BT-Drucksache 17/11213

Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland

Vom 24. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11213
17. Wahlperiode 24. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Hans-Josef
Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Hermann
E. Ott, Cornelia Behm, Harald Ebner, Kai Gehring, Bettina Herlitzius, Dr. Anton
Hofreiter, Katja Keul, Stephan Kühn, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth
(Augsburg), Markus Tressel, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland wird bereits seit vielen Jahren Erdgas aus konventionellen La-
gerstätten gefördert. Die konventionellen Erdgasreserven schwinden jedoch und
werden nach Berechnungen von Experten bei gleichbleibender Förderung in
ca. einem Jahrzehnt erschöpft sein. Aus diesem Grund und in Erwartung lang-
fristig weiter steigender Erdgaspreise rücken zunehmend die sogenannten un-
konventionellen Lagerstätten in den Fokus der Erdgasindustrie. Das Erdgas wird
dabei aus dichten Gesteinsschichten wie Kohleflözen, Sandstein (Tight-Gas)
oder Tonsteinen (Schiefergas) gefördert. Um an das in diesen Gesteinen gebun-
dene Erdgas zu gelangen, werden durch die sogenannte Fracking-Methode
künstliche Risse in dem Gestein geschaffen. Dabei wird unter hohem Druck ein
Gemisch aus Wasser, Quarzsand und teils giftigen Chemikalien in eine Horizon-
talbohrung gepresst. In Niedersachsen wurde das Fracking-Verfahren bereits
häufig angewendet. Im Laufe der vergangenen drei Jahre haben sich Erdgas-
konzerne viele weitere Aufsuchungslizenzen für unkonventionelles Erdgas, vor
allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern, Baden-
Württemberg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gesichert. Auch in Hessen wurde
eine Aufsuchungslizenz beantragt, über die jedoch noch nicht entschieden
wurde. Das Fracking-Verfahren wird auch bei der Erschließung von Tiefen-
geothermie in petrothermalen Systemen angewendet.

In den USA wurde das Fracking-Verfahren in den vergangenen Jahren bereits
flächendeckend, und in wesentlich größerem Ausmaß als in Deutschland, bei
der Erdgasförderung angewendet. Der Anteil der Erdgasförderung aus unkon-
ventionellen Lagerstätten macht dort bereits heute über 50 Prozent der heimi-
schen Förderung aus. Dennoch protestieren in den USA viele gesellschaftliche

Gruppen gegen den weiteren Einsatz der Fracking-Technologie. Grund dafür
sind Berichte über verschiedene negative Umweltauswirkungen, welche mit der
Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten in Zusammenhang ge-
bracht werden. Dabei sind vor allem zu nennen

– Trinkwasserverunreinigungen durch diffundierendes Methan und/oder Che-
mikalien, welche durch Wegsamkeiten in Deckgebirgen, undichte Zementie-

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rungen oder eine unsachgemäße/fahrlässige Behandlung an der Oberfläche
mit dem Grundwasser in Kontakt kommen.

– Hoher Flächenverbrauch bei flächendeckender Erschließung unkonventio-
neller Lagerstätten, auch bei Verwendung sogenannter Cluster-Bohrplätze,
von wo aus bis zu zehn Bohrungen durchgeführt werden können.

– Hohes Aufkommen an Schwerlastverkehr, da Millionen Liter Wasser, Che-
mikalien und Sand an- und abtransportiert werden müssen.

– Hohe Belastung der Anwohner durch Lärm und Schadstoffemissionen.

– Seismische Erschütterungen durch den Frack-Vorgang selbst und in noch
stärkerem Maße bei der unterirdischen Verpressung giftiger Abwässer in so-
genannten Disposalbohrungen.

– Hohe Wasserentnahme in Flüssen und Seen kann in wasserarmen Regionen
zu Wassermangel führen.

– Unsachgemäße Entsorgung von giftigen Abwässern. Für das direkt nach dem
Frack-Vorgang zurück an die Oberfläche strömende Gemisch aus Frack-
Fluiden und im Tiefengestein natürlich vorkommendem Lagerstättenwasser
(sogenannter Flowback), welches stark salzhaltig ist, radioaktiv belastet sein
und auch Schwermetalle wie Quecksilber enthalten kann, stehen nach heuti-
gem Stand der Technik keine adäquaten Entsorgungsmöglichkeiten zur Ver-
fügung.

– Die Klimabilanz von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten ist nach ver-
schiedenen vorliegenden Studien schlechter als die von konventionell geför-
dertem Gas, in welchem Ausmaß ist jedoch umstritten bzw. die Studien kom-
men zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Frage nach der Klimabilanz
stellt sich bei der Tiefengeothermie nicht, da es sich um eine erneuerbare
Energie zur Erzeugung von Strom und Wärme handelt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch die anderen Fraktionen der
Opposition (SPD, DIE LINKE.) haben das Thema Fracking in den vergangenen
zwei Jahren mehrfach auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages ge-
setzt. Alle genannten Fraktionen haben Anträge gestellt, um zu verhindern, dass
mit einer Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten begonnen wird,
bevor nicht sämtliche Umweltrisiken erforscht und die offenbar vorhandenen
Gesetzeslücken geschlossen werden. Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU
und FDP haben die Anträge der Opposition in der Sitzung des Deutschen Bun-
destages vom 10. Mai 2012 jedoch in abschließender Beratung unter dem wie-
derholten Hinweis abgelehnt, die Bundesregierung werde handeln und die ent-
sprechenden Maßnahmen ergreifen, sobald ein vom Umweltbundesamt (UBA)
im Herbst 2011 bei einem Gutachterkonsortium in Auftrag gegebenes Gutachten
zum Thema Fracking vorliege.

Dieses Gutachten mit dem Titel „Umweltauswirkungen von Fracking bei der
Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten –
Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender recht-
licher Regelungen und Verwaltungsstrukturen“ liegt inzwischen genauso vor
wie ein von der rot-grünen Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Auftrag ge-
gebenes Gutachten mit dem Titel „Fracking in unkonventionellen Erdgaslager-
stätten in NRW“. Beide Gutachten sehen vor allem erheblichen weiteren For-
schungsbedarf. Das UBA-Gutachten stellt zusammenfassend fest, „dass zu einer
fundierten Beurteilung dieser Risiken und zu deren technischer Beherrschbar-
keit bislang viele und grundlegende Informationen fehlen“. Gleichzeitig bestä-
tigen die Gutachten grundsätzlich die Existenz verschiedener Umweltrisiken
und kommen zu dem Schluss, dass diese derzeit nicht sicher technisch be-

herrschbar sind.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11213

Deshalb ist es dringend erforderlich, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen,
um den Einsatz der Fracking-Technologie in Deutschland mindestens so lange
auszuschließen, bis diese Risiken restlos aufgeklärt bzw. deren technische Be-
herrschbarkeit nachgewiesen ist. Dabei ist eine Verbesserung des Wissensstan-
des von zentraler Bedeutung. Neben den beiden genannten Gutachten werden
gegenwärtig viele weitere Studien zu den Umweltauswirkungen und weiteren
Aspekten der Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten veröffent-
licht, die ebenfalls zu einer vollständigeren Risikoanalyse beitragen können.
Bundesregierung und Bundestag sollten sich für eine gründliche Auswertung
der Gutachten einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren einräumen. Diese
Zeit sollte auch genutzt werden, um auf Grundlage der Handlungsempfehlungen
des UBA-Gutachtens die bereits jetzt schon offenkundigen regulatorischen De-
fizite zu beseitigen. In anderen Ländern wurde dieser Weg eines Moratoriums
bereits beschritten: Nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden hat
zuletzt Bulgarien die Anwendung der Fracking-Technologie befristet verboten.
Auch außerhalb von Europa wurde dieser Weg bereits beschritten: In Südafrika
ist die Anwendung der Technologie seit Mai 2011 ebenfalls verboten. Auch im
US-Bundesstaat New York sowie in der kanadischen Provinz Quebec darf die
Fracking-Technologie derzeit nicht angewendet werden.

Die schnelle Umsetzung der Handlungsempfehlungen aus dem UBA-Gutachten
ist auch deshalb dringend notwendig, um den Bundesländern Rechtssicherheit
zu verschaffen. Diese sind gegenwärtig auf der Grundlage veralteter Rechtsvor-
schriften dazu verpflichtet, Aufsuchungslizenzen an die Erdgasindustrie zu ver-
geben, sofern diese den Anforderungen des Bundesberggesetzes entsprechen.
Sowohl das Bundesberggesetz, das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sowie die
Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben
(UVP-V Bergbau) tragen gegenwärtig den besonderen Anforderungen und Ri-
siken der Fracking-Technologie nur unzureichend Rechnung, wie auch das
UBA-Gutachten bestätigt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– im Bundesberggesetz den Einsatz der Fracking-Technologie mit wasserge-
fährdenden und gesundheitsschädlichen Stoffen grundsätzlich auszuschlie-
ßen, da eine Kontamination des Grundwassers durch natürliche oder künst-
lich geschaffene Wegsamkeiten in Deckgebirgen bzw. Leckagen am Zement-
mantel einer Bohrung nicht ausgeschlossen werden kann;

– die unterirdische Verpressung des Flowbacks im Bundesberggesetz zu unter-
sagen. Die Industrie muss nachweisen, dass sie den sogenannten Flowback
auf eine umweltverträgliche Weise entsorgen bzw. aufbereiten kann;

– für Tiefbohrungen unter Einsatz der Fracking-Technologie, die ohne den Ein-
satz wassergefährdender und gesundheitsschädlicher Stoffe auskommen, ein
Moratorium bis zum 31. Dezember 2014 zu erlassen. Die Bundesregierung
wird verpflichtet, dem Deutschen Bundestag vor dem 31. Dezember 2014
einen umfassenden Bericht sowohl zu den Potenzialen und Risiken der Fra-
cking-Technologie für die Förderung von Kohlenwasserstoffen als auch für
die Erschließung von Tiefengeothermie vorzulegen, auf dessen Grundlage
der Deutsche Bundestag über eine Verlängerung des Moratoriums entschei-
den kann.

Drucksache 17/11213 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiter auf,

folgende Handlungsempfehlungen des UBA-Gutachtens als Grundvorausset-
zung für den Einsatz der Fracking-Technologie bis zum 31. Dezember 2014 um-
zusetzen:

– Der Einsatz der Fracking-Technologie in Wasserschutzgebieten (Zone I bis III),
Wassergewinnungsgebieten der öffentlichen Trinkwasserversorgung (ohne
ausgewiesenes Wasserschutzgebiet), in Heilquellenschutzgebieten sowie im
Bereich von Mineralwasservorkommen durch entsprechende Änderungen
des Wasserrechts wird untersagt.

– In einem transparenten Prozess wird unter Beteiligung der zuständigen Be-
hörden, Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen sowie der interessierten Öf-
fentlichkeit ein Genehmigungskatalog entwickelt, welcher klar zu erfüllende
Entscheidungskriterien für die Genehmigungsfähigkeit der Fracking-Tech-
nologie enthält.

– Verstärkte Fortführung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zur
Langzeitsicherheit der Zementierung in Bohrlöchern, zur Entwicklung besse-
rer Prognosetechniken der durch Fracking verursachten Rissweiten und -län-
gen sowie zur Entwicklung von Frack-Fluiden mit geringem Gefährdungspo-
tenzial. Die Anwendung der Forschungsergebnisse im praktischen Einsatz
sollte wissenschaftlich begleitet werden.

– Für Fracking-Vorhaben ist eine grundsätzliche und bundesweite Pflicht zur
Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung mit einer Öffnungsklau-
sel für die Länder in der UVP-V Bergbau zu verankern. Die durch UVP-
Recht gebotene Öffentlichkeitsbeteiligung sollte im Hinblick auf Erkennt-
nisse über potenzielle Umweltauswirkungen, die erst während der Durchfüh-
rung des Vorhabens gewonnen werden können, um eine vorhabenbegleitende
Komponente erweitert werden. Die sorgfältige Prüfung der wasserrechtli-
chen Anforderungen sollte durch Klarstellung der Anforderungen und Neu-
regelung einer integrierten Vorhabengenehmigung unter Federführung einer
dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit un-
terstehenden Umweltbehörde bzw. Integration der Bergbehörden in die Um-
weltverwaltung sichergestellt werden.

– Es ist ein öffentlich einsehbares Kataster einzurichten, in welchem die durch-
geführten Frack-Maßnahmen unter Angabe der eingesetzten Fluidzusam-
mensetzung eingesehen werden können. Die Finanzierung dieses Katasters
ist Aufgabe der Unternehmen, welche die Fracking-Technologie anwenden.

– Der in §48 WHG verankerte Besorgnisgrundsatz muss in Form einer Auf-
nahme von Geringfügigkeitsschwellenwerten für diverse Schadstoffe kon-
kretisiert werden, sodass die Vollzugsbehörden in der Lage sind, mit rechtlich
verbindlichen Werten zu arbeiten.

Berlin, den 24. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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