BT-Drucksache 17/11576

Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11576
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot
Erler, Petra Ernstberger, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Ute Kumpf,
Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Franz Thönnes,
Uta Zapf, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Einzug in den UN-Sicherheitsrat am 1. Januar 2011 ist Deutschland für
zwei Jahre nichtständiges Mitglied in dem Gremium geworden, das gemäß Ar-
tikel 24 der UN-Charta die Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit hat. Der UN-Sicherheitsrat fällt völkerrechtlich
bindende Entscheidungen für die Sicherung des Weltfriedens, bestimmt über die
Aufnahme neuer Mitglieder und die Wahl des Generalsekretärs. Die Herausfor-
derungen, denen er sich gegenübersieht, sind dabei im 21. Jahrhundert nicht we-
niger geworden.

Bereits im Februar 2011 forderte die Fraktion der SPD die Bundesregierung in
der Bundestagsdrucksache 17/4863 auf, während ihrer Zeit im Sicherheitsrat so
wichtige Themen wie die Sicherheitsratsreform, den Schutz der Menschen-
rechte, die Lage in Nahost und weiterführende Initiativen für die Bereiche Ab-
rüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung gemeinsam mit internationa-
len Partnern engagiert anzugehen. Gegen Ende der Ratsmitgliedschaft muss
konstatiert werden, dass die Bilanz der Bundesregierung ernüchternd ist.

Die derzeitige Zusammensetzung des Sicherheitsrates ist ein Spiegelbild der
Machtverhältnisse am Ende des Zweiten Weltkrieges und entspricht damit nicht
mehr den Realitäten des 21. Jahrhunderts. Kontinente wie Afrika, Lateinamerika
und Asien sind unterrepräsentiert und drängen zu Recht auf mehr Mitbestim-
mung. Auch Deutschland und Japan als größte Beitragszahler an die UN wollten
mit mehr Gewicht im Rat vertreten sein. Die Blockade des UN-Sicherheitsrates
bei dem gewalttätigen Konflikt in Syrien durch Russland und China verdeutlicht
einmal mehr, dass nur eine schrittweise Überwindung des Vetorechts die Hand-
lungsfähigkeit des Sicherheitsrates erhöhen kann. Sie muss erklärtes Ziel jegli-
cher Reformbemühungen sein. Wenn die Vereinten Nationen die erste Adresse
für die Gestaltung der Herausforderungen des 21. Jahrhundert bleiben wollen,

muss der Sicherheitsrat repräsentativer werden und die weltpolitischen Realitä-
ten besser abbilden. Sonst droht seine Führerschaft für Global Governance zu-
nehmend durch verschiedene Gruppenformate wie die G20 unterminiert zu wer-
den.

Die Bundesregierung hat zu Beginn ihrer Mitgliedschaft mehrfach erklärt, sich
für eine grundlegende Reform des Sicherheitsrates einsetzen zu wollen. Ein

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„neuer Schwung“ in dieser Frage ist bislang jedoch nicht erzielt worden. Viel-
mehr lässt sich Stagnation feststellen. Zwar wird die Reform nicht durch den Si-
cherheitsrat beschlossen, sondern ist nur mittels einer Änderung der UN-Charta
möglich, zu der eine Zweidrittelmehrheit aller 193 UN-Mitgliedstaaten in der
Generalversammlung notwendig ist. Dessen ungeachtet ist eine Debatte darüber
im UN-Sicherheitsrat von großer Bedeutung. Denn die ständigen Mitglieder
können bei Chartaänderungen ein faktisches Vetorecht ausüben. Da die Bundes-
regierung Ende 2012 aus dem UN-Sicherheitsrat ausscheidet, überlässt sie die-
ses schwierige Feld unter anderem den Staaten, die ihr im Jahr 2013 in den Si-
cherheitsrat nachfolgen werden. Sie selbst hat bei dieser Reform keinerlei Er-
gebnis vorzuweisen. Genauso ist es der Bundesregierung nicht gelungen, wie
noch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP festgeschrieben, einen
permanenten Sitz für Deutschland im UN-Sicherheitsrat zu erreichen.

Im Laufe der Jahre ist der Schutz der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung
in den Fokus der Vereinten Nationen gerückt. In diesem Zusammenhang ist be-
sonders die auf dem UN-Gipfel im Jahr 2005 einstimmig verabschiedete Norm
„Responsibility to Protect“ von Bedeutung. Demnach haben Staaten die Primär-
verantwortung, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, systema-
tischer Gewalt gegen Minderheiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
zu schützen. Kann oder will ein Staat diese Verantwortung nicht wahrnehmen,
geht sie auf die internationale Staatengemeinschaft über. Mit den Libyen-Reso-
lutionen des UN-Sicherheitsrates ist die internationale Schutzverantwortung
zum ersten Mal auf eine konkrete Situation angewendet und der notwendige
Schutz der Zivilbevölkerung als Begründung für Schutzmaßnahmen nach Kapi-
tel VII der UN-Charta genommen worden.

Es muss zukünftig darum gehen, klare und einheitliche Kriterien für die Durch-
führung von Mandaten im Rahmen der Schutzverantwortung festzulegen. Hier
könnten vor allem die im Jahr 2001 von der „Internationalen Kommission zur
Intervention und Staatensouveränität“ (ICISS) formulierten Kriterien herange-
zogen werden, die bestimmen, dass ein militärischer Einsatz nach dem Ernst der
Bedrohung, der Redlichkeit der Motive, der Anwendung als letztes Mittel, der
Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Angemessenheit der Folgen abgewogen
werden sollte. Mandatierte Missionen sollten mittels eines Monitoringmecha-
nismus überwacht und dem UN-Sicherheitsrat aktuell Bericht erstattet werden,
damit eine Überdehnung des jeweiligen Mandates verhindert werden kann. Da-
bei darf die Debatte über die Schutzverantwortung nicht auf ein militärisches
Eingreifen reduziert werden, da dieses lediglich als letztes Mittel und nach Ver-
sagen anderer, nichtgewaltförmiger Maßnahmen vorgesehen ist. Weiteres En-
gagement für die Schutzverantwortung sollte sich vor allem auf die Stärkung der
ersten Säule der Schutzverantwortung, der „Responsibility to Prevent“, konzen-
trieren. Die Bundesregierung sollte sich für die Etablierung und Verbesserung
eines nationalen und regionalen Frühwarnsystems zur Verhinderung von Men-
schenrechtsverletzungen engagieren.

Da jede weitere Stärkung der Responsibility to Protect vom Engagement und
Willen der Nationalstaaten abhängt, sollte sie sich für eine weitere Operationa-
lisierung der Norm einsetzen und im Sinne einer politisch-moralischen Ver-
pflichtung für sie werben. Bislang ist außer Lippenbekenntnissen keine wirk-
liche Verantwortung zur Förderung der internationalen Schutzverantwortung
übernommen worden.

Die internationale Schutzverantwortung gilt auch gegenüber den Menschen in
Syrien. Deshalb ist es ein schweres Versagen gegenüber diesen Menschen, dass
weitergehende Sanktionen gegen das Assad-Regime im UN-Sicherheitsrat
blockiert werden. Die Blockierung der Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates

zu Syrien ist auch eine schwere Schädigung des Ansehens der Vereinten Natio-
nen. Der Druck muss verstärkt werden, dass in Syrien endlich die Gewalt und

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die Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung ein Ende finden, dass die huma-
nitäre Hilfe die betroffene Bevölkerung erreicht und die Flüchtlinge versorgt
werden. Alle internationalen Anstrengungen zur Lösung der schweren Kon-
flikte, zur Beendigung der Gewalt des Assad-Regimes müssen unterstützt wer-
den. Die Arbeit des UN-Sonderbeauftragten für Syrien bedarf ebenso der Unter-
stützung.

Die dramatischen Veränderungen in vielen arabischen Ländern im Nahen Osten
und Nordafrika erfordern endlich auch, dass ein Kernkonflikt der arabischen Re-
gion, der Nahostkonflikt, im Sinne einer Zwei-Staaten-Regelung gelöst wird.
Dafür müssen Israel und Palästina wieder direkte Friedensgespräche aufneh-
men. Als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen
müssen klare Parameter bestimmt werden, wie sie in einer Stimmerklärung im
Jahr 2011 von Großbritannien, Frankreich und Deutschland definiert wurden.
Hierzu gehören Einvernehmen über eine Zwei-Staaten-Lösung innerhalb der
Grenzen von 1967 und möglicher Gebietstausch, Sicherheitsvereinbarungen,
die die Souveränität Palästinas und die Sicherheit Israels zum Inhalt haben, eine
gerechte, faire und einvernehmliche Lösung der Flüchtlingsfrage und die Befrie-
digung der Ansprüche beider Seiten für Jerusalem. Solche Gespräche können
nur gelingen, wenn die israelische Regierung ihre Verantwortung für Frieden
und Stabilität in der Region wahrnimmt und den Siedlungsbau stoppt. Der der-
zeitige Stillstand im Friedensprozess gibt Anlass zur Sorge, denn mit der fort-
schreitenden Siedlungspolitik der israelischen Regierung werden Fakten ge-
schaffen, die einen lebensfähigen eigenständigen palästinensischen Staat immer
schwieriger machen.

Die Bundesregierung muss jetzt prüfen, wie derzeitige Überlegungen der Paläs-
tinensischen Autonomiebehörde an die UN-Generalversammlung heranzutre-
ten, unterstützt werden können.

Im Zusammenhang mit den Bemühungen für eine Wiederaufnahme von Frie-
densverhandlungen gilt es auch, in Europa auf eine gemeinsame aufgeschlos-
sene Haltung der Europäischen Union zu einem möglichen palästinensischen
Antrag in der UN-Generalversammlung, mit dem eine Aufwertung des Status
der palästinensischen Vertretung zu einem „non member observer state“ erreicht
werden soll, hinzuwirken. Die gemeinsame Haltung der Europäer muss darauf
gerichtet sein, eine Verhandlungslösung zu befördern und nicht zu erschweren.
Zugleich sollte sie sich in die Kontinuität einer Politik einfügen, die den Aufbau
staatlicher Strukturen unter Präsident Mahmud Abbas und Premierminister
Salam Fayyad in den vergangenen Jahren gezielt gefördert hat.

Mit der Schlusserklärung der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungs-
vertrages aus dem Jahr 2010 wurde die Durchführung einer internationalen Kon-
ferenz für eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittle-
ren Osten für das Jahr 2012 beschlossen. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde,
dass Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung notwendige Bedin-
gungen für einen befriedeten Nahen und Mittleren Osten sind. In der Vergangen-
heit scheiterten derartige Ansätze an den scheinbar unüberbrückbaren Sicher-
heitserwägungen Israels und der arabischen Staaten. Der Deutsche Bundestag ist
überzeugt, dass die bedeutenden Transformationsprozesse in einer Reihe arabi-
scher Staaten für die Verwirklichung einer Zone frei von Massenvernichtungs-
waffen förderlich sind. Eine solche Konferenz, die wohl nicht mehr im Jahr 2012
stattfinden wird, könnte helfen, wichtige Entspannungsschritte in der Region
herbeizuführen. Der sich derzeit zuspitzende Konflikt zwischen Israel und dem
Iran lässt die Verwirklichung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen
noch einmal dringlicher erscheinen.

Dass der geplante Waffenhandelsvertrag nach langwierigen Verhandlungen

nicht zustande gekommen ist, war eine Enttäuschung unserer Hoffnungen. Auch
wenn die Verhandlungen für einen internationalen Waffenhandelsvertrag in der

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vorgesehenen Frist nicht erfolgreich waren, muss sich die Bundesregierung da-
für einsetzen, dass weiter verhandelt wird. Es braucht völkerrechtlich verbind-
liche Standards für den Import, Export und Transfer von konventionellen Waf-
fen, um zu verhindern, dass weltweit aufgerüstet wird und Regionen und Staaten
weiter destabilisiert werden. Es bestünde nun die Möglichkeit, den letzten Text-
entwurf in die UN-Generalversammlung einzubringen, damit er im 1. Aus-
schuss beraten wird. Dann könnte der insgesamt positive Vertragsentwurf in der
Generalversammlung doch noch Wirklichkeit werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass der UN-Sicherheitsrat die weltpolitischen Realitä-
ten besser abbildet und die Legitimität des Rates über eine ausgewogenere
Mitgliedschaft aller Kontinente, gerade auch Afrikas und Lateinamerikas,
und die Vertretung von Regionalorganisationen gestärkt wird;

2. sich bei Reformverhandlungen für eine schrittweise Überwindung des Veto-
rechtes stark zu machen;

3. alles zu tun, damit die Blockierung der Entscheidung des UN-Sicherheits-
rates zu Syrien überwunden und der Druck verstärkt wird, dass in Syrien
endlich die Gewalt und die Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung be-
endet werden, dass die humanitäre Hilfe die Zivilbevölkerung erreicht und
alle Unterstützung für die Flüchtlinge geleistet wird;

4. alle internationalen Anstrengungen zur Beendigung der Gewalt des Assad-
Regimes zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass diejenigen ermutigt wer-
den, die heute Vorbereitungen für den Aufbau eines demokratisch regierten
Syriens treffen, das die Konflikte überwindet und seine Kräfte auf den wirt-
schaftlichen und sozialen Wiederaufbau richtet;

5. für die Norm der internationalen Schutzverantwortung innerhalb der Euro-
päischen Union, aber auch gegenüber Nicht-EU-Staaten zu werben, um ihr
eine höhere Akzeptanz zu verleihen;

6. auf die Etablierung eines nationalen und regionalen Frühwarnsystems für
Menschenrechtsverletzungen hinzuwirken, indem nach Wegen gesucht
wird, wie bestehende Strukturen verbessert und regionale und subregionale
Akteure besser eingebunden werden können;

7. sich für die Ausarbeitung von Leitkriterien vergleichbar den der „Interna-
tionalen Kommission zur Intervention und Staatensouveränität“ stark zu
machen, die bei UN-mandatierten militärischen Einsätzen zum Schutz vor
massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen herangezogen
werden;

8. sich für einen Monitoringmechanismus bei UN-Mandaten im Rahmen der
Schutzverantwortung einzusetzen, der beispielsweise eine zeitliche Begren-
zung von Mandaten und klar bestimmte Berichtspflichten vorsieht;

9. sich für die Wiederaufnahme direkter Friedensverhandlungen zwischen Israel
und Palästina einzusetzen, die Parameter, wie die in der Stimmerklärung
von Großbritannien, Deutschland und Frankreich im Jahr 2011 genannten,
zur Voraussetzung haben und sich für ein sofortiges Ende des Siedlungsbaus
in den palästinensischen Gebieten einzusetzen;

10. im Zusammenhang mit den Bemühungen für eine Wiederaufnahme von
Friedensverhandlungen in Europa auf eine gemeinsame aufgeschlossene
Haltung der Europäischen Union zu einem möglichen palästinensischen
Antrag in der UN-Generalversammlung, mit dem eine Aufwertung des Sta-

tus der palästinensischen Vertretung zu einem „non member observer state“
erreicht werden soll, hinzuwirken. Die gemeinsame Haltung der Europäer

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11576

muss darauf gerichtet sein, eine Verhandlungslösung zu befördern und nicht
zu erschweren. Zugleich sollte sie sich in die Kontinuität einer Politik ein-
fügen, die den Aufbau staatlicher Strukturen unter Präsident Mahmud
Abbas und Premierminister Salam Fayyad in den vergangenen Jahren ge-
zielt gefördert hat;

11. sich für weitere Verhandlungen und den Beschluss zu einem internationalen
Waffenhandelsvertrag dergestalt einzusetzen, dass der letzte Textentwurf in
die UN-Generalversammlung eingebracht und im 1. Ausschuss beraten
wird;

12. sich aktiv und mit dem gebotenen Nachdruck dafür einzusetzen, dass eine
Konferenz zur Verwirklichung einer Zone frei von Massenvernichtungs-
waffen im Nahen und Mittleren Osten unter breiter Beteiligung der regiona-
len Akteure verwirklicht werden kann.

Berlin, den 20. November 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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