BT-Drucksache 17/1201

Effektivere Arzneimittelversorgung

Vom 24. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1201
17. Wahlperiode 24. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Dr. Marlies Volkmer, Elke Ferner, Bärbel
Bas, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Ute Kumpf,
Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert,
Dr. Carola Reimann, Ewald Schurer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion
der SPD

Effektivere Arzneimittelversorgung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Untätigkeit der Bundesregierung, Maßnahmen zur Ausgabenbegrenzung
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu ergreifen – insbesondere bei den
Arzneimittelausgaben –, hat dazu geführt, dass eine erhebliche Anzahl von
Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen erstmals Zusatzbeiträge bezah-
len muss.

2. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel betrugen im
Jahr 2009 32,4 Mrd. Euro (2008 30,9 Mrd. Euro). Mit einem Anteil von
18 Prozent an allen Ausgaben stellen die Arzneimittelausgaben hinter den
Krankenhausausgaben mittlerweile den zweitgrößten Ausgabenblock in der
gesetzlichen Krankenversicherung.

3. Das dynamische Wachstum der Arzneimittelausgaben ist eine der Hauptursa-
chen für die defizitäre Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversiche-
rung. Der Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt geht für das Jahr
2010 von einem Defizit der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von
7,9 Mrd. Euro aus. Durch den einmaligen zusätzlichen Bundeszuschuss in
Höhe von 3,9 Mrd. Euro wird nicht einmal die Hälfte des Defizites gedeckt.
Es verbleibt eine Unterdeckung von rund 4 Mrd. Euro für das Jahr 2010. Für
das Jahr 2011 gehen vorsichtige Schätzungen von einem Defizit in Höhe von
mindestens 11 Mrd. Euro aus.

4. Ein erheblicher Teil des Ausgabenwachstums bei Arzneimitteln ist zurück-
zuführen auf zu teure, unwirtschaftliche oder unwirksame Medikamente oder
unwirtschaftliche Vertriebswege. Anstatt Vorschläge zu entwickeln, wie
diese Wirtschaftlichkeitsreserven für die Versicherten der gesetzlichen Kran-
kenkassen erschlossen werden können, hat es der Bundesminister für Ge-
sundheit, Dr. Philipp Rösler, vorgezogen, auf Vorschläge der pharmazeuti-

schen Industrie zur Begrenzung ihrer eigenen Gewinne zu warten. Die
Bundesregierung hat bisher keinerlei Initiativen ergriffen, um die vorhande-
nen Effizienzreserven im Gesundheitswesen zu nutzen und die überpropor-
tional steigenden Arzneimittelausgaben zu begrenzen.

5. Es muss unverzüglich gehandelt werden, um die Qualität der Arzneimittel-
versorgung zu erhöhen und gleichzeitig ihre Wirtschaftlichkeit zu verbessern,
damit die Krankenkassen keine Zusatzbeiträge erheben müssen.

Drucksache 17/1201 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf, einen
Gesetzentwurf mit folgendem Inhalt vorzulegen:

1. Der Herstellerrabatt, den pharmazeutische Unternehmer den gesetzlichen
Krankenkassen gewähren müssen, wird mit sofortiger Wirkung von 6 Pro-
zent auf 16 Prozent angehoben, bei gleichzeitiger Einführung eines Preis-
moratoriums.

2. Die Rabatte des Großhandels an Apotheker werden abgeschöpft durch Fest-
setzung eines fixen Großhandelszuschlags in der Arzneimittelpreisverord-
nung.

3. Bei Medikamenten, deren Preis in Deutschland deutlich über dem europäi-
schen Durchschnittspreis liegt, wird der Preis auf den europäischen Durch-
schnittspreis gesenkt.

4. Jedes neue Arzneimittel muss seine Wirtschaftlichkeit nachweisen (die Kos-
ten-Nutzen-Bewertung muss zum Zeitpunkt der Arzneimittelzulassung vor-
liegen), um neben der arzneimittelrechtlichen Zulassung auch seine Erstat-
tungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten.

5. Das finanzielle Risiko bei der Anwendung innovativer Krebstherapien wird
zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern geteilt.

6. Der Gemeinsame Bundesausschuss erstellt eine Positivliste aller Arzneimit-
tel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden
können.

Berlin, den 24. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

1. Damit kurzfristig eine finanzielle Entlastung für die gesetzlichen Kranken-
kassen erreicht werden kann, wird der Herstellerrabatt der pharmazeutischen
Unternehmer von 6 Prozent auf 16 Prozent erhöht. Um Ausweichreaktionen
der Hersteller auszuschließen, wird gleichzeitig ein Preismoratorium einge-
führt.

2. Ziel der Einführung einer fixen Vergütung des Großhandels ist es, dem Groß-
handel eine preisunabhängige Vergütung zu gewähren. Dabei muss auch das
Interesse der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt werden.
Heute gewährt der pharmazeutische Großhandel aus seiner preisabhängigen
Vergütung den Apotheken Rabatte. Diese Mittel sollten statt dessen den ge-
setzlich Krankenversicherten zugute kommen. Deshalb müssen durch eine
entsprechende gesetzliche Regelung der Großhandelsvergütung diese Ra-
batte abgeschöpft werden.

3. Viele Arzneimittel werden in Deutschland zu erheblich höheren Preisen an-
geboten, als in den übrigen EU-Mitgliedstaaten. Um die deutschen Beitrags-
zahler vor überhöhten Preisen zu schützen, werden die Arzneimittelpreise in
Deutschland auf den europäischen Durchschnittspreis abgesenkt, sofern der
in Deutschland verlangte Preis eines Arzneimittels erheblich über dem euro-
päischen Durchschnittspreis liegt. Zur Ermittlung der Durchschnittspreise
wird ein europäischer Preisvergleich bei Arzneimitteln eingeführt. Unter-

schiedliche Mehrwertsteuersätze und gesetzlich vorgegebene Distributions-
kosten werden dabei berücksichtigt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1201

4. In Deutschland können bisher alle zugelassenen Arzneimittel zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Sobald die arzneimit-
telrechtliche Zulassung vorliegt, müssen die Krankenkassen die Kosten für
die Verordnung eines Arzneimittels erstatten, auch wenn es sich um ein un-
wirtschaftliches Arzneimittel handelt. Das bisherige Zulassungsverfahren
stellt als Kriterien für die Zulassung Qualität, Wirksamkeit und Unbedenk-
lichkeit auf, nicht jedoch den Nachweis der Wirtschaftlichkeit. Daher sollte
der Wirtschaftlichkeitsnachweis als weiteres Kriterium in das Zulassungs-
verfahren aufgenommen werden. Damit ein Arzneimittel zu Lasten der ge-
setzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann, ist somit die arznei-
mittelrechtliche Zulassung alleine nicht mehr ausreichend. Zusätzlich muss
auch die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich um
ein Verfahren, das explizit die pharmaökonomische Beurteilung neuer Arz-
neimittel hinsichtlich ihrer Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Kran-
kenversicherung klärt. Der von der gesetzlichen Krankenversicherung bei
Einführung zu zahlende Preis wird durch den Gemeinsamen Bundesaus-
schuss auf der Grundlage einer Empfehlung des Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unter Berücksichtigung aller Stu-
dien als Höchstpreis festgesetzt. Das Verfahren muss bis zum Zeitpunkt des
Markteintritts abgeschlossen sein, so dass es nicht zu Verzögerungen bei der
Bereitstellung innovativer Arzneimittel kommt. Der Spitzenverband der ge-
setzlichen Krankenversicherung kann auf dieser Basis Preisabschläge verein-
baren. Kosten-Nutzen-Bewertungen sollten bereits während der Zulassung in
die Phase-III-Studien integriert werden. Ergeben nach der Einführung durch-
geführte Studien eine Neubewertung des Nutzens, kann der Gemeinsame
Bundesausschuss einen neuen Höchstpreis festsetzen.

5. Im Bereich der Krebsbehandlung betragen die Therapiekosten zum Teil zwi-
schen 10 000 und 120 000 Euro pro Patient für besonders innovative Thera-
piekonzepte. Die Kosten sollten von den Krankenkassen nur dann übernom-
men werden, wenn der Patient auf die Therapie anspricht (Remission). Ohne
Wirkung sollten die Kosten vom Hersteller getragen werden. So kann sicher-
gestellt werden, dass jeder geeignete Patient die Arzneimittel auch bekommt,
die Arzneimittel aber nicht vermarktet werden für Patientengruppen, die von
der Therapie nicht profitieren.

6. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erstellte Positivliste aller zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherung verschreibbaren Arzneimittel stellt
einen abschließenden Leistungskatalog dar, wie er auch im stationären Be-
reich in Form der diagnoseorientierten Fallpauschalen besteht. Innerhalb die-
ser Arzneimittelliste wird insbesondere auch unterschieden nach Wirkstoffen
oder Darreichungsformen, so dass eine eigene wirksame und sinnvolle Dar-
reichungsform auch einen eigenen Katalogeintrag bekommt. Entscheidend
ist, dass der Katalog eine abschließende und eindeutige Beschreibung von
vergleichbaren Wirkstoffen, Kombinationen, Darreichungen etc. aufführt.
Mit dieser Positivliste wird ein Instrument zur Regelung des verordnungs-
fähigen Arzneimittelangebots in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt.
Die Positivliste dient insbesondere einer bundeseinheitlichen Qualitätssiche-
rung der Arzneimittelversorgung. Das Wirtschaftlichkeitsgebot, das als
Grundsatzregelung für das gesamte Leistungsrecht der gesetzlichen Kran-
kenversicherung gilt, wird durch die Positivliste konkretisiert. Sie zielt darauf
ab, allen Vertragsärzten die Auswahl eines zweckmäßigen Arzneimittels zu
erleichtern und damit rationale und qualitativ dem Stand der wissenschaft-
lichen Erkenntnis entsprechende Therapieentscheidungen zu fördern. Da-
rüber hinaus sollen auch Aspekte der geschlechterspezifischen Gesundheits-
versorgung berücksichtigt werden.

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