlin, den 9. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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