BT-Drucksache 17/11322

Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Lehrerbildung

Vom 6. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11322
17. Wahlperiode 06. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase,
Ulla Burchardt, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Petra Ernstberger, Michael
Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek,
Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold,
René Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Lehrerbildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Jedes erfolgreiche Bildungssystem gründet auf guten Schulen mit nachhaltiger
Bildungsqualität, mit sozialer Durchlässigkeit und mit Inklusion und Partizi-
pation. Gute Schule hängt wiederum stark vom fachlichen, didaktischen und
pädagogischen Wissen und Können sowie von der Motivation und Professio-
nalität der Lehrerinnen und Lehrer ab.

Der Lehrerbildung kommt deshalb eine Schlüsselfunktion im gesamten Bil-
dungs- und Ausbildungssystem zu. Dies ist vielfach durch wissenschaftliche
Studien belegt, wie zum Beispiel die Ergebnisse aus dem Schwerpunktpro-
gramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft e. V. „Bildungsqualität von
Schule“ zeigen. Parallel zu den Erhebungen der PISA-Studie (Internationale
Schulleistungsstudie der OECD) wurden in Deutschland seit dem Jahr 2000 um-
fassend Bildungsfaktoren an Schulen und im Unterricht identifiziert, welche die
Qualität von Bildungsprozessen und -ergebnissen prägen.

Auf der anderen Seite zeigt die kürzlich (April 2012) veröffentlichte Studie des
INSTITUTS FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH – Gesellschaft zum Stu-
dium der öffentlichen Meinung mbH „Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik“
auf, dass sich viele Lehrer und Lehrerinnen durch ihr Studium unzureichend auf
ihre Arbeit vorbereitet fühlen und vor immer neue und wachsende Herausforde-
rungen gestellt werden, vor allem im Umgang mit ihren Schülerinnen bzw.
Schülern und den Eltern.

Gleichzeitig wandelt sich das Anforderungsprofil an die Lehrkräfte kontinuier-
lich. Zu den erhöhten Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Bildungs-
systems und speziell der Schulbildung nach dem „PISA-Schock“ (Bildungsstan-

dards etc.) wie auch nach dem technologischen Wandel und der Digitalisierung,
die in der Schule mit Blick auf die Schüler und ihre Lernumwelt berücksichtigt
werden muss und die gleichzeitig neue Unterrichtsmethoden ermöglicht, kom-
men gesellschaftliche Veränderungen mit wachsender Migration und sozialer
Differenzierung.

Drucksache 17/11322 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die nötigen Reformen der Lehrerbildung müssen sich deshalb das Ziel setzen,
sowohl die Strukturen der Studiengänge als auch die Studieninhalte flächen-
deckend weiterzuentwickeln. Im Vordergrund steht hier eine Verbesserung der
Lehre auf Basis aktueller Erkenntnisse aus den Bildungswissenschaften, den
Fachdidaktiken sowie aus den Fachwissenschaften. Das Studium sollte die Stu-
dierenden dazu befähigen, die Unterrichtsmethoden und das eigene Handeln im
Schulumfeld zu reflektieren und zu verbessern. Die Berufsfeldbezogenheit des
Studiums soll erweitert werden durch frühzeitige Praxiserfahrungen und auch
eine bessere Verschränkung der verschiedenen Phasen der Lehrerbildung. Dabei
muss auch die Betreuung der Studierenden durch kontinuierliche Unterstützung
und Beratung in allen Phasen der Ausbildung verbessert werden. Bereits im Stu-
dium muss die Bedeutung kontinuierlicher Fort- und Weiterbildung vermittelt
werden. Diese Anforderungen müssen auch einer Qualitätsoffensive für eine
bessere Lehrerbildung zugrunde liegen.

Die Lehrerbildung gehört in die Zuständigkeit der Bundesländer. Sie wird an
ca. 120 Hochschulen in Deutschland angeboten. An einigen von ihnen sind in
den letzten Jahren „Zentren der Lehrerbildung“ entstanden. Die Verbesserung
der Lehrerbildung ist eines der sieben Handlungsfelder, die nach dem „PISA-
Schock“ des Jahres 2001 in Deutschland in der Ständigen Konferenz der Kultus-
minister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und zwischen
Bund und Ländern vereinbart worden sind.

So hat die KMK 2004 zur wechselseitigen Anerkennung von Bachelor- und
Masterstudiengängen im Lehramt gemeinsame Standards zur Weiterentwick-
lung der Lehrerausbildung entwickelt. In der Definition dieser Standards heißt
es, dass Lehrerinnen und Lehrer Fachleute für Lehren und Lernen sind, eine
Erziehungsaufgabe in der Schule wahrnehmen, sich an der Schulentwicklung
beteiligen und ihre Kompetenzen ständig weiterentwickeln müssen. Zur besse-
ren Vergleichbarkeit gibt es seit längerem die von der KMK festgelegten Struk-
turen von sechs Lehramtstypen, die die Mobilität zwischen den Ländern erleich-
tern sollen. Ebenso wurden von der KMK seit 2008 ländergemeinsame
inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und die Fachdidaktiken
in der Lehrerbildung festgelegt sowie richtungsweisende Beschlüsse zur inklu-
siven Bildung als Grundlage einer Reform der Lehrerausbildung gefasst.

Trotzdem gibt es nach wie vor in der Gestaltung der Lehrerbildung große Unter-
schiede in den einzelnen Ländern. Während einige Länder auf Bachelor und
Master umgestellt haben, beharren andere auf dem traditionellen Staatsexamen.
Wo Bachelor und Master eingeführt werden, geschieht dies nach unterschied-
lichen Modellen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Schularten nach der Grund-
schule in den einzelnen Ländern eher zu- als abnimmt. Sie variiert in den 16 Län-
dern von zwei bis zu fünf verschiedenen Schularten. Dieser föderale Flicken-
teppich führt immer noch zu Mobilitätshemmnissen sowohl unter den Lehramts-
studierenden als auch unter den Lehrkräften. Problematisch ist außerdem, dass
Studierende, die den Bachelorabschluss im Lehramt gemacht haben und keine
Zulassung zum Masterstudium bekommen, Probleme im Hinblick auf ihre wei-
tere Berufsperspektive haben.

Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass in den nächsten Jahren ein Lehrermangel
für nahezu alle Fächer und Schulstufen zu erwarten ist, da viele Lehrerinnen und
Lehrer altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden. 12 Prozent der Lehr-
kräfte sind heute älter als 60 Jahre alt, 36 Prozent zwischen 50 und 60, 25 Pro-
zent zwischen 40 und 50, nur 21 Prozent zwischen 30 und 40 Jahren und 6 Pro-
zent unter 30 Jahre alt. Auch aus diesem Grund muss das Lehramtsstudium in
Zukunft attraktiver gestaltet werden und mehr gesellschaftliche Aufmerksam-
keit und Wertschätzung erfahren.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11322

Ende des Jahres 2011 hat die Bundesregierung eine „Exzellenzinitiative für die
Lehrerbildung“ angekündigt, mit der Bund und Länder fünf Jahre lang und mit
der Option einer Verlängerung auf weitere fünf Jahre zwischen zehn und 16 Zu-
kunftskonzepte als „Leuchttürme“ der Lehrerausbildung fördern sollten. Ziele
der „Exzellenzinitiative“ sollten sein die bessere Vergleichbarkeit der Lehrer-
ausbildung in den Ländern, die Profilierung und Optimierung der Strukturen der
Lehrerausbildung an den Hochschulen, bessere Verzahnung der Ausbildungs-
phasen in der Lehrerausbildung, Qualitätsverbesserung des Praxisbezugs, Stär-
kung der Fachdidaktik, bessere und gezielte Beratung der Studierenden und eine
bessere Vorbereitung auf heterogene Klassen (z. B. Inklusion von Kindern mit
Behinderung).

Am 20. April 2012 beschlossen Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissen-
schaftskonferenz (GWK), statt einer Exzellenzinitiative eine „Qualitätsoffensive
in der Lehrerbildung“ aufzulegen. Das mit 500 Mio. Euro (Bund und Länder) ge-
plante Programm soll 2013 starten und zehn Jahre laufen. Durch die Offensive
sollen zur Verbesserung der Qualität und zur Modernisierung der Lehrerausbil-
dung innovative Konzepte an Hochschulen als Best-Practice-Modelle mit
Vorbildcharakter gefördert werden, die dann in den einzelnen Ländern Breiten-
wirkung entfalten sollen. Der Studiengang soll einen höheren Stellenwert
bekommen und attraktiver werden. Vorschläge zur konkreten Ausgestaltung der
Initiative soll eine Bund-Länder-Staatssekretärs-Arbeitsgruppe erarbeiten, über
die die GWK dann im November 2012 entscheiden soll.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt

1. das Vorhaben der Bundesregierung und der Bundesländer, ein Programm für
mehr Qualität in der Lehrerausbildung aufzulegen, um besonders innovative
Konzepte in der Lehrerausbildung zu stimulieren und zu unterstützen;

2. die bisherigen Initiativen der KMK, über gemeinsame inhaltliche Anforde-
rungen und Standards eine bessere Anerkennung von Lehramtsabschlüssen
zwischen den einzelnen Ländern zu erreichen sowie die Lehrerbildung allge-
mein qualitativ aufzuwerten und zu modernisieren;

3. die Bemühungen vieler Hochschulen, moderne Ansätze zur Eignungsfeststel-
lung, zu mehr Praxisbezug und zum besseren Umgang mit Heterogenität im
Unterricht in die Studiengänge zu implementieren;

4. die Beschlüsse der KMK zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugend-
lichen mit Behinderung in Schulen im Grundsatz, weist aber gleichsam auf
den von den Verbänden behinderter Menschen zu Recht formulierten Weiter-
entwicklungsbedarf der KMK-Empfehlungen hin.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den Ländern einen Qualitätswettbewerb für eine Verbesse-
rung der Lehrerbildung auf den Weg zu bringen, der in einem wettbewerb-
lichen Verfahren auf der Grundlage wissenschaftsbasierter Kriterien inno-
vative Zukunftskonzepte der Lehrerbildung unterstützt und dazu beitragen
soll, die Lehrerbildung an allen Hochschulen zu modernisieren;

2. gemeinsam mit den Ländern diesen Qualitätswettbewerb so zu gestalten, dass
sich die Hochschule als Ganzes bzw. Hochschulverbünde mit gemeinsamen
Zukunftskonzepten für die Lehrerbildung bewerben können und dass sich so-
wohl Hochschulen mit einer sehr guten innovativen Lehrerausbildung bewer-
ben können, wie auch solche Hochschulen eine Chance auf Förderung haben,
die einzeln oder im Verbund über gute Entwicklungspotentiale verfügen und

mit der Lehrerbildung künftig eine stärkere Profilierung anstreben;

Drucksache 17/11322 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. gemeinsam mit den Ländern den Qualitätswettbewerb so auszugestalten,
dass Hochschulen in allen 16 Ländern gefördert werden, um den Transfer
der Erfahrungen der besonders innovativen Hochschulen unmittelbar in alle
Bundesländer zu befördern. Zugleich ist eine länderübergreifende Beglei-
tung der Wettbewerbsphase zu organisieren, die den Austausch der am Wett-
bewerb beteiligten Hochschulen über die Grenze der Bundesländer hinaus
sicherstellt und so zu einer Aufnahme der Reformimpulse an allen Hoch-
schulen mit Lehrerbildung in Deutschland beiträgt;

4. insbesondere mit den Ländern solche Zukunftskonzepte zu fördern, die
Ausbildung auf dem neuesten Stand der Forschung in den Fächern, Fach-
didaktiken und Bildungswissenschaften praktizieren. Erforderlich sind vor-
rangig neue Konzepte, die höhere Praxisanteile beinhalten, dem inklusiven
Bildungsansatz Rechnung tragen, das Unterrichten mit Heterogenität in
multiprofessionellen Teams verbessern und die Lehrkräfte auch auf das
Schulangebot von Ganztagsschulen vorbereiten;

5. durch den Qualitätswettbewerb als Teil des Qualitätspaktes Lehrerbildung
eine größere Vergleichbarkeit der Lehramtsstudiengänge und der -ab-
schlüsse an deutschen Hochschulen zu erreichen und daher nur solche
Hochschulen zu fördern, deren Studienpläne auf die KMK-Standards und
„ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaf-
ten und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ der KMK bezogen sind;

6. darauf hinzuwirken, dass die Bundesländer in ihrer jeweiligen Verantwor-
tung für die Hochschulen den ausgewählten Best-Practice-Modellen durch
geeignete eigene Maßnahmen Breitenwirkung ermöglichen und die Zu-
kunftskonzepte über den Förderzeitraum hinaus institutionell absichern;

7. gemeinsam mit den Ländern insbesondere solche Zukunftskonzepte zu för-
dern, die von ihren pädagogischen Ansätzen her eine schulstufenbezogene
und somit schulartenübergreifende Lehrerausbildung verfolgen, auch um
mehr Flexibilität im Lehrereinsatz und die Umsetzung des Zieles der Inklu-
sion und Integration zu fördern;

8. dabei in Betracht zu ziehen, dass für die Grundschulen aufgrund des Alters
der Schülerinnen und Schüler sowie für die beruflichen Schulen aufgrund
des spezifischen Bildungszieles gesonderte Kompetenzen und darum Aus-
bildungen nötig sind;

9. bei der Auswahl der zu fördernden Konzepte darauf zu achten, dass es eine
enge Kooperation mit einer oder mehreren Schulen gibt, damit die Grund-
lagen für eine praxisnahe Ausbildung gesichert werden;

10. gemeinsam mit den Ländern einen Ausbau der Studienplätze für Lehramts-
studierende voranzutreiben. Diejenigen Studierenden, die die Lehramtsaus-
bildung in Form eines Bachelor-/Masterstudiengangs absolvieren, sollen
dabei nach einem Bachelorabschluss einen Rechtsanspruch auf einen Mas-
terstudienplatz erhalten, um das Studium erfolgreich beenden zu können.
Ziel ist ein grundständiges Studium, das alle Lehramtsstudierenden zum
Master oder Staatsexamen führt;

11. darauf hinzuwirken, nach dem grundständigen Bachelor eine Anschluss-
fähigkeit zu anderen pädagogischen Berufen (z. B. in der Erwachsenenbil-
dung, im Bildungsmanagement etc.) zu entwickeln, damit Lehramtsstudie-
rende, die an ihrer Eignung für den Schuldienst zweifeln bzw. die sich zu
anderen Ausbildungs- und Arbeitsfeldern hin orientieren wollen, eine beruf-
liche Alternative haben;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11322

12. die Bereitschaft zum lebensbegleitenden Lernen in der Lehrerausbildung zu
fördern, damit Lehrkräfte im gesamten Verlauf ihres Berufslebens in der
Lage sind, ihre Unterrichtsmethoden anhand neuer wissenschaftlicher Er-
kenntnisse und gesellschaftlicher Veränderungen zu erweitern und zu ver-
ändern;

13. die Prävention und Bekämpfung des Analphabetismus in der Lehrerbildung
inhaltlich zu verankern;

14. die berufs- und unterrichtsbezogene Forschung an den Hochschulen zu ver-
stärken, damit wissenschaftliche Erkenntnisse über die kontinuierliche Rück-
kopplung mit der schulischen Praxis direkt in die Lehreraus- und -weiter-
bildung sowie in die Schulpraxis einfließen können;

15. mit den Ländern zusammen darauf hinzuwirken, dass sich Deutschland
regelmäßig an der OECD-Lehrerstudie (TALIS) beteiligt, um regelmäßig
gesicherte Erkenntnisse über dieses Berufsfeld im internationalen Vergleich
zu bekommen und diese in die Lehrerbildung mit einfließen zu lassen;

16. gemeinsam mit den Ländern durch geeignete Maßnahmen allen pädagogi-
schen Berufen in der Gesellschaft mehr Anerkennung und Ansehen ihrer
Arbeit zu verschaffen. Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer üben eine verant-
wortungsvolle Tätigkeit aus, sondern auch alle anderen Fachkräfte, die in
pädagogischen Berufen tätig sind, kommen ebenso gesellschaftlich wich-
tigen und hoch verantwortungsvollen Aufgaben nach.

Berlin, den 6. November 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.