BT-Drucksache 17/11441

Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug nach erneuter Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Vom 8. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11441
17. Wahlperiode 08. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug nach erneuter
Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Mit der zweiten Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) zur Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
(BVerwG 10 C 12.12 vom 4. September 2012) wird die von Beginn an scharf
kritisierte Beschränkung des Ehegattennachzugs immer fragwürdiger. Es beste-
hen nicht nur grundsätzliche Zweifel, ob die Regelung mit EU-Recht vereinbar
ist (vgl. Bundestagsdrucksache 17/8610), wie auch das BVerwG, das zunächst
anders entschieden hatte, einräumen musste (vgl. Beschluss vom 28. Oktober
2011 – 1 C 9.10). Das BVerwG hat zudem mit seiner aktuellen Entscheidung für
den Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen eine allgemeine Härte-
fallregelung vorgeschrieben, wie sie zwar von der FDP-Fraktion immer gefor-
dert (vgl. Bundestagsdrucksache 16/11753 und Plenarprotokoll 17/52, S. 5495),
von der CDU/CSU-Fraktion aber immer abgelehnt wurde, weil mit einer sol-
chen Härtefallregelung „die ganze Vorschrift leerlaufen“ würde (so der Abge-
ordnete Reinhard Grindel, Plenarprotokoll 17/43, S. 4372 f.). Der Nachzug zu
Deutschen machte im Jahr 2011 54 Prozent des gesamten Ehegattennachzugs
aus (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestags-
drucksache 17/8823, Anlage zu Frage 27), d. h. dass die Vorschrift der Sprach-
anforderungen beim Ehegattennachzug nach dem erneuten Urteil des BVerwG
nach Einschätzung der Befürworter dieser Regelung überwiegend ins Leere läuft.

Es wäre nach Auffassung der Fragestellerinnen mithin an der Zeit, die umstrit-
tene Beschränkung des Ehegattennachzugs insgesamt zurückzunehmen. Ohne-
hin gelten zahlreiche Ausnahmen, die nicht nur unübersehbar, sondern auch
sachlich kaum nachzuvollziehen sind: So müssen Sprachnachweise im Ausland
nicht erbracht werden beim Nachzug zu hier lebenden EU-Bürgerinnen und -bür-
gern bzw. zu Staatsangehörigen der Länder Australien, Israel, Japan, Kanada,
Südkorea, Neuseeland, USA, wobei die Staatsangehörigkeit der nachziehenden
Ehegatten hierbei keine Rolle spielt. Es sind weiterhin keine Sprachnachweise
erforderlich beim Nachzug zu hier lebenden Selbständigen, Forschenden, Hoch-
qualifizierten, anerkannten Flüchtlingen sowie beim Nachzug zu Drittstaats-
angehörigen, die in einem anderen EU-Land eine langfristige Aufenthaltserlaub-
nis erworben haben, zum Teil muss in diesen Fällen die Ehe bereits im Ausland
bestanden haben. Ausnahmen gelten auch, wenn Sprachkenntnisse wegen kör-

perlicher oder seelischer Krankheit oder Behinderung unverschuldet nicht
erworben werden können (sonstige Krankheiten, Alter und Analphabetismus
aber bleiben unberücksichtigt) oder auch bei „erkennbar geringem Integrations-
bedarf“ (vgl. hierzu: § 4 Absatz 2 der Integrationsverordnung). Schließlich ist
die Regelung wegen des Verschlechterungsverbots des EWG-Türkei-Assozia-
tionsabkommens auch nicht auf die große Gruppe der türkischen Staatsange-
hörigen anwendbar, was die Bundesregierung aber – im Gegensatz etwa zur

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niederländischen und österreichischen Regierung – (noch) bestreitet. Die hieraus
resultierende so genannte Inländerdiskriminierung, d. h. dass deutsche Staats-
angehörige beim Ehegattennachzug gegenüber EU-Angehörigen und Staatsan-
gehörigen anderer Drittstaaten schlechtergestellt werden, wird durch das aktuelle
Grundsatzurteil des BVerwG zwar etwas abgemildert, die Unübersichtlichkeit
aber steigt an.

In seinem ersten Grundsatzurteil vom 30. März 2010 hatte das BVerwG Vor-
gaben für Ausnahmefälle gemacht, die so hoch waren, dass sie in der Praxis
kaum zur Anwendung kommen können: Selbst wenn der Spracherwerb unver-
schuldet dauerhaft unmöglich ist, sei es hier lebenden Drittstaatsangehörigen
mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis zuzumuten, ihre gesamte ökono-
mische und soziale Existenz und ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland aufzu-
geben, um die Ehe im Ausland zu führen. Beim Ehegattennachzug zu Deut-
schen schreibt das BVerwG in seinem Urteil vom 4. September 2012 nun aber
eine umfassende Zumutbarkeitsprüfung vor, die persönliche Gründe ebenso
berücksichtigen muss wie besondere Umstände im Herkunftsland (vgl. Rn. 28).
Das BVerwG zog eine Grenze von einem Jahr Trennung, die nicht überschritten
werden dürfe, wenn zumutbare Bemühungen zum Spracherwerb erfolglos ge-
blieben sind (ausreichend seien dann auch nur mündliche einfache Sprach-
kenntnisse). Die Regelung der Sprachnachweise gilt aber „von vornherein“
nicht, wenn Ehegatten der Spracherwerb nicht zuzumuten ist, etwa, weil in dem
betreffenden Land keine Sprachkurse angeboten werden oder deren Besuch mit
einem hohen Risiko verbunden wäre und auch sonst keine Erfolg versprechen-
den Alternativen zum Spracherwerb bestehen. „Bei der Zumutbarkeitsprüfung
sind insbesondere die Verfügbarkeit von Lernangeboten, deren Kosten, ihre
Erreichbarkeit sowie persönliche Umstände zu berücksichtigen, die der Wahr-
nehmung von Lernangeboten entgegenstehen können, etwa Krankheit oder Un-
abkömmlichkeit“ (ebd.). Es ist absehbar, dass diese Ansammlung unbestimmter
Rechtsbegriffe zu einer Vielzahl von Rechtsstreitverfahren führen wird, sofern
die Regelung nicht ganz abgeschafft werden sollte.

In einem orbiter dictum hob das BVerwG von der Öffentlichkeit weitgehend un-
bemerkt noch eine weitere seit 2007 geltende Regelung auf: Die Verweigerung
des Ehegattennachzugs zu Deutschen darf ab sofort nicht mehr im Ausnahme-
fall mit der Begründung untersagt werden, dass der Lebensunterhalt der Be-
troffenen nicht aus eigenen Mitteln gedeckt sei. Von Deutschen darf grund-
sätzlich nicht verlangt werden, dass sie ihre Ehe im Ausland führen oder auf ein
eheliches Zusammenleben verzichten, weil ihnen Artikel 11 des Grundgesetzes
(GG) ein Recht zum Aufenthalt in Deutschland vermittelt. Auch eine doppelte
Staatsangehörigkeit ändert hieran nichts, stellt das BVerwG im Gegensatz zur
damaligen Gesetzesbegründung zu § 28 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)
unmissverständlich klar. Die Fraktion DIE LINKE. hatte schon im Gesetz-
gebungsverfahren (vgl. Bundestagsdrucksachen 16/5108 und 16/5634) auf den
Verstoß gegen Artikel 11 GG hingewiesen und überdies kritisiert, dass mit der
nunmehr verworfenen Regelung „Deutsche zweiter Klasse“ geschaffen würden,
weil insbesondere Eingebürgerte mit doppelter Staatsangehörigkeit das Grund-
recht auf Familienzusammenleben nur unter sozial selektivem Vorbehalt in An-
spruch nehmen können sollten, nämlich wenn sie auch nach der Einbürgerung
ihre „Integration“ durch vollständige Lebensunterhaltssicherung unter Beweis
gestellt hätten (vgl. die Gesetzesbegründung).

Auf die Schriftliche Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 17/11426 nach den
Konsequenzen aus dem Urteil des BVerwG und genauen Vorgaben zur Umset-
zung des Urteils antwortete die Bundesregierung am 6. November 2012 lapidar,
sie gehe davon aus, dass die Bundesländer das Urteil umsetzten, die Entschei-
dung habe Eingang in die geltende Erlasslage des Auswärtigen Amts gefunden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11441

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des
BVerwG vom 4. September 2012 (10 C 12.12) im Hinblick auf das zentrale
migrationspolitische Vorhaben der Sprachnachweise im Ausland als Voraus-
setzung des Ehegattennachzugs im Allgemeinen?

2. Inwieweit hält die Bundesregierung die Regelung verpflichtender Nach-
weise von Deutschkenntnissen bereits im Ausland als Voraussetzung des
Ehegattennachzugs immer noch für sinnvoll und praktikabel, nachdem in-
folge des genannten BVerwG-Urteils für die Mehrzahl aller Nachzugsfälle
nunmehr der Vorbehalt einer allgemeinen Härtefall- bzw. Zumutbarkeitsprü-
fung gilt, was nach Ansicht maßgeblicher Abgeordneter der Regierungsfrak-
tion CDU/CSU die Vorschrift „leerlaufen“ lässt (siehe Vorbemerkung, bitte
begründen)?

3. Inwieweit hält die Bundesregierung die Regelung verpflichtender Nach-
weise von Deutschkenntnissen bereits im Ausland als Voraussetzung des
Ehegattennachzugs immer noch für sinnvoll und praktikabel, nachdem in-
folge des genannten BVerwG-Urteils die Ausnahmeregelungen zum Sprach-
erwerb weiter angewachsen sind (siehe Vorbemerkung) und insbesondere
auch nach Kriterien der Gleichbehandlung und Rechtsklarheit nach Ansicht
von Experten erhebliche Zweifel an der nahezu unübersehbaren Regelung
bestehen (bitte ausführen)?

4. Inwieweit hält die Bundesregierung die Regelung verpflichtender Nach-
weise von Deutschkenntnissen bereits im Ausland als Voraussetzung des
Ehegattennachzugs immer noch für sinnvoll und praktikabel, nachdem in-
folge des BVerwG-Urteils künftig eine komplexe Zumutbarkeitsprüfung
vorgenommen werden muss, die absehbar zu einer Vielzahl von Rechtsstreit-
verfahren führen wird, die insbesondere für die Betroffenen höchst belastend
sein werden?

5. Welchen Anteil und Umfang hatten die in der Vorbemerkung beispielhaft
genannten Ausnahmegruppen am gesamten Ehegattennachzug in den letzten
drei Jahren und im aktuellen Jahr (bitte nach Jahren differenziert angeben
sowie nach Ausnahmegruppen differenzieren):

a) Ehegattennachzug zu EU-Bürgerinnen und -bürgern,

b) Ehegattennachzug zu Selbständigen, Forschenden, Hochqualifizierten,

c) Ehegattennachzug zu Staatsangehörigen der Länder Australien, Israel,
Japan, Kanada, Südkorea, Neuseeland, USA (bitte differenzieren),

d) Ehegattennachzug zu Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltserlaubnis
nach § 38a AufenthG,

e) Ausnahmen wegen Erkrankung oder Behinderung, die dem Spracherwerb
entgegensteht,

f) Ausnahmen wegen offenkundig bereits vorhandener Sprachkenntnisse,

g) Ausnahmen wegen „erkennbar geringem Integrationsbedarf“,

h) Ausnahme infolge des Grundsatzurteils des BVerwG vom 30. März 2010,

i) Ehegattennachzug zu türkischen Staatsangehörigen (bitte unabhängig da-
von, ob die Bundesregierung der Rechtsauffassung ist, dass diese Gruppe
von Sprachanforderungen ausgenommen werden muss, angeben),

(soweit zu einzelnen Gruppen keine eindeutigen Zahlenangaben möglich
sind, wird um eine ungefähre Einschätzung gebeten; bitte jeweils in absolu-

ten und relativen Werten – im Vergleich zur Gesamtzahl des Ehegattennach-
zugs – angeben)?

Drucksache 17/11441 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. Wie groß schätzt die Bundesregierung ungefähr die Gruppe derjenigen ein,
die sich auf die Härtefallregelung des Grundsatzurteils des BVerwG vom
4. September 2012 werden berufen können?

7. Wie genau setzt die Bundesregierung die Vorgaben im Urteil des BVerwG
vom 4. September 2012 zur Unzumutbarkeit der Sprachanforderungen im
Ausland beim Ehegattennachzug zu Deutschen um (vgl. vor allem Rn. 28 ff.),
welche Rechtsänderungen, Verordnungsänderungen, Erlasse, Anweisungen,
Rundschreiben, Änderungen von Hinweisblättern und Internethinweisen zum
Ehegattennachzug usw. durch welche Bundesministerien bzw. Behörden sind
geplant oder bereits vollzogen worden (bitte im Wortlaut oder wenigstens so
genau wie möglich angeben und nach Auswärtigem Amt, Bundesministerium
des Innern und Beauftragter der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration differenzieren; bitte in jedem Fall die geänderte Erlasslage
des Auswärtigen Amts zu Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug bei-
fügen), welche Treffen und Besprechungen mit anderen Akteuren (z. B. den
Bundesländern) sind geplant oder haben schon stattgefunden?

8. Welche konkretisierenden Anwendungshinweise macht die Bundesregie-
rung insbesondere zu den zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen zu der
vom BVerwG mit seinem Urteil angeordneten Zumutbarkeitsprüfung, bzw.
wie beantwortet sie die folgenden Fragen, unabhängig davon, ob Anwen-
dungshinweise hierzu gegeben wurden?

a) In welchen Ländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
keine Sprachkurse angeboten?

b) In welchen Ländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
zwar vereinzelt Sprachkurse angeboten, jedoch nicht flächendeckend, so
dass der Sprachkursbesuch aufgrund langer Anfahrtswege unzumutbar
ist, wenn die Betroffenen nicht in den jeweiligen Städten wohnen, in
denen die Kurse angeboten werden?

Welche Wegezeiten werden generell für zumutbar gehalten?

c) In welchen Ländern werden zwar Sprachkurse angeboten, die aber ins-
besondere für Personen, die nicht in den betreffenden Städten wohnen,
nur mit hohem Risiko erreichbar wären; was genau ist unter einem
„hohen Risiko“ zu verstehen, und inwieweit sind dabei Frauen z. B. mehr
gefährdet als Männer?

d) Was genau sind „erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb“,
und inwieweit werden dabei Umstände wie individuelle Bildung, An-
alphabetismus, Umgang mit Medien usw. berücksichtigt?

e) Kosten bis zu welcher Höhe sind nach Ansicht der Bundesregierung bei
welchen Einkommensverhältnissen zumutbar, und inwieweit werden da-
bei insbesondere auch die Kosten berücksichtigt, die für Fahrten, Über-
nachtungen, Nichterwerbstätigkeit und Kinderbetreuung für die Zeiten
des Sprachkursbesuchs usw. entstehen?

f) Welche Krankheiten über welche Zeiträume werden als dem Sprach-
erwerb hinderlich angesehen, und welche Nachweise sind hierzu zu er-
bringen?

g) Wann wird eine „Unabkömmlichkeit“ angenommen; gilt dies z. B. bei
voll erwerbstätigen Personen oder solchen, die beispielsweise in der
Landwirtschaft oder dem Hof oder Betrieb der Familie mithelfen müssen
oder kleine Kinder (ab wie vielen Kindern in welchem Alter) oder auch
ältere Menschen zu betreuen haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11441

9. Wie genau setzt die Bundesregierung die Vorgaben im Urteil des BVerwG
vom 4. September 2012 zum grundsätzlich unzulässigen Verweis deut-
scher Staatsangehöriger auf das Ausland zur Führung der Ehe bzw. zum Ver-
zicht auf eheliches Zusammenleben auch bei ungesicherter eigenständiger
Lebensunterhaltssicherung und bei Doppelstaatsangehörigen um (§ 28 Ab-
satz 1 Satz 3 in Verbindung mit § 5 Absatz 1 Nummer 1 AufenthG, vgl. vor
allem Rn. 26, 30 und 31), welche Rechtsänderungen, Verordnungsänderun-
gen, Anweisungen, Rundschreiben, Änderungen von Hinweisblättern und
Internethinweisen zum Ehegattennachzug usw. durch welche Bundesminis-
terien bzw. Behörden sind geplant oder bereits vollzogen worden (bitte so ge-
nau wie möglich angeben und nach Auswärtigem Amt, Bundesministerium
des Innern und Beauftragter der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration differenzieren), welche Treffen und Besprechungen mit an-
deren Akteuren (z. B. den Bundesländern) sind geplant oder haben schon
stattgefunden?

10. Ist die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister
des Innern, Dr. Ole Schröder, vom 6. November 2012 auf die Schriftliche
Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 17/11426 (die Bundesregierung geht
demnach davon aus, dass die Länder sich nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung richten) so zu verstehen, dass die Bundesregierung keine
Gesetzesänderung in § 28 Absatz 1 Satz 3 AufenthG und auch keine Ände-
rungen der Verwaltungsvorschriften und nicht einmal eine Information der
Bundesländer für erforderlich hält, obwohl das BVerwG unmissverständ-
lich festgestellt hat, dass die im Gesetz verankerte Befugnis, den Ehegat-
tennachzug zu Deutschen mit der Begründung mangelnder eigenständiger
Lebensunterhaltssicherung in bestimmten Fällen zu versagen, verfassungs-
widrig ist (bitte ausführlich begründen)?

11. Inwieweit ist die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bun-
desminister des Innern, Dr. Ole Schröder, vom 6. November 2012 auf die
Schriftliche Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 17/11426 mit der Ver-
pflichtung der Bundesregierung zu umfassender Beantwortung parlamen-
tarischer Anfragen vereinbar, wenn auf die Frage nach der genauen Um-
setzung der Vorgabe des BVerwG einer Härtefallregelung lediglich abstrakt
geantwortet wird, die Hinweise im Urteil hätten Eingang in die geltende
Erlasslage des Auswärtigen Amts gefunden (bitte ausführen)?

12. Wie lauten die korrekten Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 11
und 12 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/5498 vor dem
Hintergrund des Urteils des BVerwG vom 4. September 2012?

13. Inwieweit bedauert die Staatsministerin Dr. Maria Böhmer angesichts des
aktuellen BVerwG-Urteils ihre damalige Verteidigung der Neuregelung zu
§ 28 Absatz 1 Satz 3 AufenthG, und hat sie sich gegenüber Verbänden
und konkret Kenan Kolat, welche die Regelung als ungerechtfertigte Be-
nachteiligung eingebürgerter Deutscher kritisiert hatten, woraufhin die Be-
auftragte sie öffentlich über die Rechtslage falsch belehrte und zudem
erklärte, dass „bei mir das Verständnis aufhört, und zwar auch, was die Ver-
antwortung eines Verbandsvertreters betrifft“, der „angehalten“ sei, „seine
Mitglieder, seine ‚community‘ über die tatsächliche Rechtslage in Deutsch-
land aufzuklären und nicht einem Phantom nachzujagen“ (http://archiv.
bundesregierung.de/Content/DE/Archiv16/Pressekonferenzen/2007/07/2007-
07-12-pk-integrationsgipfel.html) bereits entschuldigt oder hat sie dies noch
vor?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/11441 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

14. Wie ist es zu erklären, dass gleich zwei Vertreterinnen der Bundesregierung
im Rahmen einer Pressekonferenz die geltende Rechtslage bzw. Rechts-
änderungen falsch dargestellt bzw. bewertet haben (Nachweis wie zuvor);
basierte dies auf Unkenntnis der Rechtslage oder sollte die Öffentlichkeit
über die Rechtslage getäuscht werden?

a) Worauf stützte sich die Behauptung der Staatsministerin Dr. Maria
Böhmer, „derjenige, der den deutschen Pass besitzt, wird gleich behan-
delt. Es ist geltendes Recht bei uns. Es gibt keinen Deutschen erster oder
zweiter Klasse“, die angesichts der Schlechterbehandlung von Deut-
schen mit doppelter Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 28 Absatz 1
Satz 3 AufenthG unzutreffend war?

b) Worauf stützte sich die damalige Bundesministerin Brigitte Zypries, die
fälschlich ergänzte: „Falls Sie auf die Gewährung von Sozialhilfe abstel-
len, muss man noch sagen, dass wir die eigene Sicherung des Lebensun-
terhaltes in der Regel gerade nicht zur Voraussetzung für den Ehegatten-
nachzug gemacht haben. Das ist in dem Gesetz eine positive Verände-
rung gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage“, vor dem Hinter-
grund, dass die Neuregelung des § 28 Absatz 1 Satz 3 AufenthG aber
eine Verschlechterung der bis dahin geltenden Rechtslage war, die die
Versagung des Ehegattennachzugs zu Deutschen mit der Begründung
unzureichend gesicherter Lebensunterhaltssicherung unter keinen Um-
ständen vorsah?

15. Welche Kenntnisse zur praktischen Anwendung der Neuregelung des
§ 28 Absatz 1 Satz 3 AufenthG seit 2007 liegen der Bundesregierung vor,
von welchen Einzelfällen hat sie Kenntnis, in welchem Umfang wurde von
ihr Gebrauch gemacht (bitte so differenziert wie möglich beantworten und
soweit keine Daten vorliegen, bitte Schätzungen abgeben)?

16. In welcher Weise hat die Bundesregierung auf die ihr von der EU-Kom-
mission im „EU-Pilot“-Fall mit der Referenznummer 3818/12/HOME
(Anwendung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie) gestellten Fra-
gen reagiert (bitte so detailliert wie möglich beantworten, differenziert nach
der jeweiligen Frage und Antwort, beteiligtem Bundesministerium und
Datum), und wie sind die nächsten Schritte dieses Prüfverfahrens?

17. Wie begründet die Bundesregierung ihr Festhalten an der Regelung der
Sprachnachweise im Ausland als Bedingung des Ehegattennachzugs, nach-
dem sie in der Vergangenheit zur Rechtfertigung vorgebracht hat, auch
andere EU-Länder würden zunehmend auf solche Sprachtests im Ausland
setzen, aber dem Grünbuch der EU-Kommission zur Familienzusammen-
führungsrichtlinie vom 15. November 2011 zu entnehmen ist, dass nur noch
zwei weitere EU-Mitgliedstaaten neben Deutschland das Bestehen eines
Sprachtests zur Einreisevoraussetzung machen?

Wie begründet die Bundesregierung also entgegen ihrer ursprünglichen
Argumentation das Festhalten an einer Sonderrolle in der EU, zumal Deutsch-
land mit schriftlichen und mündlichen Sprachkenntnissen des Niveaus A1
die EU-weit höchsten Anforderungen stellt (Nachfrage zur insoweit unbeant-
wortet gebliebenen Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 17/8318)?

18. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung (z. B. des Oberver-
waltungsgerichts Rheinland-Pfalz; Beschluss vom 29. Juni 2012 – 7 B
10536/12.OVG), dass durch die Verweisregelung in § 28 Absatz 1 Satz 5
AufenthG auf § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AufenthG auch beim Ehe-
gattennachzug zu Deutschen die Frage Bedeutung erlangt, ob die zuletzt
genannte Vorschrift mit Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/86/EG

vereinbar ist, was vom BVerwG für offen gehalten wird (bitte begründen),
und was folgt hieraus?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11441

19. Welche „wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse“ benötigt die Bundes-
regierung, um die Frage beantworten zu können, ob davon ausgegangen
werden kann, dass alle Integrationskursteilnehmenden nach 600 Sprach-
kurseinheiten über mindestens das Sprachniveau A1 verfügen, wenn nach
Angaben der Bundesregierung dieses Sprachniveau normalerweise nach
rund 80 bis 200 Unterrichtseinheiten erreicht wird und 92 Prozent aller Prü-
fungsteilnehmenden das – höhere – Niveau A2 erreichen (Nachfrage zu
Bundestagsdrucksache 17/10067, Antworten zu den Fragen 4 und 5), und
täuscht der Eindruck, dass die Bundesregierung diese Frage entgegen
besseren Wissens nicht beantworten will, weil sie dann einräumen müsste,
dass das Ziel des Erwerbs einfacher Sprachkenntnisse selbstverständlich
auch in Deutschland erreicht und sichergestellt werden kann (bitte aus-
führen)?

20. Wird das Sprachniveau B1 durchschnittlich schneller erreicht, wenn der
Spracherwerb von Beginn an und durchgehend in einem Integrationskurs
in Deutschland erfolgt oder wenn Sprachkenntnisse des Niveaus A1 zu-
nächst im Ausland erworben werden müssen – und zwar im Regelfall nicht
in einem Sprachkurs des Goethe-Instituts, sondern im Selbststudium oder
mithilfe von Fernlernangeboten – und dann einige Monate bis zur Fort-
setzung des Spracherwerbs in einem Integrationskurs in Deutschland ver-
gehen (bitte ausführen und begründen; Wiederholung einer nun schon zwei
Mal unbeantwortet gebliebenen Frage, zumal die Bundesregierung nicht
einmal auf den konkreten Vorhalt der Nichtbeantwortung eingegangen ist;
vgl. Frage 7d auf Bundestagsdrucksache 17/6924 und Frage 7 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/10067)?

21. Ist es aus Sicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sachgerecht
und in sich schlüssig, sowohl für eine Einbürgerung als auch für eine mehr
als einjährige Aufenthaltserlaubnis dasselbe Sprachniveau zu fordern (bitte
begründen), und wie bewertet es entsprechend die Neuregelung des § 8
Absatz 3 Satz 6 AufenthG (Wiederholung einer nun schon zum zweiten
Mal unbeantwortet gebliebenen Frage, zumal die Bundesregierung nicht
einmal auf den konkreten Vorhalt der Nichtbeantwortung eingegangen ist;
vgl. Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/10063 und Frage 11 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/6924)?

22. Welche Angaben genau haben welche Bundesländer auf entsprechende
Länderabfragen zum Thema der Teilnahme von zum Integrationskurs Ver-
pflichteten gemacht (bitte so differenziert wie möglich, auch nach Jahren
und Bundesländern, darstellen), aufgrund derer vorbehaltlich der Validität
der Daten davon ausgegangen werden kann, dass nur etwa 6 Prozent der
Verpflichteten ihrer Teilnahmeverpflichtung nicht nachgekommen seien
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache
17/10063 zu Frage 8)?

23. Auf welche „integrationspolitischen Neuregelungen der letzten Jahre“ ge-
nau führt die Bundesregierung die in der vorherigen Frage genannte Ent-
wicklung zurück (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf Bundes-
tagsdrucksache 17/10063 zu Frage 8), zumal entsprechende Neuregelungen
erst zum 1. Juli 2011 in Kraft getreten sind?

24. Stimmt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass, so die Bundes-
regierung, keine Angaben zu den Gründen für die Nichtteilnahme am In-
tegrationskurs vorliegen (vgl. ebd.), der Auffassung zu, dass unter den ge-
nannten 6 Prozent viele sein werden, die gute und nachvollziehbare Gründe
für ihre Nichtteilnahme hatten (so nannte die Bundesregierung auf Bun-
destagsdrucksache 16/14157, Seite 5 Entschuldigungsgründe wie „z. B.

Umzug, Fortzug ins Ausland, Schwangerschaft, Eintritt in den Arbeits-
markt, Krankheit, Teilnahme an vorhandenem Kursangebot nicht zumut-

Drucksache 17/11441 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
bar“), und inwieweit ist vor diesem Hintergrund die Behauptung zulässig
oder unzulässig, es gebe eine verbreitete oder nennenswerte „Integrations-
verweigerung“ in Bezug auf die Nichtteilnahme an verpflichtenden Integra-
tionskursen (bitten ausführen)?

25. Wie hoch schätzt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der genannten
Zahlen und Fragen den Anteil so genannter Integrationsverweigerer in Be-
zug auf die verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen auf rund „40 Pro-
zent“ (Wolfgang Bosbach, CDU/CSU), auf „vielleicht 10 bis 15 Prozent“
(der damalige Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière), nur
etwa „1 Prozent“ (der damalige Präsident des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge Dr. Manfred Schmidt) oder „0,5 Prozent“ (eigene Berech-
nungen aufgrund von Länderangaben; Nachweise zu allen Zahlenangaben
in der Vorbemerkung auf Bundestagsdrucksache 17/4798 zur Kleinen An-
frage der Fraktion DIE LINKE. „Die Konstruktion sogenannter Integra-
tionsverweigerung“)?

26. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur (bestandskräftigen) Ver-
hängung von Bußgeldern nach § 98 Absatz 2 Nummer 4 AufenthG, zur An-
wendung von Verwaltungszwang zur Durchsetzung der Teilnahmepflicht,
zu (bestandskräftigen) Nichtverlängerungen der Aufenthaltserlaubnis und
(bestandskräftigen) Ausweisungen wegen Verletzung der Teilnahmepflicht?

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den Auswirkungen der
Neuregelung in § 8 Absatz 3 Satz 6 AufenthG?

In welchem Umfang und Anteil erhielten z. B. neu Einreisende bzw. bereits
länger hier lebende Migrantinnen und Migranten nur noch auf höchstens
ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnisse (bitte so differenziert wie mög-
lich beantworten)?

Berlin, den 8. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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