BT-Drucksache 17/11258

Darstellung der Agro-Gentechnik auf den Portalen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung "biotechnikum.eu" und "biosicherheit.de" sowie Haltung der Bundesregierung zu möglichen Interessenskonflikten unter anderem im Zusammenhang mit dem EU-Projekt GRACE

Vom 26. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11258
17. Wahlperiode 26. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Darstellung der Agro-Gentechnik auf den Portalen des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung „biotechnikum.eu“ und „biosicherheit.de“ sowie Haltung
der Bundesregierung zu möglichen Interessenkonflikten unter anderem im
Zusammenhang mit dem EU-Projekt GRACE

Die Agro-Gentechnik ist hinsichtlich ihrer Bedeutung und Leistungsfähigkeit
als auch hinsichtlich der Risiken und Auswirkungen auf Gesundheit, Umwelt,
Wirtschaft und Verbraucher eine hoch umstrittene Technologie. Um sich eine
fundierte eigene Meinung bilden zu können, sind die Öffentlichkeit, insbeson-
dere Schülerinnen und Schüler, auf fachlich korrekte, ausgewogene und von un-
abhängigen Institutionen erstellte Informationen und Materialien angewiesen,
die auch kritische Aspekte des Themas und über den naturwissenschaftlichen
Bereich hinausgehende relevante Fragestellungen umfassen. Diese Maßstäbe
und Kriterien sind insbesondere bei Projekten und der Arbeit von Institutionen
anzulegen, die aus Steuermitteln finanziert werden. Entsprechend muss bei der
Personalauswahl für öffentlich finanzierte Projekte und Institutionen sicherge-
stellt werden, dass mögliche Interessenkonflikte bzw. andere Einflussmöglich-
keiten von Lobbyorganisationen auf die Ausrichtung der Arbeit wirksam und
bestmöglich ausgeschlossen sind. Die vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) zu verantwortenden Internetportale „biotechnikum.eu“,
„biosicherheit.de“ und das Projekt GRACE unter Federführung des Julius
Kühn-Instituts werfen hinsichtlich dieser Anforderungen einige Fragen auf. An-
gesichts der wesentlichen Beteiligung von Bundesministerien bzw. Forschungs-
einrichtungen des Bundes an den genannten Projekten ist die Bundesregierung
zur Auskunft bzw. Stellungnahme aufgefordert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung bezüglich der Frage nach Unabhängigkeit
und möglichen Interessenkonflikten die Ernennung von Prof. Joachim
Schiemann als Projektkoordinator des EU-Projekts GRACE (GMO Risk
Assessment and Communication of Evidence), welches dem Aufbau einer
wissenschaftlichen Datenbank zur Risiko- und Nutzenbewertung von gen-
technisch veränderten Organismen (GVO) dienen soll, vor dem Hintergrund,

dass Prof. Joachim Schiemann in mehreren Institutionen zur Förderung der
Agro-Gentechnik aktiv war bzw. ist (FINAB e. V., ISBR) und in seiner Funk-
tion bei der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft an der
Entwicklung gentechnischer Methoden bzw. Pflanzen beteiligt ist?

2. Inwieweit war die Bundesregierung an dem Auswahlverfahren und der Er-
nennung von Prof. Joachim Schiemann beteiligt, und welche Position hat sie
zu diesem Personalvorschlag eingenommen?

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3. Wie bewertet die Bundesregierung die Eignung von Prof. Joachim Schiemann,
seine neuen Position im Projekt GRACE fachgerecht, unabhängig und dem Ri-
sikovorsorgeprinzip gerecht werdend ausüben zu können, vor dem Hintergrund
seiner Äußerungen, wonach von kommerziell angebauten transgenen Pflanzen
„keine Gefahren für die Umwelt oder die Gesundheit des Menschen“ ausgehen
(Akademie-Journal 1/2002 S. 39) bzw. die „Ausbreitung eines Transgens per se
kein negativer Effekt“ sei, da die „Sicherheit der eingeführten Gene […] im Zu-
lassungsverfahren sehr intensiv geprüft“ würde (FAZ, 30. April 2006)?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Aussagen von Prof. Joachim Schiemann
insbesondere vor dem Hintergrund der belegten negativen Auswirkungen
von MON810 u. a. auf Schmetterlinge und Marienkäfer, worauf das natio-
nale Anbauverbot für MON810 in Deutschland basiert?

4. Wie bewertet die Bundesregierung hinsichtlich der Frage nach Neutralität,
Unabhängigkeit und möglichen Interessenkonflikten die Beteiligung am Pro-
jekt GRACE von Institutionen wie der PR-Agentur genius gmbh – wissen-
schaft & kommunikation und dem Netzwerk PERSEUS, welche enge perso-
nelle bzw. geschäftliche Beziehungen zu Unternehmen aus dem Bereich der
Agro-Gentechnik unterhalten, sowie des Wissenschaftlichen Dienstes des
US-Agrarministeriums (USDA), welches eine klar befürwortende Position
zur Agro-Gentechnik einnimmt?

5. In welchem Ausschreibungsverfahren und aus welchen Gründen wurden die
Agentur genius gmbh – wissenschaft & kommunikation sowie der Internet-
dienstleister i-bio für die inhaltliche Konzeption und Gestaltung des Internet-
portals „biosicherheit.de“ ausgewählt?

Inwiefern hält die Bundesregierung angesichts der Notwendigkeit einer argu-
mentativ ausgewogenen Information zum Thema Agro-Gentechnik für Schü-
lerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte als wesentliche Zielgruppen dieses
Portals es für sinnvoll und sachlich angemessen, solche Unternehmen zu be-
auftragen, die Auftragnehmer von Agro-Gentechnik-Unternehmen sind und
PR-Arbeit für diese Unternehmen sowie für die Agro-Gentechnik bewer-
bende Institutionen wie den Schaugarten Üplingen betreiben?

6. Wie bewertet und begründet die Bundesregierung die aus Sicht der Fragesteller
einseitige Darstellung der Agro-Gentechnik auf dem Portal „biosicherheit.de“
im Untermenü Schule angesichts der Tatsache, dass bei den Unterthemen „Bt-
Mais“, „Sicherheitsforschung zu Bt-Mais“ und „Amylosefreie Kartoffel“ keine
Links bzw. Materialien mit kritischen Beiträgen oder Argumenten aufgeführt
sind und in den empfohlenen Unterrichtsmaterialien wesentliche Argumente bei-
spielsweise gegen den Einsatz von Bt-Pflanzen, wie die bereits aus der Anbau-
praxis in den USA bekannte Entwicklung von Schädlingsresistenzen gegen Bt-
Mais oder Studien, die im Fall von MON810 Risiken für Nichtzielorganismen
belegen und dessen nationales Anbauverbot begründen, nicht genannt werden?

7. Wie begründet die Bundesregierung die aus Sicht der Fragesteller einseitig
positive Darstellung der Agro-Gentechnik auf dem Portal „biotechnikum.eu“
am Beispiel des transgenen Maissorte MON810 (siehe www.biotechnikum.
eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/landwirtschaft.html), ohne dass auf die
offensichtlich von der Bundesregierung geteilten sowie wissenschaftlich be-
legten Risiken hinsichtlich Nichtzielorganismen hingewiesen wird, welche
das nationale Anbauverbot für MON 810 begründen?

8. Wie begründet die Bundesregierung die aus Sicht der Fragesteller einseitig
positive Darstellung der gentechnisch veränderten Kartoffel mit veränderter
Stärkezusammensetzung (gemeint ist offensichtlich „Amflora“) auf dem
Portal „biotechnikum.eu“ (www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-
nutzen/landwirtschaft.html), ohne dass Risikofaktoren wie die in dieser Kar-

toffel enthaltenen Antibiotikaresistenz erwähnt werden bzw. auf die vorhan-
denen konventionell gezüchteten Alternativen mit vergleichbaren Nutzeigen-
schaften hingewiesen wird?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11258

Warum wird die Information verbreitet, Amflora würde auch in Deutsch-
land „in geringem Umfang angebaut“, obwohl ein kommerzieller Anbau
dieser transgenen Kartoffelsorte in Deutschland aufgrund fehlender Nach-
frage seit der Zulassung nach Informationen der Fragesteller nie stattgefun-
den hat und es zurzeit überhaupt keinen Anbau von Amflora in Deutschland
gibt?

9. Wie bewertet die Bundesregierung hinsichtlich der Problematik von Inter-
essenkonflikten im Zusammenhang mit der Bewertung der Agro-Gentech-
nik die Tatsache, dass in der Argumentation auf dem vom BMBF verantwor-
teten Internetportal „biotechnikum.eu“ (www.biotechnikum.eu/biotechnologie/
einsatz-und-nutzen/landwirtschaft.html) bezüglich behaupteter Pestizidein-
sparungen durch Bt-Mais auf eine US-Studie des „National Center for Food
and Agricultural Policy“ verwiesen wird, das eng mit der Agrochemie-In-
dustrie der USA zusammenarbeitet und finanzielle Förderung für Projekte
u. a. von CropLife America und „Educational Endowment Fund of the
American Chemical Society Division of Agrochemicals“ erhält?

10. Inwieweit plant die Bundesregierung eine Korrektur bzw. Ergänzung der
Aussagen zur Agro-Gentechnik auf „biotechnikum.eu“ bezüglich angebli-
cher Pestizideinsparungen durch Bt-Pflanzen insofern, dass auch die in den
letzten Jahren zunehmende und gut belegte Problematik von Schädlings-
resistenzen (u. a. bei Bt-Mais in den USA und bei Bt-Baumwolle in China
und Indien) thematisiert sowie auf den stark gestiegenen Herbizideinsatz
beim Anbau von herbizidtolerantem GV-Soja in den USA, Argentinien und
Brasilien hingewiesen wird?

Wenn nein, mit welcher Begründung wird eine entsprechende Ergänzung
abgelehnt?

11. Wie erklärt die Bundesregierung die Widersprüchlichkeit von Aussagen auf
dem Portal „biotechnikum.eu“, dass „Ertragssicherung generell einer der
wichtigsten Gründe für den Einsatz gentechnisch optimierter Pflanzen“ sei
und „grüne Biotechnologie [= Agro-Gentechnik] auch hinsichtlich Ertrags-
steigerung einen wichtigen Beitrag für ein sicheres Morgen“ leisten könne
(www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/landwirtschaft.
html) im Vergleich zur Aussage der Bundesregierung in ihrer Antwort zu
Frage 14 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
auf Bundestagsdrucksache 17/8819, worin eingeräumt wird, dass Ertrags-
leistung ein sehr komplexes Merkmal unter Beteiligung vieler Gene dar-
stellt und keine der aktuell angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen
Modifikationen enthalten, die „Einfluss auf die Ertragsleistung per se haben“
bzw. „zu einer Verbesserung des genetischen Potenzials hinsichtlich der Er-
tragsleistung führen“?

12. Plant die Bundesregierung die auf dem Portal zur BMBF-Initiative „BIO-
Technikum“ getätigten Aussagen in Bezug auf die Auswirkungen der Agro-
Gentechnik auf die Welternährung entsprechend ihrer Antwort zu Frage 14
der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8819 zu ändern, und
wird sie die Einschätzungen der wichtigsten deutschen Entwicklungshilfe-
organisationen zu dieser Frage ergänzen?

Wenn nein, warum nicht?

13. Warum wird auf dem Portal „biotechnikum.eu“ zum Thema „Biotechnolo-
gie in der Landwirtschaft“ die klassische Züchtung anhand eines einzigen
und veralteten Beispiels der Zuckerrübe als „enorm zeitaufwändig“ dar-
gestellt (www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/landwirt-
schaft.html), ohne – wie in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 14
der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bun-

destagsdrucksache 17/8819 zu Recht geschehen – auf enorme Ertragssteige-
rungen durch konventionelle Züchtung (z. B. von 50 Prozent bei der Win-

Drucksache 17/11258 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
tergerste) und eine erhebliche Beschleunigung der konventionellen
Züchtung in den letzten Jahren durch Nutzung moderner Methoden wie
Smart Breeding und markergestützte Selektion hinzuweisen?

Aus welchen Gründen werden gleichzeitig die lange Dauer von mehreren
Jahren sowie die extrem hohen Kosten von bis zu 136 Mio. US-Dollar pro
„trait“ (Eigenschaft) für die Entwicklung von gentechnisch veränderten
Pflanzen bis zur Vermarktung verschwiegen?

14. Wie viele im Anbau befindliche transgene Pflanzen mit Trockenheits-
oder Salzresistenz sind der Bundesregierung aktuell bekannt, und worauf
stützt die Bundesregierung ihre (auf „biotechnikum.eu“) geäußerte Ein-
schätzung, „Biotechnologie könne künftig dabei helfen, Wasser einzusparen“
(www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/landwirtschaft.html),
während die Wissenschaft und die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort
zu Frage 7 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8819 davon
ausgehen, dass auch Salz- und Trockenheitsresistenzen in der Regel multi-
genetisch und multifaktoriell bedingte komplexe Eigenschaften darstellen
und folglich die Erfolgsaussichten gentechnischer Methoden in diesem Be-
reich als sehr begrenzt einzuschätzen sind?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die aus Sicht der Fragesteller einseitig
positiven Aussagen auf dem Portal „biotechnikum.eu“ zu angeblich „ge-
sundheitsfördernden Zusätzen“ wie (mittels GVO hergestellte) Vitamine so-
wie zu funktionellen Lebensmitteln (Functional Food) (siehe www.biotech-
nikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/gesundheit-und-ernaehrung.
html) vor dem Hintergrund, dass viele Ernährungswissenschaftler solche
Produkte bzw. Zusätze sehr kritisch sehen, da eine gesundheitsfördernde
Wirkung durch Studien meist nicht belegt wurden oder sogar Hinweise auf
negative Auswirkungen auf die Gesundheit bestehen (siehe u. a. www.br.de/
themen/ratgeber/inhalt/ernaehrung/functional-food100.html und www.focus.
de/gesundheit/ernaehrung/gesundessen/tid-24606/functional-food-funktio-
nelle-lebensmittel-fuer-die-zellen_aid_698824.html)?

16. Auf welche konkreten und aktuellen Projekte bzw. Praxisbeispiele mit
welchen Ergebnissen bezieht sich das BMBF auf dem Portal „biotechnikum.
eu“ (www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-und-nutzen/gesundheit-
und-ernaehrung.html) bei der Aussage, mittels transgener Pflanzen (soge-
nannter Pharma-Pflanzen) ließen sich Arzneimittelwirkstoffe produzieren,
und wie beurteilt die Bundesregierung das aus Sicht der Fragesteller beson-
dere Risikopotenzial des Anbaus von Pharma-Pflanzen für Umwelt und
menschliche Gesundheit?

17. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung bezüglich der Risiko-
bewertung hinsichtlich möglicher Gefahren für die Gesundheit durch die
Aufnahme von Antikörpern mittels eines Joghurts aus gentechnisch verän-
derten Joghurtkulturen gegen das Magengeschwüre verursachende Bakte-
rium Helicobacter pylori, wie es auf dem Portal „biotechnikum.eu“ als
Therapieidee genannt wird (www.biotechnikum.eu/biotechnologie/einsatz-
und-nutzen/gesundheit-und-ernaehrung.html)?

Berlin, den 26. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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